Sexuelle Spiele von Kindern

6.1.3 Sexuelle Spiele von Kindern


Kinder entwickeln erst nach und nach eine Vorstellung davon, was Sexualität bedeutet. Natürlich werden sie angewiesen - wie bereits erwähnt -, sich als männlich oder weiblich zu identifizieren und sich entsprechend zu verhalten. Aber man muss sich vor Augen halten, dass das Trainieren einer Geschlechtsrolle viele Dinge beinhaltet, die erst nach der Pubertät eine sexuelle Bedeutung bekommen. Man kann deshalb sagen, dass Kinder zum Teil „sexuelle" Verhaltensmuster lernen, lange bevor sie ihre eigentliche Bedeutung begreifen. Kleine Mädchen tragen beim Baden in Europa und Nordamerika oft zweiteilige Badeanzüge, während Jungen nur eine Badehose anzuziehen brauchen. Vom rein logischen Standpunkt aus ist dieser Unterschied auf den ersten Blick kaum verständlich, Schließlich sieht die männliche und die weibliche Brust vor der Pubertät gleich aus. Trotzdem lernen Mädchen schon früh, gewissermaßen im Vorgriff auf zukünftige Unterschiede, sich - bezogen auf diesen Teil ihrer Anatomie - „sittsam" zu verhalten. Auf diese Weise werden die weiblichen Brüste „erotisiert", die männlichen nicht. (In bestimmten nicht-westlichen Kulturen ist im Gegensatz hierzu die weibliche Brust niemals bedeckt und hat keine besondere erotische Bedeutung.)


Dieses Beispiel zeigt, dass Kinder bestimmte Einstellungen in sexuellen Fragen annehmen, lange bevor sie tatsächlich sexuelle Erlebnisse haben. Sie können jedoch auch intimen Körperkontakt mit anderen Menschen haben, ohne dies als sexuell zu empfinden. Die Erwachsenen oder ältere Kinder müssen ihnen vermitteln, dass bestimmte Dinge oder bestimmte Handlungen etwas mit „Sex" zu tun haben und dass sie deshalb besonders wichtig, geheimnisvoll, rätselhaft, aufregend oder ungezogen sind. Es ist offensichtlich, dass Eltern einen entscheidenden Einfluss auf die sexuelle Entwicklung eines Kindes haben. Wenn Eltern in ihrer eigenen Sexualität gehemmt sind oder sich schuldig fühlen, werden sie diese negativen Gefühle zwangsläufig auf ihre Umwelt übertragen; dadurch kann sich ein Kind verwirrt oder verunsichert fühlen. Diese Entwicklung wäre bedauerlich, denn Kinder können sich nicht richtig entwickeln, wenn man ihnen nicht Mut macht, eigene Erfahrungen zu machen und ihre Möglichkeiten zu erproben. Mit solcher Ermutigung und der richtigen Führung können ihre „sexuellen Spiele" jedoch zu sinnvollem, verantwortungsbewusstem Verhalten führen.


Selbststimulierung


Wie bereits erwähnt, sind auch sehr kleine Kinder schon zu sexuellen Reaktionen fähig. Manche Jungen werden sogar mit erigiertem Penis geboren. Säuglinge beiderlei Geschlechts können dabei beobachtet werden, wie sie ihre Geschlechtsorgane am Bett, am Boden oder an irgendeinem Spielzeug reiben, was ihnen ohne Zweifel körperliches Vergnügen bereitet. Sie sind zunächst noch eine Zeitlang unfähig, ihre Bewegungen zu koordinieren und ihre Hände für eine direkte Erregung zu benutzen. Später können sie das jedoch lernen und zu masturbieren beginnen. Oft wird diese Masturbation bis zum Orgasmus betrieben.


Die Orgasmusfähigkeit eines Kindes steigert sich mit dem Alter. Bis zum fünften Geburtstag haben mehr als die Hälfte aller Jungen bereits einen Orgasmus gehabt, in der Altersgruppe von zehn bis 13 Jahren sind es annähernd 80 Prozent, Die Orgasmen dieser Jungen führen natürlich nicht zur Ejakulation, da vor der Pubertät keine Samenflüssigkeit produziert wird. (Auch dann enthält die ejakulierte Samenflüssigkeit eine Zeitlang noch keine Samenzellen.) In diesem Alter sind manche Jungen auch zu mehreren Orgasmen in schneller Folge fähig. Gewöhnlich verlieren sie diese Fähigkeit jedoch, wenn sie älter werden.


Insgesamt gesehen scheint es, dass weniger Mädchen als Jungen während ihrer Kindheit bis zum Orgasmus masturbieren. Ein Grund dafür kann in der unterschiedlichen Anatomie der beiden Geschlechter liegen. Eine zweite Ursache mag die passive Einstellung sein, die Mädchen aufgrund ihrer sozialen Prägung anzunehmen lernen. In unserer Gesellschaft werden kleine Mädchen normalerweise nicht dazu angehalten, sich als sexuelle Wesen zu begreifen.


Eltern, die ihre Söhne oder Töchter masturbieren sehen, machen einen schweren Fehler, wenn sie darüber erschrecken und es ihren Kindern - womöglich unter Androhung von Strafe - verbieten. Sie erzeugen dadurch nur sinnlose Schuldgefühle bei den Kindern, die ihre Handlungen dann im Verborgenen fortfuhren. Sexuelle Reaktionen sind eine normale Funktion des menschlichen Körpers in jedem Alter und können als solche keine körperlichen Schäden verursachen. Sie können auch das Wachstum eines Kindes nicht negativ beeinflussen. Im Gegenteil, für viele Kinder ist Masturbation ein Teil ihres Heranwachsens, und medizinische Einwände dagegen gibt es nicht. Trotzdem können und sollten Kinder lernen, dass in unserer besonderen Kultur Masturbation eine ganz persönliche und private Sache ist, die daher in der Öffentlichkeit nicht geduldet werden kann. Sie sollten gleichzeitig lernen, dass das, was man nur privat tut, deshalb nicht schlecht sein muss oder gar beschämend, sündig und schmutzig. Solange solche negativen Assoziationen vermieden werden, ist Masturbatin bei Kindern kein Problem.


Sexuelle Spiele mit anderen Kindern


Kinder sind von Natur aus neugierig und sie versuchen im Laufe ihres Heranwachsens, alles über sich selbst und über die Welt, in der sie leben, herauszufinden. Wenn sie den eigenen Körper erforscht haben, wollen sie wissen, ob er sich von dem anderer Kinder unterscheidet. Dies gilt vor allem für Kinder, die ihre Eltern oder Geschwister nie nackt gesehen haben.


Wie Jungen und Mädchen ihre Größe und körperliche Gewandtheit vergleichen, stellen sie auch Vergleiche über die verschiedenen Körperteile an, einschließlich derjenigen, die von Kleidung bedeckt sind. Das geschieht normalerweise, indem sie „Doktor" oder „Vater und Mutter" spielen. Diese Spiele geben ihnen die Gelegenheit, ihre Körper gegenseitig in Ruhe zu untersuchen, ihre Geschlechtsorgane zu berühren, abzutasten oder möglicherweise gemeinsam zu masturbieren. Sie legen sich dabei manchmal aufeinander und ahmen einen Koitus oder Analverkehr nach. Jungen oder Mädchen nehmen manchmal den Penis eines Jungen in den Mund und saugen daran.


Dieses Verhalten ist nicht unbedingt als sexuell im Sinne der Erwachsenen zu bezeichnen. Kinder lernen nur nach und nach, bestimmten Handlungen und sozialen Situationen einen erotischen Gehalt zu geben. Zunächst sind kindliche sexuelle Spiele nur eine andere Art und Weise, mit der menschlichen Anatomie vertraut zu werden. Jungen spielen nicht nur mit Mädchen in dieser Weise, sondern auch mit anderen Jungen, auch Mädchen spielen oft so miteinander. Statistisch gesehen haben Jungen bis zu ihrem zehnten Lebensjahr wesentlich häufiger sexuelle Spiele mit Jungen als mit Mädchen. Es ist jedoch Unsinn, in solchen Ereignissen die ersten Anfänge von Homosexualität sehen zu wollen. Während die Bezeichnung „homosexuelles Verhalten" immer dann technisch richtig ist, wenn Partner gleichen Geschlechts daran beteiligt sind, ist sie in diesem Zusammenhang ausgesprochen irreführend, da diese kindlichen sexuellen Spiele in keiner Weise eine heterosexuelle Orientierung im Erwachsenenalter ausschließen. Eine voreilige Etikettierung des Verhaltens von Kindern schafft nur unnötige Probleme. Ähnlich ist es auch unklug, von einer „homosexuellen Phase" in der Persönlichkeitsentwicklung jedes Jungen zu sprechen. Es kann sehr wohl sein, dass viele Jungen eine bestimmte Zeitlang „alle Mädchen hassen" und sie ausschließlich mit anderen Jungen zusammen sind. Dies lässt sich jedoch wesentlich besser dadurch erklären, dass der Junge sich in seine männliche Rolle einzuleben versucht, (Die Theorie, dass Kinder nach der Liebe zu sich selbst diejenige zum gleichen Geschlecht und erst dann die zum anderen Geschlecht entdecken, ist nie bewiesen worden. Neuere Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass dies falsch ist.)


Fast alle Kinder spielen irgendwann einmal sexuelle Spiele, die für sie oft wohltuende und beglückende Erlebnisse sind. Sie müssen nicht immer gleich die erotischen Möglichkeiten dieser Spiele erkennen, früher oder später werden sie sich ihrer jedoch wohl bewusst. Wenn sie dann auch weiterhin Freude an ihren sexuellen Spielen haben können, wird ihnen dies dabei helfen, ihren eigenen Körper anzunehmen und ohne sexuelle Ängste und Schuldgefühle heranzuwachsen.


Leider ist ein so positiver Ausgang nicht garantiert. Unter bestimmten Umständen können kindliche sexuelle Spiele sehr belastend sein. So zum Beispiel, wenn ein Kind von älteren Kindern oder Anführern auf dem Spielplatz dazu gezwungen oder ausgenutzt wird. Kinder können sehr brutal sein und sind durchaus in der Lage, schüchterne und schwache andere Kinder zu misshandeln. Selbstverständlich ist jedes sexuelle Spiel, in das nicht alle Beteiligten einwilligen, als schädlich anzusehen.


Eine andere mögliche Ursache für Probleme ist die Reaktion der Eltern, Viele Eltern sind entsetzt, wenn sie entdecken, dass ihr Kind sich an einem sexuellen Spiel beteiligt, und manchmal sind sie dann der Meinung, solch „schlechtes" Verhalten müsse hart bestraft werden. Diese Einstellung ist für Kinder zunächst überhaupt nicht verständlich und sie fühlen sich dann - vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben - missverstanden, betrogen und verlassen. Oder sie werden ängstlich und misstrauisch gegenüber allem, das mit Sexualität zu tun hat, so dass ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung ernste Störungen erfahren kann. Sensible Kinder überwinden ein solches dramatisches Kindheitserlebnis möglicherweise nie. Es ist daher erfreulich, dass in jüngerer Zeit die sexuelle Aufklärung der Eltern große Fortschritte gemacht hat und Eltern im großen und ganzen in diesen Dingen aufgeklärter und toleranter reagieren,


Sexueller Kontakt mit Erwachsenen


Wie oben dargestellt, war man in unserer westlichen Zivilisation nicht von jeher der Auffassung, Kinder sollten vor jeglichem sexuellen Kontakt geschützt werden. Noch im Europa des Mittelalters wurden Kinder von allen Mitgliedern eines Haushalts offen liebkost, umarmt und gestreichelt. Besonders in ländlichen Gebieten war es üblich, dass Eltern, Ammen oder Dienstboten kleine Kinder masturbierten, um sie zu erfreuen oder um sie zu beruhigen. (Diese Praxis findet sich noch heute bei manchen nicht-europäischen Gesellschaften. In Nordamerika ist sie noch immer bei den Hopi-Indianern Brauch.) Mit Beginn der Moderne neigte man immer mehr dazu, Kinder als asexuelle Wesen zu betrachten. Erst in unserem Jahrhundert hat die Sexualität von Kindern unter dem Einfluss von Freud und seinen Schülern wieder eine gewisse Anerkennung gefunden. Trotzdem sind heute noch die meisten Menschen der Auffassung, es könne keine unschädlichen sexuellen Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen geben.


Sicherlich gibt es Erwachsene, die Kinder sexuell missbrauchen, und Eltern sehen diese Gefahr zu Recht. Leider führt dies bei manchen Eltern dazu, dass sie übervorsichtig und allzu fürsorglich werden. Kinder, die ständig vor Fremden gewarnt werden und die man dazu erzieht, jeder freundlichen Geste dieser Erwachsenen misstrauisch zu begegnen, können nervös, feindselig oder kommunikationsunfähig werden. Sie lernen dann möglicherweise alle Erwachsenen und jedes sexuelle Gefühl fürchten und verarmen emotional. Dies kann auch geschehen, wenn sie ein beglückendes sexuelles Erlebnis mit einem Erwachsenen gehabt haben, das dann entdeckt und von anderen Erwachsenen falsch ausgelegt wird, Selbst wenn das Erlebnis unbefriedigend war, wird es meist selbst einen geringeren psychischen Schaden anrichten als die Überreaktion von Eltern, Nachbarn und Vertretern der Öffentlichkeit. Das beste Beispiel hierfür ist die Reaktion der Öffentlichkeit gegenüber Exhibitionisten. Kinder, denen der Anblick eines nackten menschlichen Körpers vertraut ist, sind vielleicht verwundert, aber sicher nicht ernstlich schockiert beim Anblick eines Mannes, der seinen Penis zeigt. Da ein solcher Mann darüber hinaus gewöhnlich ganz harmlos ist, wird kein großer Schaden entstehen, wenn die Eltern gelassen bleiben und den Vorgang richtig erklären.

Trotzdem sind Jungen und Mädchen in der Regel in unserer Gesellschaft gut beraten, wenn sie sich von Fremden fernhalten und sexuellen Kontakt zu Erwachsenen oder wesentlich älteren Kindern vermeiden. Es ist für ein Kind sicher allgemein besser, wenn es seine sexuellen Spiele mit guten Freunden gleichen Alters spielt.


 

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