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10.2.3 Das geltende Sexualstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland
Die
bundesdeutschen Sexualgesetze sind - ähnlich wie in
Österreich und der Schweiz - in einem gesonderten Abschnitt des
Strafgesetzbuches unter der Bezeichnung „Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung" zusammengefasst (die frühere Bezeichnung „gegen
die Sittlichkeit" ist heute noch in Österreich und der Schweiz
üblich). Diese Bezeichnung deutet auf einen wesentlichen
Schwerpunkt der neuesten bundesdeutschen Sexualgesetzgebung hin:
Sexuelles Verhalten ist dann strafbar, wenn es die persönliche
Freiheit und die Gesundheit von Menschen in Ausdruck und Entwicklung
verletzt. Die sexuelle Selbstbestimmung liefert jedoch nur einen
einzelnen Aspekt des Sexualstrafrechts. Andere geschützte
Rechtsgüter sind - mit vermutlich gleichbedeutender normativer
Kraft - Ehe und Familie und damit die geltende Sexualverfassung.
Toleranz und Achtung der Menschenwürde des anderen,
ungestörte sexuelle Entwicklung des jungen Menschen sowie der
Schutz vor schwerwiegenden Belästigungen in sexueller Hinsicht.
Die Inzestregelung (Verbot sexueller Handlungen zwischen Verwandten)
des Strafgesetzbuches erfolgt unter der gesonderten Bezeichnung
„Straftaten gegen Personenstand, Ehe und Familie". Der Tatbestand der
„Straftaten gegen die persönliche Freiheit" wird durch die
Entführung einer Frau unter 18 Jahren mit ihrem Willen, aber gegen
den Willen ihrer Eltern oder Erziehungsberechtigten, um sie zu
außerehelichen sexuellen Handlungen zu bringen, erfüllt. Die
bundesdeutsche Sexualgesetzgebung hat sich zwar ausdrücklich der
These verschrieben, dass ein Verhalten nicht schon um seiner Unmoral
willen Strafe verdient, sondern erst dann, wenn es für den
einzelnen oder für die Gemeinschaft unerträglich und sozial
schädigend ist. Dabei wird jedoch eingeräumt, dass es „im
Hinblick auf einen großen Teil der für die Entscheidung
erheblichen Fragen an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen
fehlt". Ist dies der Fall, so entscheiden die geltenden Sexual- und
Moralvorstellungen mit über Inhalt und Form abweichenden
Sexualverhaltens.
Das Sexualstrafrecht der Bundesrepublik hat
1969 mit Abschaffung des Straftatbestandes des Ehebruches, der Unzucht
mit Tieren, der Erschleichung außerehelichen Beischlafs und der
Homosexualität zwischen Erwachsenen (in Österreich seit 1971,
in der Schweiz seit 1943) eine entscheidende Veränderung erfahren.
Seit der Strafrechtsreform des Jahres 1973 gelten insgesamt neu
überarbeitete Strafvorschriften.
Nicht jede der
geltenden Sexualnormen hat allerdings die gleiche Bedeutung. Nach der
Verurteilungsstatistik aus dem Jahre 1980 wurden von 6114 Tätern
insgesamt 31,1 Prozent wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, 20,5
Prozent wegen Vergewaltigung, 14,3 Prozent wegen exhibitionistischer
Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses verfolgt.
Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Abhängigen und
Widerstandsunfähigen spielte mit 2,7 Prozent eine vergleichsweise
geringe Rolle. Auffallend ist darüber hinaus, dass von den
insgesamt 23 488 von der Staatsanwaltschaft ermittelten
Sexualtatverdächtigen 11,8 Prozent 17 Jahre und jünger und
11,5 Prozent zwischen 18 und 21 Jahre alt waren. Nur 2,7 Prozent der
Verurteilten waren Frauen, dabei ist allerdings die Ausübung
verbotener, jugendgefährdender Prostitution nicht
berücksichtigt.
Das bundesdeutsche Sexualstrafrecht
unterscheidet die Tathandlung in „Beischlaf" und „sexuelle Handlungen";
unter „Beischlaf" ist ausschließlich das Eindringen des Penis
zumindest in den Scheidenvorhof zu verstehen. Es spielt keine Rolle, ob
es zur Ejakulation kommt.
Für das Vorliegen strafbarer
Tatbestände im Sinne des Sexualstrafrechts müssen „sexuelle
Handlungen" „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von
einiger Erheblichkeit" sein. Der Begriff der „sexuellen Handlung" hat
dabei den alten Gesetzesbegriff der „unzüchtigen Handlung"
abgelöst. Das große Problem der Eingrenzung dieses
Handlungsbegriffes ist jedoch geblieben. Grundsätzlich muss die
sexuelle Handlung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach
Sexualbezogenheit, das heißt eine „Beziehung zum
Geschlechtlichen", beinhalten. Dazu zählen unter anderem:
Eindeutiges Berühren der Geschlechtsorgane oder der weiblichen
Brüste, sexuelle Praktiken wie Oral- und Analverkehr sowie der
sogenannte Zungenkuss zwischen Männern und Kindern. Eine Erregung
des Täters muss nicht deutlich werden. Der von der sexuellen
Handlung Betroffene muss die „Sexualbezogenheit" oft gar nicht erkannt
haben.
Inzest
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren oder Geldstrafe wird bedroht, wer mit einem leiblichen
Abkömmling, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder
Geldstrafe, wer mit einem Verwandten in aufsteigender Linie Beischlaf
vollzieht. Letzteres gilt auch für leibliche Geschwister. Der
Beischlaf unter Verschwägerten ist straflos. Für
Abkömmlinge und Geschwister unter 18 Jahren ist die Tat straffrei.
(In Österreich gehen dabei die Verführten unter 18 Jahren, in
der Schweiz unter 20 Jahren straffrei aus.)
Sexueller Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen
Wer
mit einem Kind unter 14 Jahren Beischlaf vollzieht, wird in der Regel
mit Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren bestraft
(Österreich 14 Jahre, Schweiz 16 Jahre). Eine Ausnahme würde
ein echtes Liebesverhältnis zum Beispiel zwischen einem
18jährigen und einer 13jährigen sein. Aber auch hier bleibt
es bei der Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Ebenso
sind sexuelle Handlungen mit Personen unter 16 Jahren von Strafe
bedroht, die dem Täter zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in
der Lebensführung anvertraut sind (sogenannte „Schutzbefohlene";
in Österreich liegt die Altersgrenze bei 19 Jahren, in der Schweiz
bei 18 Jahren). Bestraft wird, wer sexuelle Handlungen mit Personen
unter 18 Jahren unter Missbrauch einer mit Erziehungs-, Ausbildungs-,
Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen
Abhängigkeit vornimmt und wenn es sich bei der Person um das
leibliche oder angenommene Kind handelt.
Unter Strafe stehen
auch sexuelle Handlungen mit Gefangenen, behördlich Verwahrten,
Kranken in Anstalten, seelisch und körperlich
Widerstandsunfähigen (hier ausschließlich
außereheliche Handlungen) sowie sexuelle Handlungen, die unter
Missbrauch einer Amtsstellung geschehen. Außerdem macht sich in
Fällen mit Kindern und Schutzbefohlenen strafbar, wer diese dazu
bestimmt, sexuelle Handlungen vor dem Täter vorzunehmen. Das gilt
auch, wenn er sexuelle Handlungen in deren Gegenwart an sich selbst
vornimmt. Bei Kindern reichen das Vorzeigen pornographischer Bilder und
Darstellungen und entsprechende „Reden" für eine Strafbarkeit aus,
wenn der Täter sich, das Kind oder eine andere Person dadurch
sexuell erregen will. Der Kinderschutz ist hier weit gefasst. Da die
Schuldfähigkeit und damit die Strafbarkeit nur bei Kindern unter
14 Jahren ausgeschlossen ist, kann bereits der 14jährige Junge,
der eine 13jährige bestimmt, sexuelle Handlungen an einer anderen
13jährigen vorzunehmen, in den Bereich strafrechtlicher Verfolgung
gelangen.
Homosexuelle Handlungen
Strafbar sind
sexuelle Handlungen eines Mannes über 18 Jahren mit einem Mann
unter 18 Jahren (das gilt auch für Österreich, in der Schweiz
ist die Altersgrenze 20 Jahre), wobei das Gericht von einer Strafe
absehen kann, wenn der Täter noch nicht 21 Jahre alt ist oder das
„Unrecht der Tat" unter Berücksichtigung des Verhaltens des
„Opfers" (zum Beispiel männliche Prostituierte) gering ist.
Diese
Altersgrenze für homosexuelle Handlungen unter Männern von 18
Jahren - das Strafmaß beträgt Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder Geldstrafe - steht in deutlichem Gegensatz zu den
entsprechenden Bestimmungen für heterosexuelle Handlungen. Die
Altersgrenze für Mädchen beträgt hier 16 Jahre.
Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und Verführung
Wer
eine Frau mit Gewalt oder durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr
für Leib und Leben zum außerehelichen Beischlaf nötigt,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft. Wird der Tod
der Frau dabei leichtfertig verursacht, beträgt die
Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Der Ehemann kann nur dann
Täter sein, wenn er seine Ehefrau zum Beischlaf mit Dritten
nötigt. Von einem bis zu zehn Jahren reicht die Strafandrohung
für denjenigen, der eine körperlich oder seelisch
widerstandsunfähige Frau zum außerehelichen Beischlaf unter
Ausnutzung ihres Zustandes missbraucht.
Haftstrafe bis zu
einem Jahr oder Geldstrafe droht demjenigen, der ein Mädchen unter
16 Jahren (Schweiz 18 Jahren) zum Beischlaf verführt. Dabei wird
unter „Verführung" ein Willfährigmachen verstanden, das
über das bloße Bestimmen an Intensität hinausgeht, oder
eine Widerstrebende oder Unentschlossene durch Mittel wie Geschenke,
Alkohol und sexuelle Berührungen „verführt". Die Tat wird nur
auf Antrag verfolgt; eine Verfolgung entfällt, wenn der Täter
die „Verführte" heiratet. Auch wenn der Täter unter 21 Jahren
alt ist, kann auf Strafe verzichtet werden.
Förderung der Prostitution und Zuhälterei
Wie
bereits dargestellt, steht jede Nötigung zu außerehelichen
sexuellen Handlungen unter Strafe. Dabei spielt es keine Rolle, ob
Täter oder Opfer Männer oder Frauen sind. Prostitution selbst
ist grundsätzlich straflos, es sei denn, sie wird entgegen einem
behördlichen Aufenthaltsverbot oder in jugendgefährdender Art
und Weise ausgeübt.
Verboten sind alle Handlungen, die
gewerbsmäßig über das bloße Gewähren von
Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt für volljährige
Prostituierte hinausgehen, die Prostituierte in persönlichen und
wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnissen halten, sie
ausbeuten oder ihre Arbeit überwachen und bestimmen. Jedwede
Förderung der Prostitution minderjähriger Personen,
Vermittlung und Zwang zur Prostitution sind unter Strafe gestellt. Hier
können Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren verhängt werden.
Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger
Wer
sexuelle Handlungen eines anderen mit einer Person unter 16 Jahren (in
Österreich unter 19 Jahren, in der Schweiz unter 18 Jahren) durch
seine Vermittlung oder durch Gewähren oder Verschaffen von
Gelegenheit Vorschub leistet, wird bestraft. Das gilt indes nicht
für die Eltern oder Erziehungsberechtigten Minderjähriger,
wenn diese dabei ihre Erziehungspflicht nicht wirklich verletzen.
Bestraft wird ebenfalls, wer Personen unter 18 Jahren bestimmt, gegen
Entgelt sexuelle Handlungen mit anderen Personen vorzunehmen. Handelt
es sich dabei um Schutzbefohlene, braucht die betreffende Handlung
nicht entgeltlich zu geschehen.
Entführung mit Willen und gegen den Willen der Entführten
Es
wird bestraft, wer eine unverheiratete Frau unter 18 Jahren (in
Österreich unter 19 Jahren, in der Schweiz unter 20 Jahren) mit
deren Willen, aber gegen den Willen der Erziehungsberechtigten
entführt, um sie zu außerehelichen sexuellen Handlungen zu
veranlassen. Gleiches gilt für denjenigen, der mit demselben Ziel
eine Frau gegen deren Willen durch List, Drohung oder Gewalt
entführt. Geschieht dies darüber hinaus mit einem Fahrzeug,
so erschwert das den Tatbestand. In beiden Fällen kann der
Täter nur ein Mann sein. Die Tat wird ausschließlich auf
Antrag verfolgt. Strafbarkeit ist dann ausgeschlossen, wenn der
Täter sein „Opfer" heiratet.
Verbreitung pornographischer Schriften und Erregung öffentlichen Ärgernisses
Erlaubt
sind Anbieten, Überlassen und Zugänglichmachen
pornographischer Bücher, Hefte, Fotographien, Filme,
Tonbänder und sonstiger Darstellungen, soweit dies nicht in
irgendeiner Form in der Öffentlichkeit (zum Beispiel in
öffentlichen Filmvorführungen) und an öffentlichen und
allgemein - auch gegen Entgelt - zugänglichen Orten und unter
Ausschluss von Personen unter 18 Jahren geschieht. Das Überlassen
pornographischer Schriften an Minderjährige durch Eltern oder
Erziehungsberechtigte ist straflos.
Verboten sind jedoch
Herstellung, Verbreitung in jeder Form, Anpreisen und
Zugänglichmachen von Pornographie, die Gewalttätigkeit oder
sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben. Bei
unerlaubter Verbreitung von Pornographie droht Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr oder Geldstrafe.
Das gilt auch für Personen,
die öffentlich sexuelle Handlungen vornehmen und dadurch
Ärgernis erregen. Belästigt ein Mann eine Person durch
exhibitionistische Handlungen, macht er sich ebenfalls strafbar.
Verfolgt wird die Tat jedoch nur auf Antrag der Belästigten oder
wenn ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung vorliegt.
In diesen Fällen kann die Strafe auch zur Bewährung
ausgesetzt werden, wenn zu erwarten ist, dass der Täter nach
Heilbehandlung keine derartigen Handlungen mehr vornehmen wird.
Strafrechtsbestimmungen bei Tätern unter 21 Jahren
Handelt
es sich bei den Tätern um Personen, die zur Tatzeit unter 21
Jahren sind, so ist für Jugendliche im Alter von 14 bis unter 18
Jahren Jugendrecht anzuwenden, für Heranwachsende im Alter von 18
bis 21 Jahren gilt Jugendrecht dann, wenn der Täter bei
Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit einem Jugendlichen
gleichzustellen ist. Das gilt auch, wenn es sich nach der Art, den
Umständen und den Beweggründen der Tat um eine typische
Jugendverfehlung handelt. Das bedeutet, dass anstelle der
Freiheitsstrafe oder der Geldstrafe das Jugendgericht auf
Erziehungsmaßregeln, wie Weisungen, Erziehungsbeistandschaft,
Fürsorgeerziehung, auf Verwarnung und Jugendarrest erkennen kann.
Der Freiheitsentzug als Jugendstrafe kommt nur in Betracht, wenn bei
dem Täter schweres Verschulden oder besonders schädliche
Neigungen zu erkennen sind. In diesen Fällen sieht das Jugendrecht
einen erheblich erweiterten Rahmen der Strafaussetzung zur
Bewährung vor.
Abweichende Strafrechtsbestimmungen in Österreich, der Schweiz und der DDR
Sexueller
Kontakt mit Tieren, Erschleichung außerehelichen Beischlafs und
heterosexuelle Prostitution sind in der Bundesrepublik Deutschland wie
in Österreich und der Schweiz straflos. In diesen beiden
Ländern sind allerdings Vergewaltigung, Notzucht, Schändung,
Kuppelei, Zuhälterei, Menschenhandel, Herstellung und Verbreitung
von Pornographie (in Österreich nur die sogenannte „harte"
Pornographie), gleichgeschlechtliche Prostitution und Ehebruch
(allerdings nur auf Antrag) noch heute strafbar.
Das
Sexualstrafrecht der DDR ist bezüglich des Kinder- und
Jugendschutzes, der Homosexualität (auch der weiblichen), der
Vergewaltigung, der Notzucht und des sexuellen Missbrauchs mit dem der
Bundesrepublik Deutschland vergleichbar. Sexueller Kontakt mit Tieren
und Ehebruch sind straflos. Verboten sind Prostitution,
gewerbsmäßige Kuppelei, Zuhälterei, Menschenhandel und
Beischlaf zwischen Verwandten in gerader Linie und zwischen
Geschwistern.
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