Ältere Menschen

12.2 Ältere Menschen


Wie in einem früheren Abschnitt bereits erwähnt, können Männer und Frauen bis ins hohe Alter - eigentlich solange sie leben - sexuell aktiv sein. Natürlich kann es infolge schwerer Krankheiten oder Verletzungen zu einer Beeinträchtigung ihrer sexuellen Funktionsfähigkeit kommen oder zu einem Verlust des Interesses an sexuellen Dingen, das gilt aber auch für andere Altersstufen. Die Tatsache, dass die sexuelle Reaktion bei älteren Menschen weniger kraftvoll ist, bedeutet nicht, dass sie sich ihrer nicht erfreuen könnten und sollten. Unter normalen Umständen endet das Sexualleben eines Menschen erst mit seinem Tod.


In der westlichen Welt werden jedoch ältere Menschen, manchmal sogar schon Menschen mittleren Alters, von sexuellen Handlungen abgehalten. Sie werden wegen ihrer sexuellen Interessen getadelt oder lächerlich gemacht, weil man meint, Sexualität im Alter sei abnorm, unschicklich oder ekelhaft. So geraten Witwer und Witwen mit ihren eigenen erwachsenen Kindern in Streit, weil sie wieder heiraten wollen; Bewohner von Pflegeheimen werden nach Geschlechtern getrennt und durch das Personal ihrer Privatsphäre beraubt; älteren Patienten wird von ihrem Arzt oder den Schwestern gesagt, sie sollten sich darauf vorbereiten und damit abfinden, dass ihre sexuelle Befriedigung nachlasse; älteren Homosexuellen wird der Zutritt zu „schwulen" Bars und Saunen verweigert. Besonders stark ist das allgemeine Vorurteil gegenüber sexuellen Beziehung zwischen Partnern mit sehr unterschiedlichem Alter. Wenn eine Frau einen erheblich jüngeren Ehemann oder Freund hat, behandelt man sie mit unverhohlener Verachtung. Einen Mann mit einer wesentlich jüngeren Ehefrau oder Freundin bezeichnet man oft als „Lüstling". Den jüngeren Partnern hält man vor, sie litten unter „Neurosen" oder seien „Gerontophile". Abgesehen von der Belästigung durch die Öffentlichkeit können solche Beziehungen jedoch für beide Partner sehr zufriedenstellend sein.


Da alle Menschen dazu bestimmt sind, entweder früh zu sterben oder alt zu werden, und da alle, solange sie leben, ein Bedürfnis nach Liebe und Zuneigung haben, ist die sexuelle Diskriminierung Älterer unter uns unmenschlich und barbarisch. Niemand, der in solcher Weise andere diskriminiert, kann sich als zivilisierten Menschen bezeichnen. Glücklicherweise bestehen solche Vorurteile nicht in allen Gesellschaften. Selbst bei uns gibt es Anzeichen, dass ein Wandel zum Besseren eintritt. Junge Männer und Frauen nicht-westlicher Herkunft sind oft nicht so versessen auf Jugend und Vitalität; sie genießen statt dessen die Erfahrung und emotionale Stabilität älterer Geschlechtspartner. Sie sind sich auch eher dessen bewusst, dass das Alter keinen Einfluss auf die Fähigkeit hat, sexuelle Befriedigung zu geben. Vor allem in den USA, die ein Land von Einwanderern mit unterschiedlichen ethnischen Gruppen und Subkulturen sind, findet sich hie und da eine solche offene, vernünftige und realistische Einstellung zur Sexualität. Es gibt viele soziokulturelle „Nischen", in denen aktives Sexualleben älterer Menschen als selbstverständlich angesehen wird. Überdies hat die neuere Sexualforschung die sexuellen Bedürfnisse älterer Menschen wiederentdeckt und bestätigt, und es gibt heute immer mehr Fachleute, die die Öffentlichkeit hiervon in Kenntnis zu setzen suchen. Ihre Bemühungen richten sich in erster Linie an Ärzte, Schwestern, Sozialarbeiter und andere Berufe, die sich mit älteren Menschen befassen. Sie wollen aber auch eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Es besteht eine dringende Notwendigkeit für eine allgemeine Neuorientierung. Sexuelle Aktivität kann erheblich dazu beitragen, im Alter bei guter Gesundheit zu bleiben, daher sollte sie unterstützt werden. Pflegeheime, Altenheime und ähnliche Einrichtungen müssen sich auf die sexuellen Bedürfnisse ihrer Bewohner einrichten und dafür Sorge tragen, dass sie nicht unterdrückt werden. Häufig können Hormonbehandlungen und verschiedene körperliche Therapien angewendet werden, um das sexuelle Interesse zu bewahren. Natürlich ist viel Takt und Diskretion gegenüber jedem einzelnen sehr wichtig. Obwohl es unbillig ist, sexuelle Bedürfnisse älterer Menschen zu ignorieren, wäre es ebenso falsch, irgendwelchen Druck auf sie auszuüben und neue sexuelle Leistungsnormen für die Älteren aufzustellen. Schließlich müssen sie, genau wie alle anderen, über ihre Sexualität selbst bestimmen können und die Möglichkeit haben, so zu leben, wie sie es für richtig und angemessen halten.

 

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