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8.3.1 Beispiele für problematisches Sexualverhalten
Die
Sexualität des Menschen bringt ihm nicht immer Freude und
Glück, Vielmehr können sexuelle Bedürfnisse manchmal
einen frustrierenden, zwanghaften Charakter annehmen und sogar zu
Brutalität und Gewalttätigkeit führen.
Ein
zwanghaftes Sexualverhalten ist natürlich wie jedes zwanghafte
Verhalten, für den Betreffenden in hohem Maße
unbefriedigend. Destruktives Verhalten wiederum das andere
schädigt, muss so weit wie möglich verhindert werden.
Sexuelle
Zwangshandlungen kommen in mancherlei Form vor, ebenso wie sexuelle
Aggressionen. Man kann darüber streiten, ob es vorteilhaft ist,
alle diese Formen einzeln aufzuzählen und sie als „Perversionen"
oder „sexuelle Psychopathien" zu klassifizieren. Mit einer solchen
Etikettierung durch die Psychiatrie ist man in jüngster Zeit
ohnehin sehr vorsichtig geworden. Trotzdem werden heute noch einige
traditionelle Bezeichnungen häufiger verwendet. Da sie
überdies zur Vereinfachung der Diskussion beitragen, scheint es
angebracht, hier einige Beispiele aufzuführen.
Exhibitionismus
Exhibitionismus
(von lat. exhibere: anbieten, zeigen) bedeutet, dass jemand seine
Geschlechtsorgane ohne eine Aufforderung anderen, meist fremden
Personen zeigt, um sich dadurch sexuell oder emotionale Befriedigung zu
verschaffen. Nicht selten hängt diese Befriedigung dabei vom
Schock oder der Überraschung der unfreiwilligen Betrachter ab.
Exhibitionismus ist sehr oft zwanghaft. Die meisten Täter sind
Männer. Es hat den Anschein, dass Exhibitionisten häufig
sexuell gehemmt oder unbefriedigt sind. Durch ihre Handlungen versuchen
sie, plötzliches Erschrecken und Abscheu hervorzurufen, um sich so
von psychischen Spannungen zu befreien. Aus diesem Grunde fühlen
sie sich auch frustriert und gedemütigt, wenn man mit Gelassenheit
auf sie reagiert oder sie sogar auslacht. In der Regel greifen sie ihre
„Opfer" nicht an. Sie kommen nicht einmal näher, sondern fliehen
nach der Exhibition. Manche werden hochgradig erregt und masturbieren
dann.
Es ist nicht bekannt, wodurch Exhibitionismus bedingt
ist. Man weiß, dass sich manche senile und geistig behinderte
Personen in dieser Weise zeigen. Bestimmte Gehirnschädigungen
können ebenfalls Ursache dieses Verhaltens sein. Außerdem
ist bekannt, dass einige Tiere ihre Geschlechtsorgane als Drohung und
Aggressionsgebärde zeigen. Unter gesunden Menschen scheint der
Exhibitionismus mit psychischen Konflikten und fehlgesteuerten
Lernprozessen zusammenzuhängen.
Obwohl Exhibitionisten
nicht so gefährlich sind, wie man früher annahm, steht es
außer Frage, dass ihr Verhalten darauf angelegt ist,
Ärgernis zu geben und daher nicht toleriert werden kann.
Voyeurismus
Das
Wort Voyeurismus (von franz. voir: sehen) bezeichnet das zwanghafte
Betrachten von Nacktheit und sexuellen Handlungen. Den „Opfern" ist
dabei meist nicht bewusst, dass sie beobachtet werden. Wenn sie dies
plötzlich bemerken, sind sie verständlicherweise empört.
Der „Voyeur" ist meist sexuell frustriert. Er fühlt sich nicht
imstande, eine eigene sexuelle Beziehung aufzubauen. Sein heimliches
Beobachten stellt einen Ersatz für sexuelle Erfüllung dar,
Manchmal kann man ihm durch bestimmte Formen der Psychotherapie helfen.
Zwar
mag der Voyeurismus kein schweres Sexualvergehen sein, da er jedoch
einen unerträglichen Eingriff in die Privatsphäre darstellt,
ist er zu Recht unerwünscht.
Es muss nicht weiter
betont werden, dass die Situation völlig anders ist, wenn Menschen
gerne die Körper oder sexuellen Handlungen von einwilligenden
Partnern betrachten. Man kann in diesen Fällen auch von
„voyeuristischen" Tendenzen oder Interessen sprechen, aber die
äußeren Umstände geben hier dem Begriff eine ganz
unterschiedliche Bedeutung. Ein solches Verhalten ist
selbstverständlich nicht problematisch.
Transvestismus
In
der Vergangenheit bezeichnete das Wort „Transvestismus" (von lat.
trans: über und lat. vestis: Kleid) jede Art „Verkleidung", die
nicht der eigenen Geschlechtsrolle entsprach. Mit anderen Worten: alle
Männer und Frauen, die typische Kleidung des anderen Geschlechts
trugen, wurden Transvestiten genannt. Manchmal wurde das Wort auch
für alle diejenigen verwendet, die sich zum Geschlechtsverkehr in
irgendeiner Weise verkleideten, deren sexuelle Erregung davon abhing,
in irgendeine seltsame Rolle zu schlüpfen, wie zum Beispiel die
eines Babys, eines Spielzeugs oder eines Tieres.
In der
jüngeren Vergangenheit wurde der Ausdruck „Transvestit" jedoch
zunehmend nur für solche Personen verwendet, die sich durch ihre
gegengeschlechtliche Kostümierung sexuell erregt fühlen,
deren Verkleidung also „fetischistischen Charakter" trägt. Unter
Männern gibt es sehr viel mehr Transvestiten als unter Frauen. Im
Gegensatz zu einer allgemeinen Auffassung sind die meisten
Transvestiten heterosexuell. Viele von ihnen gehen ihren sexuellen
Interessen zu Hause mit der Zustimmung und Unterstützung ihrer
Ehefrau nach. Es gibt auch männliche und weibliche Homosexuelle,
die gerne Kleidung des anderen Geschlechts tragen. Da hier das Motiv
jedoch oft nicht die sexuelle Erregung ist, sollte man sie besser nicht
als Transvestiten bezeichnen.
Das trifft zum Beispiel auch
auf männliche Unterhaltungskünstler zu, die als
„Damenimitatoren" arbeiten. Sie müssen weder eine fetischistische
Beziehung zu ihren Kleidern noch eine homosexuelle Orientierung haben.
Oft spielen sie einfach gerne eine weibliche Rolle.
Das
Hauptproblem beim Transvestismus im engeren Sinn ist gewöhnlich
die fehlende gesellschaftliche Toleranz. Wenn die Ehefrau, die Familie
und Freunde eines Transvestiten das Verhalten akzeptiert haben
(möglicherweise auf Anraten eines Therapeuten), kann es wesentlich
besser in die allgemeine Lebensgestaltung einbezogen werden. Im
gleichen Maß wird es dann weniger problematisch, und weitere
Hilfe von außen ist dann kaum noch erforderlich.
Demgegenüber
gibt es jedoch Männer und Frauen, die sich mit einer
Geschlechtsrolle identifizieren, die im völligen Gegensatz zu
ihrem biologischen Geschlecht steht. Wenn sie die Kleidung des anderen
Geschlechts tragen, so ist das keine „Verkleidung", da ihre Aufmachung
dem Geschlecht entspricht, dem sie sich wirklich zugehörig
fühlen, selbst wenn dies im Widerspruch zu ihrer Anatomie steht.
Diese Personen sind keine Transvestiten, sondern Transsexuelle (vgl.
dazu Kap. 8. 4).
Pädophilie
Pädophilie
(von griech. pais: Knabe, Kind und griech. philös: Liebhaber) im
eigentlichen Sinn ist das psychische Unvermögen von Erwachsenen zu
sexuellen Beziehungen mit anderen Erwachsenen und das daraus
resultierende Verlangen, solche Beziehungen zu Kindern aufzunehmen.
Natürlich kann man keineswegs alle Erwachsenen, die sexuellen
Kontakt zu Kindern suchen, in diesem Sinne als pädophil bezeichnen.
Nur
in seltenen Fällen sind pädophile Menschen rücksichtslos
oder gewalttätig. Die meisten sind eher sanft und haben eine
besonders strikte Sexualmoral. Sie leiden unter Einsamkeit und Mangel
an Selbstachtung. In vielen Fällen sind sie den Kindern als
Großonkel, Onkel, Nachbar oder Freunde der Familie vertraut. Die
Kinder wiederum müssen sich nicht immer belästigt
fühlen; sie können einvernehmliche und aktive Beteiligte
sein. Es gibt sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle
Pädophile.
Sexueller Kontakt zwischen Erwachsenen und
Kindern ist ein schwieriges Problem. In Europa wird es durch
divergierende Rechtsauffassungen der verschiedenen Länder noch
komplizierter. Da in manchen Ländern Kinder erst spät
volljährig werden, kann hier jemand der Pädophilie bezichtigt
werden, dem dies in einem anderen Land erspart bliebe. Ein Mensch, der
sich zu einem sexuell reifen Jugendlichen (in oder nach der
Pubertät) hingezogen fühlt, sollte nicht als „pädophil"
bezeichnet werden. Diese Bezeichnung ist nur dann angebracht, wenn
vorpubertäre Kinder die bevorzugten Sexualpartner sind.
Kinder
sind gegen sexuelle Ausbeutung besonders wenig geschützt.
Personen, die sich Kindern unter Ausübung von Zwang sexuell
nähern, müssen daher in ihre Schranken gewiesen werden.
Sexuelle Gewalttaten sind als Verbrechen zu bestrafen. Zur
Rehabilitation solcher Straftäter kann in manchen Fällen eine
Psychotherapie beitragen. Man muss jedoch berücksichtigen, dass
sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern selten zum Koitus
führen, sondern in der Regel nur Masturbation, Körperkontakt
oder einfache Zärtlichkeiten beinhalten. Selbst wenn man also
negative Auswirkungen auf das Kind vermuten könnte, unterscheiden
sich diese von Fall zu Fall sicher erheblich.
Sadismus und Masochismus
Sadismus
(nach dem französischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts de
Sade) bezeichnet die Neigung mancher Menschen, ihre Geschlechtspartner
zu beherrschen, zu fesseln, zu demütigen oder ihnen wehzutun. Das
Wort „Masochismus" (nach dem österreichischen Schriftsteller des
19. Jahrhunderts Sacher-Masoch) weist auf das entgegengesetzte
Verhalten hin - das Verlangen, vom Sexualpartner beherrscht,
überwältigt oder erniedrigt zu werden. Der Sammelbegriff
„Sadomasochismus" fasst beide Aspekte des Phänomens zusammen.
Bis
zu einem gewissen Ausmaß sind diese Verhaltensformen weit
verbreitet. Sie mögen vielleicht sogar eine biologische Grundlage
haben, denn es ist bekannt, dass sich bestimmte Tierarten bei der
Begattung erhebliche Verletzungen zufügen, die manchmal sogar zum
Tode führen. Dennoch muss man unter Menschen starke sadistische
oder masochistische Bedürfnisse als ungewöhnlich ansehen, wer
sie fühlt, kann dadurch stark beunruhigt sein. Es muss nicht
betont werden, dass Sadismus in seltenen Fällen sozial
schädlich ist, da er unter Umständen zu sexueller Aggression
oder sogar zum Sexualmord führen kann.
Heute machen
Fachleute jedoch gewöhnlich einen Unterschied zwischen
unfreiwilligem und freiwilligem Sadomasochismus, Weder für
heterosexuelle noch für homosexuelle Partner ist es
ungewöhnlich, eine sadomasochistische Beziehung aufzunehmen, in
der ein Partner dem anderen mit dessen voller Zustimmung Schmerzen und
Misshandlungen zufügt. Gewöhnlich ist es sogar der Masochist,
der den Sadismus seines Partners provoziert und kontrolliert. Solche
Beziehungen können sich durch ungewöhnliches Feingefühl
und große Intimität auszeichnen. In solchen Fällen ist
eine Einmischung von außen, ob juristischer oder medizinischer
Art, nicht gerechtfertigt.
In vielen Ländern gibt es
heute sadomasochistische Klubs und Freundeskreise. Ihre Mitglieder
treffen sich häufig für einvernehmliche, geplante
Begegnungen. Solche Gruppen entwickeln ihre eigenen sexuellen
Verhaltensweisen, die von neuen Mitgliedern übernommen werden.
Auch hier gibt es keinen Grund für Eingriffe von außen, wenn
diese Handlungen einvernehmlich stattfinden.
Es steht jedoch
außer Frage, dass unfreiwilligen Opfern sadistischer Handlungen
jeder Schutz zuteil werden muss. Jede Form sadistischen Angriffs auf
Männer und Frauen, die in solche Handlungen nicht
ausdrücklich einwilligen, müssen daher vom Staat verfolgt
werden.
Vergewaltigung
Unter Vergewaltigung
versteht man Geschlechtsverkehr, der gegen den Willen und gegen den
Widerstand des Partners erzwungen wird. In der Regel ist sie deshalb
mit Gewalt oder deren Androhung verbunden. Vergewaltigung ist daher
nicht so sehr ein Sexual-, sondern ein Gewaltverbrechen.
Unter
psychologischen Aspekten ist die Form, in der eine Vergewaltigung
stattfindet, nicht erheblich. Wichtiger ist die Intention. Im Gegensatz
zu Juristen sehen Psychologen und Psychiater daher nicht nur im
erzwungenen Koitus eine Vergewaltigung, sondern auch in jeder Art
manuellem, oralem oder analem Verkehr unter Anwendung oder Androhung
von Gewalt. Nach dieser Definition können also sowohl Frauen als
auch Männer vergewaltigt werden. (Die Vergewaltigung von
Männern findet besonders häufig in Strafanstalten statt.)
Manche
Vergewaltigungen tragen auch sadistische Züge. Bei einigen
Tätern liegen schwere psychische Störungen vor; andere sind
eher „normale" Menschen, deren Handlung einem plötzlichem Impuls
oder der Fehleinschätzung von Einstellung und Verhalten des Opfers
entspringt.
Man kann hieraus schließen, dass sexuelle
Gewalttäter als Gruppe kein einheitliches Bild geben. Das Problem
möglicher psychiatrischer Behandlung ist daher ausgesprochen
komplex. Vom kriminologischen Standpunkt ist Vergewaltigung ein
Gewaltverbrechen, das streng bestraft werden muss.
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