Die vier Phasen der sexuellen Reaktion

3.2.1 Die vier Phasen der sexuellen Reaktion


Wie oben erwähnt, sind die sexuellen Reaktionen beim männlichen und weiblichen Geschlecht im großen und ganzen die gleichen. Es gibt einige wichtige, aber nicht entscheidende Unterschiede. So kann man von einer allgemeinen menschlichen sexuellen Reaktion und ihren männlichen und weiblichen Varianten sprechen.


Das Grundmuster der physiologischen Veränderungen im menschlichen Körper, die sich während sexueller Aktivität vollziehen, kann man am einfachsten als Aufbau und Nachlassen von Spannungen beschreiben. Um die begleitenden Vorgänge besser verständlich zu machen, haben Wissenschaftler jedoch die sexuelle Reaktion in drei oder vier verschiedene Phasen eingeteilt. Die folgende Beschreibung der sexuellen Reaktion beim weiblichen Geschlecht folgt der Einteilung in vier Phasen nach Masters und Johnson.


1. Erregungsphase


Früher nahm man an, Frauen reagierten auf sexuelle Reize langsamer als Männer, Diese Annahme ist jedoch falsch. Nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen kann die sexuelle Erregung sehr plötzlich auftreten, und manche Menschen haben einen oder mehrere Orgasmen innerhalb weniger Minuten. Manche Frauen erreichen tatsächlich schon 15 bis 30 Sekunden nach dem Beginn des Geschlechtsverkehrs einen Orgasmus. Es scheint jedoch, daß Frauen in den Anfangsstadien der Erregung leichter abgelenkt werden können als Männer und daß sie einer unmittelbaren körperlichen Stimulation eher bedürfen. Deshalb hat es manchmal den Anschein, daß viele Frauen eine längere Zeit brauchen, um beim Koitus den Orgasmus zu erreichen, während die Erregung ihrer männlichen Partner oft von psychischen Faktoren unterstützt und beeinflußt wird. Frauen scheinen allgemein weniger leicht durch optische und akustische Reize, erotische Phantasien und Vorstellungen erregt zu werden. Wenn andererseits eine Frau die von ihr bevorzugte Form sexueller Stimulation erfährt (zum Beispiel durch Masturbation), erreicht sie ebensoschnell den Orgasmus wie der Mann.


Zu den ersten und deutlichsten Anzeichen sexueller Erregung zählt beim weiblichen Geschlecht das Feuchtwerden der Vagina. Als Reaktion auf sexuelle Reizung beginnen die Wände der Scheide, eine klare Flüssigkeit abzusondern, die sich als Feuchtigkeitsfilm über die Oberfläche der Scheide verteilt und sie auf den Koitus vorbereitet. Ohne diese Gleitflüssigkeit wäre das Einführen des Penis in die Vagina für beide Partner möglicherweise schmerzhaft. (Das entsprechende erste Anzeichen sexueller Erregung beim männlichen Geschlecht ist die Erektion des Penis. Zum gleichen Zeitpunkt, wo der Penis die Fähigkeit erreicht, in die Vagina einzudringen, wird diese dazu bereit, ihn aufzunehmen.) Mit fortschreitender Erregung vergrößern sich die inneren zwei Drittel der Vagina in der Breite und in der Länge, sie beginnt sich also leicht aufzublähen. Gleichzeitig verändert sich die Färbung der Scheide von Hellrot zu Dunkelrot, was sich in den folgenden Phasen noch verstärkt.


Die großen Schamlippen reagieren unterschiedlich, je nachdem, ob eine Frau bereits Kinder geboren hat oder nicht. Wenn sie noch nicht geboren hat, flachen die großen Schamlippen bei sexueller Erregung ab und legen so die Scheidenöffnung frei. Die großen Schamlippen von Frauen, die schon eine Geburt hatten, sind ohnehin vergleichsweise größer und sie schwellen nun infolge eines Blutstroms weiter an. Auch hier wird jedoch die Scheidenöffnung freigelegt. Die kleinen Schamlippen schwellen bei allen Frauen deutlich an und bekommen eine zunehmend rote Farbe. Die Klitoris nimmt (wie der Penis) an Umfang und Größe zu, indem sich die Schwellkörper mit Blut füllen. Gleichzeitig beginnt der Uterus anzuschwellen und sich in den Unterleib hineinzuziehen. Daraus ergibt sich die zuvor beschriebene Verlängerung der Vagina.


In der Erregungsphase erigieren die Brustwarzen und behalten diese Erektion während aller folgenden Phasen bei. Da jedoch im weiteren die dunklen Höfe um die Brustwarzen und schließlich die ganze Brust an Größe zunehmen, sind die erigierten Brustwarzen nach und nach weniger auffällig. Mit zunehmender Erregung kommt es zu willkürlichen und unwillkürlichen Muskelkontraktionen in verschiedenen Teilen des Körpers, Pulsfrequenz und Blutdruck steigen an.


Neben diesen Anzeichen steigender Erregung kommt es bei den meisten Frauen auch zum „sex flush"-Phänomen, einer Hautrötung, die in der Magengegend beginnt und sich auf Brust und Nacken ausbreitet. Diese Hautrötung hält bis nach der Orgasmusphase an.


2. Plateauphase


Die Plateauphase ist eine Verlängerung der Erregungsphase. Mit dem Wort „Plateau" soll ausgedrückt werden, daß ein bestimmter Grad der Erregung erreicht ist, der eine Zeitlang anhält, bis der Orgasmus erreicht wird.


In dieser Phase vergrößern und erweitern sich die inneren zwei Drittel der Vagina nur unwesentlich, während sich die Wand des äußeren Drittels mit Blut füllt. Dieser Teil der Scheide, der sich in der Erregungsphase geringfügig erweitert hat, verengt sich hierdurch um ungefähr ein Drittel. Das stark durchblutete und sich verengende äußere Drittel der Scheide wird deshalb auch plastisch als „orgastische Manschette" bezeichnet.


Die großen Schamlippen verändern sich im Laufe der Plateauphase nicht mehr. Die Rotfärbung der kleinen Schamlippen wird jedoch noch intensiver, besonders bei Frauen, die bereits Kinder geboren haben. Dieser auffallende Farbwechsel zeigt das Bevorstehen des Orgasmus an. Wenn ein bestimmter Grad der Erregung erreicht ist, zieht sich die Klitoris unter ihre Vorhaut zurück und wird so für direkte Stimulation durch die Frau oder ihren Partner unerreichbar. (Man hat in der Vergangenheit dieses Zurückziehen unzutreffenderweise nicht als Intensivierung, sondern als Verminderung der sexuellen Erregung interpretiert.) Die Bartholin-Drüsen können in der späten Erregungsphase oder in der Plateauphase etwas Flüssigkeit absondern. Der Uterus wird weiter in den Unterleib hineingezogen und nimmt an Umfang zu.


Auch die Brüste erreichen ihren größten Umfang in der Plateauphase, das „sex frush"-Phänomen - wenn es aufgetreten ist - intensiviert sich und breitet sich aus, Willkürliche und unwillkürliche Muskulatur wird zunehmend angespannt. Pulsfrequenz und Blutdruck steigen an, die Atmung wird rascher.


3. Orgasmusphase


Der Orgasmus ist ein plötzliches Nachlassen der Muskel- und Nervenanspan-nung auf dem Gipfel sexueller Erregung. Dieses Erlebnis ist wohl der intensivste körperliche Genuß, zu dem ein Mensch fähig ist, er wird von beiden Geschlechtern grundsätzlich auf gleiche Weise erlebt. Ein Orgasmus dauert nur einige Augenblicke und wird wie ein krampfartiger Anfall, eine Reihe von Zuckungen empfunden, die den ganzen Körper erfassen und die von •vollständiger Entspannung gefolgt sind. Bei geschlechtsreifen Männern kommt es dabei zur Ejakulation von Samenflüssigkeit. Wie oben erwähnt, kann es bei manchen Frauen in ähnlicher Weise zu einer „Ejakulation" von „Prostata"-Sekret aus den urethralen Drüsen (der „weiblichen Prostata") durch die Urethra kommen. (Vgl. a. den obigen Abschnitt „Die Scheide".)


Während also Orgasmen von Männern und Frauen prinzipiell ähnlich erlebt werden, sind Frauen eher zu mehreren aufeinanderfolgenden Orgasmen fähig. Zwar gibt es seltene Fälle, in denen Männer - vor allem in jungen Jahren - zu mehreren Orgasmen in rascher Folge in der Lage sind. Dies ist jedoch sehr viel öfter bei Frauen der Fall.


Es gibt noch einen weiteren Unterschied: Während das Grundmuster des Orgasmus beim männlichen Geschlecht kaum variiert, können Frauen Orgasmen auf sehr verschiedene Arten erleben. Bei manchen Frauen ist der Orgasmus eher kurz und sanft; bei anderen ist er länger und heftiger. Eine Frau kann auch in unterschiedlichen Situationen verschiedene Arten des Orgasmus erleben. Der grundlegende physiologische Vorgang, der diesen möglichen Varianten zugrunde liegt, ist indes immer der gleiche.


Beim weiblichen Geschlecht beginnt der Orgasmus mit heftigen, rhythmischen Kontraktionen im äußeren Drittel der Vagina, der „orgastischen Manschette". Diese Kontraktionen, deren Anzahl zwischen drei und 15 liegen kann, wiederholen sich anfangs in Abständen von weniger als einer Sekunde, sie werden dann schwächer und erfolgen in größeren Abständen. Fast gleichzeitig beginnt der Uterus sich zusammenzuziehen. Diese Kontraktionen sind jedoch unregelmäßig. Sie beginnen in der oberen Hälfte des Uterus und sind nach unten gerichtet, ähnlich den Geburtswehen. Auch die Schließmuskeln des Anus kontrahieren sich während des Orgasmus entsprechend der „orgastischen Manschette". Die große Muskelanspannung erfaßt nicht nur den gesamten Raum des kleinen Beckens, sondern den gesamten Körper, Nacken, Arme, Hände, Beine und Füße. Pulsschlag und Blutdruck steigen noch geringfügig über das Niveau der Plateauphase an, die Atmung wird sehr rasch. Natürlich ist die Intensität all dieser körperlichen Reaktionen auch vom Grad und der Dauer der sexuellen Erregung abhängig.


4. Rückbildungsphase


Nach dem Orgasmus benötigen die Geschlechtsorgane (und mit ihnen der ganze Körper) eine bestimmte Zeit, bis sie ihren Ruhezustand wieder erreichen. Während dieser sogenannten Rückbildungsphase läßt der Blutstau im äußeren Drittel der Scheide rasch nach. Die großen und kleinen Schamlippen nehmen wieder ihre ursprüngliche Form an. Die Klitoris tritt wieder unter ihrer Vorhaut hervor. Der Uterus kehrt zur Normalgröße zurück, und indem er aus seiner aufgerichteten Position in das kleine Becken zurücksinkt, verschwindet die oben beschriebene Erweiterung der inneren zwei Drittel der Vagina. Das „sex flush"-Phänomen verschwindet. Die Brustwarzen und die Brüste selbst kehren langsam in den Ruhezustand zurück. Mit dem Nachlassen der Muskelanspannung nehmen auch Pulsfrequenz und Blutdruck ab, die Atmung normalisiert sich.


Frauen scheinen im Gegensatz zu Männern keine „Refraktärperiode"'zu haben, jedenfalls ist sie nicht so deutlich. Eine Fortsetzung der Stimulation kann in vielen Fällen bei Frauen unmittelbar nach dem ersten Orgasmus zu einem zweiten oder dritten führen. Zu einer solchen raschen Folge vieler Orgasmen scheint eine große Zahl von Frauen in der Lage zu sein. In diesen Fällen setzt die hier beschriebene Rückbildungsphase natürlich erst nach dem letzten Orgasmus ein.

 

Die sexuelle Reaktion beim weiblichen Geschlecht


Wilhelm Reich war einer der ersten, die den Ablauf der sexuellen Reaktion untersuchten. Er nannte sie die „Orgasmusformel" und schlug vor, sie in vier Hauptphasen zu unterteilen: 1. mechanische Spannung, 2. bio-elektrische Ladung, 3. bio-elektrische Entladung, 4. mechanische Entspannung*. In neuerer Zeit wurden diese vier Phasen von Masters und Johnson neu benannt als l Erregungsphase, 2. Plateauphase, 3. Orgasmusphase, 4. Rückbildungsphase. Sie führten zusätzlich eine fünfte Phase ein, die Refraktärperiode. Im folgenden wird die sexuelle Reaktion der weiblichen Geschlechtsorgane nach Masters und Johnson beschrieben. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, daß es sich eigentlich um eine Reaktion des ganzen Körpers handelt.
 

Veränderungen der äußeren Geschlechtsorgane


 

Veränderungen der inneren Geschlechtsorgane
 


(5. Refraktärperiode)

Es gibt einige Hinweise darauf, daß auch beim weiblichen Geschlecht eine sogenannte „Refraktärperiode" besteht, d. h. eine Zeitspanne nach dem Orgasmus, in der auf weitere sexuelle Reize keine Reaktion möglich ist. Dieses Phänomen wird allerdings nicht immer bemerkt, da viele Frauen zu mehreren Orgasmen in rascher Abfolge fähig sind.


 

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