Die Zukunft der Sexualforschung

13.1.2 Die Zukunft der Sexualforschung


Die moderne Sexualforschung hat erheblich dazu beigetragen, dass wir nicht nur Sexualität und Fortpflanzung besser verstehen, sondern auch das menschliche Verhalten allgemein. Trotzdem bleibt noch vieles zu erforschen. Viele Wissenschaftler sind sich darin einig, dass nur die ersten Schritte in einem unermesslich weiten und unbekannten Gebiet getan sind. Niemand kann vorhersehen, wohin uns diese Schritte letztendlich führen werden.


Es ist noch viel über die Anatomie, Physiologie und Biochemie der sexuellen Reaktion zu lernen. So werden neue Forschungen über die Rolle der Hormone und anderer Drüsensekretionen (zum Beispiel über die paraurethralen Drüsen bei der Frau) unternommen. Darüber hinaus ist zu hoffen, dass weitere Studien über die Fortpflanzungsfunktion zu besseren Behandlungsmethoden der Unfruchtbarkeit führen, zu einer Verminderung von angeborenen Missbildungen und zu besseren Empfängnisverhütungsmethoden. Darüber hinaus versuchen Wissenschaftler, Impfstoffe oder andere Vorbeugungsmaßnahmen zu entwickeln, um das epidemische Ausmaß der Geschlechtskrankheiten einzudämmen. Einige Forscher wenden ihre Aufmerksamkeit den sexuellen Problemen behinderter Menschen zu oder untersuchen die Auswirkungen sexueller Aktivität bei älteren oder kranken Menschen. Im systematischen Vergleich zwischen jungen Menschen mit sexuellen Funktionsstörungen und alten Menschen, die solche Funktionsstörungen hatten und sie bewältigt haben, können Sexualtherapeuten lernen, erfolgreicher zu behandeln und vielleicht sogar Methoden zu entwickeln, um sexuellen Funktionsstörungen insgesamt vorzubeugen.


Die Untersuchung des Sexualverhaltens im weitesten Sinn ist ebenso wichtig. So wäre es zum Beispiel sicherlich sinnvoll, Kinseys ursprünglichen Ansatz heute zu wiederholen und ähnlich umfangreiche statistische Untersuchungen auch in anderen Ländern durchzuführen. Solche Forschungsansätze könnten zur besseren Klärung von Problemen der sexuellen Anpassung und Devianz führen. Wenn wir eine rationalere Einstellung der Öffentlichkeit und eine akzeptable Sexualgesetzgebung erreichen wollen, müssen wir wesentlich mehr über sexuelle Minderheiten (aber auch über Sexualstraftäter) wissen. Daneben mangelt es nach wie vor an genaueren Erkenntnissen über die Problematik der Geschlechtsidentität, des Transvestismus und der Transsexualität. Nur wenige Studien haben sich bis heute mit weiblichen Homosexuellen beschäftigt, wie überhaupt der Gesamtkomplex der Homosexualität nach wie vor oftmals mit Ratlosigkeit und Verwirrung behandelt wird. Dabei scheint es, dass bislang oft nur die falschen Fragen gestellt worden sind, Anthropologen, Soziologen, Ökonomen und sogar Politologen könnten vielleicht neue Wege zur Klärung dieser Fagen finden. Aber es sind nicht nur die sexuellen Minderheiten, die es zu untersuchen und zu interpretieren gilt. Die vermeintliche Mehrheit bleibt ebenso unverstanden. Wir müssen daher selbst unsere harmlosesten Postulate in Frage stellen. Ein solcher kritischer Ansatz kann uns nicht nur zu neuen Erkenntnissen über uns selbst verhelfen, sondern auch verhindern, dass wir selbstgerecht und intolerant werden. Wir dürfen darüber hinaus nie vergessen, dass Sexualität zwar ein faszinierendes Thema, jedoch immer nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen ist.Wir werden kaum viel über Sexualität verstehen können, solange wir uns nicht bewusst machen, dass sie allenfalls ein Aspekt der Gesamtpersönlichkeit ist. Letzten Endes müssen deshalb der Mensch und die menschliche Existenz insgesamt untersucht werden. Sexualforschung muss, richtig verstanden, über die engen Grenzen jeder wissenschaftlichen Einzeldisziplin hinausgehen.

 

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