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8.1.1 Unbefragte Voraussetzungen
Die Geschichte der Sexualtherapie - ähnlich wie die Geschichte der Sexualforschung- ist noch zu schreiben. Bis heute liegen auf beiden Gebieten kaum vorläufige Studien vor. Das bedeutet in der Praxis, dass Sexualtherapeuten heute einen Beruf ohne Vergangenheit ausüben. Ohne die Kenntnis der Ursprünge und Traditionen ist jedoch eine kritische Selbsteinschätzung kaum möglich. Von jemandem, der seine Herkunft nicht kennt, kann man schwerlich erwarten, dass er sich über sein Ziel völlig im klaren ist. So können heute in diesem Zusammenhang nur Vermutungen angestellt werden.
Soviel kann man wohl aber sicher sagen: Von Hippokrates bis Masters und Johnson haben Therapeuten der verschiedensten Schulen sich nicht nur mit sexuellen Funktionsstörungen, sondern auch mit sexueller Abweichung beschäftigt. Sie haben nicht nur versucht, die sexuelle Potenz wieder herzustellen, zu erhöhen oder zu vermindern, sondern sie auch in sozial akzeptable Bahnen zu lenken, und sie haben dies in der Annahme getan, sie seien „Gehilfen der Natur", also Menschen, die anderen Menschen zu einem Zustand verhelfen, der eigentlich „natürlich" oder „von selbst" hätte eintreten sollen. Die erste und wichtigste unbefragte Grundannahme der Sexualtherapie war also der Glaube an eine „natürliche", gesunde Sexualität, die nur infolge negativer äußerer Einflüsse in ihrer Funktion gestört wurde oder abweichend sich entwickelte. Folglich würde auch die menschliche „natürliche Sexualität" wieder herzustellen sein, wenn diese äußeren Einflüsse ausgeschaltet und ihre negativen Folgen beseitigt werden.
Abgesehen von dieser Grundannahme, hatten die verschiedenen therapeutischen Ansätze jedoch wenig gemein. Sie verfolgten im Gegenteil über Jahrhunderte ganz gegensätzliche Strategien. Was einmal als natürliche Funktion verstärkt wurde, wurde zu anderen Zeiten als unnatürlicher Exzess abgeschwächt; ein Verhalten, das von dem einen Arzt als gesund empfohlen wurde, bezeichnete ein anderer als pathologisch. So erinnert beispielsweise Szasz mit Vergnügen daran, dass die antike römische Medizin Therapeuten empfahl, ihre Patientinnen zur Erhaltung der natürlichen Gesundheit zu masturbieren. Im 19. Jahrhundert wurden demgegenüber Frauen wegen des unnatürlichen Lasters der Masturbation behandelt, oftmals mittels Klitoridektomie. Im frühen 20. Jahrhundert empfahl Wilhelm Reich seinen Patienten erneut Masturbation, um die natürliche Sexualfunktion wieder herzustellen, und nach seinen Berichten folgten sogar einige seiner Kollegen unter den Wiener Psychoanalytikern heimlich dem altrömischen Rat und masturbierten
ihre Patientinnen im Rahmen der Therapie. Heute ist diese Art Therapie in den meisten Ländern aufgrund der ethischen Vorschriften der Berufsverbände für Ärzte und Therapeuten verboten.
Man kann hieraus ableiten, dass nicht nur therapeutische Verfahren, sondern auch ihre Ziele sich im Laufe der Zeit erheblich verändert haben. Die hauptsächliche Grundannahme blieb jedoch immer dieselbe: Ermutigung zur Masturbation oder ihre Unterdrückung dienten immer dazu, die „natürliche" sexuelle Reaktion wieder herzustellen und so die Gesundheit des Patienten zu fördern.
Die Tatsache, dass man mit dieser Argumentation so verschiedene und widersprüchliche Formen der Therapie rechtfertigen konnte, zeigt bereits, dass die Voraussetzungen ausgesprochen brüchig sind. Das Problem liegt in dem fragwürdigen Begriff der „Natürlichkeit", wie er hier verwendet wird. Was die verschiedenen Therapeuten jeweils als „natürlich" bezeichneten, war eher ein moralisches Urteil in medizinischem Gewand. In Wirklichkeit folgten sie also nicht dem Gang der „Natur", sondern eher ihren eigenen Moralvorstellungen. Das konnte kaum anders sein, denn der Glaube an eine „natürliche Sexualität" ist nicht auf wissenschaftliche Erkenntnisse gegründet - er kann dies auch nicht sein -, sondern er ist im Kern und unvermeidlich ideologisch.
Es ist natürlich gut zu verstehen, dass Sexualtherapeuten ihre moralischen Positionen nicht offen erläutern wollen und dass sie versuchen, so lang wie möglich scheinbar objektive Kriterien vorzuschützen, wie sexuelle Gesundheit und sexuelle Krankheit, weil sie dies vor direkter Kritik zu schützen scheint. Deshalb ist die Versuchung immer groß, auch bloße Meinungen „im Namen der Wissenschaft" zu präsentieren und auf angebliche Naturgesetze zu pochen. In Wissenschaften, die sich mit menschlichem Verhalten beschäftigen, ist ein solches Vorgehen jedoch nur bedingt nützlich, Diese Wissenschaften wurden früher nicht zufällig auch „moral sciences" (moralische Wissenschaften) genannt, im Gegensatz zu den „natural sciences" (Naturwissenschaften), die sich mit Themen befassten, die von menschlichen Entscheidungen unabhängig sind. Die Sexologie oder „Sexualwissenschaft" - wie sie von ihren Gründern genannt wurde - ist deshalb vor allem ein interdisziplinäres Fach, das Natur- und Geisteswissenschaften in sich vereinigt. Sexualtherapie ist, ähnlich wie Medizin oder jede andere therapeutische Intervention, niemals auf eine reine Wissenschaft zu reduzieren, sondern sie erhält ihre Berechtigung aus der moralischen Anwendung naturwissenschaftlicher Einsicht. Moralische Entscheidungen zu treffen, ist daher wesentlicher Bestandteil der Tätigkeit von Therapeuten. Es bleibt dann nur zu hoffen, dass diese Entscheidungen auch auf einer soliden wissenschaftlichen Grundlage gefällt werden.
Dies gilt auch für die Behandlung sexuell abweichenden Verhaltens, wenngleich hier heute auf den ersten Blick differenzierter vorgegangen wird als in der Vergangenheit. In der neueren, „progressiven" therapeutischen Literatur wurden beispielsweise die altmodischen Bezeichnungen „Perversion", „Aberration" und „Deviation", deren moralistischer oder auch religiöser Ursprung ziemlich offensichtlich war, durch den scheinbar objektiveren Begriff der „Paraphilie" ersetzt. Bei genauer Betrachtung ist dieser Begriff allerdings nicht weniger ideologisch als alle anderen. Er setzt noch immer voraus, dass es eine „natürlich" bestehende Norm gibt, eine richtige „Philie", mit einer Reihe noch weniger erfreulicher Sonderformen. Das Verhältnis zwischen dieser „Philie" und den „Paraphilien" ist ungefähr dasselbe wie zwischen medizinischen Berufen und „paramedizinischen" Berufen. Letztere gelten allgemein als zweitklassig. Sie stehen unter oder neben den ersteren und verdienen nicht denselben Respekt.
Diese verzerrte Sichtweise wird in der heute verbreitetsten Definition der „Paraphilie" deutlich: Das Diagnosenverzeichnis der amerikanischen Vereinigung für Psychiatrie (Diagnostic and Statistical Manual of the American Psychiatrie Association, DSM III 1980) definiert Paraphilie als einen Zustand, der sexuelle Reaktionen „gegenüber Objekten und Situationen" einschließt, „die nicht Teil üblicher Erregungsmuster sind und die die Fähigkeit zu gegenseitiger liebevoller geschlechtlicher Aktivität behindern können", Die „üblichen Erregungsmuster", die in diesem Zitat erwähnt werden, sind natürlich nichts als die versteckten Wertvorstellungen der Autoren, die der Ansicht sind, dass Sexualität nur gut sein kann, wenn sie liebevoll ist. „Gegenseitige liebevolle geschlechtliche Aktivität" ist nicht eine naturgegebene Verhaltensweise, sondern ein - modernes - kulturelles Ideal. Was hier als „üblich" bezeichnet wird, spiegelt in Wahrheit die Wünsche einer Reihe von amerikanischen Psychiatern wider. All diesen neuen terminologischen Winkelzügen zum Trotz gibt es eben in der Natur keine sexuelle Norm. Daraus folgt unter anderem, dass die heute häufig verwendeten Begriffe „psychosexuelle Störung" und „Paraphilie" verlassen werden müssen, da „psychosexuelle Störungsfreiheit" oder eine „richtige Philie" auf wissenschaftlichem Weg nicht bestimmbar sind. Für die Betroffenen oder die Gesellschaft nicht akzeptables Sexualverhalten ist neu zu definieren und zu klassifizieren, ohne dass auf die bisher gelegten Grundlagen Bezug genommen werden kann.
Was all dies für die Praxis bedeutet, kann an einer jahrelangen und noch lange nicht entschiedenen Kontroverse verdeutlicht werden, an der Frage, ob Homosexualität eine Krankheit ist oder nicht. In dem erwähnten „Diagnostic and Statistical Manual" wird Homosexualität nicht mehr erwähnt, außer im Zusammenhang einer neuen Störung, die als „egodystonic homosexuality" bezeichnet wird, und mit der homosexuelle Tendenzen benannt werden, die der Betroffene deutlich verspürt, aber nicht akzeptiert. Andererseits gibt es noch immer viele Psychiater, die Homosexualität als eine wie auch immer geartete Störung betrachten und die die Streichung des Begriffs aus dem Diagnosenverzeichnis für einen Fehler halten. Sie bezeichnen diese Entscheidung als unwissenschaftlich und lediglich politisch motiviert und wollen sie deshalb rückgängig machen.
Merkwürdigerweise scheint in dieser Auseinandersetzung noch niemand bemerkt zu haben, wie unwissenschaftlich und lediglich politisch motiviert die Entscheidung gewesen ist, Homosexualität überhaupt als psychiatrische Diagnose einzuführen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte zeigt jedoch, dass Wissenschaftlichkeit und Objektivität niemals Kriterien für die Beurteilung von Homosexualität waren. Auch der Begriff der Homosexualität als einem besonderen Zustand, der auf bestimmte Menschen zutrifft oder nicht, ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. So merkwürdig dies heute manchen Menschen scheinen mag, nicht nur der Begriff (der im übrigen in einem juristischen - nicht einem medizinischen - Zusammenhang von einem Vorkämpfer der „Schwulen"-Emanzipation 1869 geprägt wurde), sondern auch das Konzept der Homosexualität existiert erst seit der Industriellen Revolution. Die Frage ist also nicht, ob wir es bei der Homosexualität mit einem gesunden oder pathologischen Zustand zu tun haben, sondern ob es sich überhaupt um einen „Zustand" handelt.
Dies geht beispielsweise auch aus dem nicht-westlichen medizinischen Schrifttum hervor, wo homosexuelles Verhalten zu therapeutischen Zwecken empfohlen wird. Die umfangreiche sexologische Literatur der mittelalterlichen islamischen Gelehrten erwähnt so niemals etwas wie die moderne Homosexualität. Sie enthält jedoch einige Beobachtungen, die hiermit in Verbindung gebracht werden können und die für moderne Leser durchaus überraschend sind. Im 12. Jahrhundert schreibt beispielsweise Abu Nasr al-Isra'ilä (ein jüdischer Gelehrter, der in Bagdad geboren wurde und zum Islam übertrat) in einer umfangreichen Darstellung der Sexologie, dass viele Ärzte ihren
Patienten homosexuellen Geschlechtsverkehr empfehlen, um Gesundheit und jugendliches Aussehen zu erhalten. Die Gründe hierfür werden detailliert aufgeführt, sie sind auch vom medizinischen Standpunkt aus vollkommen logisch, wenn die Grundannahme akzeptiert wird. Diese Grundannahme ist selbstverständlich, dass sexuelle Aktivität immer „natürlich" sein muss, um der Gesundheit zuträglich zu sein.
Da dieser Text nicht sehr bekannt ist, sei hier eine kurze Zusammenfassung gegeben: Die Natur verlangt, dass Männer nur dann Geschlechtsverkehr haben, wenn sie dazu körperlich wirklich bereit sind, was sich an einer sehr starken Erektion erweist. Daraus folgt, dass Analverkehr mit Jungen immer gesund ist, da er nur unter dieser Voraussetzung stattfinden kann. Demgegenüber wird Vagnialverkehr auf Verlangen der Frauen häufig in halberigiertem Zustand ausgeführt, er ist also oftmals ungesund, weil er Anforderungen an den Körper des Mannes stellt, die dieser offensichtlich nicht erfüllen kann. Männer, die also - zumindest nach Überschreiten einer bestimmten Altersgrenze - ihre sexuelle Aktivität auf Jungen beschränken, führen ein längeres, gesünderes und natürlicheres Leben als diejenigen, die weiterhin Geschlechtsverkehr mit Frauen haben.
Dieses kurze Beispiel beweist, was eigentlich kaum noch zu beweisen war: dass ein Bezug auf die „Natur" jede Form menschlichen Sexualverhaltens rechtfertigen oder verurteilen kann. Eine weitere Folgerung ist jedoch im augenblicklichen Zusammenhäng noch interessanter: Offensichtlich gilt hier homosexuelles Verhalten, sogar eine ganz bestimmte Form homosexuellen Verhaltens, als eine einfache medizinische Empfehlung, der jeder vernünftige Mann folgen kann. Es wird nicht von „sexueller Orientierung" oder von einer „Abkehr" oder „Umkehr" von einer sexuellen Orientierung zu einer anderen gesprochen. Statt dessen wird das Problem zur rein praktischen Frage: Wenn heterosexueller Geschlechtsverkehr eine krankmachende Wirkung zu haben beginnt und also „ego-dystonic" wird, wenn also ein Mann beginnt, über seine schwache Gesundheit und seine infolge des Koitus nachlassenden Kräfte zu klagen, folgt er dem Rat seines Therapeuten und wechselt zu homosexuellem Geschlechtsverkehr über.
Die Tatsache, dass ein solcher Rat gegeben und in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht werden konnte, zeigt, dass die mittelöstlichen Patienten dieser historischen Periode noch nichts von der modernen strikten Zweiteilung in Hetero- und Homosexualität wussten, sondern dass sie zu einem gewissen Grade ihre erotische Reaktionsfähigkeit gegenüber beiden Geschlechtern sich erhalten hatten. Deshalb war eine grundsätzliche „Reorientierung" nicht erforderlich.
Diese Feststellungen werfen ein interessantes Licht auf einige gängige Therapiegropramme in den USA. Wir sind natürlich noch nicht wieder dahin gelangt, „ego-dystonische" Heterosexualität zu behandeln, aber einige Therapeuten versuchen noch immer - auch durch das neue Diagnosenverzeichnis ermutigt -, „homosexuelle" Klienten auf Wunsch in „heterosexuelle" zu verwandeln. Oft werden noch nicht einmal die Gründe für einen solchen Wunsch erfragt, und man hält sie auch für weitgehend unwichtig, der Therapeut akzeptiert kritiklos den Willen des Klienten und stellt sich vollkommen neutral. Angesichts der nach wie vor bestehenden verzerrten Wahrnehmung vieler Psychiater erscheint diese Neutralität jedoch vielen Beobachtern unaufrichtig. Wer versucht, das gesamte Problem auf seine geschichtlichen Aspekte hin zu untersuchen, wird es nicht für unwahrscheinlich halten, dass aus dieser Haltung eine Rückkehr zur früheren Parteilichkeit resultiert.
Wenn eine solche Rückkehr stattfinden sollte, würden Therapeuten vermutlich - wie sie dies oftmals taten - in der Annahme handeln, die Interessen der Gesellschaft und ihrer Klienten seien identisch. Sie werden sich selbst -wie viele dies heute tun - als ehrliche Doppelagenten sehen, die die verlorene Harmonie zwischen individuellem und gesellschaftlichem Interesse wieder herzustellen helfen. Sexualtherapie würde dann weiterhin die Rolle des Dieners zweier Herren spielen, in der Hoffnung, beiden gerecht zu werden.
Aber ähnlich wie der Glaube an die „natürliche Sexualität", kann diese zweite unbefragte Grundannahme einer kritischen Betrachtung kaum standhalten. Auch sie ist eine reine Selbsttäuschung. So schließen sich zunächst beide Grundannahmen gegenseitig aus. Kritische Therapeuten haben dies immer gewusst und haben daraus Konsequenzen gezogen. Denn wenn die Gesellschaft tatsächlich ein Interesse daran hätte, dass Menschen ein sexuell erfülltes Leben führen, könnten und würden sexuelle Funktionsstörungen nicht entstehen, und die Sexualtherapie wäre überflüssig. Die Tatsache, dass sie notwendig ist, bringt deshalb den Therapeuten mit bestimmten gesellschaftlichen Wertvorstellungen in Konflikt. Das bedeutet auch, dass diejenigen, die lediglich einem Menschen dazu verhelfen, gesellschaftlich „normal" zu sein, nicht wirklich therapeutisch tätig sind, sondern lediglich ein erwünschtes Verhalten trainieren.
Diese - oft unabsichtlich wahrgenommene - Funktion der Sexualtherapie als gesellschaftliche Kontrollinstanz ist vielen freiheitsliebenden Menschen unerträglich. Die neuerdings von autoritärer Seite vorgebrachten Angriffe gegenüber der Sexualerziehung und -therapie zeigen jedoch, dass diese Ängste übertrieben sind. Wenn ein radikaler Individualist wie Thomas S. Szasz sich gegen Therapeuten wie Masters und Johnson wendet, wählt er sich das falsche Ziel. Trotz ihrer ausgesprochen medizinischen Ausdrucksweise haben Masters und Johnson - wenn sie überhaupt etwas bewirkt haben - es erreicht, Sexualtherapie aus dem traditionellen, vorurteilsbeladenen psychiatrischen Zusammenhang herauszulösen und sie für offene Diskussionen zugänglich zu machen. Ihre vorsichtigen, praktischen und auf das Wesentliche beschränkten Therapieangebote gegenüber selbstverantwortlichen Klienten als medizinischen Machtmissbrauch zu bezeichnen, ist daher sicherlich verfehlt.
Wenn auch Szasz in diesem Zusammenhang das Problem nicht ganz trifft, ist seine grundlegende Besorgnis sehr ernst zu nehmen. In der Vergangenheit wurden die verschiedensten Formen der Sexualtherapie dazu verwendet, um vorgeblich „natürliche" Normen auch zögernden oder unwilligen „Patienten" aufzuzwingen, und es ist wichtig, diesen bedenklichen Aspekt der Vergangenheit der Sexualtherapie zu berücksichtigen. Diese Vergangenheit ist noch nicht zu Ende, wie aus einer Reihe missverständlicher Begriffe, unbefragter Voraussetzungen, gedankenloser Traditionen und anderer ideologischer Überbleibsel in diesem Bereich gesehen werden kann.
Wenn wir uns andererseits die heutige Praxis der Sexualtherapie betrachten, besteht kein Grund zur Beunruhigung. Gerade der neue, verhaltensorientierte Ansatz von Masters und Johnson hat der Sexualtherapie eine vertretbare Richtung gewiesen. Sexualität ist nicht Anfang und Ende menschlichen Glücks, und Sexualtherapie kann Glück nicht garantieren. Aber in der täglichen Praxis erweist sich, dass Sexualtherapie für viele Menschen einen deutlichen Gewinn darstellt. Wenn Sexualtherapie auf einer soliden theoretischen Grundlage stattfindet und sie sich ihrer nicht haltbaren unbefragten Grundannahmen bewusst wird, verdient sie nicht nur die Unterstützung eines Thomas S. Szasz, sondern jedes vernünftigen Menschen.
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