Die Frauenbewegung in Deutschland

9.3.2 Die Frauenbewegung in Deutschland


Die emanzipatorischen Forderungen zur Gleichstellung der Frau, wie sie in Frankreich und England entwickelt wurden, gewannen erst verspätet, Anfang des 19. Jahrhunderts, auch in Deutschland an Einfluss. Im Gegensatz zu diesen Ländern gab es in Deutschland allerdings zunächst keine organisierten Frauen Vereinigungen. Die Diskussion um eine neu zu definierende Rolle der Frau fand in literarischen Zirkeln einiger Romantikerinnen wie Karoline Schlegel-Schelling (1763-1809), Rahel Varnhagen (1771-1833) und Bettina von Arnim (1785-1859) statt.


Unter Emanzipation der Frau wurde dabei zunächst ganz allgemein die „Befreiung des weiblichen Geschlechts von den Schranken, mit welchen es Naturverhältnisse und gesellschaftliche Einrichtungen umgeben" (so im „Brockhaus" von 1844) verstanden.


Nach dieser vorwiegend literarischen Auseinandersetzung und nach spontanen Vereinsbildungen der Frauen in der Revolution von 1848 kam es erst 1865 zu einer übergreifenden und kontinuierlichen Organisation der deutschen Frauenbewegung. Luise Otto-Peters (1819-1895) gründete den „Allgemeinen deutschen Frauenverein", der die Aufgabe haben sollte, „für die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen ihrer Entfaltung entgegenstehenden Hindernissen mit vereinten Kräften zu wirken".


Die Forderungen der Frauenbewegung wurden auch von männlichen Förderern wie den liberalen Politikern Adolf Lette (1799-1868) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) auf Bestrebungen zur Förderung der weiblichen Erwerbstätigkeit reduziert. Die politische Gleichberechtigung der Frauen trat zunächst als Fernziel zurück.


1866 wurde der „Lette-Verein" zur Vermittlung weiblicher Arbeit gegründet, um den Frauen bisher verschlossene oder noch nicht entdeckte Berufswege zu öffnen. Der Verein errichtete kaufmännische und gewerbliche Fortbildungsschulen, organisierte Schreibbüros und Stellenvermittlungen für Frauen. Er setzte sich für die Professionalisierung der Krankenpflege ein und versuchte, bessere Ausbildungs- und Anstellungsbedingungen für die traditionellen weiblichen Beschäftigungen in Erziehung und Hauswirtschaft durchzusetzen.


In den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts setzte eine rege Vereinsbildung ein. 1894 schlossen sich diese Vereine im „Bund deutscher Frauenvereine" zusammen. Der Dachverband wurde bald mit ca. 2500 angeschlossenen Vereinen und ca. einer halben Million Mitglieder einer der quantitativ stärksten Interessenverbände im deutschen Kaiserreich und die drittgrößte Organisation im „International Women's Council", dem internationalen Verband der Frauenbewegung.


Trotz dieser quantitativen Bedeutung blieben die realen Erfolge der Frauenvereine, gemessen an den europäischen Nachbarstaaten und den USA, in Deutschland gering.


Erst 1893 wurde die Zulassung für Frauen zum Abitur, erst um 1900 zu den Universitäten erkämpft. Im familienrechtlichen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde noch 1896 die untergeordnete Rolle der Frau in der Ehe erneut juristisch fixiert.


Auch begriff nur eine Minderheit der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der praktischen Arbeit engagierten Frauen und Männer die ökonomische Unabhängigkeit der Frau als Voraussetzung für ihre Emanzipation. Selbst für Luise Otto-Peters, Helene Lange, Gertrud Bäumer und andere bekanntgewordenen Agitatorinnen des „Allgemeinen deutschen Frauenvereins" blieben Ehe und Mutterschaft die „natürliche" Bestimmung der Frau. Berufstätigkeit der Frau wurde nur dann als Alternative gesehen, wenn diese „natürliche" Möglichkeit nicht gegeben war. Nur vom Zwang zur „unmoralischen", das heißt nicht auf gegenseitige Zuneigung gegründeten Versorgungsehe wollte man die Frau befreien und den wirtschaftlichen und sozialen Status der „alten Jungfer" aufwerten. Dabei verengte sich der von der Frauenemanzipation angesprochene Adressatenkreis. Die Frauenbewegung blieb


 
unter dieser Prämisse mehr oder weniger eine Bewegung der bürgerlichen Mittelklasse. Die Arbeits- und Rollenverteilung in der Ehe wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Erst nach 1900 begann die Diskussion über die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf. Für die Mehrheit des „Bundes deutscher Frauenvereine" war aber nicht die Ebenbürtigkeit der Frau mit dem Mann, sondern das „Wesen" der Frau, vorwiegend als Mütterlichkeit begriffen, Basis für die Forderungen der Frauenbewegung.


Politische Ansprüche - zum Beispiel das Wahlrecht - wurden nicht mit der Gleichheit der Geschlechter begründet, sondern mit der Andersartigkeit der Frau. Die Schulbildung der Mädchen sollte nicht durch Gleichsetzung mit den Jungen, sondern durch mehr Fraueneinfluss in höheren Mädchenschulen verbessert werden. Die Mehrheit des Bundes lehnte auch die Reform des Paragraphen 218 (Verbot der Abtreibung) ab. Die Begründung war nicht nur, dass das Gebären „rassehygienische Pflicht" der Frau sei. Sie hielten diese Forderung auch für unemanzipatorisch, weil der Frau die Selbstverwirklichung in der Mutterschaft - auch gegen ihren Willen - nicht genommen werden dürfe. Der linke Flügel des Bundes, darunter so radikale Vorkämpferinnen der Frauenemanzipation wie Hedwig Bohm (1833-1919) und Anita Augspurg (1857-1943), griff zwar diese Geschlechterpolarisation an, konnte sich aber gegenüber der bürgerlich-konservativen Mehrheit im „Bund deutscher Frauenvereine" nicht durchsetzen.


Eine kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich tabuisierten Sexualnormen wurde in dieser spezifisch bürgerlichen Frauenbewegung nur im Sonderfall der Prostitution geführt. Die Sittlichkeitsvereine, ein bedeutender Teil des „Bundes deutscher Frauenvereine", erkannten zwar die Prostituierten als Opfer wirtschaftlicher Not und der herrschenden Doppelmoral und wandten sich deshalb gegen die einseitige Bestrafung und polizeiliche Kontrolle der Frauen, vor allem gegen die „Kasernierung der Prostitution"; die sie erzeugenden Normen des Sexualverhaltens blieben jedoch unangetastet, Die Männer sollten zu der gleichen Tugendhaftigkeit erzogen werden, die auch den Frauen üblicherweise abverlangt wurde.


Der Übernahme des traditionellen Weiblichkeitsbegriffes entsprach es auch, dass sich in dem Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg die Sozialarbeit als eines der wichtigsten Aufgabengebiete der bürgerlichen Frauenbewegung entwickelte.


Trotz dieser relativ starken Begrenzung der bürgerlichen Emanzipationsforderungen war die Bedeutung und die persönliche Tragweite des emanzipativen Engagements der einzelnen Frau, die aufgrund ihrer Forderungen und Lebensweise gegen die meisten familiären und sozialen Normen verstieß, nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig gaben die Erfolge der Bewegung im Bildungsbereich der bürgerlichen Frau eine Chance zur selbständigen Persönlichkeitsentwicklung und die Möglichkeit zu verschiedenen Bildungs- und Berufskarrieren. So findet sich bis in die Zeit der Weimarer Republik kaum eine Frau in Wissenschafts- oder Bildungsberufen, die nicht im Kontakt zur Frauenbewegung stand und sich zumindest zeitweise mit ihr identifizierte.


Im Unterschied zu diesem bürgerlichen Teil der Frauenbewegung kämpften die Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Arbeiterinnenvereine um die politische Emanzipation und für ökonomische und soziale Verbesserungen mit Forderungen, die die Herrschaftsverhältnisse der damaligen Zeit grundsätzlich in Frage stellten. Unterschiede zur bürgerlichen Frauenbewegung zeigten sich vor allem auch in der Einstellung zu Ehe und Familie. Für proletarische Frauen war die Verbesserung ihrer Lage nur durch entscheidende wirtschaftliche Veränderungen herbeizuführen, wobei die Übertragung eines Teils der familiären Aufgaben auf die Gesellschaft eine Voraussetzung war. Auch die politischen Zielsetzungen unterschieden sich grundsätzlich von den Zielen der bürgerlichen Frauenbewegung und beruhten auf ganz anderen ideologischen Voraussetzungen. Wie die ökonomische Gleichberechtigung wurde auch die politische Gleichstellung der Frau als ein Teil der gesamten gesellschaftlichen Umwälzung gesehen, die in der Zusammenarbeit mit Männern innerhalb der Arbeiterbewegung und der Arbeiterparteien erreicht werden sollte.
 


Die bürgerliche Frauenbewegung


(Links) Rahel Varnhagen von Ense (1771-1833). Ihr Salon war der Mittelpunkt des literarischen und künstlerischen Berlin. In diesem Kreis trat sie besonders für die Emanzipation der Frau ein.
(Mitte) Luise Otto-Peters (1819-1895). Sie gründete den „Allgemeinen Deutschen Frauenverein" als die erste Organisation der deutschen Frauenbewegung.
(Rechts) Frauenversammlung um 1890 in Berlin.


Die proletarische Frauenbewegung


(Oben links) Clara Zetkin (1857-1933). Sozialistische Politikerin und Führerin der proletarischen Frauenbewegung. (Oben rechts) Rosa Luxemburg (1870-1919). Sozialistische Schriftstellerin und Politikerin, Ihre Verhaftung wegen Aufreizung zum antimilitaristischen Kampf führte 1914 zu großen Solidaritätskundgebungen der Frauenbewegung gegen den Krieg.
(Unten) Entwurf eines Plakates zum „Frauentag" 1914.

 

 

1879 erschien die erste Auflage von August Bebels Schrift „Die Frau und der Sozialismus", die zum meistgelesenen Werk der Sozialdemokratie wurde und alleine bis 1909 fünfzig Auflagen erlebte. Ausgehend von der zentralen These, dass die Frauenfrage mit dem grundsätzlichen Problem der Beseitigung der sozialen und ökonomischen Unterdrückung zusammenfällt, bestimmte Bebel die Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung in der Agitation und Organisation der Arbeiterinnen für die Sozialdemokratie, in der gewerkschaftlichen Interessenvertretung, in der Durchsetzung von Forderungen nach Arbeiterinnenschutz und rechtlicher Gleichstellung. 1891 wurde auch die Forderung des Frauenwahlrechts in das Parteiprogramm der Sozialdemokraten aufgenommen. Von der offiziellen Parteimitgliedschaft waren Frauen allerdings bis 1908 aufgrund des bestehenden Vereinsrechts ausgeschlossen.


Nach der Reorganisation der Sozialdemokratischen Partei nach Aufhebung der Sozialistengesetze (1890) begannen auch die Versuche, diese vereinsrechtlichen Beschränkungen zu umgehen, indem die Partei Frauen in die Organisation der SPD mit einbezog und ihnen die Repräsentation auf den Parteitagen ermöglichte.


Die Entwicklung einer eigenständigen Position der proletarischen Frauenbewegung innerhalb der SPD war dabei vor allem dem agitatorischen und schriftstellerischen Wirken von Clara Zetkin (1857-1933) zu verdanken. Sie präzisierte und erweiterte nicht nur die theoretischen Erkenntnisse der Sozialdemokratie zur Frauenemanzipation, sondern gab auch von 1890-1917 die Frauenzeitschrift der SPD „Die Gleichheit" heraus; sie war maßgeblich an der politischen Umsetzung der von ihr entwickelten Prinzipien zur Agitation und organisatorischen Erfassung der Industriearbeiterinnen beteiligt. Über die sozialistische Fassung des Begriffs einer „Befreiung der Arbeit" verwandelte sich für die SPD auch die Frauenfrage in eine Klassenfrage. Clara Zetkin setzte in einer Resolution auf dem Gothaer Parteitag 1896 eine grundsätzliche Trennung von der bürgerlichen Frauenbewegung durch. „Die kleinere und mittlere Bourgeoisie" schüre nur den „wirtschaftlichen Interessenkampf zwischen Männern und Frauen". Die proletarische Frauenbewegung habe dagegen „nicht spezielle Frauenagitation, sondern sozialistische Agitation unter den Frauen zu betreiben. Nicht die kleinlichen Augenblicksinteressen der Frauenwelt dürfen wir in den Vordergrund stellen, unsere Aufgabe muss es sein, die moderne Proletarierin in den Klassenkampf einzureihen."


Die Parteibindung und auch die politisch-ideologischen Gegensätze in der Frauenbewegung führten schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem endgültigen Bruch der Beziehungen zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung. Das Interesse des „Bundes deutscher Frauenvereine" an den Arbeiterinnen verschwand zwar nie völlig, ging aber nicht über die karitative Fürsorge für die „ärmeren Schwestern" hinaus.


Neben Forderungen nach beruflicher Gleichstellung und verstärkten Arbeitsschutzmaßnahmen für Frauen gewann innerhalb der proletarischen Frauenbewegung vor allem die Agitation für das Frauenwahlrecht seit der Jahrhundertwende eine massenwirksame Bedeutung. Begründet wurde dieses Recht mit der wirtschaftlichen Tätigkeit und ökonomischen Selbständigkeit der Frau. Die Radikalisierung der Wahlrechtsforderungen führte dabei auch zu einer Radikalisierung der Kampfformen für das Frauenwahlrecht. Auf der Frauenkonferenz in Mannheim 1906 und dem ersten internationalen Frauenkongress in Stuttgart 1907 wurde die Wahlrechtsfrage zu dem agitatorischen Schwerpunkt der Frauenbewegung. Die in Deutschland mit zahlreichen Agitationsprogrammen einsetzende Wahlrechtskampagne wurde dabei auch von sozialdemokratischen Frauen wie Clara Zetkin, Ottilie Baader (1847-1925) und Lily Braun (1865-1916) getragen.


Am 19. März 1911 fand ein erster internationaler Frauentag gleichzeitig in Deutschland, Österreich und in der Schweiz statt. Auf allen Kundgebungen wurde eine Resolution verabschiedet, die in Deutschland den Anträgen der sozialdemokratischen Fraktion auf Einführung des Frauenwahlrechts den nötigen Nachdruck verschaffen sollte. Die Verurteilung Rosa Luxemburgs (1870-1919) zu einem Jahr Gefängnis wegen „Aufreizung zum antimilitaristischen Kampf" führte 1914 zu großen Solidaritätskundgebungen und -demonstrationen, besonders unter den sozialdemokratischen Frauen.


Der internationale Frauentag von 1914 wurde dabei nicht nur eine wichtige Kundgebung für das Frauenwahlrecht, sondern auch ein demonstratives Bekenntnis für den Frieden.


Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges erhielten Frauen 1918 das aktive und passive Wahlrecht in Deutschland. 1919 zogen 41 weibliche Abgeordnete (9,6 Prozent) in die Weimarer Nationalversammlung ein. Aufgrund der durch den verlorenen Krieg bedingten wirtschaftlichen Krisen der Nachkriegszeit kam es zu erheblichen Einschränkungen der Frauenerwerbstätigkeit. Die radikalen Forderungen der Vorkriegsfrauenbewegung hinsichtlich sozialer und wirtschaftlicher Gleichstellung ließen sich in der schlechteren wirtschaftlichen Situation der zwanziger Jahre nicht massenwirksam vertreten oder durchsetzen.


Für die Frauenbewegung war die soziale Fürsorge und die Agitation zur Abschaffung des Abtreibungsparagraphen das Hauptaktionsfeld der Nachkriegszeit. Mitte der zwanziger Jahre entwickelte sich im Kampf gegen den Paragraphen 218 eine Massenbewegung, in der sowohl unorganisierte als auch parteigebundene Frauenrechtlerinnen die Verfügung über den eigenen Körper als allgemeines Interesse postulierten und die Trennung der bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung in dieser zentralen Frage aufhoben,


Die vielleicht bedeutendste Frauenrechtlerin dieser Zeit war Helene Stöcker (1869-1943). Als Leiterin des Bundes für Mutterschutz kämpfte sie unablässig für die Rechte unehelicher Mütter und Kinder, für eine menschlichere Sexualethik und „das Recht auf den eigenen Körper". Von vielen konservativen Frauen als zu radikal abgelehnt, wandte sie sich nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend dem Pazifismus zu. Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft musste sie aus Deutschland fliehen und gelangte über die Schweiz, England, Schweden, die Sowjetunion und Japan in die USA, wo sie, fast vergessen, starb. Ihr Werk ist aber sehr wohl eine Wiederentdeckung wert. Besonders als Herausgeberin der Zeitschriften „Mutterschutz" und „Die neue Generation" war sie sehr wichtig für die Sexualreform. Persönlich stand sie auch vielen Sexualforschem nahe, so besonders Iwan Bloch und Magnus Hirschfeld.


Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung (1933) wurden die bestehenden Frauenorganisationen aufgelöst und alle politische und parlamentarische Betätigung der Frauen verboten. An die Stelle der alten Frauenvereine traten nationalsozialistische Frauenorganisationen (NS-Frauenschaft, Frauenwerk, Bund Deutscher Mädel [BDM]), in denen im Lauf der dreißiger Jahre etwa ein Drittel der weiblichen Bevölkerung zusammengefasst wurde. Die Ideologie des Nationalsozialismus schrieb der Frau die Rolle der Mutter und der gehorsamen Helferin ihres Mannes zu. Die Sphäre der Frau sollte allein die Familie sein; dabei war es ihre Pflicht, über die rassische Reinheit zu wachen. Die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Frau und die emanzipative Frauenbewegung wurden von den Nationalsozialisten als „undeutsch" abgelehnt.

 


Helene Stöcker (1869-1943) Mitbegründerin und Leiterin des „Bundes für Mutterschutz". Sie kämpfte für die Rechte unehelicher Mütter und Kinder, „das Recht auf den eigenen Körper" (Abschaffung des § 218) und eine neue, menschlichere Sexualmoral. Als Pazifistin verließ sie Deutschland bei Hitlers Machtergreifung.


Nach Kriegsende hatten die Frauen zunächst die Männer zu ersetzen, die in Gefangenschaft geraten oder gefallen, krank oder arbeitsunfähig waren, umlernten oder studierten. Oft waren sie der Haushaltsvorstand, der die Familie zu ernähren hatte. Die Probleme dieser besonderen Situation führten schon direkt nach dem Krieg zur Gründung der ersten Frauenvereinigungen (1945 der „Berliner Frauenbund"; 1947 die „Notgemeinschaft 1947").


Durch die Teilung Deutschlands wurde die historische Trennung der Frauenbewegung in eine bürgerliche und eine proletarische Richtung zur politischen Realität. Die DDR proklamierte die Emanzipation der Frau in Anlehnung an August Bebel und Clara Zetkin als notwendige Folge der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen. Dem Gesetz nach wurden die Frauen in der DDR von Anfang an den Männern gleichgestellt. Artikel 7 der Verfassung von 1949 legte fest: „Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenwirken, sind aufgehoben." Die praktische Verwirklichung dieser gesetzlichen Festlegung konnte in der DDR trotz aller Verbesserungen der Stellung der Frau (zum Beispiel Integration und Gleichstellung der Frau im Berufsleben, Entlastung der Frauen von häuslichen und familiären Pflichten durch den Staat) bisher noch nicht voll durchgesetzt werden. So sind in der DDR Frauen zum Beispiel in den politischen Entscheidungsgremien des Staates und der SED, gemessen an ihrer Bedeutung für die Volkswirtschaft, stark unterrepräsentiert.


Eine ähnliche eindeutige Stellung zur Emanzipation der Frau findet sich in Artikel 3 („Gleichheit vor dem Gesetz") des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland von 1949: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" (Abs. 2) und „Niemand darf wegen seines Geschlechtes . . . benachteiligt oder bevorzugt werden" (Abs. 3). Im Gegensatz zur DDR blieben in der Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren die Frauenvereine der Tradition der alten bürgerlichen Frauenbewegung verhaftet. Dabei wurde versucht, die Forderungen nach Beteiligung der Frau in den Entscheidungsgremien in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vor allem durch Frauenverbandsarbeit in den verschiedenen Interessengruppen durchzusetzen. Als Kritik für diese Vorgehensweise der etablierten Frauenverbände, die die Mitbeteiligung der Frauen durchgesetzt haben, entstand in den späten sechziger Jahren in Verbindung mit der Studentenbewegung auch eine neue autonome Frauenbewegung.


1968 bildete sich in Berlin mit dem „Aktionsrat zur Befreiung der Frauen" und in Frankfurt/Main mit dem „Weiberrat" eine neue feministisch orientierte Frauenbewegung, die nicht mehr in den Agitations- und Organisationsformen der tradierten Frauenverbände wirken wollte. 1971, als die Journalistin Alice Schwarzer eine nach französischem Vorbild initierte Selbstanklagekampagne „Ich habe abgetrieben" führte, die die Illustrierte „Stern" in großer Aufmachung veröffentlichte, schlossen sich Tausende von Frauen spontan in Gruppen zusammen, die sich für die ersatzlose Streichung des Paragraphen 218 des Strafgesetzbuchs einsetzten.


Anfang der siebziger Jahre bildeten sich in fast allen größeren Städten der Bundesrepublik Frauenzentren, Frauenforen und Frauenhäuser, in denen die Isolation der Frauen in Familie und Beruf aufgebrochen und ein frauenspezifisches Selbstbewusstsein aufgebaut werden sollte. In Selbsterfahrungsgruppen nach dem Vorbild der amerikanischen Frauenbewegung wurde versucht, auch auf konkreter Basis Frauen zu helfen, aus ihrer Vereinzelung herauszukommen und sich von der Ideologie zu befreien, sie seien minderwertig.

 



Die Frauenbewegung der achtziger Jahre: Frauendemonstration zur „Walpurgisnacht" 1982 in Berlin.

 

Aus den USA wurde auch die kritische Auseinandersetzung der entstandenen „neuen" feministischen Bewegung aufgenommen, wobei vor allem die Bücher von Betty Friedan und Kate Millet in der Diskussion um eine Neuorientierung der bundesdeutschen Frauenbewegung großen Einfluss hatten. Seit 1976 gibt es eine Anzahl von Zeitschriften von Frauen für Frauen, die sich mit den verschiedensten frauenspezifischen Themen befassen. Bekannteste und auflagenstärkste Publikationen sind die von Alice Schwarzer herausgegebene „Emma" und die Berliner Frauenzeitschrift „Courage".


Die „neue" Frauenbewegung in der Bundesrepublik ist dabei keine homogene Bewegung mit einheitlicher Zielsetzung. Es lassen sich zwei Hauptströmungen ausmachen:


Einerseits Frauengruppen, die in der Tradition der proletarischen Frauenbewegung stehen und die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Frau nur im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Veränderung des kapitalistischen Gesellschaftssystem für erreichbar halten. Andererseits eine radikal-feministische Bewegung, die gegen die Unterdrückung der Frau durch die bestehenden Sexualnormen und patriarchalischen Verhaltensweisen den Kampf aufgenommen hat. Die Feministinnen fordern, dass Frauen sich auf ihr Geschlecht und auf ihren spezifischen Beitrag in der Gesellschaft besinnen sollten. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine von weiblicher Kultur und weiblichen Verhaltensweisen bestimmte Gesellschaft humaner sei als die bestehende, von Männern dominierte, patriarchalische Gesellschaft. Eine konkrete Forderung der Feministinnen ist das Recht auf Selbstbestimmung der Frau, wozu auch die Verfügung über den eigenen Körper, das Bekenntnis zu Homo- und Ambisexualität und das Recht, die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs selbst zu bestimmen, gezählt werden.


Die feministische Richtung stellt heute die quantitativ größere Gruppierung innerhalb der neuen Frauenbewegung in der Bundesrepublik dar.


Neben diesen Hauptströmungen der Frauenbewegung gibt es heute in der Bundesrepublik noch eine Anzahl von Aktivitäten zur Gleichstellung der Frau, die sich weitgehend der ideologischen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Richtungen der neuen Frauenbewegung entziehen. Hierzu sind vor allem alle Bestrebungen von Frauengruppen innerhalb der Parteien und der Gewerkschaften zur politischen und ökonomischen Gleichstellung von Frau und Mann zu zählen.


 

[Titelseite] [Inhalt] [Vorwort z. dt. Ausgabe] [Vorwort z. 2. Auflage] [Der menschl. Körper] [Das Sexualverhalten] [Sexualität & Gesellsch.] [Die sozialen Rollen] [Anpassung] [Ehe und Familie] [Sexuell Unterdrückte] ["Sexuelle Revolution"] [Anhang (Akt. Themen)] [Bildnachweis]