Ehe

Intersexualität - Unser Umgang mit der Intersexualität

Soziokulturelle Einstellungen: Juristische Traditionen

Ehe

Traditionellerweise hat das Gesetz in den meisten Ländern eine Eheschließung immer nur zwischen Personen verschiedenen Geschlechts gestattet. Die genaue Zahl der Ehepartner war nicht in jedem Fall festgelegt. In einigen Kulturen waren und sind ja verschiedene Formen der Polygamie (Vielehe) erlaubt. Aber es wurde immer unterstellt - wenn auch nicht immer ausgesprochen - dass diese Partner verschiedenen Geschlechts sein mussten. In der Tat, in vielen westlichen Ländern ist die Ehe auch gesetzlich eindeutig als Verbindung von einer Frau mit einem Mann definiert.
Allerdings, wie wir in diesem Kurs gesehen haben, ist es nicht immer leicht festzustellen, wer eine Frau oder ein Mann ist.
Die moderne Sexualforschung hat auf diesem Gebiet viele vorher unvermutete Komplexitäten aufgedeckt und ein breites Spektrum zwischen weiblich und männlich gefunden, dem unsere bestehenden Gesetze nicht gerecht werden können. Wir haben auch gelernt, dass die sexuelle Selbstidentifikation als weiblich oder männlich der körperlichen Erscheinung widersprechen kann. Es kann deshalb manchmal nötig werden, die anfängliche falsche Zuordnung zu einem Geschlecht - auch in amtlichen Papieren - später zu ändern. Wenn nun aber die betroffene Person zu diesem späten Zeitpunkt bereits verheiratet ist, so erhebt sich die Frage, ob diese Ehe gültig bleiben kann, denn nach der amtlichen Änderung besteht sie ja dann zwischen zwei Partnern des gleichen Geschlechts. Gleichgeschlechtliche Ehen sind erst in jüngster Zeit in einigen westlichen Ländern möglich geworden, aber viele andere Länder und große Religionsgemeinschaften sind strikt dagegen. In der Tat, verheiratete Transsexuelle, die nach ihrer “Geschlechtsumwandlung” neue Personalpapiere beantragen, müssen sich bisher in den meisten Ländern zuerst scheiden lassen.
Dies ist auch für intersexuelle Personen ein ernstes Thema, denn viele von ihnen heiraten “in gutem Glauben” jemanden vom anderen Geschlecht. Ja, ihre Intersexualität bleibt möglicherweise völlig unentdeckt, bis ein Arzt eines Tages die Ursache für die Unfruchtbarkeit des Paares sucht. Er findet dann vielleicht bei einem der Partner einen klaren Widerspruch zwischen der Geschlechtsrolle und den biologischen Tatsachen. Wenn dann die sexuelle Selbstidentifizierung trotz der überraschenden Diagnose unerschüttert bleibt, dann ist es am besten, die Neuentdeckung einfach zu ignorieren. Der Arzt und das Paar behalten die Information für sich, und das Gesetz bleibt außen vor. Es gibt aber auch komplizierte Fälle, die schwer zu verbergen sind. Werden sie dann bekannt, so stellen sie manche stillschweigende Annahme über die Ehe in Frage. Interessenvertreter der Intersexe weisen z.B. darauf hin, dass Unfruchtbarkeit niemals ein Ehehindernis gewesen ist, denn Frauen haben immer auch nach ihrer Menopause heiraten dürfen. Auch die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr ist kaum je ein Hindernis gewesen, denn selbst chronisch Kranke, Schwerbehinderte und sehr alte Personen konnten stets ohne weiteres heiraten. Also sind Liebe, Freundschaft, Kameradschaft und finanzielle Sicherheit schon immer als ausreichende Rechtfertigung für eine Ehe anerkannt gewesen. Daraus folgt, dass es keinen stichhaltigen Grund gibt, die Ehe auf verschiedengeschlechtliche Paare zu beschränken.
In modernen Gesellschaften wird deshalb immer öfter die Forderung erhoben, die Ehe als ein allgemeines Menschenrecht anzuerkennen, unabhängig vom Geschlecht der Partner.

[Kurs 3] [Kursbeschreibung] [Nutzungsanleitung] [Einleitung] [Beim weibl. Geschlecht] [Beim männl. Geschlecht] [Intersexualität] [Einleitung] [Intersexuelles Spektrum] [Umgang mit Intersex.] [Weitere Lektüre] [Examen]