Der Status der Frau - heute

9.3.3 Der Status der Frau - heute


Seit den frühen Anfängen der Industriellen Revolution haben Frauen in Europa und Nordamerika im Kampf um Gleichberechtigung mit den Männern bedeutende Fortschritte erzielt, wenngleich hier noch viel zu tun bleibt. Natürlich hat die Industrialisierung die Stellung der Frau zunächst nicht verbessert, sondern sie eher verschlechtert, indem man Frauen und ihre Kinder ausnutzte und als billige Arbeitskräfte in die Fabriken schickte. In den vorhergehenden bäuerlichen und handwerklichen Gesellschaften hatten Frauen auf fast gleicher Basis mit den Männern gearbeitet und in vielen Berufen gewirkt. Die Familie galt noch als „Produktionseinheit", Frauen fanden Anerkennung, weil sie einen wesentlichen Arbeitsbeitrag leisteten. Dies alles wurde durch das arbeitsteilige Fabriksystem verändert, das die traditionelle Großfamilie mit ihrem umfangreichen Haushalt auflöste, und die Menschen zwang, monotone Arbeiten an ständig laufenden Maschinen zu verrichten. Frauen und Kinder wurden für ihre Arbeit wesentlich schlechter bezahlt als Männer, und so sank ihr wirtschaftlicher „Wert". Es bedurfte eines jahrzehntelangen Kampfes, bis Gewerkschaften und rechtliche Reformen die schlimmsten Auswüchse dieser Diskriminierung beendeten.


Gleichzeitig waren die Frauen der Mittel- und Oberschicht zunehmend an das Haus gebunden, wo sie außer der Kinderbetreuung wenig zu tun hatten. Ihre Ehemänner arbeiteten nun nicht mehr zu Hause, sondern waren fast den ganzen Tag abwesend. Diese unausgelasteten Frauen spielten oft die Rolle überempfindlicher, zerbrechlicher Wesen, die ihre „Vapeurs" hatten und in jeder „unfeinen" Situation in Ohnmacht fielen. Aber viele von ihnen standen ihrer Stellung in der Gesellschaft auch kritisch gegenüber. In Nordamerika fanden sie Zeit, sich religiösen und philosophischen Fragen zu widmen und setzten sich zunehmend für die Abschaffung der Sklaverei und die Frauenrechtsbewegung ein. Schließlich verlangten Frauen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie gemeinsam nach Veränderungen und trugen damit zum Erfolg des Feminismus bei. Dieser Erfolg ist immer noch nicht vollständig. Wie wir wissen, kämpfen noch heute Frauen, selbst in industrialisierten Ländern, um die Gleichberechtigung. Neben wirtschaftlichen Fragen treten jedoch heute auch Fragen der sexuellen Selbstbestimmung in den Vordergrund.


Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die relativ emanzipierten Frauen Europas und Nordamerikas nur eine kleine Minderheit der Frauen in der Welt von heute darstellen. Frauen in vielen nicht-westlichen Ländern und der sogenannten Dritten Welt leben allgemein im Zustand der Unterdrückung und des Elends. Ihre Kräfte werden weitgehend für den harten und unerbittlichen Kampf ums nackte Überleben verbraucht. Für sie klingt daher die Diskussion um die „sexuelle Befreiung" im westlichen Sinne bestenfalls irrelevant und schlechtestenfalls makaber. Ihre Sorgen sind elementarer und dringlicher. Das wurde zum Beispiel erschreckend deutlich, als die Vereinten Nationen 1975 zu einer „Internationalen Frauenkonferenz" in Mexico City einluden. Diese Konferenz zeigte eine ernste Kommunikationslücke zwischen den Frauen der Industriegesellschaften und denen der Dritten Welt. Sie offenbarte gleichzeitig ein düsteres Bild: Mehr als eine Milliarde Frauen (das ist die überwiegende Mehrheit der weiblichen Weltbevölkerung) leben in armen ländlichen Gebieten. Die meisten von ihnen sind Analphabeten, unterernährt, erschöpft oder krank. Sie sind gezwungen, viele Stunden täglich für wenig Lohn zu arbeiten. Natürlich müssen die Männer diese Härten teilen, aber die Frauen tragen immer noch die größte Last. In nahezu allen „unterentwickelten" Ländern werden die Jungen den Mädchen von Geburt an vorgezogen, da Eltern Söhne immer noch als Garantie wirtschaftlicher Sicherheit im Alter betrachten. Die Töchter hingegen heiraten in andere Familien. So werden selbst bei äußerster Verarmung Jungen besser genährt, gekleidet und erzogen als Mädchen. In Notlagen oder im Falle von Naturkatastrophen stehen die Bedürfnisse der Frauen gleichfalls an zweiter Stelle. Darüber hinaus haben in vielen armen Ländern Frauen wenig Rechte, sie werden früh verheiratet und haben dabei kaum ein Mitspracherecht. Zermürbende Arbeit und häufige Schwangerschaften erhalten sie in einem schwachen und abhängigen Zustand. Bemühungen der Regierungen und internationaler Organisationen, den allgemeinen Lebensstandard in den armen Ländern zu heben, können sehr wohl für die Frauen eine entgegengesetzte Wirkung zeitigen, indem sich ihre Arbeitsbelastung noch erhöht. Unter derart deprimierenden Umständen gewinnt das Wort „Frauenbefreiung" eine ganz besondere Bedeutung und stellt eine Herausforderung an die reichen und mächtigen Industrieländer dar.


Unterdessen haben einige der armen Länder große wirtschaftliche Fortschritte erzielt. In einigen Fällen, so in der Volksrepublik China, wurde auch ein bedeutendes Maß an sexueller Gleichberechtigung erreicht. Interessant ist auch, dass in jüngster Zeit in einigen Entwicklungsländern wie Indien und Sri Lanka Frauen zu Staatsoberhäuptern gewählt wurden. Insgesamt gesehen könnte man sagen, dass die Emanzipation der Frau nicht mehr eine ausschließliche Angelegenheit der Industrieländer ist und dass ihre weltumfassende Bedeutung zunehmend sichtbarer wird. Es besteht auch kaum Zweifel daran, dass die Forderung auch nach sexueller Gleichberechtigung nicht verstummen wird, bis sie überall garantiert ist.

 

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