Legal - Illegal

10.2 Legal - Illegal


Wo die Verletzung sexueller Normen als juristisches Problem definiert wird, erscheinen sexuelle Anpassung und sexuelle Abweichung als Rechtsbeachtung und Rechtsverletzung. Angepasstes Sexualverhalten ist „ehrbar", „gesetzestreu" und „legal". Abweichendes Verhalten ist „anstößig", „kriminell" und „illegal".


Es steht außer Frage, dass bestimmte Arten sexuellen Verhaltens von Gesetzes wegen verboten werden müssen, weil sie mit Gewalt, Betrug oder Ausbeutung verbunden sind oder vor unfreiwilligen Zeugen stattfinden. Die Opfer solchen Verhaltens verdienen gesetzlichen Schutz, und in nahezu allen Gesellschaften wird versucht, diese Forderung zumindest für ihre „wichtigen" Mitglieder zu erfüllen. Das bedeutet, dass keine Gesellschaft ohne ein bestimmtes Minimum von Sexualgesetzen bestehen kann. Es hat indes Gesellschaften gegeben, in denen eine große Anzahl von Menschen absichtlich ungeschützt blieb, auch gegen die brutalsten Formen sexueller Gewalt. In diesen Gesellschaften diente das Gesetz nur den Herrschenden und Privilegierten und war nichts weiter als das Werkzeug einer Klassenjustiz. Sklaven und Diener waren für ihre Herren oft Freiwild. Manchmal wurden auch Mitgliedern religiöser oder rassischer Minderheiten die elementarsten Menschenrechte versagt, und sie konnten von der Mehrheit sexuell missbraucht werden, ohne dass diese Strafe fürchten musste. Dagegen wird in den meisten modernen Gesellschaften große Mühe darauf verwandt, sexuellen Missbrauch ohne Ansehen der Person zu bestrafen. In der Absicht, die Welt für jedermann „sicher" zu machen, sind sie in der Gesetzgebung häufig übereifrig und sehen sexuelle Missetaten auch da, wo kein neutraler, nüchterner Beobachter sie finden würde. Das führt dann dazu, dass sie nicht nur die Guten vor den Bösen schützen und die Bösen voreinander, sondern auch die Guten vor sich selbst. Denn wenn sich das Sexualstrafrecht bis zum „Verbrechen ohne Opfer" ausdehnt, wird es im Kern totalitär und macht womöglich seinerseits viele rechtschaffene Menschen zu Opfern.


Dennoch muss selbst der eifrigste Gesetzgeber viele Formen sexuell destruktiven Verhaltens ungestraft lassen. So können zum Beispiel Eheleute, die Sexualität dazu benutzen, sich gegenseitig zu entwürdigen; Eltern, die Kinder sexuell nicht aufklären, Lehrer, die ihren Schülern Lügen über Masturbation erzählen, und Geistliche, die zur Verfolgung sexueller Nonkonformisten aufrufen, eine Menge Unheil anrichten, und sie werden dennoch nicht eines Vergehens oder Verbrechens bezichtigt. Es ist auch fraglich, ob sie durch irgendein besonderes Gesetz zu kontrollieren wären. Diese Überlegungen lassen folgende Schlussfolgerungen zu:


1. Gesetz und Moral sind nicht das gleiche. Sie stehen zweifellos in Beziehung, allerdings in keiner direkten. Bestimmte unmoralische sexuelle Handlungen können völlig legal sein, während bestimmte moralische sexuelle Handlungen illegal sind.


2. Man kann nicht einfach davon ausgehen, dass es Zweck des Sexualstrafrechts ist, körperlichen und emotionalen Schutz zu gewährleisten. Denn wir haben festgestellt, dass gefährdendes Verhalten unter Umständen legal sein kann und harmloses illegal.


Wie können dann die unserem Sexualstrafrecht zugrundeliegenden Motive ergründet werden? Was ist die reale Basis, auf der Gesellschaften beschließen, welches sexuelle Verhalten legal oder illegal ist? Die Beantwortung dieser Fragen wird vielleicht durch einen kurzen historischen Rückblick erleichtert.


 

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