Der Beginn des Feminismus in Europa

9.3.1 Der Beginn des Feminismus in Europa


Die Römer und Kelten der Antike gestanden den Frauen beachtliche Rechte zu. Aber unter dem Einfluss des Christentums verfiel ihr rechtlicher Status zunehmend. Im Mittelalter erfreuten sich alleinstehende Frauen noch vieler Rechte, auf die sie aber nach der Heirat zugunsten ihrer Ehemänner verzichten mussten. So waren Frauen generell Bürger zweiter Klasse. Trotzdem gelang es gelegentlich einzelnen Frauen, aus den üblichen Normen auszubrechen und ihre Zeitgenossen mit ihren Fähigkeiten zu beeindrucken. So bewiesen die Nonne Roswitha von Gandersheim als Dramatikerin, Wilhelmine von Böhmen als Religionsführerin und Jeanne D'Arc als Soldatin, dass Frauen selbst in „männlichen" Berufen nicht unterlegen waren. Königinnen im Mittelalter, wie Mathilde von Schottland (die Gemahlin Heinrichs I. von England) und Philippa von Hainault (die Gemahlin Eduards III. von England) hatten sogar einen erheblichen und sehr positiven politischen Einfluss.


In der Renaissance gab es gleichfalls mächtige Frauen, wie Diana von Poitiers, Margarete von Navarra, Katharina von Medici und Elisabeth I. von England. Einige adlige Frauen fanden auch Beachtung als Dichterinnen und Gelehrte, so zum Beispiel Margaret Roper, die Tochter von Thomas More. Die wachsende intellektuelle Unabhängigkeit der Frauen begann aber, einige Männer in Schrecken zu versetzen. Frauen wurden in Schmähschriften und Pamphleten angegriffen. Der schottische Religionsreformer John Knox führte in seinem Buch „Erster Trompetenstoß gegen das monströse Weiber-

 
regiment" (1558) aus: „Es ist der Natur nicht wohlgefällig und eine Beleidigung Gottes, der Frau eine Position zuzugestehen, in der sie das Zepter über irgendein Reich, eine Nation oder einen Staat schwingen kann . . . Die Frau ist in ihrer vollkommensten Art dazu geschaffen, dem Manne zu dienen und gehorsam zu sein, nicht, ihn zu beherrschen oder zu befehligen." Diese Beweisführung unter Hinweis auf das Naturrecht sollte in den folgenden Jahrhunderten noch sehr oft angewandt werden, nicht nur gegen Monarchinnen, sondern gegen alle Frauen, die nach Höherem strebten.


Es gab aber auch Verteidiger des Frauenrechts, wie Robert Vaughn, der in seinem Buch „Dialog zur Verteidigung der Frau, gegen böswillige Herabsetzung" (1542) die doppelte Moral verurteilte. Schließlich gingen auch einige Frauen zum Angriff über. So wurde zum Beispiel in der Schrift „Haec Vir, or the Womanish Man" (etwa: „Die Männin oder der weibliche Mann") (1620) erklärt: ,,Wir sind ebenso frei geboren wie Männer, haben die gleiche freie Möglichkeit zur Wahl und einen ebenso freien Geist, unser Körper ist aus dem gleichen Fleisch und Blut. Bei gleicher Freiheit können wir auch aus unserem Wesen Vorteile ziehen." Es ging soweit, dass man für beide Geschlechter die Gleichberechtigung forderte und die Unterdrückung der Frau mit der Sklaverei gleichsetzte.


Im 17. Jahrhundert traten einige Frauen, wie die schwedische Königin Christina, und Dichterinnen, wie die Gräfin La Fayette und Aphra Behn, als Gelehrte und als Autorinnen von Bühnenstücken hervor. In Frankreich begannen die Frauen, den „Salon" zu kultivieren. Darunter waren Zirkel zu verstehen, zu denen Männer und Frauen Zutritt hatten, und wo gutes Benehmen, Witz und Gelehrsamkeit geschätzt und gepflegt wurden. Dass solche Anstrengungen nicht überall Anklang fanden, wird in Molieres Komödien „Die lächerlichen Preziösen" (1659) und „Die gelehrten Frauen" (1672) deutlich, in denen sich der Dichter über die Bemühungen von Frauen um „höhere Kultur" lustig macht. Der Einfluss der Frauen auf das intellektuelle Leben Frankreichs blieb dennoch unvermindert bestehen, er ist bis heute spürbar. Von Madame de Sévigné zu Madame de Stael, George Sand, Simone de Beauvoir und Marquerite Yourcenar haben Frauen in der französischen Literatur einen herausragenden Platz eingenommen.


Obwohl weiblicher Intellekt und Scharfsinn in Ausnahmefällen anerkannt wurden, erhielten Frauen vorerst keine politischen Rechte. Mit dem neu entstehenden Kult der „Natur" in der Aufklärung wurde auch die intellektuelle Bildung der Frau als unangemessen betrachtet. In seinem einflussreichen Buch „Emile" konstatierte Rousseau zum Beispiel schlicht: „Also muss alle Erziehung der Frau auf die Männer bezogen sein. Uns zu gefallen und nützlich zu sein, sich bei uns beliebt und geehrt zu machen, uns in unserer Jugend zu erziehen und als Erwachsene zu umsorgen, uns zu raten und uns zu trösten, uns das Leben angenehm zu machen und zu versüßen, - das sind die Pflichten der Frauen zu allen Zeiten, und man muss sie sie von Jugend an lehren." Dies war lange Zeit die akzeptierte Meinung. Bei Ausbruch der Französischen Revolution im Jahre 1789 wurden vereinzelte Versuche unternommen, den Frauen Gleichberechtigung und gleiche Chancen auf Bildung zu sichern. Dabei tat sich 1790 insbesondere der Marquis de Condorcet durch seine Abhandlung „Die Gewährung der vollen Staatsbürgerschaft an Frauen" hervor. Leider wurde Condorcet bald selbst Opfer der revolutionären Schreckensherrschaft, und sein Vorschlag wurde, zusammen mit anderen, rasch verworfen. 1793 verbot die Nationalversammlung sogar alle Frauenklubs, Frauengesellschaften und „Salons" und versagte Frauen alle politischen Rechte. Inzwischen hatte Talleyrand die neue Erziehungspolitik definiert, die Mädchen bis zu ihrem achten Lebensjahr eine Grunderziehung zusicherte; danach hatten sie zu Hause zu bleiben.

 


Frauen als Herrscher

In der Geschichte Europas gab es eine Reihe bemerkenswerter Frauen als Staatsoberhäupter, deren Erfolge sich unbedingt mit denen ihrer männlichen Gegenspieler vergleichen lassen.


(Links) Elisabeth I. (1533-1603), Königin von England
(Mitte) Maria Theresia (1717-1780), Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen, Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs
(Rechts) Katharina II. die Große (1729-1796), Kaiserin von Russland.


 
Frauen als Soldaten

Einer der erfolgreichsten Heerführer aller Zeiten war ein junges Mädchen: Die „Jungfrau von Orleans" (Jeanne d'Arc, 1412-1431). Im Laufe der Geschichte spielen insgesamt Frauen beim Militär jedoch kaum eine aktive Rolle. Merkwürdigerweise berichten dennoch Mythen und Legenden vieler Kulturen von Frauen als Soldaten oder sogar von ganzen Frauenarmeen.


(Oben) Antike römische Skulptur einer kämpfenden Amazone, Die Amazonen sind ein legendäres Volk kriegerischer Frauen.
(Unten) Ein den Amazonen vergleichbares Motiv findet sich auch in der japanischen Kunst, wie auf diesem alten Holzschnitt eines unbekannten Künstlers zu sehen ist.

 


Die englische Schriftstellerin Mary Wollstonecraft, die die Französische Revolution aus nächster Nähe beobachtet hatte und die Rousseau und Talleyrand bewunderte, fühlte sich trotzdem berufen, gegen die reaktionären Strömungen zu protestieren. In ihrem Buch „Verteidigung der Frauenrechte" (1792) forderte sie beide männlichen Autoren heraus. Als Antwort auf Rousseau versicherte sie: „Die Frau wurde nicht nur geschaffen, um den Mann zu trösten . . . Auf diesem Missverständnis hinsichtlich der Geschlechtsunterschiede wurde das völlig falsche System errichtet, das unser Geschlecht all seiner Würde beraubt."


Sie forderte daher eine gleichberechtigte, umfassende Erziehung für alle Frauen, damit sie sich aus der sexuellen Unterdrückung befreien könnten. Die Berufung auf die „Natur" zur Rechtfertigung der Unterdrückung konnte sie nicht überzeugen. Rousseau hatte in diesem Zusammenhang mit folgender „objektiver" Beobachtung zu überzeugen versucht: „Jungen sind in ihrem Wesen sportlich, laut und aktiv: sie spielen Brummkreisel, schlagen die Trommel oder ziehen Karren einher. Mädchen hingegen sind mit äußerlichen Dingen und Putz zufrieden, Flitterkram, Spiegel und Puppen." Wollstonecraft ging auf dieses Argument ein: „Die Mädchen werden gezwungen, stillzusitzen und sich mit Tand zu umgeben. Wer sagt denn, dass sie damit zufrieden sind?" Nach ihrer Auffassung beruhte der Unterschied im männlichen und weiblichen Verhalten auf den von der Gesellschaft erfundenen „unnatürlichen" Unterscheidungen, deren Abschaffung sie forderte. Überdies verlangte sie nach gleichen Chancen und gleichen Rechten für die Frauen. Alle Berufe sollten ihnen offenstehen, sie sollten sich auch aktiv an der Politik beteiligen können, So wurde der Kampf um die „Menschenrechte" erweitert zu einem Kampf um die „Rechte der Menschheit".


Mary Wollstonecraft wurde durch ihr Buch zwar zu Lebzeiten berühmt -oder eher berüchtigt-, nach ihrem frühen Tod aber alsbald vergessen. Nachfolgende Generationen beschäftigte vor allem das große feministische Manifest von John Stuart Mill „Die Hörigkeit der Frau" (1869). Der scharfsinnige Essay eines der hervorragendsten englischen Denker gewann erheblichen Einfluss auf die Frauenbewegung. Mill schrieb ihn nach dem Tod seiner Frau, die den Anstoß dazu gab und die man eigentlich als seine Mitautorin betrachten muss. Mill, der sich nicht damit zufrieden gab, Frauen gleiche Berufschancen einzuräumen, forderte das Wahlrecht für Frauen und begründete zusammen mit anderen die erste Gesellschaft zur Erkämpfung des Frauenwahlrechts. Nach heftigen Kämpfen, an denen sich „Suffragetten" wie Lydia Becker und Emmeline Pankhurst und ihre Töchter beteiligten, dauerte es dennoch bis in unser Jahrhundert, bis die Frauen in England das Wahlrecht erhielten.


 

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