Unser Umgang mit der Intersexualität

Intersexualität

Unser Umgang mit der Intersexualität:
Wahrnehmung oder Verleugnung der Wirklichkeit

Wie wir in diesem Kurs wiederholt gesehen haben, ist beim Menschen alles Sexuelle eine Sache von Gradunterschieden:

  • Bei den drei Grundaspekten der menschlichen Sexualität - körperliches Geschlecht, Geschlechtsrolle und sexuelle Orientierung - handelt es sich jeweils um Gradunterschiede.
  • Auch bei der Intersexualität handelt es sich um Gradunterschiede.
  • Bei den einzelnen Formen der Intersexualität handelt es sich wiederum um Gradunterschiede.

In jedem dieser Fälle haben wir es eben nicht mit festen Eindeutigkeiten oder klar abgegrenzten Alternativen zu tun, sondern immer mit einem Spektrum von Möglichkeiten - und in der Praxis - mit einem Spektrum von Realitäten. Solche Spektren gibt es überall in der Natur, und in der Biologie sind sie seit jeher bekannt. Unsere abendländische Kultur insgesamt aber neigte lange dazu, das Offensichtliche nicht zur Kenntnis zu nehmen und die Natur als eine Summe von getrennten, unwandelbaren Einheiten aufzufassen. Anstatt unbefangen die Wirklichkeit wahrzunehmen, pflegte man den blinden Glauben an natürliche Festgrößen und bemühte sich, diese alle fein säuberlich in die Kästchen eines angeblich unverrückbaren Systems einzuordnen. So sah man z.B. auch in den beiden Geschlechtern naturgegebene, klar unterscheidbare Gegensätze und sprach sogar vom anderen Geschlecht als vom „Gegengeschlecht“ (engl. “opposite sex”). Die Parole hieß immer „entweder - oder“. Zwischenstufen waren nicht wirklich daseinsberechtigt. Alle körperlichen und psychologischen Varianten galten als unakzeptable Abweichungen von einer vermeintlich ewigen Norm.

 

Nur der mühselige Fortschritt der modernen Wissenschaft hat uns nach und nach von dieser naiven Sicht der Dinge befreit. So lernten wir mit der Zeit, dass es schon innerhalb einzelner Kategorien Bandbreiten und Abstufungen gibt und auch Übergänge von einem Naturphänomen zum anderen. Besonders seit Charles Darwin (1809 -1882) begannen Biologen zu begreifen und zu bewundern, dass die Natur eine erstaunliche Fähigkeit besitzt, immer neue Variationen hervorzubringen. Ja, sie erkannten, dass genau diese Fähigkeit die Quelle alles Lebens auf unserem Planeten ist. Gleichzeitig entdeckten Ethnologen und Kulturhistoriker, dass die Geschlechtsrollen keineswegs unveränderlich sind, sondern je nach Ort und Epoche variieren. Schließlich bewies der Biologe Alfred C. Kinsey (1894 -1956) mit seinen Statistiken, dass auch die sexuelle Orientierung keine Frage von „schwarz oder weiß“ ist, sondern, wie alles sonst in der Natur, auf einem Kontinuum liegt.
Diese Einsicht mit ihren Folgerungen hat sich leider noch nicht überall durchgesetzt.
Immerhin deutet sich nun wenigstens beim Thema Intersexualität ein Wandel an. Die Ärzteschaft und die breite Öffentlichkeit lernen allmählich, einige alte biologische Wahrheiten zur Kenntnis zu nehmen. Diese Entwicklung verdankt sich teilweise auch der unermüdlichen Arbeit intersexueller Selbsthilfe- und Interessengruppen.

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