Die Geburt

4.3 Die Geburt


Die Geburt eines Kindes bedeutet große körperliche, emotionale und soziale Veränderungen für das Leben einer Frau. Hat sie sich bewußt für die Mutterschaft entschieden, wird sie diesen Veränderungen positiv entgegensehen. Sie wird jedoch in jedem Fall in größerem Maß als Frauen vergangener Generationen ihr Schicksal selbst beeinflussen können.


Noch im 19. Jahrhundert ließ man Frauen über ihre körperlichen Funktionen bewußt im unklaren. Alles war tabu, soweit es die menschliche Fortpflanzung betraf. Noch nicht einmal der eigene Körper sollte genau betrachtet werden, Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt waren für viele Frauen dunkle, bedrohliche Geheimnisse. Viele Frauen hatten daher Angst, Mütter zu werden - sie hatten wirklich kaum noch eine Beziehung zu ihrem eigenen Körper.


Eine Geburt konnte in diesen Tagen eine erschreckende, entwürdigende und gefährliche Angelegenheit sein. So war man allgemein der Auffassung, es sei die Bestimmung der Frau, ihre Kinder unter Schmerzen zu gebären, und diese Qualen seien nützlich, weil sie die mütterlichen Gefühle nur vertieften. Man erwartete von der Gebärenden, eine reine Dulderrolle zu spielen. Da sie die Vorgänge bei der Geburt nicht genau verstand, wusste sie auch kaum, wie ihr geschah. Darüber hinaus setzten die hygienischen Zustände zu Hause oder im Hospital Mutter und Kind schwersten Infektionsgefahren aus. So starben viele Mütter im Kindbett; viele Kinder überlebten die ersten Wochen nicht.


Der Fortschritt der Medizin hat in der Zwischenzeit einen erheblichen Rückgang der Säuglingssterblichkeit gebracht. Heute ist die gebärende Frau im Kreißsaal wahrscheinlich sicherer als auf der Straße, die zum Krankenhaus führt. Ein ähnlicher Fortschritt ist auch hinsichtlich der Sexualerziehung zu verzeichnen. Die moderne Frau kann sich aktiv auf die Geburt vorbereiten und so dazu beitragen, dass diese zu einem großen und schönen Erlebnis wird.


Ein Wegbereiter solcher Geburtsvorbereitung war Dick-Read, ein englischer Geburtshelfer, der Schmerzen unter der Geburt vor allem auf unnötige Muskelanspannung zurückführte. Seine Methode der „natürlichen Geburt" zielte darauf ab, sich durch körperliches und geistiges Training zu entspannen.


In jüngster Zeit ist die Methode der „bewussten Geburt" des Franzosen Lamaze sehr populär geworden. Sie beruht auf der Annahme, dass Wehen anderen Stresssituationen gleichgesetzt werden können und dass also eine bewusste, aktive Beteiligung der Gebärenden die besten Voraussetzungen für eine Bewältigung von Schmerzen und Stress bietet.


Eine andere Methode basiert darauf, den Ehemann in die aktive Vorbereitung der Geburt einzubeziehen. Sie wurde von dem nordamerikanischen Geburtshelfer Bradley entwickelt. Diese Methode basiert auf einer umfassenden Schulung, in der die werdende Mutter lernt, sich unter Mithilfe ihres Partners zu entspannen. Das Training nimmt wesentlich mehr Zeit in Anspruch als die Lamaze-Methode, aber viele Eltern empfinden es als sehr hilfreich, Ziel ist es, eine neue körperliche und seelische Nähe zwischen den Eltern des Kindes herzustellen und eine Geburt ohne begleitende Medikamente zu ermöglichen.


Schließlich gibt es noch die Methode der „sanften Geburt", die von dem französischen Geburtshelfer Leboyer entwickelt wurde. Hier konzentriert man sich ganz auf das Kind und bemüht sich, ihm kurz nach der Geburt noch für eine Weile die Lebensbedingungen des Mutterleibes zu erhalten: Dunkelheit, Stille und Kontakt zur Mutter. Der Kreißsaal ist deshalb nur sparsam beleuchetet, ein Bad mit warmem Wasser wird vorbereitet, und das medizinische Personal ist angehalten, geräuscharm zu arbeiten. In dieser Umgebung werden Kinder meist ruhig, mit weitgeöffneten Augen und glücklich murmelnd geboren. Unmittelbar nach der Geburt werden sie auf den Bauch der Mutter gelegt. Die Nabelschnur bleibt zunächst in Funktion und wird erst abgetrennt, wenn das Kind kräftig atmet. Es wird dann eine Zeitlang von seiner Mutter gestreichelt und danach in warmem Wasser gebadet. Diese Art der Geburt soll ein „Geburtstrauma" so weit als möglich vermeiden. Sie berücksichtigt, dass das neugeborene Kind ein sehr empfindlicher Mensch ist, der rücksichtsvolle Behandlung verdient.


Es gibt noch eine Reihe weiterer neuer Geburtsmethoden, die alle das Ziel haben, die Geburt eines Kindes von einer quälenden, passiven Erfahrung m ein bewusstes und aktives Erleben zu verwandeln. Immer häufiger wollen
 


Die Geburt eines Kindes.


1. Vor-Beginn der Wehen.                         2.-3. Eröffnungsperiode.                          
 

               4-5. Austreibungsperiode.                          6. Nachgeburtsperiode
 



auch Männer sich hieran unterstützend beteiligen, und Krankenhäuser machen den werdenden Vätern zunehmend auch Mut, während der gesamten Geburt dabeizusein. Vorbereitungskurse werden von Krankenhäusern, Arbeitsgruppen, öffentlichen Gesundheitsdiensten und Ärzten für beide Elternteile angeboten. Diese Art Vorbereitung bringt die Partner oft auch einander näher, und sie wird so ein wichtiges Element bewusster Elternschaft.


In der letzten Zeit nehmen auch bei uns Hausgeburten wieder etwas zu, weil viele Frauen mit ihrem Neugeborenen so früh als möglich Zusammensein und dieses Erlebnis mit ihrer Familie teilen wollen. Daneben gibt es neue Geburtszentren, die keine Krankenhäuser im traditionellen Sinn mehr sind und die versuchen, eine übermäßige Technisierung des Geburtsvorgangs und die unnötige Trennung von Mutter und Kind zu vermeiden. Alle diese Entwicklungen sind zu begrüßen und zu unterstützen, so lange eine fachlich qualifizierte Betreuung im Notfall gewährleistet ist.


In den folgenden Abschnitten werden die biologischen Vorgänge bei der Geburt zusammengefasst.


 

[Titelseite] [Inhalt] [Vorwort z. dt. Ausgabe] [Vorwort z. 2. Auflage] [Der menschl. Körper] [Geschlechtsuntersch.] [Der männliche Körper] [Der weibliche Körper] [Die Fortpflanzung] [Körperliche Probleme] [Das Sexualverhalten] [Sexualität & Gesellsch.] [Anhang (Akt. Themen)] [Bildnachweis]