AIDS -

AIDS - "Aufgegriffenes" Immun-Defekt-Syndrom

AIDS (engl. Acquired Immuno-Deficiency Syndrome oder „Aufgegriffenes" /mmun-Defekt-Syndrom) ist das häufige, lebensbedrohende Ergebnis einer neuen Virusinfektion.


Das betreffende, sehr gefährliche Virus war vor wenigen Jahren in Europa noch völlig unbekannt. Es ist höchstwahrscheinlich in Zentralafrika von der grünen Meerkatze (einer Affenart) auf den Menschen übergesprungen und hat erst dann seine krankheitserregende Wirkung entfaltet. In dieser Ursprungsgegend sind Männer und Frauen in gleicher Weise befallen, da das Virus meist auf dem Wege des Geschlechtsverkehrs weitergegeben wird. (Durch einfachen gesellschaftlichen Umgang, Umarmen, Händeschütteln usw. kann man sich nicht anstecken!) Von Afrika aus gelangte das Virus dann wahrscheinlich über Haiti in die USA, wo es zunächst homosexuelle und bisexuelle Männer befiel. Von den Vereinigten Staaten aus verbreitete sich die Ansteckung dann in relativ kurzer Zeit durch alle westlichen Industrienationen,


Die zufällige Verbreitungsgeschichte der Krankheit ließ zunächst den Eindruck entstehen, als handele es sich hauptsächlich um eine „Homosexuellen-Krankheit", aber dies hat sich keineswegs bestätigt. Vielmehr ist AIDS u. a. eine neue Geschlechtskrankheit, die letztlich alle Frauen und Männer gefährdet, die nicht in exklusiven Paarbeziehungen leben. Ebenso wie die Ende des 15. Jahrhunderts unter Heterosexuellen plötzlich auftretende Syphilis schließlich auch die Homosexuellen erfasste, so wird umgekehrt AIDS nach den Homosexuellen auch die Heterosexuellen erfassen, wenn nicht alle Menschen, gleich welcher sexuellen Orientierung, sofort entsprechende Vorbeugungsmaßnahmen ergreifen (siehe Kasten S. 548).


Bei der Erkrankung handelt es sich, wie schon der Name sagt, um eine „aufgegriffene" d. h. erworbene Schwächung und Zerstörung der körpereigenen Abwehrkräfte gegen Krankheitserreger aller Art und gegen Krebszellen. Diese Schwächung macht daher die Betroffenen anfällig für eine Reihe von opportunistischen Infektionen, die dann lebensbedrohend sind. Außerdem können sie das „Kaposi-Sarkom" entwickeln, eine Art Hautkrebs, die man früher nur bei älteren Männern fand und die bei diesen nur langsam fortschritt. Bei Patienten mit AIDS verläuft der Krebs aber fulminant, d. h. er kann in relativ kurzer Zeit zum Tode führen. Ebenso gefährlich ist eine sonst seltene Lungenentzündung, die durch den Erreger Pneumocystis carlnii verursacht wird, und die bei Menschen mit AIDS vermehrt aufzutreten scheint. Die Reihe der möglichen Erkrankungen ist aber noch länger und reicht von Pilzinfektionen - besonders im Mund - über Tuberkulose bis zu Gehirn- und Gehirnhautinfektionen. Ein Mensch, der das „Aufgegriffene" Immun-Defekt-Syndrom entwickelt hat, ist damit für solche Krankheiten anfällig und äußerst gefährdet.


Die klinische Diagnose AIDS wird aber erst gestellt, wenn eine ganze Gruppe von Symptomen (d.h. ein Syndrom) zusammen auftritt und den Zusammenbruch des Abwehrsystems deutlich macht. Bevor es soweit kommt, können aber schon einzelne Gesundheitsprobleme auftauchen, die auf eine Abwehrschwächung verweisen, und die man als ARC (d, h. AIDS-Related Complex oder „AIDS-bezogener Komplex") bezeichnet. Diese Probleme brauchen sich nicht unbedingt zum vollen Krankheitsbild AIDS zu entwickeln. Schließlich: Selbst bevor es zu ARC kommt, können Menschen mit dem Virus infiziert sein und dabei keinerlei Symptome haben. Die Infektion ist dann nur indirekt nachweisbar durch einen besonderen Test (siehe S. 546).


Das für AIDS verantwortliche Virus ist inzwischen bei infizierten Personen in allen Körperflüssigkeiten (Blut, Samen, Speichel, Urin und Kot) nachgewiesen worden.


Bei folgenden Symptomen ist daran zu denken, dass es sich möglicherweise um einen „aufgegriffenen" Immun-Defekt handeln könnte, besonders, wenn zwei oder mehr davon zusammen auftreten (die Symptome machen sich , jedoch auch bei einer Reihe anderer, harmloserer Erkrankungen bemerkbar!):


• Schwellung der Lymphknoten über längere Zeit


• andauerndes mäßiges Fieber und Nachtschweiß


• ungeklärte Durchfälle


• plötzliche Gewichtsabnahme um mehrere Kilogramm


• Müdigkeit und Mattheit.


Das Kaposi-Sarkom äußert sich in violetten bis rotbraun-bräunlichen, nicht schmerzhaften Flecken oder Knoten auf der Haut oder im Mund, die Lungenentzündung durch Pneumocystis carinii ruft trockenen, lange bestehenden Husten ohne Auswurf hervor.


Die Diagnose des Immundefekts ist nicht einfach, denn die oben genannten Symptome können auch bei anderen, weniger gefährlichen Krankheiten auftreten. Besonders in Kombination bieten sie aber Anlass, den Arzt aufzusuchen und den Verdacht des Immundefekts zu verfolgen. Ein besonderes Problem besteht noch darin, dass beim erworbenen Immundefekt-Syndrom die Zeit zwischen der Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit (die Inkubationszeit) bis zu fünf Jahre und vielleicht noch viel länger betragen kann. Das heißt, jemand kann bereits infiziert sein und andere infizieren, während er sich noch völlig gesund fühlt und von Ärzten sogar ohne einen besonderen Test als gesund diagnostiziert wird. Erst nach Monaten oder Jahren kann die Krankheit dann bei ihm ausbrechen. (Sie muss aber nicht in jedem Fall ausbrechen.) Durch einen neuen AIDS-Virus-Antikörper-Test ist es inzwischen möglich geworden, nachzuweisen, ob jemand mit dem Virus selbst in Berührung gekommen ist (siehe S. 546).


Aus all dem geht hervor, dass es sich um eine sehr gefährliche Krankheit handelt. Eine erfolgreiche Behandlung gibt es bisher nicht, und auch eine Immunisierung (Impfung) ist bisher nicht in Aussicht. Während die Folgekrankheiten des AIDS wenigstens teilweise behandelbar sind, ist der Immundefekt selbst bisher nicht heilbar. Infolgedessen ist die Sterblichkeit unter den Patienten leider sehr hoch.


Inzwischen sucht eine Reihe von hochqualifizierten Forschergruppen in aller Welt nach einer medizinischen Lösung. Bis diese Lösung aber gefunden ist, ist es nützlich, einige Tatsachen und Vernunftregeln im Auge zu behalten: Die Krankheit ist bisher hauptsächlich unter männlichen Homosexuellen und Bisexuellen, Einwohnern von Haiti, Empfängern von Blut und Blutprodukten sowie Drogenabhängigen, die sich ihre Drogen spritzen, aufgetreten. Durch das Testen von Blutspendern und die Hitzebehandlung von Blutkonserven ist der Schutz von Blutern und Empfängern von Bluttransfusionen mittlerweile gewährleistet. Für Drogenabhängige, die sich ihre Drogen in die Venen spritzen, ergibt sich andererseits klar der Verzicht auf Mitbenutzung von Spritzen und Kanülen anderer. Die große Anzahl von Erkrankungen unter homosexuellen und bisexuellen Männern hat leider teilweise zur Reaktivierung älterer Vorurteile geführt und Uninformierte dazu verleitet, von einer „Schwulenpest" oder „Homoseuche" zu reden oder sogar die Isolierung von Homosexuellen oder die erneute Strafbarkeit homosexueller Handlungen zu fordern. Wie aber in diesem Buch wiederholt ausgeführt, beruhen solche Ideen auf einer Verkennung der Realitäten. Ein Begriff wie „die Homosexuellen" ist eine sprachliche Verkürzung, denn in Wirklichkeit gibt es eine solche klar abgrenzbare Gruppe nicht (vgl. auch S. 235-246 und S. 490-491). Die meisten sogenannten Homosexuellen sind nicht ausschließlich homosexuell aktiv, sondern in verschiedenem Ausmaß auch heterosexuell (siehe Tafel auf S. 237). Es ist daher klar, dass ohne die Mitarbeit aller Risikogruppen die Krankheit nicht erfolgreich zu bekämpfen ist. Besonders die Zusammenarbeit mit den „Homosexuellen" ist entscheidend, wenn das Problem nicht der medizinischen Kontrolle völlig entgleiten soll. Jede neue Kriminalisierung oder auch nur verschärfte soziale Diskriminierung homosexuellen Verhaltens beschwört aber gerade diese Gefahr herauf, denn sie wird die Patienten zögern lassen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, ihre sexuellen Kontakte vollständig anzugeben usw.


Es ist daher eine glückliche Fügung in dieser ernsten Lage, dass sich in den USA, wo es bisher die meisten Erkrankungen gibt, schon vor Jahren homosexuelle Ärztevereinigungen gebildet haben, die nun mit großer Sachkenntnis ihre anderen Forscherkollegen beraten können. Außerdem besitzen diese offen homosexuellen Ärzte das Vertrauen der homosexuellen Patienten, die nun auf sie hören und die Ratschläge zur Vorbeugung, zur Behandlung und zur Mitarbeit bei der Forschung befolgen.


Für den Durchschnittsmenschen, gleichgültig ob homosexuell oder heterosexuell, ergibt sich in der Zwischenzeit folgende Überlegung: Jede Reduzierung der Anzahl verschiedener Sexualpartner bedeutet offensichtlich auch eine Reduzierung des Ansteckungsrisikos. Ein Paar, das ausschließlich „monogam" lebt, kann sich gar nicht anstecken.


Da die Ansteckung unter anderem auch durch den „Austausch von Körperflüssigkeit" (Speichel, Blut, Samenflüssigkeit) erfolgt, sind Formen des Geschlechtsverkehrs risikoärmer, bei denen ein solcher Austausch nicht vorkommt. Das heißt vor allem, dass man keine Samenflüssigkeit schlucken sollte und dass die Benutzung von Kondomen beim Analverkehr und beim Koitus den Schutz vor Ansteckung erhöht (siehe S. 548).


Fellatio und vor allem Anilinctus sind unter diesem Gesichtspunkt besonders risikoreich, und das darüber in diesem Buch zuvor Gesagte ist entsprechend zu korrigieren (vgl. auch S, 215-216, 226-227, 247-249, 252-253).


Vorbeugen gegen AIDS - Das Modell San Francisco


AIDS hat sich innerhalb weniger Jahre zum bedrohlichsten Gesundheitsproblem der Vereinigten Staaten entwickelt. In einigen Großstädten wie New York, Los Angeles und San Francisco spitzt sich die AIDS-Epidemie zu einer finanziellen, verwaltungstechnischen und sozialpolitischen Krise zu.


Das Beispiel der Stadt San Francisco ist in diesem Zusammenhang besonders instruktiv, da es sowohl die Entwicklung einer Krise erhellt als auch mögliche Strategien für die Bekämpfung der Krankheit zeigt. In der Tat kann die Reaktion dieser Stadt auf die Bedrohung durch AIDS als modellhaft gelten, nicht nur für die übrigen Vereinigten Staaten, sondern auch für Europa und besonders für die Bundesrepublik Deutschland, die hinsichtlich der Zahl der Erkrankungen noch etwa drei Jahre hinter der amerikanischen Entwicklung hinterherhinkt. Der damit gegebene zeitliche Vorsprung für Vorbeugungsmaßnahmen sollte unbedingt sofort genutzt werden, und so verdienen die in San Francisco gemachten Erfahrungen ein besonders sorgfältiges Studium. An dieser Stelle kann leider nur ein abrissartiger Überblick gegeben werden. Er kann aber wenigstens einige wichtige Implikationen des Problems deutlich machen, die in Deutschland noch nicht klar genug erkannt sind.


Die Epidemie in Zahlen


San Francisco hat etwa 700000 Einwohner. Vor etwa 5 Jahren traten dort die ersten, vereinzelten Fälle von AIDS auf - Ende 1981 waren es 24 Fälle. Inzwischen sind daraus bis Mai 1985 über 1100 Fälle geworden. Davon ist etwa die Hälfte bereits verstorben. (Die Gesamtzahl der AIDS-Fälle für die USA liegt bei über 10000; davon ist ebenfalls etwa die Hälfte verstorben). Heute werden in San Francisco jeden Tag zwei Neudiagnosen und ein Todesfall von AIDS gemeldet. Im Laufe des nächsten Jahres rechnet die Stadt mit einer Verdoppelung der Fälle auf eine Zahl von über 2000, danach, d. h. bis Mitte 1987, mit einer nochmaligen Verdoppelung auf über 4000 und so weiter. Mit anderen Worten: Die Zahl der Erkrankungen schreitet in geometrischer Progression fort, und weder eine Heilung von AIDS noch eine Immunisierung dagegen sind zur Zeit in Aussicht.


Da AIDS das körpereigene Immunsystem zerstört, werden die Erkrankten zu Opfern verschiedener opportunistischer Infektionen oder entwickeln Tumore und eine früher sehr seltene Art von Hautkrebs, das Kaposi Sarkom, das hier aber fulminant verläuft und meist schnell zum Tode führt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines AIDS-Kranken nach seiner Ersteinlieferung ins Krankenhaus liegt unter 250 Tagen; die Behandlungskosten von der Diagnose bis zum Tode schwanken, je nach Einzelfall und örtlichen Verhältnissen, in den USA zwischen 40 000 und 70 000 Dollar. Wenn wir also einen Durchschnittssatz von nur 50 000 Dollar pro Fall für direkte Behandlungskosten annehmen, so ergibt das allein schon Kosten von einer halben Milliarde Dollar für die bisherigen 10000 amerikanischen AIDS-Fälle. Wahrscheinlich aber liegt diese Schätzung viel zu niedrig, und natürlich enthält sie auch keinerlei andere, indirekte Kosten wie Verdienstausfall, Krankengeld und ähnliches. Diese „Nebenkosten" dürften noch sehr viel höher liegen. Hinzu kommen nun aber noch Kosten für den neuerlich entwickelten AIDS-Virus-Antikörpertest, der mittlerweile nicht nur zum Schutz von Blutkonserven und zu Forschungszwecken aktiv vermarktet wird, sondern auch zunehmend allgemeine Verwendung findet. Die dabei zu erwartenden Resultate können augenblicklich nur vermutet werden. Schätzungen in den USA variieren heute zwischen etwa 400 000 und 1 Million möglicherweise infizierter Personen. Auch ihre Zahl kann in Zukunft noch sprunghaft anwachsen. Auf keinen Fall ist es aber dann mit den reinen Testkosten getan, sondern darüber hinaus entstehen auf jeden Fall noch erhebliche Kosten für eine individuelle Nachberatung und Betreuung der testpositiven Männer und Frauen. Kurz, schon vom rein finanziellen Standpunkt aus stellt AIDS eine ernsthafte Herausforderung an das Gesundheitswesen dar.


Die Risikogruppen


In den USA insgesamt zeigten sich zunächst nur einige wenige, scheinbar leicht abgrenzbare Risikogruppen für AIDS:


1.Homosexuelle und bisexuelle Männer,


2. intravenös spritzende Drogenabhängige, die Nadeln gemeinsam benutzen,


3. Empfänger von Blut und Blutprodukten,


4. Haitianer.


Dabei machte die erste Gruppe mit über 70% den weitaus größten Anteil aus: bereits die zweite Gruppe mit etwa 14% war sehr viel kleiner. Die dritte Gruppe ist mittlerweile, dank des Antikörpertests und der Behandlung von Blutkonserven, kaum noch gefährdet und wird demnächst wohl nicht mehr aufgeführt werden müssen. Die Haitianer wurden ohnehin inzwischen als Risikogruppe gestrichen, da sich eine Nationalzugehörigkeit als Kriterium logischerweise nicht aufrechterhalten ließ.


Allerdings muss man auch bei den verbliebenen beiden ersten „offiziellen" Risikogruppen einen logischen Vorbehalt machen: Die Klassifizierung, die von den Centers for Disease Control in Atlanta stammt, ist nämlich „hierarchisch", d. h. sie berücksichtigt nur jeweils einen Risikofaktor auf Kosten von möglichen anderen. So wird z.B. bei bisexuellen Männern ein etwaiger Drogengebrauch ignoriert, und sie werden nur in der ersten Gruppe gezählt. Das heißt aber wahrscheinlich, dass das intravenöse Drogenspritzen mit gemeinsamen Nadeln eine sehr viel größere Rolle bei der AIDS-Ansteckung spielt, als die Zahlen erkennen lassen.


Das ist selbst im Falle San Franciscos zu bedenken, wo bisher 98% der etwa 1100 AIDS-Kranken homosexuelle und bisexuelle Männer sind. Bei diesen war nämlich in ca. 140 Fällen oder 12,5% auch noch intravenöser Drogengebrauch nachweisbar.


Schließlich zeigen die neuesten Zahlen aus San Francisco noch 3 Fälle von Ansteckung durch rein heterosexuellen Kontakt mit einer Person aus den ersten beiden Risikogruppen. Ist diese Zahl mit ca. 0,3% auch noch sehr klein, so befürchtet man doch ihr allmähliches Ansteigen, besonders, da man generell von vielfachen bisexuellen Kontakten weiß und auch von der Straßenprostitution durch drogenabhängige Frauen und „Strichjungen".


Im Hinblick auf die Zukunft ergibt sich also folgende neue Klassifikation der Risikogruppen:


1. Homsexuelle und bisexuelle Männer (wobei man bedenken muss, dass die bisexuellen sehr viel zahlreicher sind als die rein homosexuellen),


2. intravenös spritzende Drogenabhängige, die Nadeln gemeinsam benutzen,


3. die Sexualpartner der beiden ersten Gruppen,


4. die Sexualpartner dieser Sexualpartner (d. h. letztlich die gesamte Bevölkerung, soweit sie nicht völlig abstinent oder in jeweils exklusiven Paarbeziehungen lebt).


Die „San Francisco AIDS Foundation"


Die Stadtverwaltung von San Francisco musste sehr bald den Ernst der Lage erkennen und entschloss sich daher, nicht nur eine ausreichende medizinische und soziale Versorgung der AIDS-Kranken sicherzustellen, sondern auch ein breit angelegtes Vorbeugungsprogramm zu beginnen.


Zu diesem letzteren Zweck wurde, in Verbindung mit dem städtischen Gesundheitsamt und unter Mitarbeit einer homosexuellen Ärztevereinigung (Bay Area Physicians for Human Rights), eine besondere Aufklärungsorganisation geschaffen - die San Francisco AIDS Foundation. Mit eigenen Räumen und eigenem Personal ausgestattet erhält diese Organisation zur Zeit einen Jahreshaushalt von etwa 1 Million Dollar für ihre Arbeit. (Die Gesamtausgaben der Stadt für verschiedene AIDS-Programme belaufen sich zur Zeit auf jährlich 9 Millionen Dollar.)


Die San Francisco AIDS Foundation wurde zunächst durch Zeitungs- und Fernsehberichte, öffentliche Anschläge, Abreißzettel bekannt gemacht und begann dann ihre Arbeit. Diese Arbeit ist sehr weit gefächert und umfasst sowohl allgemeine Aufklärung - z. B. durch eine ständig besetzte Telefonauskunft - als auch die spezielle Betreuung der Risikogruppen für AIDS.


In der ersten Aktionsphase wurde eine Reihe von Plakaten, Flug- und Faltblättern, Merkzetteln und Broschüren hergestellt. Diese wandten sich einerseits an die Gesamtbevölkerung, andererseits aber auch gezielt an verschiedene gefährdete Minderheiten in der „Schwulen- und Drogenszene" sowie an deren potentielle Sexualpartner wie Frauen allgemein und Jugendliche beiderlei Geschlechts. Besonders ausführliche Broschüren boten Information und Beratung für AIDS-Patienten, ihre Freunde und Familienangehörigen. Die Patienten selbst wiederum wurden darin unterstützt, eine eigene Organisation zu bilden (People with AIDS), die nun ihre eigenen Belange vertritt, Öffentlichkeitsarbeit leistet und bei allen Entscheidungen über Vorbeugung und Behandlung beratend hinzugezogen wird.


Allen Beteiligten war von Anfang an klar, dass die bloße Unterrichtung durch Druckschriften für eine wirkungsvolle Vorbeugung nicht ausreicht. Also wurden, ebenfalls von Anfang an, verschiedene Serien von öffentlichen Vorträgen, Diskussionsabenden und Schulungskursen eingerichtet. Auch diese Veranstaltungen versuchten, mehr als allgemeine Aufklärung zu leisten, und behandelten daher meist Spezialthemen wie „Neueste Forschungsergebnisse", „Blutspendewesen", „Datenschutz" und „Ansteckungssichere Sexualpraktiken". Dies letztere, wichtige Thema wurde besonders ausführlich mit Hilfe von Seminaren in der „Schwulenszene" selbst erörtert. Hier war wieder die gut organisierte homosexuelle Ärzteschaft eine unschätzbare Hilfe, und so konnte in Bars, Bädern und Sex-Clubs mit voller Unterstützung der jeweiligen Besitzer eine direkte Aufklärung sozusagen „vor Ort" betrieben werden.


Die Unterstützung durch die „schwule" Geschäftswelt ging so weit, dass die San Francisco AIDS Foundation förmliche Kurse für „Bartenders" durchführen konnte, also für Männer hinter der Theke, die den Gästen die Getränke ausschenken und nun dabei gleichzeitig Vorbeugungsmaßnahmen gegen AIDS zur Sprache bringen. Dazu gehört auch die Verteilung von Informationsmaterial und der Hinweis auf Kondome, die nun zum ersten Mal massiv und besonders deutlich in „Schwulentreffs" zugänglich gemacht werden.


Ein weiteres Projekt der AIDS Foundation heißt „Stop AIDS" und hat zum Ziel, über eine Telefon-Verteilernummer, die jedermann anrufen kann, Hunderte von kleinen privaten Diskussionsgruppen zu schaffen, in denen ansteckungsfreies Sexualverhalten ausführlich diskutiert und akzeptabel gemacht wird. Diesem Programm liegt die Einsicht zugrunde, dass die notwendige sexuelle Verhaltensänderung individuell kaum zu leisten ist und der Stützung durch eine starke Gruppensolidarität bedarf. Bisher sind auf diese Weise innerhalb weniger Monate über 1000 Einzelpersonen erfasst worden, die sich in ihren kleinen Gruppen weitertreffen, das Erreichte vertiefen und auch durch immer neue Gruppen an andere weitergeben.


Von dem übrigen, sehr weit gefächerten Aktivitätsspektrum der San Francisco Foundation können hier nur die Grundprinzipien der Vorbeugungskampagne angedeutet werden.


Die „Safe Sex"-Kampagne


Sobald erkennbar war, dass AIDS sexuell übertragbar ist, ergriff die erwähnte homosexuelle Ärztevereinigung San Franciscos die Initiative und entwickelte ein Vorbeugungskonzept, das dann auch vom städtischen Gesundheitsamt und der San Francisco AIDS Foundation übernommen wurde. Dies Konzept beruht auf einer dreifachen Einteilung der verschiedenen Sexualpraktiken in risikoreich („unsafe"), risikoarm („possibly safe") und risikofrei („safe"). Da man den Versuch, allgemeine sexuelle Abstinenz oder eine ebenso allgemeine sofortige exklusive Paarbildung zu erreichen, für irreal hält, wird der möglichst allgemeine und baldige Übergang von risikoreichem zu risikofreiem, d. h. ansteckungssicherem Sexualverhalten angestrebt.


Ausgehend von der Tatsache, dass das AIDS-Virus in Körperflüssigkeiten wie Blut, Samen, Speichel, Urin und Kot nachgewiesen worden ist, wird nun empfohlen, sich dadurch vor Ansteckung zu schützen, dass man beim Geschlechtsverkehr das Eindringen von fremden Körperflüssigkeiten in den eigenen Körper verhindert, wo die Viren dann über möglicherweise mikroskopisch kleine Verletzungen in die Blutbahn gelangen könnten.


Das heißt in der Praxis, dass jeder Oral-, Vaginal- und Analverkehr ohne Kondom zu vermeiden ist. Andererseits bietet die Benutzung eines Kondoms vermutlich einen gewissen Schutz. Der Austausch von Speichel dagegen, etwa beim Zungenkuss, könnte schon bei leichten Zahnfleischverletzungen, die nicht eben selten sind, ein Ansteckungsrisiko bedeuten. Völlig ansteckungsfrei ist nur die gegenseitige Masturbation, wenigstens solange der Samen dabei nicht mit Hautabschürfungen, Kratzern, Schnittwunden usw. in Berührung kommt. Es ist außerdem deutlich, dass außerhalb von Intimkontakten, d. h. im alltäglichen Umgang beim Händeschütteln, Umarmen usw. kein Ansteckungsrisiko besteht. Diese im Grunde einfachen Überlegungen wurden nun systematisch auf alle möglichen Sexualpraktiken angewandt, und entsprechend detaillierte Merkblätter und -kärtchen wurden zu Zehntausenden in der Stadt verteilt. Anfangs erfasste man dabei nur die „Schwulenszene" ; allmählich aber weitete man die Kampagne immer mehr aus. Dabei wurden die „Safe Sex"-Richtlinien mehrfach revidiert. Heute schließen sie auch den rein heterosexuellen Verkehr außerhalb exklusiver Paarbeziehung mit ein, raten ansonsten von jedem Oralverkehr ab und empfehlen dringend das Kondom selbst beim Koitus. Die San Francisco AIDS Foundation ist inzwischen beauftragt, die gesamte Bevölkerung als potentiell gefährdet zu betrachten und hält nun auch „Safe-Sex"-Seminare für rein heterosexuelle Interessenten ab. Mittlerweile hat auch die größte (und sonst sehr konservative) Tageszeitung der Stadt, der San Francisco Chronicle, die besonderen „Safe Sex"-Regeln für Heterosexuelle in allen Einzelheiten abgedruckt.


Die Reaktion der Öffentlichkeit


Die zahlreiche homosexuelle Bürgerschaft San Franciscos ist seit vielen Jahren gut organisiert, und so besaß die Stadt auch schon vor der AIDS-Krise eine besondere Abteilung für „homosexuelle Belange" im Gesundheitsamt, die von Anfang an einer offenen Lesbierin unterstand und noch untersteht. Dank dieser organisierten Vorarbeit war es möglich, die plötzlichen neuen Probleme mit AIDS besonders schnell anzugehen. Die Initialmaßnahmen kamen jedenfalls, für jedermann sichtbar, auf Antrag unter voller Beteiligung der zunächst gefährdeten Homosexuellen zustande, und so blieb auch jede sonst vielleicht denkbare öffentliche „Schwulenhetze" oder Diskriminierungswelle aus. Im Gegenteil, nicht nur die „schwulen" Selbsthilfeaktionen, sondern auch das weit publizierte Auftreten der AIDS-Patienten schufen ein Klima, in dem die Stadt ihre finanziellen Ausgaben zur Vorbeugung unbeanstandet laufend und drastisch erhöhen konnte. Der San Francisco Chronicle stellte außerdem einen offen homosexuellen Reporter ein, um eine regelmäßige und vorurteilsfreie Berichterstattung zu garantieren.


Eine Kontroverse entzündete sich nur an der Frage, ob die „schwulen" Bäder und Sex-Clubs als gesundheitsgefährdend geschlossen werden sollten. Auch hier fanden sich Homosexuelle auf beiden Seiten der Argumentation. Das Thema erledigte sich aber im Laufe der Zeit praktisch von selbst, da die Kundschaft ihr Sexualverhalten änderte und zumeist einfach ausblieb. Die heute noch erfolgreich operierenden Sex-Clubs bieten sich nun als „Safe Sex"-Häuser an oder inserieren sogar offen als „Masturbations-Clubs".


Die Verhaltensänderung in der „Schwulenszene" wird außerdem durch das schnelle Anwachsen einer Privatindustrie illustriert, die vor der AIDS-Krise so gut wie unbekannt war - „Telefon-Sex". Dabei ist selbstverständlich jede Ansteckung ausgeschlossen.


Auch auf nicht-sexuellem Gebiet kam es zu wichtigen Neuentwicklungen, von denen hier abschließend noch zwei genannt werden sollen: die ,,Shanti-" und „Hospiz-Programme.


Unter dem Namen Shanti (Sanskrit: innerer Friede) konzentriert sich eine schon länger bestehende Freiwilligenorganisation nun auf die Betreuung (d. h. Sterbebegleitung) von AIDS-Kranken. Sie findet meist in deren eigener Wohnung statt und schließt Beratungsgespräche, Einkäufe, Hausarbeiten und andere Hilfeleistungen ein. Diese Betreuung hat auch eine starke emotionale, ja spirituelle Komponente. Das gesamte, sehr schnell gewachsene Programm wird ebenfalls von der Stadt mit erheblichen Mitteln unterstützt.


Die „Hospiz"-Bewegung, d.h. professionelle Sterbebegleitung daheim durch besondere Ärzte und Krankenpflegepersonal hat sich in der AIDS-Krise als genauso nützlich, ja eigentlich als unentbehrlich erwiesen. Es ist ja nicht nur wesentlich billiger, AIDS-Patienten zuhause zu behandeln, sondern vor allem ist es in jeder Hinsicht humaner, und so wurde auch die örtliche Hospiz-Organisation in San Francisco schnell ausgebaut. Gerade sie käme zukünftig auch in Deutschland als Modell in Frage.


Der AIDS-Virus-Antikörper-Test


Das AIDS-erregende Virus wird von verschiedenen Forschern verschieden benannt - etwa LAV (Montagnier), HTLV-III (Gallo) oder ARV (Levy) -und kann mit Hilfe komplizierter und kostspieliger Tests direkt nachgewiesen werden. In der Praxis gibt man sich aber meist mit dem leichteren Nachweis von Antikörpern gegen das Virus zufrieden. Dieser letztere Test, dessen Anwendung sich nun schnell verbreitet, erlaubt die notwendige Kontrolle von Blutkonserven und hat auch eine offensichtliche Bedeutung für die epidemiologische Forschung. Die darüber hinausgehende Anwendung des Tests ist aber durchaus umstritten. Selbst von den wichtigen und komplexen Fragen des Datenschutzes einmal abgesehen, ist er in vieler Hinsicht problematisch.


Zunächst einmal ist heute noch unklar, was ein positives Testergebnis wirklich bedeutet. Sind die Betroffenen nun und für den Rest ihres Lebens immer ansteckend? Werden sie selbst an AIDS erkranken? Und wann würde die Erkrankung eintreten? Diese und andere Fragen können zur Zeit noch nicht klar beantwortet werden, und so hat sich in San Francisco ein weitgehender Konsens ergeben, dass eine generelle Durchtestung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht  empfohlen wird.


Die „Testpositiven" haben zwar die verantwortungsvolle Gewissheit erlangt, dass sie andere nicht anstecken dürfen, ansonsten aber bleiben sie mit ihren Ängsten allein. Der schwerstwiegende Einwand gegen die wahllose oder auch nur breitgestreute Anwendung des Tests ist daher das bisherige Fehlen eines entsprechend breitgestreuten Beratungsangebots. Es scheint eigentlich selbstverständlich, dass man niemanden mit einem positiven Testergebnis einfach konfrontieren und dann alleinlassen kann. Vielmehr ist eine Nachsorge unbedingt erforderlich, und diese muss mindestens aus drei Elementen bestehen:


1. Eine genaue Erklärung darüber, was das Testergebnis bedeutet und was es nicht bedeutet. - Diese Erklärung kann jeder Arzt nach geringer Fortbildung leisten (ggf. anhand eines Merkblattes).


2. Eine psychotherapeutische Stützung des Patienten, der möglicherweise depressiv wird oder andere psychische und psychosomatische Störungen entwickelt. - Diese Stützung kann augenblicklich durchaus nicht jeder Arzt leisten.


3. Eine individuelle, sehr detaillierte und mehrfach wiederholte Beratung über die Sexualpraktiken, die dem Patienten von nun an noch verbleiben, wenn er andere nicht anstecken will. - Diese letztere Beratung kann heute kaum ein Arzt effektiv leisten. Sie ist aber bei weitem die wichtigste vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheit aus, denn nur wenn die infizierten Personen ihr Sexualverhalten ändern, kann das Infektionspotential eingedämmt und die weitere Ausbreitung der Krankheit verhindert werden. Inzwischen empfiehlt es sich aber für alle, testnegativ oder -positiv, ihr Sexualleben ansteckungssicher zu gestalten.


Kurz gesagt, die Einführung des AIDS-Virus-Antikörper-Tests wird selber zum Test des medizinischen Ausbildungs- und Fortbildungssystems. Hier liegt eine neue, riesengroße und bislang noch kaum erkannte Aufgabe für die praktische Sexualmedizin.


Erfolg der Programme


Soweit sich das heute schon beurteilen lässt, sind sowohl die Betreuungsprogramme für AIDS-Kranke als auch die Vorbeugungsprogramme San Franciscos erfolgreich. Die Betreuungsprogramme verdienen unbedingt eine detaillierte Darstellung, die hier aber nicht gegeben werden kann. Der Erfolg der Vorbeugungsprogramme sei aber kurz angedeutet: Wie bereits erwähnt, weisen verschiedene Entwicklungen, wie das Schwinden der Kundschaft für Sex-Clubs und Bäder, deren Umwandlung in „Safe-Sex"-Häuser und die Ausbreitung einer „Telefon-Sex"-Industrie, auf erhebliche Änderungen des Sexualverhaltens in San Francisco hin. Dieser Eindruck verstärkt sich durch persönliche Beobachtung der hier offen zutage liegenden „Schwulenszene", deren Veränderung in den letzten drei Jahren für jeden Bürger leicht erkennbar ist. Örtliche Zeitungs- und Fernsehreportagen bestätigen den Eindruck noch einmal, und inzwischen liegen auch zwei wissenschaftliche Studien dieser Veränderung vor.


Die erste, 1984 von der San Franciso AIDS Foundation in Auftrag gegeben, basiert auf 500 Interviews mit homosexuellen und bisexuellen Männern. Davon hatten sich bereits ca. zwei Drittel jeder Ansteckungsgefahr entzogen, sei es durch völlige Abstinenz, durch Beschränkung auf einen Partner oder durch konsequent risikofreies Sexualverhalten. Hauptsächlich bei Männern über 45 Jahren und solchen mit geringer Schulbildung war keine ausreichende Verhaltensänderung eingetreten. Ein besorgniserregender Hinweis auf das bisexuelle Ansteckungspotential lag aber darin, dass 21% der Befragten in den letzten fünf Jahren Sexualkontakt mit zwei und mehr (bis zu zehn) Frauen gehabt hatten.


Eine zweite, fortlaufende Studie der University of California at San Francisco stellte bei vielen Homosexuellen und Bisexuellen eine erhebliche Reduzierung der Sexualpartner fest. Die damit theoretisch gegebene Verminderung des Ansteckungspotentials wird aber leider praktisch durch die inzwischen gestiegene allgemeine Infektionsrate weitgehend aufgehoben. Mit anderen Worten, auch wer nur wenige Sexualpartner hat, läuft inzwischen ein großes Risiko, da auch von diesen wenigen jetzt mehr als vorher infiziert sind. So unterstreicht diese Studie wiederum die Notwendigkeit, die „Safe Sex"-Kampagne weiterzuführen.

AIDS - Ansteckungsrisiko und Sexualverhalten


AIDS ist eine u.a. sexuell übertragbare Krankheit. Einer Ansteckung durch Geschlechtsverkehr kann man aber dadurch vorbeugen, dass man sein Sexual verhalten entsprechend ändert.


Das AIDS-erregende Virus ist bei infizierten Personen in allen Körperflüssigkeiten nachgewiesen worden (in Blut, Samen, Speichel, Urin und Kot). Man schützt sich also sehr einfach vor Ansteckung, indem man beim Geschlechtsverkehr das Eindringen von fremden, vielleicht infizierten Körperflüssigkeiten in den eigenen Körper verhindert, wo die in ihnen enthaltenen Viren durch möglicherweise mikroskopisch kleine Verletzungen in die Blutbahn gelangen könnten.


Das heißt in der Praxis, dass man z.B. jeden Oralverkehr vermeiden und bei Vaginal- oder Analverkehr ein Kondom benutzen sollte. Generell kann man die verschiedenen Arten des Geschlechtsverkehrs unter dem Gesichtspunkt der Vorbeugung gegen AIDS in drei Klassen einteilen: risikoreich, risikoarm und risikofrei. Im folgenden wird eine entsprechende Liste für alle Frauen und Männer abgedruckt, die nicht in exklusiven Paarbeziehungen leben. Andererseits versteht sich von selbst, dass exklusive Paare solche Vorsichtsmaßregeln nicht brauchen, denn zwei Nichtinfizierte können sich niemals gegenseitig anstecken. Jede Durchbrechung der sexuellen Exklusivität bedeutet aber ein gewisses Risiko, und dieses Risiko steigt mit der Anzahl der Sexualpartner.


Risikofrei:


• einfache (trockene) Küsse auf Wange und Mund


• Streicheln


• Massage


• Umarmungen


• äußerlicher Genitalkontakt


• gegenseitige Masturbation


Risikoarm:


• Zungenküsse, solange keine Zahnfleischverletzungen bestehen


• Vaginalverkehr mit Kondom


• Analverkehr mit Kondom


• Oralverkehr an der Vulva (Cunnilinctus), solange einerseits keine Zahnfleischverletzungen und andererseits keine Verletzungen der Vulva bestehen


• Oralverkehr am Penis, solange kein Sekret der Cowper-Drüsen und kein Samen in den Mund gelangt (Fellatio interrupta)


• Kot und Urin auf die unverletzte Haut


Risikoreich:


• Oral-analer Kontakt (Anilinctus, „Arschlecken")


• Einführung der Hand ins Rektum („Faustficken")


• Blutkontakt, etwa bei sadomasochistischen Praktiken


• Samen, Vaginalschleim oder Urin im Mund


• Vaginalverkehr ohne Kondom


• Analverkehr ohne Kondom


 
In den USA hat die Öffentlichkeitsarbeit unter Homosexuellen zur Verbreitung „sicherer" Formen des Geschlechtsverkehrs bei vielen bereits zu einem veränderten Verhalten geführt.


Ein sehr eindrucksvoller, wenn auch indirekter Beweis für die Änderung des Sexualverhaltens kommt schließlich aus den Statistiken des städtischen Gesundheitsamtes selber. Sie zeigen, dass die Rate der Infektionen mit Rektalgonorrhöe seit Beginn der AIDS-Krise auffällig abgesunken ist und weiter sinkt.


In ihrer Gesamtheit beweisen diese Daten, dass die Vorbeugungsprogramme der Stadt durchaus erfolgreich sind. Daran ändern auch die oben mitgenannten negativen Befunde nichts. Im Gegenteil, sie bestärken die Verantwortlichen in dem Entschluss, auf dem eingeschlagenen Wege fortzufahren. Wenn sie nun also die weiter ansteigende Kurve der AIDS-Erkrankungen betrachten, so sehen sie doch auch gleichzeitig die fallende Kurve der ansteckenden Sexualkontakte.


Die lange Inkubationszeit von AIDS (bis zu 5 Jahren und vielleicht noch mehr) gibt wenig Hoffnung auf ein schnelles Ende der Epidemie, denn alle, die in den nächsten fünf Jahren daran erkranken, sind ja bereits heute infiziert. Selbst im günstigsten Falle braucht ein Vorbeugungsprogramm also sehr viel Sachverstand, Weitblick und Geduld. In San Francisco sind sie glücklicherweise vorhanden.


Ausblick


Die Erfahrungen San Franciscos bieten in der sich schnell verschärfenden AIDS-Krise eine realistische Hoffnung. Die dort für die Vorbeugung bewilligten Ausgaben erscheinen für deutsche Verhältnisse vielleicht noch schockierend hoch, sind aber, gemessen an den Kosten der Krankheit selbst, eher bescheiden. Es ist auch mehr als zweifelhaft, ob geringere organisatorische und finanzielle Anstrengungen in Deutschland die notwendige Wirkung erzielen können. (San Francisco hat schließlich weniger Einwohner als etwa Hamburg, München oder West-Berlin.) Bei der dichten Besiedelung und dem gut ausgebauten Verkehrsnetz der Bundesrepublik scheint das Infektionspotential hier sogar noch höher als in den Vereinigten Staaten. Wenn der zeitliche Vorsprung in Deutschland also genutzt werden soll, so sind schnelle und drastische Aktionen gefordert. Diese Aktionen müssen sowohl von den Städten wie von den Ländern und der Bundesregierung kommen. Absolut unverzichtbar ist dabei die Einbindung, Mitarbeit und Unterstützung der Risikogruppen. Daraus ergibt sich auch logisch, dass alle Zwangs- und Strafmaßnahmen zu vermeiden sind, denn sie würden die erforderliche Vertrauensbasis zerstören. Das wiederum liefe dem wohlverstandenen Interesse der Gesamtgesellschaft völlig zuwider, denn bei der AIDS-Epidemie ist die Volksgesundheit nicht auf Kosten von Minderheiten zu schützen. Jede Diskriminierung könnte im Gegenteil die Krankheit in den Untergrund abdrängen, und damit würde sie jeder medizinischen Kontrolle entgleiten.

Gerade dies unerwünschte Resultat wird aber mit jedem Tage wahrscheinlicher, an dem nichts für die Vorbeugung unternommen wird. Die Gefahr besteht, dass am Ende unter „Sachzwang" und „Zeitdruck" wohlgemeinte, aber schlecht durchdachte und sozialmedizinisch katastrophale Entscheidungen gefällt werden. Außerdem ist zu bedenken, dass AIDS ein internationales Problem darstellt, und daher sind Schritte mindestens zur europäischen Koordination der Vorbeugungsmaßnahmen dringend geboten. Auch Informationsverbindungen zu amerikanischen Programmen sollten so schnell wie möglich hergestellt werden. Die vorhergehende knappe Skizze eines amerikanischen Beispiels kann nicht mehr als ein erster Hinweis sein. Bei regelrechter transatlantischer Zusammenarbeit kann aber das Modell San Francisco deutschen Städten manchen organisatorischen Irrtum, Fehlstart und Fehlschlag ersparen.


 

[Titelseite] [Inhalt] [Vorwort z. dt. Ausgabe] [Vorwort z. 2. Auflage] [Der menschl. Körper] [Das Sexualverhalten] [Sexualität & Gesellsch.] [Anhang (Akt. Themen)] [AIDS] [Audiovisuelle Mittel] [Die Gräfenberg-Zone] [Neuere Entwicklungen] [Sexuelle Rechte] [Anmerkungen] [Bildnachweis]