Die Gräfenberg-Zone (

Die Gräfenberg-Zone („G-Spot")


In jüngster Zeit häufen sich amerikanische Forschungsberichte über die wiederentdeckte sogenannte weibliche Ejakulation. Einige dieser Berichte greifen auch den alten Sammelbegriff „weibliche Prostata" für die Ursprungsorgane dieser Ejakulation wieder auf und beschreiben dazu noch eine ganz neubenannte Erscheinung: den „Gräfenberg spot" oder „G-Spot". Bisher können diese Fragen noch nicht als völlig entschieden betrachtet werden. Es besteht aber kein Zweifel, dass man einem bemerkenswerten Phänomen auf der Spur ist. Es wäre an der Zeit, dass auch in Deutschland weitere Forschungen durchgeführt werden.


Medizinhistoriker wissen, dass viele antike und mittelalterliche Autoren eine Samenmischung beider Geschlechter bei der Zeugung annehmen und sogar von einer Art weiblicher Ejakulation sprechen. Allerdings sind die anatomischen und physiologischen Details in diesen Texten nicht immer klar, so dass ein Vergleich mit den jetzigen neuen Befunden nicht sehr sinnvoll ist


(1).


Immerhin lässt sich aber eine relevante Stelle bei dem holländischen Anatomen Regnier de Graaf anführen, der 1672 schrieb: „Die Harnröhre ist in ihrer gesamten Länge völlig von einer weißen, membranartigen, fingerbreiten Substanz umhüllt... Diese Substanz könnte man sehr treffend als weibliche prostata oder corpus glandulosum bezeichnen... Der Ausfluss von diesen weiblichen ,prostatae' verursacht ebensoviel Wollust wie der von den männlichen ,prostatae'." (2)


De Graaf zitiert darauf Galen und Herophilos, die ebenfalls von weiblichen prostatae sprechen, und er fügte als eigene Meinung hinzu, dass deren Sekretion teilweise durch Öffnungen in die Harnröhre abgesondert wird.


Im Jahre 1880 beschrieb dann der Schotte Alexander Johnston Chalmers Skene genauer die nach ihm benannten, neben der Harnröhre liegenden Drüsen, erklärte aber gleichzeitig, dass ihm deren Funktion unbekannt sei.


In unserem Jahrhundert schließlich erwähnte Theodor van de Velde in seinem Buch „Die vollkommene Ehe" (3) eine Ejakulation bei einigen (nicht allen) Frauen, schrieb sie aber den Bartholin'schen Drüsen zu, da, wie er ausdrücklich vermerkte, die Skene-Drüsen dafür zu klein seien.


Der in Deutschland geborene, in die USA exilierte Ernst Gräfenberg war der erste, der die mögliche Bedeutung der hier erwähnten Strukturen für die sexuelle Reaktion untersuchte. In einem heute schwer zugänglichen Aufsatz beschrieb er 1950 die Rolle der Urethra beim weiblichen Orgasmus und stellte fest.;


„Eine erotische Zone konnte immer nachgewiesen werden an der Vorderwand der Vagina entlang der Harnröhre... Analog zur männlichen scheint die weibliche Harnröhre auch von Schwellkörpern umgeben zu sein wie jene des Penis. Im Laufe der sexuellen Stimulation beginnt die weibliche Harnröhre sich zu vergrößern und kann leicht gefühlt werden. Sie schwillt beim Ende des Orgasmus erheblich an. Der stimulierendste Teil liegt an der hinteren Harnröhre, da, wo sie vom Blasenhals austritt." (4)


Gräfenberg berichtete weiter, dass bei einigen Frauen gleichzeitig mit dem Orgasmus größere Mengen einer klaren Flüssigkeit aus der Harnröhre herausspritzten. Er schrieb dazu: „In den von uns beobachteten Fällen wurde die Flüssigkeit untersucht, und sie hatte keinen Urincharakter. Ich neige der Ansicht zu, dass der ,Urin', der angeblich beim weiblichen Orgasmus ausgestoßen wird, kein Urin ist, sondern nur Sekretionen der Drüsen innerhalb der Harnröhre darstellt, die mit der erogenen Zone entlang der Harnröhre an der Vorderwand der Vagina zusammenhängen." (5) Der Aufsatz endete mit der wiederholten Behauptung einer besonderen erogenen Zone entlang der Harnröhre und der Mahnung, diesen Befund bei der Therapie weiblicher sexueller Störungen mehr in Betracht zu ziehen.


Gräfenbergs Aufsatz fand zu seiner Zeit offenbar nicht die ihm gebührende Beachtung. Kinsey und seine Mitarbeiter (1953) erwähnten zwar eine Art weibliche „Ejakulation", schrieben sie aber vaginalen Ausscheidungen zu, die in besonderen Fällen beim Orgasmus durch Muskelkontraktionen gewaltsam nach außen gepreßt werden könnten (6). Danach sprachen nur noch Bors und Comarr (1960) von einer männlichen und weiblichen prostatischen Ausscheidung (7), und ein japanischer Bericht (1961) enthielt den Hinweis auf einen weiblich ejakulierten „Schleim" (8).


Masters und Johnson dagegen bezeichneten in ihrer epochalen Studie („Die sexuelle Reaktion", 1966) die weibliche Ejakulation als ein „irrtümliches, wenn auch weitverbreitetes Konzept" (9). Erst 1978 erschien eine historisch-kritische Untersuchung von Sevely und Bennett, die nach neuen Forschungen rief (10), und diesem Ruf sind inzwischen einige Amerikaner gefolgt.


Die neuesten Forschungen lassen sich kurz etwa so zusammenfassen:


l.Bei vielen (vielleicht allen) Frauen findet sich, etwa in der Mitte entlang der Harnröhre, eine „erogene" oder sexuell reizempfindliche Stelle, die mit dem Finger durch die Vorderwand der Vagina hindurch gefühlt werden kann. Wenn diese bestimmte Stelle durch Druck oder kräftiges Reiben stimuliert wird, resultiert zunächst ein vorübergehendes Harndranggefühl, das dann in ein sexuelles Lustgefühl übergeht. Gleichzeitig schwillt das stimulierte Gebiet an, wird fester und erreicht eine eiförmige Ausdehnung von etwa 1,5 mal 2 cm. Die amerikanischen Forscher haben diese Stelle nun zu Ehren ihres Entdeckers „Gräfenberg spot" (wörtl. „Gräfenberg-Flecken", aber vielleicht besser „Gräfenberg-Zone") genannt.


2. Der genaue anatomische Charakter der Gräfenberg-Zone ist zur Zeit noch unbestimmt.


3. Als Resultat sexueller Stimulierung dieser Zone sind vielfach Ejakulationen einer prostatischen Flüssigkeit aus der weiblichen Harnröhre beobachtet worden,


4. Nach Berichten einiger Frauen wurde der Orgasmus infolge dieser Stimulierung als besonders befriedigend empfunden (11).


Einer fruchtbaren Diskussion dieser Ergebnisse stehen zunächst einige terminologische Schwierigkeiten entgegen, die man ausräumen muss. Selbst wenn man die hier angesprochene, mit der weiblichen Harnröhre verbundene Struktur als homolog zur männlichen Prostata auffasst, so bleibt doch die Frage, ob man sie einfach mit dem Sammelnamen „weibliche Prostata" belegen soll. Vieles spricht dafür, dass man diesen Drüsen einen eigenen Namen gibt. Warum nicht - unter Ausdehnung des eigentlich nur für zwei Drüsen geltenden Begriffes - „Skene-Drüsen"?


Andererseits ist auch zu überlegen, ob der Ausdruck „weibliche Ejakulation" glücklich gewählt ist. Wahrscheinlich ja, aber man sollte sich über alle Implikationen dieser Bezeichnung klarwerden.


Neben diesen terminologischen Schwierigkeiten gibt es auch noch gewisse ethische Probleme bei der Untersuchung der weiblichen Ejakulation. So hat man zum Beispiel die Befürchtung ausgesprochen, dass allein schon die Bezeichnung „weibliche Prostata" Ärzte zu ihrer chirurgischen Entfernung verführen könnte (12).


Unmittelbar wichtiger ist wohl eine andere Frage. Masters und Johnson, zum Beispiel, haben für sich selbst, aus berufsethischen Gründen, die Stimulierung der Gräfenberg-Zone bei Forschungssubjekten abgelehnt (13). Es scheint aber festzustehen, dass Frauen normalerweise ihre eigene Gräfenberg-Zone nicht einfach mit dem Finger erreichen können und daher auf eine zweite Person für die Stimulierung angewiesen sind. Nun ist aber diese Stimulierung notwendigerweise immer sexueller Natur, und dies bringt einen untersuchenden Arzt oder Forscher in eine ungewohnte Lage.


Es ist auch nicht unbedingt einfacher, wenn die Stimulierung durch eine Ärztin oder Forscherin vorgenommen wird, weil damit ungewollt homosexuelle Vorstellungen störend ins Spiel kommen können.


Schließlich ist auch noch zu bedenken, dass die wissenschaftlich bestätigte Ejakulationsfähigkeit einiger Frauen zu unpassenden und therapeutisch schädlichen Vergleichen und Selbstvergleichen führen könnte.


Gräfenberg hatte, wie schon bemerkt, mit seinem Aufsatz auch ein therapeutisches Ziel im Auge: Er wollte Frauen helfen, eine genügende sexuelle Stimulation mit folgendem Orgasmus zu erreichen. So empfahl er z. B. den Koitus von hinten, da in dieser Stellung der Penis die richtige erogene Zone um die Harnröhre erreiche. Inzwischen hat man auch speziell geformte Vibratoren gefordert, mit denen Frauen selbst ihre Gräfenberg-Zone erreichen können.


Außer solchen praktischen Vorschlägen gibt es aber noch mehr zu diskutieren. Zum Beispiel werfen die neuesten Forschungen in unerwarteter Weise auch wieder die Frage eines vaginal produzierten Orgasmus auf, den man schon zugunsten eines ausschließlich „klitoralen" Orgasmus hatte abtun wollen.


Angesichts der hier kurz skizzierten Befunde scheinen weitere gründliche Untersuchungen voll gerechtfertigt. Man könnte zu Anfang vielleicht die bisherigen amerikanischen Experimente in größerem Maßstab wiederholen und dann darauf aufbauen. Auch therapeutisch könnte man versuchen, die neuen Erkenntnisse anzuwenden, und zwar nicht nur bei weiblichen Sexualstörungen, sondern auch ganz allgemein zur erotischen Bereicherung relativ ungestörter Beziehungen. Schließlich könnte auch noch die weiter verschärfte begriffliche Unterscheidung von Ejakulation und Orgasmus bei beiden Geschlechtern das therapeutische Vokabular logisch reinigen und so indirekt die Sexualtherapie selbst verbessern.


Anmerkungen


Dieser Abschnitt wurde nach einem Beitrag des Autors in den „Mitteilungen der Gesellschaft für Praktische Sexualmedizin" (Vol. 2, Mai 1982) verfasst.


1. Vgl. Knight, B.: Discovering the Human Body. New York, 1980, S. 141-142


2. De Graaf, R.: New Treatise Concerning the Generative Organs of Women. Erstveröffentlichung 1672, Nachdruck in J. Reprod. Fertil. [Suppl.] 17: 103-104, 106-107 (1972)


3. Van de Velde, Th.: Die vollkommene Ehe. 41. Aufl., Horw (Montana), 1930.


4. Grafenberg, Ernest (Ernst Gräfenberg): The Role of Urethra in Female Orgasm. Int. J, Sexol. 3: 146 (1950)


5. Ebenda, S. 147.


6. Kinsey, A.C. et al.: Sexual Behavior in the Human Female. Philadelphia, 1953, S.634-635


7. Bors, E.: Comarr, A. E.: Neurological Disturbances of Sexual Function with Special Reference to 529 Patients with Spinal Cord Injury. Urol. Survey 10: 191-222 (1960)


8. Yoshida, H.: Female Sexual Response. Ursprüngliche Publikation japanisch; englische Übersetzung seit 1969 beim Institute for Sex Research, Indiana University, Bloomington, Indiana.


9. Masters, W.H.; Johnson, V.: Human Sexual Response. Boston, 1960, S. 135


10. Sevely, J.L.; Bennett, J.W.: Concerning Female Ejaculation and the Female Prostate. J. Sex Res. 14: 1-20 (1978)


11.Vgl. Beizer, E.G.: Orgasmic Expulsions of Women: A Review and Heuristic Inquiry.


Adiego, F., et al.: Female Ejaculation: A case Study.


Perry, J.D., Whipple, B.: Pelvic Muscle Strength of Female Ejaculators: Evidence in Support of a New Theory of Orgasm.


Weisberg, M.: A Note on Female Ejaculation. Alle J. Sex. Res. 17 (1981)


12. Curtis, A. H.: Discussion. Am. J. Obstet. Gynecol. 55: 101 (1948)


13. Unveröff. Vortrag auf der Konferenz der American Association of Sex Educators, Councelors and Therapists. San Francisco, 4.4.1981.


 

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