Das moderne Recht

10.2.2 Das moderne Recht


Während das auf den Gedanken der Französischen Revolution beruhende französische Revolutionsstrafgesetz und der französische Code Pénal aus dem Jahre 1810 Masturbation, homosexuelles Verhalten, sexuellen Kontakt mit Tieren und einfache, außereheliche Unzucht bis in die Gegenwart für straflos erklärten, blieb die deutsche Sexualgesetzgebung dieser Zeit außerordentlich restriktiv. Unter teilweiser Aufrechterhaltung des umfassenden „Sodomie"-Begriffes der Hexenverfolgung fanden sich im Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794 und im österreichischen Strafgesetz von 1803 weiterhin Strafbestimmungen gegen „widernatürliche Unzucht". Die Täter wurden zum Teil zu empfindlichen Zuchthausstrafen verurteilt. Inzest, Ehebruch, Bigamie, Vergewaltigung und Notzucht, sexueller Missbrauch Abhängiger und Gefangener, jede sexuelle Handlung mit Kindern unter zwölf Jahren sowie „grobe Unsittlichkeit an öffentlichen Orten" wurden nach dem Allgemeinen Preußischen Landrecht strafrechtlich verfolgt.


Prostitution war straflos, solange sich Prostituierte in Bordellen aufhielten. Alleine das bayerische Strafgesetz von 1813, unter der maßgeblichen Beteiligung von Anselm von Feuerbach, sah Straflosigkeit für „widernatürliche Unzucht" - und damit auch für homosexuelles Verhalten - vor, nach dem Grundsatz des französischen Rechts, dass „widernatürliche Unzucht" zwar die Gesetze der Moral überschreite, nicht jedoch Rechte Dritter verletze. Auch die Königreiche Württemberg und Hannover sowie die Herzogtümer Braunschweig und Baden kannten diesbezüglich nur dann eine Strafverfolgung, wenn eine Klage verletzter Personen oder Erregung öffentlichen Ärgernisses vorlag. Für außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte sich in Deutschland fast ausnahmslos Straflosigkeit durchgesetzt. Ganz besonders hatte dazu die mit viel Emotionen öffentlich geführte Diskussion um das Schicksal von Kindesmörderinnen beigetragen, in denen man vielfach die eigentlichen Opfer des Verbotes sah. Die Verbreitung „unzüchtiger Schriften" wurde erstmalig durch eine preußische Verordnung aus dem Jahre 1849 unter Strafe gestellt, in Anlehnung an den Code Pénal. Das preußische Strafgesetz von 1851 führte den neuen Straftatbestand der sexuellen Handlung mit Kranken und Hilflosen in Anstalten ein; auch verbot es jegliche gewohnheitsmäßige und eigennützige Kuppelei. Das Reichsstrafgesetz von 1871 übernahm zum großen Teil die Sexualbestimmungen des preußischen Strafgesetzes. Damit bedeutete es aufgrund der reichseinheitlichen Geltung des Gesetzes und der Strafbarkeit sexuellen Kontakts zwischen Männern und mit Tieren eine erhebliche Verschärfung des Sexualstrafrechts in weiten Teilen Deutschlands. Eine Strafbarkeit von sexuellen Handlungen unter Frauen hatte schon das preußische Strafgesetz nicht gekannt.


Seit der Verabschiedung des Reichsstrafgesetzes von 1871 hat das deutsche Sexualstrafrecht bis zur Großen Reform 1969 und 1973 nur wenig Änderungen erfahren. Im Jahre 1900 wurde der Tatbestand der Zuhälterei eingeführt. Im Jahre 1935 kam es unter der nationalsozialistischen Herrschaft zu einer erheblichen Verschärfung der Strafbarkeit homosexuellen Verhaltens unter Männern. Diese Regelung aus dem Jahre 1935 hatte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 Gültigkeit.



Das Verbrechen der Prostitution

Anders als die meisten westeuropäischen Staaten bestrafen die meisten Bundesstaaten der USA noch heute Prostitution als Verbrechen. In der Antike und im Mittelalter war Prostitution demgegenüber weitgehend toleriert, und Bordelle waren in den meisten Städten üblich. Im Europa des Mittelalters befanden sich Bordelle häufig in der Nähe der Kirchen. Auch in den USA gab es im 19. Jahrhundert noch an vielen Orten legal betriebene Bordelle.


Antike römische Bordellmünze


Mittelalterliches Bordell


Prostituierte in einem Bordell in New Orleans, etwa 1912.


 
Das Verbrechen der Obszönität

„Pornographie" als Unterhaltung ist keine Erfindung unserer Zeit. In Europa lassen sich sexuell eindeutige und oft obszöne Darstellungen auf der Bühne bis in das antike Griechenland und Rom zurückverfolgen. Vor etwa 250 Jahren ließen europäische Adelige solche Bühnenstücke in ihren privaten Theatern aufführen.


Szene aus einer klassischen griechischen Komödie. Man beachte den großen künstlichen Perus (Phallos) der Schauspieler, (Alte griechische Vasenmalerei)


Titelblatt und Liste der Darsteller einer Komödie von John Wilmot,
Earl of Rochester, aus dem 17. Jahrhundert.


Private Vorstellung in einem höfischen Theater des 18. Jahrhunderts.

 

 


Die Bemühungen um eine Abschaffung der Strafbarkeit homosexueller Handlungen waren seit Verkündung des Reichsstrafgesetzes nicht abgerissen. Vor allem die Aufklärungsarbeit des Berliner Arztes Magnus Hirschfeld hatte bis zum Ende der Weimarer Republik zu verschiedenen parlamentarischen Initiativen und Gesetzentwürfen zur Entschärfung oder Beseitigung der Strafbarkeit geführt. Diese Bemühungen wurden durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten unterbrochen. Die Verurteilungen wegen homosexuellen Verhaltens nahmen ab 1935 erheblich zu. Waren es 1933 noch insgesamt 853 Verurteilte, stieg diese Ziffer bereits 1935 auf 2106 und 1937 auf 8271 an. In den Jahren 1933 bis 1944 waren davon ungefähr 50 000 Männer betroffen. Unter dem Zeichen des „Rosa Winkels" verschwanden Tausende in den Konzentrations- und Arbeitslagern der Nationalsozialisten. Viele wurden dort grausam ermordet oder starben geschwächt an Unterernährung, Zwangsarbeit unter unvorstellbaren Bedingungen und körperlicher Folter. Neben den Roma und Sinti, den „Zigeunern", sind auch diesen Männern -sofern sie den Lagern entkommen konnten - für ihre Leiden niemals Entschädigungen im Rahmen der Wiedergutmachung geleistet worden.


Die Sexualgesetzgebung im Kulturvergleich


In fast allen Ländern und Gesellschaften werden nicht nur Handlungen als Straftaten verfolgt, bei denen Menschen zu Schaden kommen, sondern es gibt darüber hinaus bestimmte Handlungen, bei denen für eine Strafbarkeit nicht notwendig ein Opfer vorhanden sein muss. Besonders im Bereich der Sexualgesetzgebung ist es daher sinnvoll, zwischen „Straftaten mit Opfern" und „Straftaten ohne Opfer" zu unterscheiden.


Straftaten mit Opfern


Nahezu alle Länder stellen sexuelle Handlungen unter Strafe, die Gewalt, Täuschung, Verletzung oder Ausbeutung beinhalten oder die vor unfreiwilligen Zeugen vorgenommen werden. In all diesen Fällen gibt es ein klar bestimmbares Opfer, das Anzeige erstattet (oder jedenfalls Anzeige erstatten würde), und diese Menschen haben natürlich ein Recht auf gesellschaftlichen Schutz. Eine Gesellschaft, die nicht willens oder unfähig ist, einen solchen Schutz zu gewährleisten, kann nicht sehr lange überleben. Deshalb haben die meisten Staaten Gesetze gegen sexuelle Straftaten mit Opfern, und diese Gesetze werden fast immer energisch durchgesetzt.


An diesen Gesetzen bleibt jedoch noch vieles zu verbessern. In manchen Fällen sind sie in so archaischer Sprache und so ungenau abgefasst, dass sie kaum mehr umgesetzt werden können. In anderen Fällen implizieren sie wirklichkeitsfremde und sinnlose Strafen, oder die Praxis der Rechtsprechung straft das Opfer in gleicher Weise wie den Täter. Ein gutes Beispiel hierfür sind die traditionellen Gesetze gegen Vergewaltigung in einigen Bundesstaaten der USA, die nun in diesen Bundesstaaten reformiert werden, weil sich die Bewegung zur Frauenemanzipation gegen sie wendet.


Solche Gesetze können jedoch auch in anderer Hinsicht problematisch sein. Bei dem Versuch, mögliche Opfer zu schützen, werden oft auch eigentlich unschädliche Handlungen unter Strafe gestellt, und diese Gesetze schaffen so eine ohne sie nicht vorhandene „Kriminalität". Andererseits gibt es natürlich auch Fälle, in denen die Gesetzgeber nicht genügend Schutz vorsehen. Im Ergebnis ist dann offensichtlich gefährliches Sexualverhalten nicht von entsprechender Strafe bedroht.


Straftaten ohne Opfer


In vielen Ländern gibt es bestimmte Straftaten, bei denen keine der beteiligten Personen als „Opfer" identifiziert werden kann, sondern die in Handlungen bestehen, die unter einvernehmlichen Partnern vorgenommen werden und bei denen keiner sich geschädigt fühlt. Diese sogenannten Straftaten ohne Opfer schaden also in der Tat niemandem. Man kann sie vielleicht am ehesten definieren als Austausch von Waren oder Dienstleistungen zwischen Menschen zu ihrem gegenseitigen Vorteil. Dieser Austausch betrifft nur die unmittelbar an der Handlung Beteiligten und soll ausdrücklich keine Dritten einbeziehen. Für die Beteiligten erfüllen diese Handlungen ein dringendes Bedürfnis, das ihnen jedoch vom Gesetzgeber verweigert wird. Keiner der Beteiligten hat daher ein Interesse an der Durchsetzung der Strafbestimmungen. Kein Beteiligter wird Anzeige erstatten oder vor Gericht als Zeuge aussagen.


Hieraus folgt, dass zur Durchsetzung solcher Strafbestimmungen über Straftaten ohne Opfer oftmals ungewöhnliche und fragwürdige Methoden angewandt werden müssen. Solche Methoden können das Ausspionieren des Privatlebens von Menschen einschließen, heimliche Überwachung, den Einsatz von Informanten der Polizei und das Herbeiführen kompromittierender Situationen. In der Regel führen solche Anstrengungen jedoch nur zu mageren Erfolgen und sind den Aufwand eigentlich nicht wert. Denn gerade weil es sich um Straftaten ohne Opfer handelt, bleiben die meisten von ihnen unentdeckt. Die wenigen entdeckten und verurteilten Straftäter sind niemals mehr als eine kleine Minderheit, die „Pech" gehabt hat. Da auch die Polizei sich hierüber im klaren ist, wird die Durchsetzung solcher Strafbestimmungen auch meist eher locker gehandhabt. Man führt lediglich zeitlich begrenzte Kampagnen gegen bestimmte Individuen oder Gruppen durch und schafft so eine Atmosphäre der Ungerechtigkeit und Heuchelei. Unter solchen Bedingungen entstehen dann neue Verbrechen wie Erpressung und Bestechung, woraus im Laufe der Zeit eine ernste Gefahr für den Rechtsfrieden resultieren kann.


In den USA beispielsweise haben die berüchtigsten Strafbestimmungen gegen Handlungen ohne Opfer mit sexuellem Verhalten zu tun. Infolge bestimmter religiöser und kultureller Traditionen sind in den meisten Bundesstaaten der USA nur zwei spezielle sexuelle Handlungen gesetzlich gestattet: Masturbation des einzelnen und ehelicher Koitus in privatem Rahmen. Jede andere Form menschlichen Sexualverhaltens, selbst zwischen Ehepartnern, ist ein Verbrechen. Dies macht natürlich die meisten Amerikaner zu „Verbrechern". Würden die nordamerikanischen Sexualgesetze strikt und ohne Ausnahme durchgesetzt, säßen so viele Sexualverbrecher im Gefängnis, dass es nicht mehr genügend Menschen gäbe, um sie zu bewachen.


So sind Strafbestimmungen wie die Gesetze der USA gegen Sexualstraftaten ohne Opfer absurd und gefährlich. Sie schaffen eine Kriminalität, wo es sie anderenfalls nicht gäbe. Sie nötigen Menschen mit harmlosen sexuellen Verhaltensweisen zur Heimlichkeit und führen zur Entstehung ungesunder sexueller Subkulturen. Sie brandmarken unzählige ehrenwerte Menschen und stempeln sie zu Kriminellen. Sie begünstigen Erpressung, Betrug und Korruption. Im Kern sind sie daher irrational, unmoralisch und destruktiv. Sie schaffen sich viele eigene Opfer und schützen niemanden.


Solche Gesetze werden dennoch manchmal verteidigt, mit der Begründung, sie würden wenigstens bestimmte Menschen schützen und es gäbe eigentlich keine „Straftaten ohne Opfer". Man argumentiert beispielsweise, dass Ehebruch oft zu unerwünschten Schwangerschaften führe oder Geschlechtskrankheiten verbreite. Das Verbot des Inzests wird damit gerechtfertigt, dass man die Nachkommenschaft vor der Übertragung genetischer Schäden schützen müsse. Prostituierte werden als Opfer ihrer Zuhälter dargestellt. Homosexuelle sieht man durch ihren eigenen Lebensstil gefährdet, weil sie von ihren häufig wechselnden Partnern beraubt, misshandelt oder sogar getötet werden könnten. Büchern und Filmen sexuellen Inhalts schreibt man eine schädigende Wirkung gegenüber denen zu, die sich an ihnen erfreuen usf..


Es ist allerdings schwierig, solche Argumente ernst zu nehmen. Denn wenn schließlich eine der genannten einvernehmlichen Verhaltensweisen unerwünschte soziale Nebenwirkungen hat, resultieren diese ausschließlich aus der Tatsache, dass die Gesellschaft solche Verhaltensweisen als Straftaten interpretiert. Mit anderen Worten, wären solche Verhaltensweisen legal, würden die Nebenwirkungen entweder nicht auftreten oder doch zumindest erheblich vermindert. Unerwünschte Schwangerschaften sind durch den Gebrauch von Empfängnisverhütungs-Mitteln gut zu vermeiden. Wenn unsere Sexualgesetzgebung vernünftiger wäre, verfügten die Menschen über bessere sexuelle Informationen, und sogar Geschlechtskrankheiten könnten schließlich verschwinden. Prostituierte, die ihrem Gewerbe legal nachgehen können, brauchen keine Zuhälter. Homosexuelle, die vor dem Gesetz nichts zu fürchten haben, sind nicht auf zufällige Begegnungen mit Fremden angewiesen. Ohne das Verbot der „Pornographie" wären solche Materialien von besserer Qualität, und ihre Zahl würde möglicherweise von selbst zurückgehen.


Es wäre daher vernünftig, wenn auch die Gesetzgeber der USA den Beispielen anderer westlicher Staaten folgten, die die meisten oder alle Gesetze gegen einvernehmliche Sexualität im privaten Bereich abgeschafft haben, Dies wurde auch von verschiedenen amerikanischen Berufsverbänden und Gesetzgebungs-Kommissionen so vorgeschlagen.


Die Sexualgesetzgebung in einigen ausgewählten Ländern


Die juristische Einstellung gegenüber sexuell abweichendem Verhalten war in Europa und Nordamerika immer besonders streng. Dies wird deutlich, wenn man sie mit der Sexualgesetzgebung anderer Gesellschaften vergleicht, die meist wesentlich toleranter sind. Einige dieser Länder haben seit Hunderten von Jahren nur eine sehr begrenzte Sexualgesetzgebung, und sie wissen heute sehr wohl, was praktikabel ist und was nicht. Ohne Bezug auf diese Gesellschaften bleibt die Diskussion in Europa und in den USA, selbst unter Juristen, zum großen Teil provinziell, so als könne man aus den Erfahrungen anderer nichts lernen.


Im Rahmen des vorliegenden Buches ist es nicht möglich, eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Gesetzgebungen anderer Länder zu geben. Eine kurze Auswahl muss hier genügen. Eine umfassendere Darstellung des Sexualstrafrechts der Bundesrepublik Deutschland findet sich in Kap. 10.2.3.


Die gegenwärtige Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika

Jeder Bundesstaat der USA hat im Hinblick auf das Sexualverhalten seiner Bürger eigene Gesetze. Diese Gesetze weisen einen erstaunlichen Mangel an Übereinstimmung auf, sowohl bezogen auf die Straftaten als auch auf das Strafmaß. Bestimmte sexuelle Handlungen können zum Beispiel in einem Staat eine lebenslängliche Gefängnisstrafe nach sich ziehen, während sie in einem anderen überhaupt nicht strafbar sind. Was die Terminologie in der Definition von Sexualverbrechen angeht, herrscht eine heillose Verwirrung, Die verschiedenen auf diesem Gebiet angewandten Rechtsbegriffe sind zum großen Teil vorwissenschaftlich, ihre Auslegung kann sich von einem Staat zum anderen unterscheiden.


Ganz allgemein kann man sagen, dass die amerikanische Sexualgesetzgebung noch stark das puritanische Erbe reflektiert und sich überhaupt auf englische Rechtsvorbilder stützt. Andererseits haben gewisse amerikanische Bundesstaaten wie Hawaii und Kalifornien ihr Strafrecht so weit reformiert, dass, mit Ausnahme der Prostitution, praktisch jedes private, einvernehmliche Sexualverhalten unter Erwachsenen straffrei ist. Diese Reformen gehen weiter und sind bisher in etwa der Hälfte der 50 Bundesstaaten durchgeführt.


Zusätzlich zu den üblichen Gesetzen haben einige Staaten Sondergesetze, die die Zwangsverwahrung und psychiatrische Zwangsbehandlung von Sexualstraftätern erlauben. Diese Gesetze erklären bestimmte Sexualtäter zu „sexuellen Psychopathen", die einer „Behandlung" bedürfen. Das hat zur Folge, dass Straftäter, die vielleicht nur eine Strafe auf Bewährung oder eine kurze Gefängnisstrafe bekommen hätten, für unbestimmte Zeit oder auch lebenslänglich in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen werden können. In manchen Staaten ist es sogar üblich, sie ohne ein Gerichtsverfahren einzuweisen.


Diese merkwürdigen Gesetze wurden unter Berufung auf die Wissenschaft erlassen, obwohl es nie einen wissenschaftlichen Beweis gegeben hat, der die ihnen zugrundeliegenden Annahmen gestützt hätte. Schon die Bezeichnung „sexueller Psychopath" ist unwissenschaftlich, sie entspricht keinem heute in der Psychiatrie anerkannten Krankheitsbild. So kann eine und dieselbe Person vor dem Gesetz in einem Staat krank und in einem anderen gesund sein. So wenig haltbar diese Art von Gesetzgebung ist, sie bleibt in Kraft, weil sie der uninformierten Öffentlichkeit den Eindruck vermittelt, so könnten sexuelle Gewaltanwendungen verhindert werden. Die heute angewandten diagnostischen Techniken in der Psychiatrie erlauben jedoch keine Differenzierung zwischen potentiell gefährlichen Sexualtätern und solchen, die völlig harmlos sind. Nur sehr wenige Sexualtäter sind gewalttätig. Insgesamt werden außerdem Sexualtäter weniger häufig rückfällig als andere Straffällige. Schließlich gibt es kaum Beweise, dass eine psychiatrische Zwangsbehandlung eine wirksame Maßnahme zur gesellschaftlichen Wiedereingliederung der Täter ist.


Die Rechtslage in der Sowjetunion


Es ist relativ schwierig, die gesetzlichen Bestimmungen zum Sexualverhalten in der Sowjetunion zusammenzufassen. Zum einen haben die verschiedenen Sowjetrepubliken ihre eigenen Gesetze, die besonders im Bereich des Sexualstrafrechts unterschiedlich sind. Zum anderen werden sexuell Abweichende oft ohne formelle Verhaftung oder Anklage „zur Vernunft" gebracht. Sie werden statt dessen Opfer von Sanktionen, die nicht strafrechtlich begründet sind. Obwohl solche Sanktionen ausgesprochen schwer sein können, wird der sexuell Abweichende hierdurch nicht im eigentlichen Sinne zu einem „Straftäter". Menschen, von denen man der Auffassung ist, sie führten ein „parasitäres Leben", werden beispielsweise umgesiedelt oder zu zeitlich begrenzter Zwangsarbeit verurteilt. Dies alles kann weitgehend im Verborgenen geschehen und bedarf keines ausdrücklichen Bezuges auf das Strafrecht.


Einen Hinweis auf das allgemeine Rechtsverständnis hinsichtlich der Sexualität in der Sowjetunion kann man aus den Strafgesetzen der Russischen SSR gewinnen, der größten der 15 Sowjetrepubliken. Nach diesem Strafrecht ist Vergewaltigung das schwerste sexuelle Verbrechen. Das Gesetz unterscheidet zwischen verschiedenen Formen der Vergewaltigung, die sich nach dem Ausmaß der angewandten Gewalt richten. Einfache Vergewaltigung kann danach mit bis zu drei Jahren Gefängnis geahndet werden, schwere Fälle sind mit wesentlich härteren Strafen (bis zu zehn Jahren) bedroht. Bei gemeinschaftlich begangener Vergewaltigung und der Vergewaltigung Minderjähriger kann das Strafmaß auch über zehn Jahre hinausgehen, in bestimmten Fällen auch die Todesstrafe nach sich ziehen. Sexueller Kontakt mit Kindern ist strafbar und kann mit Gefängnis bis zu drei Jahren geahndet werden. Das gleiche Vergehen im Zusammenhang mit „Perversionen" ist mit Strafen bis zu sechs Jahren bedroht. Homosexuelle Handlungen zwischen Männern gelten als schwere Straftat, die mit Gefängnis bis zu sechs Jahren bestraft werden kann. (Das zaristische Gesetz gegen Homosexualität unter Männern war nach der Revolution abgeschafft worden, es wurde jedoch im Jahre 1934 wieder eingeführt. Damals wie heute bezieht sich dieses Gesetz jedoch nicht auf homosexuelle Handlungen unter Frauen.) Weitere strenge Gesetze bestehen gegen die Herstellung und Verbreitung von Pornographie (drei Jahre Gefängnis). „Zuhälterei aus Gewinnsucht" und „Verführung Abhängiger" können mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Ein schweres Verbrechen ist es darüber hinaus, wenn Minderjährige zu „kriminellen Handlungen" verführt werden, wie „Betteln, Glücksspiel und Prostitution".


Die Rechtslage in den skandinavischen Ländern

Norwegen, Dänemark und Schweden koordinieren seit langem ihre Gesetzgebung. Deshalb haben diese drei Länder auch sehr ähnliche Ansichten darüber, welche sexuellen Handlungen als kriminell anzusehen sind,


Verglichen mit den Vereinigten Staaten ist die gesetzliche Kontrolle des Sexualverhaltens eher zurückhaltend. Schwerstes Verbrechen ist die Vergewaltigung, die unter bestimmten Umständen mit lebenslanger Haft geahndet werden kann. Es werden jedoch verschiedene Grade der Vergewaltigung unterschieden. So wird bei Fällen ohne Gewaltanwendung und beim Geschlechtsverkehr mit geistig Behinderten oder geisteskranken Frauen das Strafmaß wesentlich milder bemessen. Sexueller Kontakt mit Kindern ist strafbar, wenn das Kind unter 15 Jahre alt ist (in Norwegen unter 14 Jahre). Als Inzest gilt Geschlechtsverkehr mit direkten Verwandten in aufsteigender oder absteigender Linie oder zwischen Geschwistern. Inzest gilt zwar als schweres Vergehen, Täter unter 18 Jahren können jedoch straffrei ausgehen. Es gibt keine Gesetze gegen Prostitution oder „widernatürliche Unzucht". Ehebruch und sexuelle Handlungen mit Tieren sind nur in Norwegen strafbar, Verurteilungen sind indes ausgesprochen selten. Homosexuelle Handlungen sind unter Erwachsenen und sofern sie sich einvernehmlich gestalten, nicht strafbar. (Demgegenüber sind homosexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter 16 Jahren in Norwegen, unter 15 Jahren in Schweden und Dänemark strafbar.) Prostitution ist legal, Prostituierte können aber nach den gesetzlichen Bestimmungen wegen Landstreicherei festgenommen und anderen Tätigkeiten zugewiesen werden. Unzüchtiges und obszönes Verhalten in der Öffentlichkeit wird bestraft, im Privatbereich interessiert es den Gesetzgeber nicht. Die allgemein freizügige Einstellung der Skandinavier gegenüber der Pornographie ist bekannt. Dänemark hat sogar die letzten übriggebliebenen Einschränkungen aufgehoben und erlaubt die Herstellung und Verbreitung jeder Art von Materialien sexuellen Inhalts.


Die Rechtslage in Japan


Im 19. Jahrhundert öffnete sich das bis dahin isolierte Japan westlichen Einflüssen und erlebte im Gefolge der sogenannten Meiji-Restauration grundlegende politische und soziale Veränderungen. Bis zu dieser Zeit gab es vergleichsweise wenige und milde Sexualstrafgesetze. Man brauchte sich homosexueller Beziehungen nicht zu schämen, sondern sie wurden - ähnlich wie im alten Griechenland - von der Gesellschaft anerkannt. Prostitution blühte öffentlich in bestimmten Bezirken, die keineswegs so trostlos waren wie vergleichbare Gegenden in Europa oder Nordamerika. Unter dem Einfluss der westlichen Welt wurden die sexuellen Freiheiten der Japaner jedoch zunehmend eingeschränkt. Heute teilen die japanischen Strafgesetze bestimmte negative westliche Auffassungen über die Sexualität, wenngleich sie insgesamt betrachtet immer noch sehr viel weniger repressiv sind.


Es gibt keine Gesetze gegen homosexuelles Verhalten, Ehebruch, Unzucht, wilde Ehe oder sexuelle Handlungen mit Tieren. Unterstützung von Prostitution, Zuhälterei und Kuppelei sind jedoch heute strafbar. Prostituierte können in ein „Umerziehungslager" geschickt werden, um dort für sechs Monate „geschützt und wieder eingegliedert" zu werden. Überdies gibt es ein Gesetz gegen das öffentliche Zurschaustellen und den Verkauf „obszönen" Materials. (Die japanische Definition von „Obszönitäten" ist allerdings von der westlichen recht verschieden.) Als schwerstes Sexualdelikt gilt auch in Japan Vergewaltigung, die entsprechend der ausgeübten Gewalt bestraft wird. Dieses Delikt führt in einfachen Fällen zu Strafen von zwei Jahren Haft, wird es jedoch an einem Kind begangen oder ist es mit Körperverletzung oder gar mit Todesfolge verbunden, kann lebenslange Haftstrafe verhängt werden. Sexuelle Belästigung wird unter dem Begriff des „anstößigen Aktes" zusammengefasst. Er wird, wenn er unter Anwendung oder Androhung von Gewalt vollzogen wurde, als „Notzucht unter Zwang" bestraft. Gleiches gilt für gewaltsame sexuelle Handlungen mit Kindern (das heißt wenn das Opfer unter 13 Jahre alt ist). Das Strafmaß sieht für diesen Fall sechs Monate bis sieben Jahre Haft vor. „Öffentliches anstößiges Verhalten" wird mit höchstens sechs Monaten Haft bestraft. Andere Delikte, die zum Beispiel in den USA schwer bestraft würden, wie „Zurschaustellung des nackten Körpers in anstößiger Weise", „Voyeurismus" oder ähnliches, werden mit kurzen Haftstrafen oder mit Geldstrafe bedroht. Solche Handlungen werden im japanischen Strafgesetz zusammen mit weniger schweren Vergehen wie Hausfriedensbruch, Auslösen blinden Alarms oder „Erschrecken von Pferden und Kühen und Verscheuchen derselben" aufgeführt und entsprechend bestraft.


 

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