Die sexuelle Anpassung in der Ehe

6.3.2 Die sexuelle Anpassung in der Ehe


Die meisten Männer und Frauen suchen ihre sexuelle Erfüllung heute in der Ehe. Sie sind sich jedoch oft nicht bewusst, dass man für die Erfüllung auch kämpfen muss. Eine dauerhafte sexuelle Beziehung verlangt ein hohes Maß an Toleranz, Geduld und gemeinsamer Anstrengung. Die Freuden der Ehe ergeben sich keineswegs von selbst.


Es ist deshalb wichtig, dass Menschen eine realistische Vorstellung von ihren eigenen sexuellen Interessen und Möglichkeiten entwickeln. Darüber hinaus sollten sie akzeptieren, dass sie sich an ihren Partner anpassen müssen. Auch sollte jedes Paar zumindest einige grundlegende Kenntnisse über die körperliche Seite des Ehelebens haben. Dazu gehören zum Beispiel Kenntnisse des Geschlechtsverkehrs und seiner Varianten, der Schwangerschaft, der Geburt und der verschiedenen Verhütungsmethoden.


Aber auch Paare, die sich in diesen Punkten auf die Ehe vorbereitet haben, erleben manchmal große Sorgen und Enttäuschungen. Das beginnt damit, dass sich die sozialen Rollen von Mann und Frau durch politische, ökonomische und technologische Entwicklungen verändern können. Die traditionelle Auffassung von Männlichkeit und Weiblichkeit kann dann in Frage gestellt und zur Ursache ehlicher Auseinandersetzungen werden. Ein solcher Konflikt mündet möglicherweise in Beeinträchtigung oder Blockierung der normalen sexuellen Reaktion. So treten unter Umständen sexuelle Funktionsstörungen auf, weil Männer um ihre Vorherrschaft bangen, oder weil Frauen diese Vorherrschaft ablehnen. Es kann dann erhebliche gemeinsame Bemühungen kosten (manchmal bedarf es dabei auch professioneller Hilfe), eine befriedigende sexuelle Beziehung wiederherzustellen.


Eine andere mögliche Ursache für Enttäuschungen ist die heute verbreitete Besorgnis über sexuelle Potenz und Leistung. Heute ist man einer ständigen Flut kommerzieller Werbung ausgesetzt, die davon überzeugen möchte, dass jeder jederzeit romantisch und schön sein könne, dass Sexualität immer mit vollkommener Ekstase verbunden sei und dass nur solche Ekstase die Ehe lohnend mache. Das tägliche Leben sieht aber eben nicht so aus. So müssen sich zum Beispiel die Partner erst einmal aneinander gewöhnen, es sei denn, sie hätten schon vor der Ehe zusammen gelebt. Sie lieben sich unter Umständen hingebungsvoll und ausdauernd, aber es kann dennoch sein, dass sie erst nach Monaten oder Jahren ihrer Ehe wirkliche gegenseitige Befriedigung erlangen. Die Ehepartner können auch hinsichtlich ihres sexuellen Verlanges sehr unterschiedlich reagieren. Zu Beginn der Ehe sind es häufig die Männer, die ein intensives Verlangen nach Geschlechtsverkehr haben. Später haben dann die Frauen ihre Hemmungen abgebaut und fühlen sich sicherer. Dann kann die Situation sich umkehren. Tatsächlich stellen Männer, wenn sie in die mittleren Jahre kommen, oft ein erhebliches Abklingen ihrer sexuellen Fähigkeiten fest. Dies hat selten biologische Ursachen, sondern hängt meist damit zusammen, dass der Mann zunehmend von seiner Arbeit in Anspruch genommen wird. Aber auch fehlende Phantasie, Langeweile und Eintönigkeit können Ursachen dafür sein. Eine Frau hingegen fühlt sich vielleicht durch die Menopause endlich von den Ängsten einer unerwünschten Schwangerschaft befreit, und sie kann dadurch sexuell aktiver werden als zuvor.


Unter Ehepartnern ist es nicht ungewöhnlich, dass über die Häufigkeit und die Technik des Geschlechtsverkehrs Uneinigkeit herrscht. Manchmal entspringen diese Uneinigkeiten einfach der Unterschiedlichkeit der Temperamente. Ursache kann indes auch Unsicherheit oder Prüderie sein, in vereinzelten Fällen liegen andere, sehr viel kompliziertere Ursachen zugrunde.


Paare sehen sich möglicherweise sexuellen Schwierigkeiten ausgesetzt, weil sie unfähig sind, offen über ihre wirklichen Wünsche und Gefühle zu sprechen. Sie folgen dann beim Geschlechtsverkehr immer einem bestimmten


Schema, und die völlige Monotonie ihres Zusammenlebens lässt nach und nach auch ihr Interesse an der Sexualität ersterben. Andererseits gibt es Menschen, die plötzlich ganz außergewöhnliche sexuelle Bedürfnisse entwickeln, die innerhalb des ehelichen Lebens nicht zu befriedigen sind. Wieder andere machen immer verzweifeltere Versuche, etwas Abwechslung in ihre Beziehung zu bringen, mit dem Erfolg, von ihrem Partner ausgelacht oder abgewiesen zu werden. Es gibt auch Menschen, die sich in außerehelichen Abenteuern ihre Anregungen suchen. Solche Entwicklungen können ernsthafte Belastungen für die eheliche Beziehung mit sich bringen, und oftmals können die Partner selbst hierüber keine Verständigung herbeiführen. Wenn sie ernsthaft umeinander bemüht sind, können sie ihre Ehe oft dadurch retten, dass sie sich an eine geeignete Beratungsstelle wenden. (Vgl. hierzu a. Kap. 8 „Sexuelle Störungen".)


Auch wenn Ehepartner Eltern werden, müssen sie möglicherweise ihre sexuellen Gewohnheiten ändern. Gegen Ende der Schwangerschaft und für einige Zeit nach der Geburt müssen sie unter Umständen ihre Stellung beim Koitus ändern oder ihn zugunsten anderer Formen des Geschlechtsverkehrs vermeiden. Mutter- und Vaterrolle stellen schon bald schwierige Anforderungen. Kinder müssen als sexuelle Wesen begriffen werden und bedürfen einer entsprechenden sexuellen Erziehung. Viele Eltern fühlen sich jedoch in ihrer eigenen Sexualität so unwohl, dass sie Fragen der Sexualität mit ihren Kindern offen nicht besprechen können. Während die Kinder heranwachsen und die Eltern älter werden, fühlen sie sich möglicherweise an alte, lange unterdrückte Konflikte erinnert, und entwickeln neue sexuelle Ängste. Viele Eltern sehen daher dem Heranwachsen und der zunehmenden sexuellen Reife ihrer Kinder mit Unsicherheit entgegen. Auch hier kann eine kompetente Beratung nützlich sein (vgl. a. Kap. 13.2 „Sexuelle Aufklärung und Erziehung").


Die bisherigen Ausführungen sollen nicht den Eindruck vermitteln, Ehe und Elternschaft seien nicht erstrebenswert. Im Gegenteil, die aufgezeigten ehelichen Konflikte bieten die Möglichkeit zu persönlicher Reifung. Aus Konflikten können auch neue Kräfte erwachsen, die zu einem erfüllteren und inhaltsreicheren Leben beitragen. Partner, die eine Verhärtung von Standpunkten vermeiden und die den anderen nicht als ihr Eigentum betrachten, können in der Ehe sehr wohl ein beständiges Glück finden. (Eine eingehendere Betrachtung dieser Fragen findet sich in Kap. 11 „Ehe und Familie".)


 

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