Sexuelle Funktionsstörungen beim Mann

8.2.1 Sexuelle Funktionsstörungen beim Mann


In den meisten Büchern über die Sexualität des Menschen wird heute zwischen drei sexuellen Funktionsstörungen beim Mann unterschieden: „Impotenz", „vorzeitiger Samenerguss" und „Ejakulationsunfähigkeit".


Das Wort „Impotenz" (von lat. impotens: machtlos) klingt finster und bedrohlich, ist aber auch seltsam vage. Die Bezeichnung „vorzeitiger Samenerguss" unterstellt, es gäbe einen bestimmten idealen Zeitpunkt für eine Ejakulation, also auch einen „rechtzeitigen" Samenerguss. Die Bezeichnung „Ejakulationsunfähigkeit" suggeriert, dass Ejakulation eine „Fähigkeit" sei, die einige Männer haben und andere nicht. Mit „Fähigkeit" hat dies jedoch eigentlich nichts zu tun. Eine Ejakulation ist eine unwillkürliche Reaktion. Es kann sein, dass sie ausbleibt, wenn sie jedoch auftritt, kann niemand sie unterdrücken, verzögern, kontrollieren oder mäßigen. Darüber hinaus muss daran erinnert werden, dass die Ejakulation nur eine Begleiterscheinung des Orgasmus ist, dass ein Mann jedoch sehr wohl einen Orgasmus haben kann, ohne überhaupt zu ejakulieren. Natürlich wäre es Unsinn, einen solchen Mann als sexuell funktionsgestört zu bezeichnen. Also ist das Problem bei der „Ejakulationsunfähigkeit" nicht eigentlich das Ausbleiben der Ejakulation, sondern das des Orgasmus.


Die traditionelle Terminologie hat noch einen weiteren Nachteil; die Wortwahl bei der Bezeichnung der Funktionsstörungen von Männern und Frauen ist völlig verschieden. Daher haben viele Menschen die falsche Vorstellung, man könne die männlichen und weiblichen körperlichen Reaktionen nicht miteinander vergleichen. Die moderne Sexualforschung hat jedoch gezeigt, dass ein solcher Vergleich durchaus sinnvoll ist. In der Tat beginnen wir jetzt zu begreifen, dass die sexuelle Reaktion - und daher auch die sexuellen Störungen - von Männern und Frauen einander sehr ähnlich sind. Daher brauchen wir neue Begriffe, die sowohl auf Männer als auch auf Frauen anwendbar sind. Die Sexualfunktionen beider Geschlechter können in dreierlei Weise behindert sein:


1. Der Koitus kann nicht beginnen, weil die Geschlechtsorgane nicht die notwendige Initialreaktion zeigen (fehlende körperliche Erregung bei beiden Geschlechtern und Vaginismus bei der Frau).


2. Der Koitus ist unbefriedigend, weil der Orgasmus nach Auffassung eines oder beider Partner zu früh oder zu spät kommt (unbefriedigende Kontrolle über den Zeitpunkt des Orgasmus).


3. Keiner der Partner kommt zum Orgasmus (fehlender Orgasmus).


Auf den folgenden Seiten werden diese drei grundlegenden Funktionsstörungen zunächst für den Mann besprochen.


Fehlen körperlicher Erregung


Dauerhaft fehlende Erregung kann natürlich durch eine Vielzahl körperlicher Unfallfolgen, Erkrankungen oder Störungen verursacht werden, von Nervenverletzungen bis hin zum Diabetes. Solche Fälle müssen vom Arzt behandelt werden. Es gibt heute vielversprechende Behandlungsmethoden, die auch Implantate oder Prothesen zum Aufpumpen einschließen und die die Situation erheblich verbessern können. Da es sich jedoch um rein körperliche Probleme handelt, werden sie in diesem Abschnitt nicht weiter diskutiert.


Es gibt aber körperlich gesunde Männer, die in ihrem Leben beim versuchten Koitus niemals eine Erektion hatten. Ihre sexuelle Reaktion ist derart gehemmt, dass sie daran zweifeln, jemals sexuelle Befriedigung mit einem Sexualpartner zu finden. Hierfür kann es vielfältige Ursachen geben. Meist kommt es hierzu durch eine Kombination unglücklicher Umstände. So kann zum Beispiel ein Junge von einer besitzergreifenden Mutter erzogen worden sein, die ihm nicht gestattete, sich selbständig zu entwickeln, Oder es wurde ihm beigebracht, dass sexuelle Handlungen sündig, schmutzig oder gefährlich seien. Versagt ein solcher Mann beim ersten Koitus, so kann er unfähig werden, die negative Erfahrung zu überwinden. Ein anderer Mann verspürt möglicherweise starke homosexuelle Tendenzen, fürchtet jedoch, sie auszudrücken. Der unbewältigte Konflikt kann dann zum Versagen führen. In solchen und ähnlichen Fällen benötigt der Betroffene mehr Hilfe, als er von seiner Freundin oder Frau erwarten kann. In diesem Fall ist eine intensive Sexualtherapie am erfolgversprechendsten.


Eine solche Therapie kann auch für eine weitere, viel größere Gruppe von Männern notwendig werden, nämlich für diejenigen, die eine Zeitlang zum Koitus fähig waren, diese Fähigkeit jedoch zum Teil oder ganz verloren haben. Entweder haben sie überhaupt keine Erektionen mehr oder nur ganz selten. Natürlich ist zu berücksichtigen, dass ein gelegentliches Fehlen der Erektion etwas ganz Normales ist. Wenn jemand müde, besorgt, zerstreut oder betrunken ist, mag er sich zwar vielleicht erregt oder liebebedürftig fühlen, sein Körper reagiert jedoch einfach nicht. Verzweifelte Bemühungen, Willenskraft oder besondere körperliche Anstrengungen können da nichts bewirken. Die Partner sind in solchen Fällen gut beraten, wenn sie die Situation zunächst akzeptieren und das beste daraus machen. Sie sollten zum Beispiel daran denken, dass ein Mann keine Erektion benötigt, um die Partnerin zu befriedigen. Selbst wenn der Penis nicht erigiert sein sollte, kann er mit der Hand in die Vagina „hineingestopft" werden, und die Partner können Koitusbewegungen ausführen. Eine Frau kann so sehr gut zum Orgasmus kommen. Darüber hinaus kann der Mann die Frau oral oder manuell befriedigen. In solchen Fällen ist es jedenfalls wahrscheinlich, dass der Mann ein anderes Mal unter günstigeren Bedingungen wieder eine Erektion haben wird.


Manche Männer sind jedoch so unsicher, dass sie Versagensängste entwickeln. Andere verlangen einfach von sich selbst zu viel und stellen ihre eigenen Reaktionen auf die Probe, so dass sich jede sexuelle Begegnung in einen Kampf um Sieg oder Niederlage verwandelt. Andere versuchen, durch Alkohol nachzuhelfen. Diese Strategien beschwören natürlich nur Niederlagen herauf, so dass ein gelegentliches Problem zu einem chronischen Zustand werden kann. Ähnliche Probleme können bei Männern auftreten, die früher zum Orgasmus kommen als ihre Partnerinnen (vgl. a. den folgenden Abschnitt). Es gibt auch Männer, die unfähig sind, sich emotional von ihren Eltern zu lösen, oder solche, deren strenge Erziehung ihre sexuellen Gefühle hemmt. Darüber hinaus bereitet manchen Männern ein homosexuelles Interesse Schwierigkeiten; wieder anderen macht ihre Unerfahrenheit in sexuellen Dingen zu schaffen. In all diesen Fällen können Schwierigkeiten bei der Erektion resultieren. Man sagt heute, wenn Paare bei mehr als einem Viertel aller Versuche scheitern, ist das Problem so ernst, dass sie sich einer speziellen Therapie unterziehen sollten.


Behandlungsprogramme wie die von Masters und Johnson haben sich bei der Wiedererlangung der normalen sexuellen Reaktion als erfolgreich erwiesen. Der Erfolg hängt jedoch wesentlich von der Mitarbeit beider Partner ab. Eine Frau, deren männlichem Partner eine Erektion ständig versagt bleibt, ist gleichfalls davon betroffen; aus diesem Grunde muss eigentlich die sexuelle Beziehung beider behandelt werden.


Der erste Schritt der Therapie besteht gewöhnlich darin, dass beide Partner verstehen lernen, dass die Erektion eine unwillkürliche Reaktion ist. Kein Mann kann eine Erektion erzwingen; er kann sie lediglich zulassen. Er kann jedoch sicher sein, dass eine Erektion eintritt, wenn er und seine Partnerin sexuell aufeinander ansprechen. Angst und Besorgnis können jedoch zur Blockade dieser Reaktion führen: Die Partner müssen deshalb lernen, nichts als „die Furcht selbst zu fürchten". Mögliche Ursachen dieser Furcht müssen im Gespräch aufgedeckt werden. Wenn einer oder beide Partner eine negative und unsachliche Einstellung gegenüber der Sexualität haben, so muss diese verändert werden. Auch nicht-sexuelle Aspekte, die gesamte Kommunikation zwischen den Partnern, müssen dabei einbezogen werden. Denn im Grunde genommen ist es die gesamte menschliche Kommunikation zwischen Mann und Frau, die zum gemeinsamen Glück führt.


Um diese Kommunikation zu fördern, haben Sexualtherapeuten einfache Übungen zusammengestellt, die die Partner miteinander zu Hause durchführen können. Zunächst müssen Mann und Frau lernen, Lust zu geben und zu nehmen, indem sie einander nur streicheln. In diesem Stadium sind ihnen Koitus oder Orgasmus nicht erlaubt. Statt dessen werden sie angehalten, einander durch einfaches Liebkosen Genuss zu verschaffen. Dann erläutert man ihnen, wie sie diesen Genuss vertiefen können, zum Beispiel indem sie einander die Hand führen. Dabei werden keine besonderen Ziele gesetzt, so dass kein Leistungsdruck entstehen kann. Nach einiger Übung entspannen sich beide Partner gewöhnlich sehr rasch, verlieren ihre Befangenheit und können sich ihren sexuellen Gefühlen hingeben.


Nach einigen Tagen solcher Übungen können die Partner ihre Liebkosungen auf die Geschlechtsorgane und die Brüste der Frau konzentrieren, Auch hier ist es nützlich, wenn sie sich gegenseitig die Hand führen. Beide Partner sollen einander wissen lassen, in welcher Weise sie stimuliert werden wollen. Diese Offenheit der Kommunikation wird dazu führen, dass sie sich gegenseitig mehr Genuss verschaffen. Nach wie vor besteht jedoch die Anweisung des Therapeuten, Koitus und Orgasmus zu vermeiden. Tritt eine Erektion des Penis auf, so muss die gegenseitige Stimulierung unterbrochen werden, bis die Erektion zurückgeht. Erst dann darf der Mann sich wieder stimulieren lassen; kommt es erneut zu einer Erektion, wird wieder abgewartet, bis sie zurückgeht. Dies kann sich mehrmals wiederholen. Diese einfache Stimulierung des Penis zeigt dem Mann, dass der Verlust einer Erektion kein Problem ist, da er sie jederzeit wieder bekommen kann.


Nach einer weiteren Woche, wenn der Mann seine Versagensängste überwunden und Vertrauen in seine sexuelle Reaktionsfähigkeit gewonnen hat,


 
kann das Paar besonnen und ohne sich besondere Ziele zu setzen zum Koitus übergehen. Wieder soll die Frau die Initiative übernehmen. Während der Mann passiv auf dem Rücken liegt, sitzt sie auf ihm und masturbiert ihn bis zur Erektion. Dann führt sie den erigierten Penis in die Vagina ein. Danach soll sie sich für einen Augenblick ruhig verhalten, damit der Mann sich an das Gefühl gewöhnen kann. Nach einigen Minuten beginnt sie, sich langsam zu bewegen, damit der Penis stimuliert wird und erigiert bleibt. Sollte die Erektion nachlassen, wird er erneut manuell stimuliert. Normalerweise wird der Mann jedoch seine Erektion behalten können, solange die Frau schnelle und heftige Bewegungen vermeidet.


Allmählich geht ein Teil der Initiative auf den Mann über: die Frau verharrt in ihrer Position über dem Partner, sie führt den Penis in die Vagina ein, hört jedoch nach einer Weile mit ihren eigenen Bewegungen auf und überlässt es dem Mann, sich in ihr hin und her zu bewegen. Beiden Partnern ist es jedoch nach wie vor nicht erlaubt, zum Orgasmus zu kommen. Sollte einer der Partner dennoch einen Orgasmus haben, so sollte das als angenehme Überraschung gewertet werden. Wenn ein Paar einmal gelernt hat, sich so zu entspannen, ist es meist eine außerordentlich befriedigende Erfahrung festzustellen, dass der Penis erigiert in der Vagina bleiben kann, solange sie es wünschen. Ist ihr Vertrauen erst einmal so weit gestärkt, sind sie in der Lage, den Koitus wirklich zu genießen und freizügig mit verschiedenen Positionen beim Koitus umzugehen.



Verlagerung der Initiative

Der Mann muss nicht immer der „aktive" Partner beim Koitus sein, Männer mit sexuellen Funktionsstörungen können oft ihre sexuelle Reaktion wiederfinden, wenn sie zu einer „passiven" Position beim Koitus überwechseln, sich entspannt auf den Rücken legen und der Frau die Initiative überlassen.


 

Unbefriedigende Kontrolle über den Zeitpunkt des Orgasmus


Masturbation und Geschlechtsverkehr gehören zu den lustvollsten Erlebnissen im Leben eines Menschen; daher ist verständlich, dass das Bedürfnis besteht, diese so lange als möglich auszudehnen.


Was die zeitliche Dauer betrifft, ist die Frau gegenüber dem Mann im Vorteil. Da sie nicht selten zu mehreren Orgasmen in rascher Folge fähig ist, ist es ihr möglich, solange Geschlechtsverkehr zu haben, wie ihr Partner mithalten kann. Der Mann hingegen kann in der Regel nur einen Orgasmus haben, danach benötigt sein Körper eine Zeitlang Ruhe. Das bedeutet, im Gegensatz zur Frau kann ein Mann den Geschlechtsverkehr nur dadurch verlängern, dass er seinen Orgasmus verzögert.


In jungen Jahren sind Männer nicht so sehr an dieser Verzögerung interessiert, weil sie mehrere Orgasmen nacheinander haben können. Für heranwachsene Jungen ist es gar nicht ungewöhnlich, dass sie um die Wette masturbieren, um herauszufinden, wer von ihnen am schnellsten zum Orgasmus kommt. Der „Gewinner" solcher Wetten wird häufig bewundert, wegen seiner Männlichkeit sogar beneidet. Erst später, wenn der Junge Koitus mit einem Mädchen praktiziert, erweist sich die Schnelligkeit seiner sexuellen Reaktion plötzlich als Nachteil. Er kann sehr viel früher zum Orgasmus kommen als sie, und sie bleibt dann unbefriedigt. Geschieht dies, kann der Junge ernsthafte Zweifel an seinen sexuellen Fähigkeiten bekommen. Das kann dazu führen, dass er in Gegenwart eines Mädchens keine Erektion mehr bekommt.


Dieses Problem kann zum Glück fast immer behoben werden, wenn beide Partner zusammenarbeiten. Es kann ihnen sogar bereits entscheidend helfen, wenn sie das Problem nüchtern betrachten lernen.


Die Tatsache, dass ein Mann vor der Frau zum Orgasmus kommt, ist noch kein Grund, den Geschlechtsverkehr nicht fortzusetzen. Er muss nur vom Koitus zu einer anderen Form des Geschlechtsverkehrs übergehen. Ist sein Penis nicht mehr erigiert, so kann er die Frau durch manuelle oder orale Stimulation zum Orgasmus bringen. Wenn beide Partner verstehen, dass der „vorzeitige" Orgasmus des Mannes denjenigen der Frau nicht ausschließt, können viele Ängste und Frustrationen vermieden werden.


Daneben ist klar, dass die Fähigkeit, den Zeitpunkt des Orgasmus zu bestimmen, eine Frage von Übung und Erfahrung ist. Männer, die in ihrer Jugend gerne masturbiert haben, haben oft gelernt, den Orgasmus zu verzögern, indem sie ihre Bewegungen verlangsamen oder unterbrechen. Mädchen können durch Masturbation lernen, rascher den Orgasmus zu erreichen. Ein Mensch muss mit seiner eigenen sexuellen Reaktion vertraut sein, bevor er eine gewisse Kontrolle über sie bekommt.


Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass es so etwas wie einen Orgasmus „zur falschen Zeit" nicht gibt, wenn jemand alleine ist. Das Problem entsteht erst in einer Beziehung zu einer anderen Person. Es kann daher immer aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden: Erstens „der Orgasmus des Mannes kommt zu früh" oder zweitens „der Orgasmus der Frau kommt zu spät". Eine Frau empfindet vielleicht den Zeitpunkt, zu dem ein Mann den Orgasmus erreicht, als zu früh, weil er sich wenige Minuten vor dem eigenen Orgasmus ereignet. Der gleiche Mann kann jedoch sehr wohl eine andere, rascher reagierende Frau vollkommen befriedigen.


Diese Beobachtungen fuhren zu einer gemeinsamen Schlussfolgerung: Der „richtige" Zeitpunkt des Orgasmus ist im Grunde eine Frage der gegenseitigen Anpassung. In vielen Fällen kann es sehr wohl die Frau sein, die am ehesten zu diesem Ziel beitragen kann. In jedem Fall sollte sie wissen, dass mit ihrer Hilfe praktisch jeder Mann lernen kann, den Orgasmus so lange hinauszuzögern, wie es gewünscht wird.


Sexualtherapeuten haben in den letzten Jahren eine Reihe einfacher Übungen entwickelt, die zu einer Verlängerung des Geschlechtsverkehrs beitragen können. Nur in besonders schwierigen Fällen ist die Anleitung eines Therapeuten erforderlich, um sie zu lernen und anzuwenden. Viele Paare werden alleine damit zurechtkommen. Die häufigste Technik, die in diesem Zusammenhang gelernt werden muss, ist die sogenannte „Squeeze-Technik" („Quetsch-Technik"), die folgendermaßen durchgeführt wird: Der Mann liegt mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Die Frau sitzt zwischen seinen Beinen, ihre Füße liegen auf beiden Seiten seiner Brust. So kann sie seine Geschlechtsorgane mit den Händen gut erreichen. Sie streichelt seinen Penis, bis er erigiert ist. Während der Mann absolut entspannt und passiv bleibt, fährt die Frau fort, ihn so lange zu stimulieren, bis er kurz vor dem Orgasmus ist. Wenn der Mann sich dem Orgasmus nähert, gibt er der Frau das Zeichen zum „Quetschen". Dann drückt sie den Penis für vier bis sechs Sekunden zusammen, indem sie den Daumen auf die Unterseite der Eichel und ihren zweiten und dritten Finger ober- und unterhalb der Kranzfurche auf die Oberseite der Eichel legt. Sollte der Druck unangenehm werden, kann die Frau auch acht bis 15 Sekunden etwas vorsichtiger drücken. Die Wirkung ist in beiden Fällen die gleiche - es kommt nicht zur Ejakulation, die Erektion geht zurück. Ist der Penis weich geworden, beginnt die Frau von neuem. Erregung und „Quetschen" können mehrmals wiederholt werden, wobei die Frau den Mann jeweils fast bis zum Orgasmus kommen lässt, diesen aber im letzten Moment durch Druck ihrer Finger auf die Eichel verhindert.


Hat man die „Squeeze-Technik" drei- bis viermal angewandt, können die Partner den nächsten Schritt tun, die sogenannte „Stopfübung". Dabei wendet die Frau zunächst die Quetsch-Technik an. Geht die Erektion nach dem ersten Druck zurück, lehnt sie sich vorwärts und führt den schlaffen Penis in die Vagina ein. Um dies zu tun, setzt sie sich auf den Mann, der vollkommen passiv auf dem Rücken liegt. Nach ein paar Minuten beginnt sie, sich langsam zu bewegen, bis der Penis erigiert ist. Kurz vor dem Orgasmus gibt er ihr ein Zeichen, sie nimmt den Penis aus der Scheide und wendet die Quetschtechnik an. Wenn die Erektion zurückgegangen ist, führt sie den Penis wieder in die Vagina ein und beginnt die Übung von vorn. Beide Übungen sollten mehrmals wiederholt werden. Wenn die Partner die Technik beherrschen, sollten sie sie so lange regelmäßig anwenden, bis sie davon überzeugt sind, dass sie den Zeitpunkt des Orgasmus des Mannes bestimmen können. In den ersten Wochen ist es ratsam, die Koitusstellung beizubehalten, bei der die Frau auf dem Mann sitzt. Falls die früher bestehenden Probleme erneut auftreten, beginnt man wieder mit Druckübungen. Die „Squeeze-Technik" hat im übrigen nicht immer die gewünschte Wirkung, wenn sie der Mann selbst anwendet.


Manche Sexualtherapeuten vertreten die Auffassung, weder Mann noch Frau sollten bei den Übungssitzungen volle Befriedigung anstreben. Andere vertreten die Meinung, dass ein Orgasmus des Mannes gegen Ende der Sitzung erlaubt sein sollte, solange darauf keine besonderen Bemühungen verwandt werden. Denn für den Erfolg der Übungen ist es sehr wichtig, dass sie in absolut entspannter Atmosphäre und ohne äußeren Druck stattfinden. Ein weiteres Trainingsprogramm für Männer wurde an der medizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien in San Francisco entwickelt. Dabei muss die „Squeeze-Technik" nicht unbedingt angewandt werden. Statt dessen lernt der Mann, seinen Orgasmus um 15 Minuten hinauszuzögern, indem er sich masturbiert (zuerst ohne, dann mit Gleitmittel). Nach diesem ersten Schritt lässt er sich von seiner Partnerin masturbieren (wiederum zuerst ohne, dann mit Gleitmittel), bis er den Orgasmus um 15 Minuten hinauszögern kann. Danach kann das Paar mit den zuvor beschriebenen Formen des Koitus fortfahren. Die „Squeeze-Technik" kann, sie muss aber nicht angewandt werden. Der Mann geht Schritt für Schritt vor, bis er den Orgasmus um 15 Mi-


nuten verzögern kann. Das Programm erscheint, so einfach es ist, recht erfolgversprechend.


Ausbleiben des Orgasmus


Fast alle Männer, die die Fähigkeit zur Erektion besitzen, sind auch zum Orgasmus fähig. Das heißt: im Gegensatz zu Frauen, die oft Schwierigkeiten haben, über die Plateauphase hinauszukommen, können sich Männer normalerweise darauf verlassen, den ganzen Zyklus der sexuellen Reaktion zu erleben. Es gibt indes einige seltene Fälle, in denen Männer nur durch Masturbation oder eine besondere Form des Geschlechtsverkehrs zum Orgasmus kommen. So sind beispielsweise manche Männer unfähig, einen Orgasmus in der Vagina oder im Mund der Frau zu haben. Ihr Partner kann zwar ohne weiteres eine Erektion haben, er erreicht jedoch den Orgasmus nur, wenn er sich ihrem Körper oder ihrer Anwesenheit entzieht. Dies ist eine Reaktion, deren Ursachen in einer psychischen „Sperre" begründet sein können, die den Mann daran hindert, „sich gehen zu lassen", wenn er es sollte. Der Mann kann unter Umständen eine übertriebene oder unbewusste Angst vor einer Schwangerschaft der Frau haben; die Frau kann ihm unsympatisch sein, oder es kann ihm Freude bereiten, sie zu frustrieren. Manchmal leidet der Mann unter einer früheren traumatischen Erfahrung. Ein Junge, der wegen Masturbation oder „feuchter Träume" von seinen Eltern bestraft worden ist, kann später unfähig zum Orgasmus beim Koitus sein. In anderen Fällen tritt diese Unfähigkeit erst durch eine spätere unerfreuliche sexuelle Beziehung auf, durch die der Mann die Vagina der Frau oder ihren Mund als unsauber oder abstoßend empfindet.


Wie andere sexuelle Funktionsstörungen kann man auch diesem Problem mit Offenheit der Partner untereinander und durch umfassende Kommunikation über ihre Bedürfnisse, Wünsche und Ängste, aber auch mit entsprechenden Übungen, begegnen. Eine Frau, die den Mann nach und nach manuell bis zum Orgasmus stimulieren kann, kann auf diese Weise ein angstbelastetes Verhaltensmuster durchbrechen. Sobald der Mann beginnt, sexuelle Entspannung mit ihrer Gegenwart in Verbindung zu bringen, wird ihm auch der Gedanke keine Angst mehr bereiten, in ihrer Nähe oder in ihrem Körper zu ejakulieren. Auch hier trägt eine positive Einstellung gegenüber nicht-koitalen Formen des Geschlechtsverkehrs erheblich zur Lösung der Situation bei. In einigen Fällen kann eine Sexualtherapie ratsam sein.


Man muss jedoch betonen, dass nicht alle Partner, die diese Probleme haben, eine Notwendigkeit zur Behandlung sehen. Ein Mann, der nicht in der Lage ist, in die Vagina oder in den Mund seiner Partnerin zu ejakulieren, kann sie dennoch zum Orgasmus bringen. Dann kann er selbst zum Orgasmus kommen, indem er masturbiert oder irgendeine andere ihm angenehme Form der Befriedigung wählt. Beide Partner können so eine zufriedenstellende sexuelle Beziehung haben und diese um so mehr genießen, als sie sich keine Sorgen um eine ungewollte Schwangerschaft machen müssen. Sollten sie sich dennoch ein Kind wünschen, können sie von künstlicher Befruchtung Gebrauch machen.


Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass es in der Vergangenheit bestimmte religiöse Gruppen gab, die verlangten, Koitus ohne Ejakulation zu haben. Diese Art des Koitus („Carezza" oder „Coitus reservatus") sollte sich über Stunden ausdehnen, und man nahm an, sie fördere die spirituelle Entwicklung.

 

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