Manueller Verkehr

7.2.1 Manueller Verkehr


Manueller Verkehr ist definiert als sexueller Kontakt zwischen den Geschlechtsorganen eines Menschen und der Hand oder den Händen eines anderen.


In älteren Eheberatungsbüchern wurde diese Form des Geschlechtsverkehrs oft als „Petting" oder „Vorspiel" zum Koitus bezeichnet. Intensive manuelle Stimulation der weiblichen Geschlechtsorgane wurde in ihnen als notwendig für eine ausreichende Erregung angesehen, und Ehemänner wurden deshalb dazu ermahnt, sie regelmäßig zu praktizieren, um ihre Frauen zu befriedigen. (Diese Bücher erhoben immer den Anspruch, ausnahmslos für Ehepaare geschrieben zu sein.) Leider sahen viele Männer dieses „Vorspiel" als eine unliebsame Pflicht an. Und da sie darüber hinaus nur wenig über die sexuelle Reaktion beim weiblichen Geschlecht wussten, überreizten sie oftmals die weibliche Klitoris und verursachten eher Schmerzen als Genuss. Frauen widerstrebte es demgegenüber häufig, die männlichen Geschlechtsorgane überhaupt zu berühren. Daher wurde der manuelle Verkehr selten als ein für sich wertvolles gemeinsames Erlebnis angesehen.

Heute scheint jedoch eine allgemeine Veränderung in der Einstellung zur Sexualität stattzufinden. Viele Männer und Frauen sagen sich offen, was ihnen sexuell am angenehmsten ist, und es besteht eine größere Bereitschaft, neue Formen des Geschlechtsverkehrs zu versuchen. So stellen immer mehr Menschen fest, dass Koitus nicht der einzige Weg zu sexueller Befriedigung ist. Viele haben entdeckt, dass man sich auch gegenseitigen Genuss bereiten kann, indem man den Körper des anderen betastet, streichelt und massiert. Moderne Sexualtherapeuten haben überdies die Erfahrung gemacht, dass solche gemeinsamen befriedigenden Erlebnisse eine lange gehemmte sexuelle Reaktion zu lösen vermögen und dazu verhelfen können, sexuelle Funktionsstörungen zu beheben. (Vgl. a. Kap. 8.2 „Sexuelle Funktionsstörungen".)


Beim zärtlichen Ertasten der erogenen Zonen des Partners werden beide immer wieder auf die empfindlichsten zurückkommen - die Geschlechtsorgane. So kommt es auf ganz natürliche Weise zum manuellen Geschlechtsverkehr. Dabei werden sie einem von beiden die Initiative überlassen oder beide gemeinsam handeln. In diesem Fall kann man auch von gegenseitiger Masturbation sprechen. Natürlich sollte ein Mann, wenn er eine Frau in dieser Weise befriedigen möchte, fragen, wie und wo sie am liebsten gestreichelt werden möchte. Meist wird er dabei erfahren, dass die Eichel der Klitoris zu empfindlich ist für eine direkte Stimulation und dass es als angenehmer empfunden wird, den Klitoriskörper und die kleinen Schamlippen zu berühren. Überdies beginnt die Vagina mit zunehmender Erregung der Frau, natürliche Feuchtigkeit zu entwickeln, die der Mann mit seinen Fingern über die Klitoris verteilen kann, um so eine Überreizung zu verhindern. Auch sollte er daran denken, dass die Klitoris selbst sich mit zunehmender Erregung unter ihre Vorhaut zurückzieht und unerreichbar wird. Solange er den Wünschen der Frau folgt und die Vulva vorsichtig stimuliert, kann er sie normalerweise zum Orgasmus bringen. Da manche Frauen zu mehreren Orgasmen in schneller Folge fähig sind, kann er mit vorsichtiger Stimulation fortfahren oder zum Oral- oder Genitalverkehr übergehen.


Die herkömmlichen Eheberatungsbücher beschrieben die Frau meist als den sexuell passiven Partner, und so ist in ihnen auch wenig darüber zu lesen, wie Frauen die Geschlechtsorgane von Männern sexuell stimulieren können. Viele Männer empfinden jedoch Berührungen ihres Penis als sehr angenehm. Diese Form der Stimulierung führt beim männlichen Geschlecht besonders rasch zu sexueller Erregung. Eine Frau, die einen Mann manuell befriedigen möchte, sollte ihn fragen, wie sein Penis gehalten und gestreichelt werden soll. Das Lustgefühl kann oft dadurch noch intensiver werden, dass die Finger mit Speichel oder einem Gleitmittel befeuchtet werden. (Vaseline ist nicht zu empfehlen, wenn man danach zum Koitus übergehen will, da Vaseline nicht in die Vagina gelangen sollte.) Wenn ein Mann auf diese Weise zum Orgasmus kommt, benötigt er normalerweise eine gewisse Zeit, um eine neue Erektion haben zu können. Er ist dennoch in der Lage, die Frau zu befriedigen, wenn sie es möchte. In diesem Fall ist die naheliegendste Technik der manuelle oder orale Verkehr.


Es gibt auch heute noch Frauen, denen es widerstrebt, den Penis eines Mannes in die Hand zu nehmen, weil sie zu der Ansicht erzogen wurden, ein solches Verhalten sei unweiblich, kindisch, sündhaft oder pervers. Auch nehmen manche Frauen an, ein „richtiger" Mann würde es nie zulassen, auf diese Weise „gebraucht" zu werden. Diese Frauen sollten sich daran erinnern, dass Männer schon immer für eben diesen Dienst Prostitutierte bezahlt haben und dass es heute immer noch gutbesuchte Massageinstitute gibt, die gerade diese Leistung anbieten. Leider verbieten die Gesetze der meisten westlichen Länder Massagen, die sich auf die Geschlechtsorgane erstrecken, so dass die Masseusen in ständiger Angst leben, gerichtlich belangt zu werden. Man muss sich jedoch fragen, ob eine solche gesetzliche Verfolgung einen Sinn hat. Es entsteht schließlich weder für die Frau noch für ihren Kunden irgendein Nachteil, außerdem besteht nicht die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten. Es ist auch unangemessen, die Masseusen mit dem häßlichen Etikett der Prostitution zu versehen. Wahrscheinlich würde unsere Gesellschaft Vorteile davon haben, wenn diese Einrichtungen ganz einfach als besondere Angebote therapeutischer Art zugänglich wären.


Für die moderne Sexualforschung steht der therapeutische Wert des manuellen Verkehrs außer Frage, und Therapeuten wie Masters und Johnson raten während der Behandlung heute allen Patienten dazu. Die Begründung für diesen Rat ist einfach: Ein Mann und eine Frau, die es gelernt haben, sich durch die Berührung mit den Händen Lustgefühle zu verschaffen, sind meist auch gut darauf vorbereitet, jede andere Form des Geschlechtsverkehrs befriedigend auszuüben.


 

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