Die Masturbation

7.1.2 Die Masturbation


Das Wort „Masturbation" leitet sich von dem lateinischen Verb masturbare ab (lat. manus: Hand und entweder lat. stupare: besudeln oder lat. turbare: stören). Das Wort wurde erst vor 200 Jahren in die deutsche Sprache übernommen. Heute ist das Wort Masturbation in fast allen europäischen Sprachen zu finden, und in Lehrbüchern hat es inzwischen alle anderen Ausdrücke ersetzt. Wir müssen uns hier deshalb wohl oder übel diesem allgemeinen Gebrauch anschließen.


Dennoch sollte man nicht vergessen, dass die Bezeichnung im Grunde genommen sehr unpräzise und irreführend ist, weil Männer und Frauen masturbieren können, ohne ihre Hände zu benutzen. Daher ist auch, wenn im Sprachgebrauch moderner Sexualforscher von Masturbation die Rede ist, „jede bewusste körperliche Selbststimulierung, die eine sexuelle Reaktion hervorruft" gemeint. Eine solche bewusste Stimulierung kann viele unterschiedliche Formen haben. In vielen Fällen werden hierzu natürlich die Hände benutzt. Beim männlichen Geschlecht kann hierzu der Penis gerieben oder gestreichelt werden, bis ein Orgasmus erreicht wird. Gleichzeitig kann die andere Hand dazu benutzt werden, weitere erogene Zonen des Körpers zu stimulieren. Um die sexuelle Erregung insgesamt zu intensivieren, wird manchmal der Hodensack in die Hand genommen oder ein Finger in den Anus eingeführt. Es gibt auch seltene Fälle, in denen Männer sich einen festen Gegenstand, zum Beispiel einen Draht, in die Harnröhre einführen, um sich zu stimulieren. (Es muss nicht betont werden, dass dies eigentlich schmerzhaft und unter Umständen gefährlich ist.) In jüngerer Zeit sind auch einige mechanische und elektrische Masturbationsgeräte für Männer auf dem Markt erschienen. Diese Vorrichtungen, die durch rhythmisches Luftansaugen auf den Penis einwirken, haben für körperlich behinderte Männer einen gewissen therapeutischen Wert. Darüber hinaus scheinen sie jedoch gegenüber den „traditionellen" Formen der Masturbation keine Vorteile zu haben. Sie sind außerdem relativ teuer.


Mädchen und Frauen können eine oder beide Hände zum Masturbieren benutzen. Sehr häufig werden die ganze Vulva oder die Klitoris und die kleinen Schamlippen gestreichelt. Manche Frauen stimulieren gleichzeitig ihre Brustwarzen, und manchmal löst allein diese Stimulierung einen Orgasmus aus.


Statt die Hände zu benutzen, können bei beiden Geschlechtern die Geschlechtsorgane auch an einem Gegenstand gerieben werden, zum Beispiel an einem Kissen, einem Handtuch, einem Bettbezug oder der Matratze. Manche Frauen können sogar beim Fahrradfahren einen Orgasmus bekommen. Viele Mädchen und Frauen können masturbieren, indem sie die Schenkel dicht zusammenpressen und sich rhythmisch vor- und rückwärts bewegen. Unter bestimmten Umständen reicht auch rhythmische Muskelkontraktion aus, um zum Orgasmus zu kommen.


Viele Männer glauben, dass Frauen beim Masturbieren ihre Finger oder einen zylindrischen Gegenstand in die Vagina einführen. Dies tun jedoch nur wenige Frauen. In der Vagina haben Frauen kaum ein Gefühl, da die Wände der Vagina nur wenige Nervenendigungen enthalten. Demgegenüber sind Klitoris und kleine Schamlippen die empfindlichsten Organe beim weiblichen Geschlecht. Deshalb werden Frauen allenfalls einen Finger in den Scheideneingang einführen, um einen festen Halt für die Hand zu bekommen, mit der dann die äußeren Geschlechtsorgane stimuliert werden.


Frauen, die bestimmte Gegenstände tief in die Vagina einführen, tun dies meist nur, um Männern zu gefallen. Meist werden hierfür Gegenstände aus dem Haushalt verwendet, Kerzen, Gurken oder Bananen. Es gibt jedoch auch für Frauen Masturbationsgeräte zu kaufen. Das bekannteste ist der künstliche Penis, der aus Holz, Gummi oder Plastik hergestellt wird. Manchmal können diese sogenannten „Dildos" (vermutlich von ital. diletto: Lust) auch mit einer warmen Flüssigkeit gefüllt werden, mit der auch eine Ejakulation simuliert werden kann. Darüber hinaus gibt es in jüngster Zeit elektrische Vibratoren, die die Form eines Penis haben. Die Japaner haben einen anderen Gegenstand entwickelt, den man „Ben-wa" oder „Rin-no-tama" nennt. Er besteht aus zwei hohlen Metallkugeln, von denen die eine eine kleinere Kugel aus Blei oder Quecksilber enthält. Beide Kugeln werden in die Vagina eingeführt und durch einen Tampon festgehalten. Die Körperbewegungen der Frau stoßen die Kugeln aneinander und verbreiten so angenehme Vibrationen im ganzen Unterleib. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass sie so stark erregen können, dass es zum Orgasmus kommt, denn die Klitoris wird von ihnen nicht direkt stimuliert, und die Vagina enthält nur sehr wenige Nervenendigungen.


Schließlich gibt es noch verschiedene elektrische Vibratoren und Massagegeräte, die für die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane benutzt werden sollen. Ein solcher Vibrator besteht aus einem Elektromotor in einer kleinen Plastikkapsel mit einer vibrierenden Gummispitze. Diese Gummispitze wird in der Nähe der Klitoris und des Scheideneingangs angesetzt. Sie kann hier sehr intensive Stimulationen auslösen. (Vgl. hierzu a. Kap. 8.2.2 „Sexuelle Funktionsstörungen bei der Frau".)


Bei beiden Geschlechtern wird die Masturbation möglicherweise schon im frühen Kindesalter gelernt. Jungen und Mädchen entdecken beim Spielen mit ihren Geschlechtsorganen ein angenehmes Gefühl, und sie versuchen dann, dieses Erlebnis zu wiederholen. In den meisten Fällen beginnt jedoch ein bewusstes Masturbieren kaum vor dem Jugendalter. Jungen lernen häufig von anderen Jungen, wie man masturbiert, oder sie hören davon in Gesprächen. Es hat den Anschein, dass Jungen über sexuelle Dinge sehr viel offener miteinander reden als Mädchen, so dass sie früher über sexuelles Wissen verfügen. Im Gegensatz dazu entdecken Mädchen die Masturbation eher allein oder durch Zufall. Manchen wird sie durch „Petting" mit einem Jungen beigebracht, andere lesen darüber in Büchern oder Zeitschriften. Es gibt manchmal Fälle, in denen Mädchen jahrelang masturbieren, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.


In vielen bekannten Aufklärungsbüchern (selbst in einigen medizinischen Lehrbüchern) wird die Masturbation als Phänomen fast ausschließlich des Jugendalters angesehen. In Wirklichkeit wird sie jedoch auch von vielen -auch verheirateten - Erwachsenen praktiziert. Besonders ältere Männer und Frauen stellen fest, dass Masturbation für sie eine wachsende Bedeutung gewinnt, wenn sie alleine leben, ihre Partner krank, körperlich schwach oder aus anderen Gründen nicht verfügbar sind. In solchen Fällen kann Masturbation ein sehr befriedigender Ersatz für Geschlechtsverkehr sein, der von Spannungen befreit, den Körper beweglich hält, die Phantasie anregt und die sexuellen Fähigkeiten lebendig erhält.


Dennoch kann man ganz allgemein sagen, dass es in unserer Gesellschaft nur die aufgeklärteren Erwachsenen sind, die die Vorteile der Masturbation ausnützen. Viele Menschen der weniger aufgeklärten Schichten scheinen irgendwann gegen Ende des Jugendalters aufzuhören zu masturbieren, da sie außer dem Koitus jede andere Form des Sexualverhaltens als kindisch, unschicklich, unmoralisch oder ungesund betrachten.


Wir wissen, dass Masturbation in unserem Kulturkreis für viele Jugendliche die gebräuchlichste, möglicherweise die einzige Form der sexuellen Betätigung ist. Das heißt jedoch nicht, dass sie „typisch" für die frühen Phasen der menschlichen sexuellen Entwicklung ist oder nur während des Heranwachsens als „angemessen" anzusehen ist. Es bedeutet lediglich, dass Heranwachsende keine ausreichenden Möglichkeiten zum Geschlechtsverkehr haben. Erwachsene, die masturbieren, um einem Partner zu gefallen, oder die es tun, wenn sie keinen Partner finden, haben keinen Grund, sich als „unreif" zu betrachten.

 

[Titelseite] [Inhalt] [Vorwort z. dt. Ausgabe] [Vorwort z. 2. Auflage] [Der menschl. Körper] [Das Sexualverhalten] [Entwicklung] [Formen] [Sexuelle Störungen] [Sexualität & Gesellsch.] [Anhang (Akt. Themen)] [Bildnachweis]