Die sexuelle Reaktion beim männlichen Geschlecht

2.2 Die sexuelle Reaktion beim männlichen Geschlecht


Jeder gesunde Mensch ist zur Reaktion auf sexuelle Reize fähig. Diese Reaktion ist bei keinem Menschen genauso wie bei einem anderen, das physiologische Grundprinzip ist jedoch bei allen Menschen sehr ähnlich.


Sexuelle Aktivität verursacht im Körper eine Reihe charakteristischer Veränderungen: Pulsbeschleunigung, Blutdruckanstieg, Anschwellen bestimmter Organe, Muskelkontraktionen, Sekretion von Drüsen und eine Reihe weiterer Anzeichen steigender Erregung, bis sich die Spannung schließlich in einer lustvollen, anfallsähnlichen Reaktion entlädt, die man Orgasmus nennt.


Diese körperlichen Veränderungen sind den Menschen seit jeher bewusst. Einzelheiten waren jedoch bis vor kurzem weitgehend unerforscht. Es gab einfach keine objektiven, wissenschaftlichen Studien. Man empfand im Gegenteil schon die Idee, sexuelle Reaktionen zu beobachten und zu untersu-


chen, als absurd. Inzwischen hat sich die Situation aber entscheidend verändert. Die Pionierarbeiten von Wissenschaftlern wie Kinsey, Masters und Johnson haben uns zu neuen Einsichten verhelfen und viele herkömmliche Auffassungen und Annahmen revidiert. Heute gibt es auf der ganzen Welt viele Wissenschaftler, die durch ihre Forschungen unser Verständnis der sexuellen Reaktion weiter vervollständigen.


Beim Menschen kann sexuelle Erregung fast jederzeit, auf unterschiedlichste Weise und durch viele verschiedene Ursachen entstehen. So kann zum Beispiel ein Mann zu jeder Tages- und Nachtzeit durch den Anblick oder das Berühren einer bestimmten Person, durch bestimmte Gerüche oder Töne oder ganz einfach durch Gedanken, Erinnerungen oder Phantasien erregt werden. Die Möglichkeiten sexueller Erregung sind so vielfältig, das man sie nicht leicht systematisieren kann; ein solcher Versuch wird deshalb hier nicht unternommen. Trotzdem kann es sinnvoll sein, die wichtigsten, zu sexuellen Reaktionen führenden Reize kurz zu besprechen.


Von den fünf Sinnen des Menschen scheint der Tastsinn am häufigsten zur sexuellen Erregung zu führen. Der Tastsinn wird von Nervenenden in der Haut und tiefer im Gewebe vermittelt. Bestimmte Regionen des Körpers weisen besonders viele solcher Nervenendigungen auf, sie sind also berührungsempfindlicher und daher auch empfänglicher für sexuelle Stimulierung. Man hat diese Körperregionen deshalb auch „erogene" Zonen genannt (wörtlich:,,Liebe produzierende" Zonen, von griech. eros: Liebe und -genes: entstehen lassend).


Die bekanntesten erogenen Zonen sind die Eichel beim Mann, die Klitoris und die kleinen Schamlippen bei der Frau, der Bereich zwischen den Geschlechtsorganen und dem Anus, der Anus selbst, das Gesäß, die Innenflächen der Oberschenkel, die Brüste (besonders die Brustwarzen), der Nacken, der Mund und die Ohren. Berührung, Streicheln, Kitzeln, Reiben, Klopfen, Lecken oder Küssen dieser Bereiche kann sexuelle Erregung auslösen oder verstärken. Dies ist allerdings keine automatische Reaktion. Es hängt viel davon ab, welche früheren Erfahrungen ein Mensch gemacht hat und unter welchen Umständen diese Stimulierung erfolgt. Wenn zum Beispiel ein Arzt einen Patienten untersucht und dabei dessen erogene Zonen berührt, führt dies meist nicht zu einer sexuellen Reaktion. Das gilt auch für Vergewaltigungen, Psychische Faktoren spielen also für über das Tastgefühl vermittelte Reaktionen eine entscheidende Rolle, (Von dieser Regel gibt es einige Ausnahmen, insofern als der Körper auch reflektorisch auf Berührung reagieren kann. Ein querschnittsgelähmter Mann kann zum Beispiel bei Berühren seines Penis eine Erektion haben, ohne dass dieser Reiz das Gehirn erreicht.)


Unterschiedliche Erfahrungen führen bei verschiedenen Menschen zu einer unterschiedlichen Sensibilität. Negative Erinnerungen können dazu führen, dass jemand überhaupt nicht auf Berührungen reagiert. Es gibt Menschen, die sogar während des Geschlechtsverkehrs möglichst wenig berührt werden wollen. Andererseits können lustvolle sexuelle Begegnungen dazu führen, dass man an seinem Körper ganz neue erogene Zonen entdeckt. Alles in allem muss jeder für sich selbst herausfinden, wo er selbst (oder sein Partner) auf Berührungsreize am besten reagiert.


Den meisten Menschen ist bewusst, dass sie nicht nur durch Berührung sexuell erregbar sind, sondern auch durch das, was sie sehen, hören, riechen oder schmecken. Der Anblick eines schönen Körpers, der Klang einer verführerischen Stimme, der Geruch eines Parfüms, der Geschmack bestimmter Gerichte oder die Drüsensekretionen eines geliebten Menschen können sehr wirksame Reize sein. Ihre Wirkung hängt jedoch ganz wesentlich davon ab, was geistig damit assoziiert wird. Ein bestimmter Anblick, ein Geräusch, ein Geruch oder ein Geschmack erregen einen Menschen dann, wenn damit eine vorangegangene lustvolle sexuelle Erfahrung in Verbindung gebracht werden kann, (Unerfreuliche Assoziationen haben andererseits eine negative Reaktion zur Folge, und sie können sexuelle Erregung vermindern.)


Aus diesen Ausführungen folgt, dass es erotische Anblicke, Töne oder Gerüche als solche nicht gibt. Dazu werden sie erst in der Folge bestimmter erotischer Erfahrungen. Daraus wird verständlich, dass verschiedene Epochen und Kulturen sehr unterschiedliche Schönheitsideale hatten, dass etwa ein bestimmtes Musikstück die einen stark erregt, andere dagegen nicht. (Vgl. a. Kap. 6 „Die Entwicklung des Sexualverhaltens".)


Die sexuelle Reaktion des Menschen wird stark von psychischen Faktoren bestimmt, und viele Menschen können allein durch Phantasien erregt werden. Manche erreichen so sogar einen Orgasmus. Männer scheinen durch erotische Gedanken, Phantasien und Vorstellungen leichter beeinflussbar zu sein als Frauen. Beim Geschlechtsverkehr erreichen die meisten Frauen den Orgasmus vor allem durch körperliche Reize (vgl. Kap. 3.2 „Die sexuelle Reaktion beim weiblichen Geschlecht").


Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass manche scheinbar sexuellen Reaktionen keine sexuellen Ursachen haben. Viele Männer wissen beispielsweise, dass das Heben schwerer Gewichte oder eine gefüllte Harnblase zu einer Erektion fuhren kann. Es gibt auch seltene Fälle von krankhafter Dauererektion (Priapismus), einem äußerst schmerzhaften Zustand, der den Penis erheblich schädigen kann.


Wenn ein Mann stark erregt ist, versucht er, sich durch sexuelle Aktivität Befriedigung zu verschaffen. Welche Aktivität er dann wählt, hängt natürlich von den äußeren Umständen ab. Ganz gleich aber, wofür er sich entscheidet, das Grundmuster seiner körperlichen Reaktion ist immer das gleiche. Das bedeutet, dass es vom physiologischen Standpunkt keinen Unterschied macht, ob die sexuelle Reaktion durch Masturbation oder irgendeine Form von Geschlechtsverkehr ausgelöst wurde (vgl. a. Kap. 7 „Formen des Sexualverhaltens"). Die psychische Dimension des Erlebnisses kann ganz unterschiedlich sein, die körperlichen Vorgänge bleiben dieselben.


Man muss allerdings berücksichtigen, dass auch körperliche Reaktionen bei zwei Menschen niemals identisch sind, nicht einmal bei derselben Person zu zwei verschiedenen Gelegenheiten. Menschen sind eben keine Maschinen vom Fließband. Jede allgemeine Beschreibung der sexuellen Reaktion des Menschen kann daher auch nur genau das sein - allgemein. Die jeweiligen Reaktionen bestimmter Individuen zeigen zwangsläufig individuelle Varianten. (Manche Männer können zum Beispiel auch mit schlaffem Penis einen Orgasmus haben und ejakulieren.) Die folgende Zusammenfassung darf deshalb nicht als Norm oder Vorbild für sexuelles Verhalten verstanden werden. Ihr Ziel ist es lediglich, einige grundlegende Kenntnisse bestimmter körperlicher Funktionen zu vermitteln.

 

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