Die Geschlechtskrankheiten

5.5 Die Geschlechtskrankheiten


Geschlechtsverkehr gehört zu den gesündesten und beglückendsten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Manchmal ist er jedoch auch die Ursache von ernsthaften Beschwerden und Krankheiten, die in seltenen Fällen sogar zum Tode führen. Dass diese Erkrankungen, die man gemeinhin unter dem Sammelbegriff „Geschlechtskrankheiten" zusammenfasst, nicht seit langem ausgerottet sind, hat unter anderem mit der Einstellung zu tun, die ihnen von der Gesellschaft entgegengebracht wird.

Man fasst unter dem Begriff „Geschlechtskrankheiten" solche Krankheiten zusammen, die nur durch intimen Körperkontakt übertragen werden, also vor allem durch Geschlechtsverkehr. Es gibt natürlich eine große Zahl von Krankheiten, die durch intimen Kontakt auf andere Menschen übertragen werden. Dazu gehören Erkältungskrankheiten, Tuberkulose oder andere Infektionskrankheiten. Trotzdem wurden die Geschlechtskrankheiten zu einer besonderen Gruppe zusammengefasst, weil sie fast ausschließlich durch engen Kontakt der betroffenen Partner übertragen werden und in erster Linie die Geschlechtsorgane befallen.


In der Medizin wird heute der Begriff „Geschlechtskrankheiten" gelegentlich durch den Begriff „sexuell übertragbare Krankheiten" übersetzt. Dieser Begriff ist allerdings nicht wesentlich genauer als der bisherige, so dass er hier nicht verwendet werden soll. Denn - wie bereits erwähnt - es können nahezu alle Infektionskrankheiten durch engen Körperkontakt übertragen werden, also auch durch Geschlechtsverkehr. Die Entscheidung, welche infektiösen Krankheiten man also in die Gruppe der sexuell übertragbaren Krankheiten einschließt, ist also immer etwas willkürlich. In den folgenden Abschnitten werden deshalb nicht nur die vier „klassischen" Geschlechtskrankheiten behandelt, sondern auch einige Infektionskrankheiten, die neben anderen Infektionswegen auch durch Geschlechtsverkehr übertragen werden können,


Geschlechtskrankheiten führen zu sehr unterschiedlichen Symptomen, der Übertragungsweg ist jedoch immer ähnlich. Sie werden durch Viren, Bakterien oder andere Mikrobien verursacht, die sich im warmen und feuchten Milieu der Schleimhäute der Geschlechtsorgane, des Mundes und des Rektums besonders gut entwickeln. Außerhalb dieses Milieus sind sie nicht lebensfähig. Deshalb ist es kaum möglich, sich an Türklinken, Toilettendeckeln oder ähnlichem zu infizieren (wenngleich es in seltenen Fällen vorkommt, dass Geschlechtskrankheiten durch schmutzige Handtücher, Unterwäsche oder Bettwäsche übertragen werden). Beim Geschlechtsverkehr bieten sich ideale Möglichkeiten der Übertragung von solchen Mikroorganismen. Man kann sich verschiedene Geschlechtskrankheiten gleichzeitig zuziehen. Obwohl sie fast alle heilbar sind, entwickelt sich keine Immunität gegen sie. Man kann deshalb immer wieder angesteckt werden.


Die verbreitetsten und gefährlichsten Geschlechtskrankheiten sind heute noch in fast allen Ländern Gonorrhoe und Syphilis. Beide haben eine lange Geschichte, und man war viele Jahrhunderte lang gegen sie machtlos. Sie waren nicht nur unheilbar, sondern die zunehmenden sexuellen Tabus der letzten Jahrhunderte führten dazu, dass man über sie auch nicht mehr sprach. 1910 wurde endlich ein zumindest teilweise wirksames Mittel gegen Syphilis entdeckt (das Salvarsan, ein arsenhaltiges Medikament). Aber erst das Penicillin, das in den 40er Jahren dieses Jahrhunderts in die Therapie eingeführt wurde, war ein sicheres Mittel gegen Syphilis und Gonorrhoe. Inzwischen wurde allerdings deutlich, dass auch medizinische Erfolge ohne eine Veränderung der gesellschaftlichen Einstellung gegenüber Geschlechtskrankheiten diese nicht beseitigen können.


Solange die Ursachen für Geschlechtskrankheiten noch unbekannt waren, interpretierte man sie eher als moralisches denn als medizinisches Problem. Man bezeichnete sie als „Lustseuchen" und war der Meinung, sie seien die gerechte Strafe für sexuelle Zügellosigkeit. Man war der Ansicht, „anständige" Menschen hätten hiermit ohnehin keine Probleme, und junge Menschen sollten deshalb nicht zu viel über sie wissen. Man hielt Angst und Unwissenheit für ein geeignetes Mittel, einen züchtigen Lebenswandel zu gewährleisten. Es wurde sogar gelegentlich geäußert, die Ausrottung dieser Krankheiten würde Ausschweifungen nur förderlich sein und würde daher die Gesellschaft moralisch bedrohen. Im Vergleich zu dieser Drohung schien die Gefahr für die körperliche Gesundheit einzelner Menschen weniger wesentlich.


Darüber hinaus hat in den letzten Jahren die Einführung neuer Verhütungsmittel die Benutzung von Kondomen immer mehr verdrängt, die doch zumindest in gewissem Maße die Übertragung von Geschlechtskrankheiten verhindern konnten. Schließlich haben wirkungslose Selbstbehandlung und unzureichende medizinische Betreuung in einigen Teilen der Welt dazu geführt, dass sich zum Beispiel neue und resistentere Gonorrhoe-Erreger entwickeln konnten, die im Zeitalter des Massentourismus zu immer ferneren Zielen alsbald in anderen Ländern auftreten. Diese und andere Faktoren haben dazu geführt, dass man heute von einer epidemischen Verbreitung der Geschlechtskrankheiten sprechen kann.


Diese Epidemie trifft Jugendliche heute besonders. Die größte Zunahme der Erkrankungsraten findet sich unter den Jugendlichen. Infolge unzulänglicher Aufklärung sind auch heute noch viele Jugendliche völlig uninformiert über Ursachen und Symptome von Geschlechtskrankheiten. Deshalb erkennen viele von ihnen nicht, dass sie sich angesteckt haben, und sie übertragen die Erkrankung weiter. Manche Jugendlichen lassen sich auch aus Angst oder Scham nicht behandeln, weil sie nicht wollen, dass ihre Eltern erfahren, dass sie Geschlechtsverkehr hatten. Die Folgen einer unbehandelten Geschlechtskrankheit sind jedoch - selbst gemessen an einer vorübergehenden familiären Krise — ungleich größer.


In den meisten Städten stehen glücklicherweise öffentliche Einrichtungen zur Diagnose und Behandlung von Geschlechtskrankheiten zur Verfügung. Diese Behandlungen können absolut vertraulich vorgenommen werden. Dem Arzt ist lediglich vorgeschrieben, jeden Fall von Geschlechtskrankheiten dem Gesundheitsamt ohne Nennung des Namens zu melden. Eine Kenntnis von Kontaktpersonen ist wichtig, da diese gleichfalls behandelt werden müssen. Aber auch deren Privatsphäre bleibt unangetastet, soweit sie sich einer Behandlung nicht widersetzen.


Der Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten kann nur dann erfolgreich sein, wenn jeder Infizierte sich diesen Maßnahmen beugt. Das Gesetz sieht für Geschlechtskranke eine Pflicht zur Behandlung vor. Das schließt natürlich ein, dass Menschen, die sich angesteckt haben, so lange keinen Geschlechtsverkehr haben, bis die Krankheit ausgeheilt ist. Sie sollten auch ihre jeweiligen Partner zu einer Untersuchung und Behandlung veranlassen. Neben diesen Pflichten jedes einzelnen ist es jedoch vor allem wichtig, dass jeder sexuell reife Mensch, also auch jeder Jugendliche, über Geschlechtskrankheiten genau informiert ist.


In den letzten Jahren ist im Hinblick auf dieses Ziel eine Reihe von Fortschritten zu verzeichnen. In den Vereinigten Staaten gibt es eine Organisation, die man gebührenfrei aus allen Teilen des Landes anrufen kann und wo Informationen über Behandlungsmöglichkeiten gegeben werden. In der Bundesrepublik Deutschland bieten Gesundheitsämter und Kliniken Beratung in diesen Fragen an. Bei ihnen stehen auch Informationsmaterialien zur Verfügung, die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und anderen Einrichtungen erarbeitet wurden.


Zusammenfassend ist bei Geschlechtskrankheiten zu beachten:


• Geschlechtskrankheiten sind nach wie vor gefährlich.


• Geschlechtskrankheiten können ohne jedes Symptom auftreten.


• Man kann sehr wohl verschiedene Geschlechtskrankheiten gleichzeitig haben.


• Frühzeitig behandelt, können Geschlechtskrankheiten am besten geheilt werden.


• Kostenlose Untersuchungen und Behandlungen werden von Gesundheitsämtern und manchen Kliniken angeboten.


• Jede Behandlung von Geschlechtskrankheiten unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.

• Eine Selbstbehandlung ist zwecklos und gefährlich. (In der Bundesrepublik Deutschland ist sie darüber hinaus gesetzlich verboten.)


• Geschlechtskrankheiten kann man immer wieder bekommen.


Die folgenden Kapitel bieten einige grundlegende Informationen über die verschiedenen Geschlechtskrankheiten.


 

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