Die vier Phasen der sexuellen Reaktion

2.2.1 Die vier Phasen der sexuellen Reaktion


Wie oben beschrieben, sind die anatomischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht groß. Ihre sexuellen Reaktionen sind sich daher sehr ähnlich. Es gibt einige wichtige Unterschiede, aber sie sind nicht entscheidend. Man kann daher ohne weiteres von der allgemeinen sexuellen Reaktion des Menschen und ihren männlichen und weiblichen Varianten sprechen.


Sexuelle Aktivität führt zu bestimmten physiologischen Veränderungen im Körper, die nach einem bestmimten typischen Muster verlaufen. Man kann dieses Muster am einfachsten als Auf- und Abbau von Spannungen beschreiben. Um die Vorgänge jedoch besser zu verstehen, haben Wissenschaftler die sexuelle Reaktion in drei oder vier verschiedene Phasen eingeteilt. Dabei ist


zu berücksichtigen, dass natürlich jede menschliche sexuelle Erfahrung ein Ganzes bildet, dass also alle Aufteilungen in Phasen oder Stadien künstlich und willkürlich sind. Auf diese Weise wird jedoch möglicherweise besser verständlich, wie der Körper auf sexuelle Stimulierung reagiert. Der folgenden Beschreibung der sexuellen Reaktion beim männlichen Geschlecht liegt ein von Masters und Johnson erarbeitetes Vier-Phasen-Schema zugrunde. Obwohl sicherlich feinere Unterscheidungen denkbar sind, ist das Modell von Masters und Johnson für den hier verfolgten Zweck ausreichend. (Bezogen auf das weibliche Geschlecht wird dieses Modell in Kap. 3.2.1 beschrieben.)


1. Erregungsphase


Sexuelle Erregung kann ganz unerwartet und schnell auftreten, besonders bei jüngeren Männern, sie kann aber auch nach und nach über eine längere Zeitspanne hin entstehen. Manche Menschen lenken ihre Aufmerksamkeit bewusst immer wieder ab, um so die Erregungsphase länger genießen zu können. Besonders im Anfangsstadium kann die sexuelle Erregung leicht durch Einflüsse von außen oder durch plötzlich aufkommende Ängste und Besorgnisse vermindert werden. Mit steigender Erregung verlieren solche negativen Einflüsse aber an Wirksamkeit. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle schwindet, und die gewohnten Hemmungen werden abgebaut.


Das auffälligste Zeichen sexueller Erregung ist beim männlichen Geschlecht die Erektion des Penis. Die drei Schwellkörper (zwei Corpora cavernosa und ein Corpus spongiosum) füllen sich mit Blut, wodurch der Penis sich hebt und versteift. Gleichzeitig zieht sich die glatte Muskulatur des Hodensacks zusammen, seine Haut verdickt sich, die Hoden werden durch die Muskeln der Samenstränge aufwärts zur Bauchhöhle gezogen.


Mit zunehmender sexueller Erregung steigt die Muskelspannung. Pulsfrequenz und Blutdruck erhöhen sich. Zusätzlich kommt es bei einzelnen Männern zu einem „sex flush"-Phänomen, einer Hautrötung, die gewöhnlich am Unterleib beginnt, auf Nacken und Gesicht, gelegentlich auch auf Schultern und Schenkel übergreift. Der „sex flush" tritt manchmal erst gegen Ende der Erregungsphase oder in der Plateauphase auf. In vielen Fällen bleibt diese Erscheinung jedoch aus.


Dies gilt auch für ein anderes mögliches Phänomen: die Erektion der Brustwarzen. Auch sie findet nicht bei allen Männern statt. Bei einigen kann sie durch direkte Stimulation der Brustwarzen herbeigeführt werden. Eine spontane Erektion findet am ehesten gegen Ende der Erregungsphase statt und hält dann durch alle weiteren Phasen an.


Ein weiterer Sachverhalt sollte hier noch erwähnt werden: Manchmal kann ein Mann keine Erektion bekommen oder behalten, obwohl er erregt ist und ein deutliches Verlangen nach sexueller Betätigung hat. Er kann dann natürlich die weiteren Phasen der sexuellen Reaktion nicht durchlaufen. Ein solches gelegentliches Fehlen der Erektion kann vielerlei Gründe haben, meist ist es auf besondere Umstände oder eine bestimmte Situation zurückzuführen. Beide Partner sollten dieses Ereignis nicht überbewerten und sich sexuellen Praktiken zuwenden, bei denen es keines erigierten Penis bedarf. Auf alle Fälle besteht kein Grund zur Beunruhigung. Wenn das Problem jedoch häufiger oder regelmäßig auftritt, ist es empfehlenswert, fachlichen Rat einzuholen. (Vgl. a. Kap. 8.2 „Sexuelle Funktionsstörungen".)


2. Plateauphase


Die Plateauphase ist nichts anderes als die Fortsetzung der Erregungsphase. Das Wort „Plateau" weist darauf hin, dass ein bestimmter Grad der Erregung erreicht ist, der eine bestimmte Zeit bestehen bleibt, bis es zum Orgasmus kommt. Wenn die sexuelle Erregung einmal diesen Punkt erreicht hat, wird man nicht mehr leicht abgelenkt, die Umgebung wird nebensächlich. Mit zunehmender sexueller Stimulierung steigt auch die Spannung der willkürlichen und unwillkürlichen Muskulatur. Pulsfrequenz und Blutdruck steigen weiter, die Atmung wird schneller.


In der Plateauphase verändert sich der erigierte Penis nicht wesentlich. Die Hoden dagegen werden merklich dicker und werden noch dichter an den Unterleib herangezogen. Die Bulbourethraldrüsen (Cowper-Drüsen) sondern ein paar Tropfen klarer Flüssigkeit ab, die aus der Harnröhre austreten können. (Diese Tropfen können auch Samenzellen enthalten. Daran sollte gedacht werden, wenn eine Schwangerschaft verhindert werden soll. Vgl. a. Kap. 4.4 „Empfängnisverhütung- Koitus interruptus".)


Das oben erwähnte „sex flush"-Phänomen kann in dieser Phase erstmals auftreten, oder es verstärkt sich. Es muss noch einmal betont werden, dass nicht alle Männer einen „sex flush" haben. Das gilt auch für die Erektion der Brustwarzen. Wenn diese Erektion jedoch während der Plateauphase stattfindet, hält sie durch die weiteren Phasen an.


3. Orgasmusphase


Der Orgasmus (von griech. orgasmos: lustvolle Erregung) ist das plötzliche Nachlassen der Muskel- und Nervenanspannung auf dem Höhepunkt sexueller Erregung. Dieses Erlebnis stellt den intensivsten körperlichen Genuss dar, dessen ein Mensch fähig ist. Er ist beim männlichen und weiblichen Geschlecht prinzipiell gleich. Ein Orgasmus dauert nur wenige Sekunden und er wird wie ein kurzer krampfartiger Anfall oder eine schnelle Folge von Zuckungen erlebt, die den ganzen Körper ergreifen und dann rasch zu völliger Entspannung führen. Bei geschlechtsreifen Männern kommt es gleichzeitig mit dem Orgasmus zur Ejakulation (von lat. eiaculare: herausschleudern) der Samenflüssigkeit.


Beim männlichen Geschlecht beginnt der Orgasmus mit rhythmischen, unwillkürlichen Kontraktionen der Genitalgänge und der dazugehörenden Organe (Samenleiter, Samenblase, Prostata), der Urethra, der Muskeln an der Peniswurzel und schließlich des Penis selbst. Die ersten drei oder vier Kontraktionen erfolgen in Abständen von weniger als einer Sekunde, danach werden sie schwächer und die Abstände länger. Im Gefolge der Kontraktionen wird der Samen durch die Harnröhre in mehreren schnellen Schüben herausgeschleudert. Die Wucht der Ejakulation kann von einem Mal zum anderen sehr unterschiedlich sein, sie hat nichts mit der Kraft oder Virilität eines Mannes zu tun. Die Menge ejakulierter Samenflüssigkeit entspricht etwa einem Teelöffel voll. Kommt es zu wiederholten Ejakulationen innerhalb kurzer Zeit, wird die Menge jedes Mal geringer.


Die Kontraktionen der Geschlechtsorgane und die Ejakulation der Samenflüssigkeit sind die deutlichsten Zeichen des Orgasmus. Man darf jedoch nicht vergessen, daß auch der übrige Körper einbezogen ist. Die Schließmuskeln der Harnröhre und des Anus beispielsweise kontrahieren sich im gleichen Rhythmus wie die Geschlechtsorgane. Alle Muskeln sind stark angespannt, die Atmung wird rascher, Pulsfrequenz und Blutdruck steigen noch höher an als in der Plateauphase. Das plötzliche, krampfartige Nachlassen dieser allgemeinen Anspannung ist für den Orgasmus charakteristisch. Die Ejakulation von Samenflüssigkeit ist im Vergleich zu dieser Entspannung von nachrangiger Bedeutung,


Orgasmus und Ejakulation sind zwei verschiedene Vorgänge. Ein Mann kann zwar ohne Orgasmus nicht ejakulieren, aber es kann sehr wohl ohne Ejakulation zum Orgasmus kommen. Das einfachste Beispiel ist der Orgasmus von Jungen vor der Pubertät: Ihre inneren Geschlechtsorgane sind noch nicht hinreichend entwickelt, um Samenflüssigkeit zu produzieren, sie können also auch nicht ejakulieren; trotzdem können Jungen einen Orgasmus haben.


Es gibt aber auch erwachsene Männer, die erst Sekunden nach dem Orgasmus ejakulieren, die also beide Vorgänge getrennt wahrnehmen. Andere Männer haben, nach mehreren Orgasmen innerhalb kurzer Zeit, Orgasmen ohne Ejakulation, da vorübergehend keine Samenflüssigkeit mehr verfügbar ist. Es muß jedoch betont werden, daß es nur wenige - meist junge - Männer gibt, die innerhalb kurzer Zeit mehrere Orgasmen haben können. Mehrfacher Orgasmus ist bei Frauen demgegenüber viel häufiger.


Manche Männer behaupten, einen Orgasmus ohne Ejakulation zu haben, indem sie eine Form des Geschlechtsverkehrs praktizieren, die man „Carezza" oder „Coitus reservatus" nennt. Dabei versucht der Mann, seinen erigierten Penis nach dem Eindringen in die Vagina möglichst wenig zu bewegen. Das Ziel ist eine vor allem geistige Vereinigung der Partner, und man sagt, sie erreichten auf diese Weise eine verlängerte Lustphase mit mehreren Orgasmen. Jedenfalls bleibt der Mann wohl länger in der Plateauphase, was für beide befriedigend sein kann. Ihre „Orgasmen", die sicher für beide Partner besondere Höhepunkte dieser Form des Geschlechtsverkehrs darstellen, sind jedoch nicht mit den physiologischen Vorgängen identisch, von denen hier die Rede ist.


Ein ganz spezielles Phänomen bildet die retrograde Ejakulation: Bei manchen Männern funktionieren die an der Ejakulation beteiligten Muskeln so, daß die Samenflüssigkeit nicht nach außen ejakuliert, sondern in die Harnblase abgegeben und später mit dem Harn ausgeschieden wird. Äußerlich wirkt das, als sei es bei solchen Männern überhaupt nicht zur Ejakulation gekommen. Einige Männer behaupten, diese Muskelreaktion bewußt herbeiführen und als Empfängnisverhütungsmittel einsetzen zu können.


4. Rückbildungsphase


Nach dem Orgasmus kehren die Geschlechtsorgane (und mit ihnen der ganze Körper) in relativ kurzer Zeit wieder zum vorherigen, nicht-erregten Zustand zurück. Die Dauer der Rückbildungsphase ist proportional zur Dauer der Erregungsphase. Die deutlichste körperliche Veränderung während dieser Phase ist das Nachlassen der Erektion, das in zwei Stadien verläuft. Der hauptsächliche Rückgang der Erektion findet unmittelbar nach der Ejakulation statt. Der Penis behält jedoch zunächst noch eine gewisse Steife, die einige Zeit anhalten kann, besonders wenn die Erregungs- und Plateauphase lang war. Nicht-sexuelle Handlungen und Ablenkungen können den Verlust der Erektion rasch herbeiführen.


Das zuvor erwähnte „sex flush"-Phänomen verschwindet rasch. Die Erektion der Brustwarzen, falls sie überhaupt vorhanden war, bleibt noch eine gewisse Zeit bestehen. Die Muskelspannung im Körper läßt nach. Atmung, Pulsfrequenz und Blutdruck normalisieren sich wieder. Manche Männer schwitzen unmittelbar nach der Ejakulation, diese Reaktion beschränkt sich dann jedoch meist auf Handflächen und Fußsohlen.


Abschließend soll hier noch angemerkt werden, daß beim männlichen Geschlecht unmittelbar nach dem Orgasmus eine Phase sexueller Reizunempfindlichkeit eintritt (Refraktärperiode). Während dieser Zeit, die bereits in der Rückbildungsphase beginnt, ist keine Reaktion auf sexuelle Reize möglich, das heißt, es kann zu keiner neuen Erektion und keinem weiteren Orgasmus kommen. Die Refraktärperiode ist bei manchen Menschen sehr kurz, besonders in jungen Jahren, sie nimmt aber gewöhnlich mit dem Alter zu. Auch beim weiblichen Geschlecht gibt es manchmal eine solche Refraktärperiode, obwohl viele Frauen mehrere Orgasmen in schneller Folge haben können.

 

Die sexuelle Reaktion beim männlichen Geschlecht

Wilhelm Reich war einer der ersten, die den Ablauf der sexuellen Reaktion untersuchten. Er nannte sie die „Orgasmusformel" und schlug vor, sie in vier Hauptphasen zu unterteilen: 1. mechanische Spannung, 2. bio-elektrische Ladung, 3. bio-elektrische Entladung, 4. mechanische Entspannung*. In neuerer Zeit wurden diese vier Phasen von Masters und Johnson neu benannt als 1. Erregungsphase, 2. Plateauphase, 3. Orgasmusphase, 4. Rückbildungsphase. Sie führten zusätzlich eine fünfte Phase ein, die Refraktärperiode. Im folgenden wird die sexuelle Reaktion der männlichen Geschlechtsorgane nach Masters und Johnson beschrieben. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß es sich eigentlich um eine Reaktion des ganzen Körpers handelt.
 

 

(5. Refraktärperiode)

Auf den Orgasmus folgt eine Periode, in der beim männlichen Geschlecht auf weitere sexuelle Reize keine Reaktion möglich ist. Diese sogenannte „Refraktärperiode" kann in jungen Jahren relativ kurz sein, ihre Dauer nimmt jedoch mit fortschreitendem Alter zu.



 

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