Erwin J. Haeberle

Sexualwissenschaft als Kulturwissenschaft:
Zur Diskussion vor 1933

Dieser Aufsatz erschien zuerst in: "Sexualität als sozialer Tatbestand" (hg. von Rolf Gindorf und Erwin J. Haeberle), Berlin 1986, S. 37-54

Der kühn synthetisierende Entwurf einer "Sexualwissenschaft" wurde im Jahre 1906 von Iwan Bloch gewagt, der auch schon ein Jahr später ihr erstes bedeutendes Werk vorlegte: Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur [1]. In diesem ehrgeizigen Titel wiederum verband er nun nicht nur zwei, sondern sogar drei historisch relativ neue Begriffe, nämlich die des "Sexuellen", des "Modernen" und der "Kultur". Sein Pioniereifer ließ sich von solcher Komplexität nicht schrecken; was es aber wirklich bedeutet, eine Konstellation dieser drei Phänomene zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu machen, wurde erst im Laufe der folgenden Jahre erkennbar und ist eigentlich bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Bloch selber ging noch beherzt und unbefangen, ja beinahe unbekümmert an seine Aufgabe, und diese hatte für ihn ein deutlich sichtbares Ziel: Sexualreform, d. h. die "Neugestaltung und Verbesserung der bestehenden sexuellen Beziehungen". Als Arzt hatte er das Sexuelle vor allem an seinen krankhaften Äußerungen begreifen gelernt, -die Degenerationstheorien Morels, Magnans und Charcots, die Psychopathia sexualis Kaans und Krafft-Ebings, die eugenischen Vorstellungen Galtons und Schallmayers sowie die von Pronatalisten beschworene "Entvölkerungsgefahr" beherrschten weitgehend die Fachdiskussion - kurz, in medizinischer Sicht war das Sexuelle nicht nur problematisch, sondern auch potentiell bedrohlich sowohl für den Einzelnen wie für die Gesellschaft. Es erzeugte Angst. [2].

Angst, Scham und Schuldgefühle entstanden aber auch für alle, die der nicht-medizinischen Sexualdiskussion unter Juristen und Theologen folgten. Veraltete Strafgesetze und starre religiöse Dogmen erschwerten in einer gewandelten Welt immer mehr Menschen das Leben.

Solchem Irrationalismus war nur durch eine neue Wissenschaft zu begegnen, und diese Wissenschaft mußte über alle traditionellen Sichtweisen hinausgehen. In der Tat, Bloch, der praktizierende Dermatologe und hochgebildete Bibliomane, mehrerer Sprachen mächtig, kulturhistorisch und anthropologisch interessiert, sah sich selber berufen, die erweiterte Perspektive zu liefern:

"Die Doppelnatur des Geschlechtstriebes, seine biologische und kulturelle Seite, läßt uns die ganze Schwierigkeit der wissenschaftlichen Sexualforschung verstehen und es begreiflich erscheinen, daß auf der einen Seite die Mediziner und Naturforscher, auf der anderen die Theologen, Philosophen, Juristen und Kulturforscher die "sexuelle Frage" von ihrem einseitigen Standpunkte aus lösen zu müssen glauben. Schon aus dieser Tatsache ergibt sich die Notwendigkeit einer Begründung der Sexualwissenschaft als einer reinen Wissenschaft für sich, die nicht, wie bisher, als Anhängsel irgendeiner anderen Wissenschaft aufgefaßt werden darf, oder etwa, was völlig widersinnig ist, diese ganz verschiedenen Disziplinen als "Sexualwissenschaften[!] zusammenfaßt. Wohin das führen würde, hat die rein medizinisch-klinische Betrachtungsweise von Krafft-Ebings, ... seiner Vorgänger und Nachfolger gezeigt, unter denen manche schon die Wissenschaft bereichert zu haben glauben, wenn sie neue Spezialfremdwörter ohne begrifflichen Inhalt bilden, während es doch gerade hier vor allem auf die kritische Untersuchung der tatsächlichen Vorgänge ankommt." [3]

Die leerlaufende Einseitigkeit der traditionellen Forschung war nur durch interdisziplinäre Methoden und eine großangelegte, detaillierte Datensuche zu überwinden:

"Eine rein medizinische (geschweige denn psychiatrische) Auffassung des Geschlechtslebens, obgleich sie immer den Kern der Sexualwissenschaft bilden wird, [reicht nicht aus], um den vielseitigen Beziehungen des Sexuellen zu allen Gebieten des menschlichen Lebens gerecht zu werden. Diese Beziehungen als Ganzes machen den Inhalt der besonderen "Sexualwissenschaft" aus, deren Aufgabe es ist, sowohl die physiologischen als auch die sozialen und kulturgeschichtlichen Beziehungen der Geschlechter zu erforschen und durch das Studium des Natur- und Kulturmenschen gewissermaßen die sexuellen Elementargedanken der Menschheit aufzufinden, die übereinstimmenden biologisch-sozialen Erscheinungen der Sexualität bei allen Völkern und zu allen Zeiten, den festen Grund für das Gebäude der neuen Wissenschaft. Einzig und allein diese anthropologische Betrachtungsweise (im weitesten Sinne des Wortes) liefert uns für die Sexualwissenschaft an der Hand von Massenbeobachtungen, für die das Material nicht groß genug sein kann und immer noch hinzuströmt, solche wissenschaftlich verwertbaren Grundlagen, daß sie denselben Anspruch auf Exaktheit und Objektivität erheben können wie die rein naturwissenschaftliche Einzelbeobachtung [4]."

Wenn Bloch hier als Arzt von einer "anthropologischen Betrachtungsweise im weitesten Sinne des Wortes" sprach, so vertrat er noch sehr bewußt den Standpunkt seines verehrten Vorbildes Rudolf Virchow, für den die Medizin selbst die Basis für jede soziale Reform und die eigentliche "Wissenschaft vom Menschen, die Anthropologie im weitesten Sinne, also ideal (prophetisch) die höchste Naturwissenschaft" gewesen war [5]. Speziell aber bezog er sich auf den Ethnologen Adolf Bastian, wenn er die "sexuellen Elementargedanken der Menschheit" anführte. Dieser war von der Vorstellung ausgegangen, daß in jeder menschlichen Kulturäußerung eine begrenzte Anzahl von "Elementargedanken" enthalten sind, daß also jede Sprache, Religion, Philosophie und Kunst, jede soziale Organisation und Gesetzgebung gewisse allgemeine Ideen enthält, die nur infolge verschiedener Geographie verschiedene Formen annehmen. So werden die allgemeinen Elementargedanken zu besonderen Völkergedanken, die durch Wanderung, Handel und Krieg dann auch in Gegenden gelangen, in denen sie nicht entstanden sind. Der Forscher aber hat unter dem oft befremdlichen Aufputz die Grundsubstanz herauszuspüren. [6]

Dies sollte, nach dem Willen Blochs, auch die Aufgabe des Sexualwissenschaftlers sein, und er selbst machte mit seinem Studium der sogenannten Perversionen den Anfang. Was diese Anwendung der Kulturgeschichte auf das Sexuelle anging, so konnte sich Bloch aber noch auf einen frühen, sehr illustren Vorgänger berufen, nämlich Wilhelm von Humboldt. Der hatte schon um 1791/92 den Plan einer Geschichte der Hurerei gefaßt und, obwohl nicht ausgeführt, in den Jahren 1827/28 noch erweitert und fragmentarisch skizziert unter dem neuen Titel Geschichte der Abhängigkeit im Menschenge-schlechte.

In diesem Fragment fanden sich auch schon Parallelen zu Bastians "Elementargedanken", so zum Beispiel, wenn Humboldt schrieb:

"Die Geschichte eines Zustandes des einzelnen Menschen und des Menschengeschlechts durch alle Verhältnisse des Privatlebens und alle Ereignisse der Ueberlieferung hindurch zu verfolgen, ist ein bis jetzt noch zu wenig versuchtes Unternehmen. Wenn aber die Weltgeschichte wahrhaft innerlich, als ein Abriss der wirklich gewordenen Erscheinungen des geistigen und empfindenden Menschen genommen werden soll, so müssen nicht bloss die Menschen in verschiedenen Zuständen, sondern auch die allgemeinen Zustände an verschiedenen Menschen und Völkern betrachtet werden. Denn gerade sie sind das Bleibende, sich fort Erhaltende, da der einzelne, geniessende und leidende Mensch kommt und untergeht. Sie entwickeln sich und erreichen ein Ziel, da das Treiben der Einzelnen, der Völker, wie der Individuen, immer nur Trümmer und Stückwerk ist. Sie gehen von einer im Begriff der Menschheit liegenden geistigen Thatsache aus, und läutern sich zur Idee, und sind, als solche, um soviel höher, als die Menschheit selbst, dass ihnen ganze Menschengeschlechter zum Opfer gebracht werden können. Denn in ihren unvollkommeneren Entwicklungen wirken sie einengend, drückend und zerstörend, und ihr Segen trifft oft erst die späteren Generationen. Da aber die Völker aller Zonen und Zeiten nur vorübergehende Erscheinungen der Einen grossen, in ihrem Wesen ewig unerkannten Realitaet der Menschheit sind, so giebt es in dieser gewiss Ersatz, wenn frühere Geschlechter für nachfolgende entbehren und leiden ..." [7]

Der genaue Sinn dieser Betrachtung bleibt zunächst etwas dunkel, wird aber aufgehellt, wenn man das Hauptstück von Humboldts Fragment betrachtet - ein komplettes und detailliertes Inhaltsverzeichnis der geplanten Studie. Sie sollte nämlich einen ganz bestimmten "allgemeinen Zustand" historisch beschreiben und die besondere Idee, zu der er sich läutert: den Zustand der menschlichen Abhängigkeit und die Idee der menschlichen Freiheit, die sich als Gegenbild aus diesem Zustand entwickelt. Die Abhängigkeit aber ist bei Humboldt zunächst sexuell definiert. Sie ist eine Form der Unfreiheit oder Dienstbarkeit, die seit jeher im Menschengeschlechte ungleich verteilt war - sie unterdrückte die Frauen immer weit mehr als die Männer.

Die ganze Studie war daher in vier Hauptabschnitte gegliedert. Davon sollte der erste die "Geschichte des weiblichen Geschlechts" darstellen. Ein zweiter sollte dann die "Geschichte des Zeugungstriebes" behandeln, ein dritter die "Geschichte der Dienstbarkeit", und der vierte endlich die "Geschichte der Abhängigkeit in männlicher Freiheit".

Besonders denkwürdig ist dabei der Plan, die "Geschichte des Zeugungstriebes" zu liefern, also eine historische Perspektive gerade dort zu eröffnen, wo man sonst immer nur eine Naturkonstante hatte erblicken wollen. Humboldt aber löste im Ansatz hier das Sexuelle aus dem angeblich unwandelbaren Naturzusammenhang heraus und machte es als ein Gewordenes, historisch Vermitteltes, der Kulturwissenschaft zugänglich. Hierin allein schon lag eine Herausforderung, denn daß ein Trieb eine Geschichte haben könnte, war damals für die meisten (und ist heute noch für viele) unvorstellbar.

Bemerkenswert ist auch Humboldts Einteilung des Sexualverhaltens, die, zum ersten Mal in der abendländischen Literatur, völlig neutral vorgeht. Er klassifiziert den sexuellen Umgang nämlich einfach nach seinen möglichen Objekten - anderes Geschlecht (Heterosexualität), gleiches Geschlecht (Homosexualität), Tier (Bestialität) und Selbstbefriedigung:

"Umgang beider Geschlechter mit einander. Umgang jedes Geschlechtes mit sich. Umgang mit Thieren. Umgang mit sich." [8]

Dieses für seine Zeit revolutionäre Schema ist tatsächlich ebenso objektiv wie umfassend, und es ist sehr zu bedauern, daß Humboldt es nicht ausgefüllt hat.

Interessanterweise sollte die "Geschichte des Zeugungstriebes" in einem Kapitel über "Hetaeren" gipfeln. Dieser thematische Aufbau kann aber nicht überraschen, wenn man bedenkt, daß die ganze Studie ursprünglich der "Hurerei" hatte gelten sollen. Außerdem wissen wir, daß Humboldt selber ein häufiger Kunde von Prostituierten war, ja, daß er eine Vorliebe für die gewöhnlichsten und billigsten Dirnen hatte. Er konnte daher über sexuelle Abhängigkeit als ihr Nutznießer aus praktischer Erfahrung sprechen. [9] Über solche persönlichen Interessen hinaus bedeutete aber gerade das historische Studium der Prostitution auch den entscheidenden Schritt in Richtung auf die spätere Sexualwissenschaft. So jedenfalls sah es Iwan Bloch, der bewundernd schrieb:

"Aus dem . . . Entwurf ersehen wir, daß [Humboldt]... aus der Betrachtung der geschichtlichen Phasen der sexuellen Abhängigkeit die Idee der sexuellen Freiheit genetisch entwickeln wollte. Auch er hatte schon ganz richtig erkannt, daß die Prostitutionsfrage das Zentralproblem der Sexualwissenschaft darstellt, daß man daher von ihr ausgehen müsse, um das Wesen der Sexualität und ihre so vielseitigen Beziehungen zur menschlichen Kultur zu erleuchten und zu verstehen." [10]

Die Prostitution war aber das Zentralproblem der Sexualwissenschaft, "die Frage aller Fragen", weil sie einen "Januskopf" hatte, "dessen eines Antlitz auf die Natur, dessen anderes auf die Kultur" hinwies; d. h. in der Prostitution fanden sich die biologischen und soziologischen Aspekte des Sexuellen in der auffälligsten Weise vereinigt [11]. Hier ließen sich an einem Schlüsselphänomen gleichzeitig Basis und Überbau der Sexualität studieren, und für den vorurteilslosen, scharfsichtigen Forscher erhellten die beiden sich gegenseitig.

Allerdings hatten, wie Bloch richtig bemerkt, zu Humboldts Zeiten fast alle Voraussetzungen für eine angemessene sexualwissenschaftliche Forschung noch gefehlt:

"Die Zeit für ein solches Unternehmen (war) noch nicht gekommen . . . Die Kulturgeschichte sowohl als auch die allgemeine Naturwissenschaft bewegten sich noch ganz in aprioristischen Konstruktionen, die Völkerkunde war noch in ihren ersten allerbescheidensten Anfängen, kurz, es fehlte alles zu einer objektiven Grundlegung der Sexualwissenschaft und der auf diese gegründeten Sexualreform. Es bedurfte noch eines vollen Jahrhunderts exakter naturwissenschaftlicher Forschung, der Einführung ähnlicher exakter Methoden in die sogenannten Geistes- und historischen Wissenschaften, der Anhäufung eines ungeheuren Tatsachenmaterials auf dem Gebiet der Völkerkunde und der vergleichenden Sitten- und Rechtsgeschichte, um den Versuch auf einer gesicherten Basis zu erneueren." [12]

Zu seiner eigenen Zeit sah Bloch nun aber die festere Basis entstehen und beeilte sich, als erster auf ihr weiterzubauen. Seine eigene Studie der Prostitution erschien daher als Einleitungswerk in einem vielbändig geplanten Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen.

Der Erste Weltkrieg, Blochs anschließende Krankheit und sein früher Tod verhinderten leider die Vollendung dieses Vorhabens, aber schon seine Einleitung zum eigenen ersten Band läßt erkennen, daß der kulturwissenschaftlichen Sichtweise eine bedeutende Rolle zugedacht war. Neben einem Band von Magnus Hirschfeld über Die Homosexualität des Mannes und des Weibes sind dort auch noch zwei ethnologische Studien angekündigt: Ferdinand von Reitzensteins Der Mann bei den Natur- und Kulturvölkern und Das Weib bei den Natur- und Kulturvölkern [13]. Nur Hirschfelds Beitrag von über tausend Seiten wurde rechtzeitig fertig und als Teil des Handbuchs veröffentlicht. Dabei folgte er treulich der These Blochs und behandelte die Homosexualität in zwei gleichwertigen Hauptabschnitten als biologische und als soziologische Erscheinung [14].

So waren also nicht nur die Gegenstände der Sexualwissenschaft janusköpfig, sondern auch diese neue Wissenschaft selbst trug ein Doppelgesicht. Sie verband von Anfang an naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Methoden oder versuchte jedenfalls, eine solche Verbindung herzustellen. Das trifft selbst im Falle von Albert Moll zu, dem großen Rivalen Blochs und Hirschfelds, der spielverderberisch und bewußt fragmentierend von "Sexualwissenschaften" sprach. Im Titel zu seinem eigenen, in Konkurrenz zu Bloch konzipierten Werk erkannte er dennoch dessen Hauptargument an. Er nannte es nämlich Handbuch der Sexualwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Beziehungen [15].

Magnus Hirschfeld, von Bloch inspiriert, gründete 1908 die erste Zeitschrift für Sexualwissenschaft und schrieb für sie drei programmatische Artikel. Darin bemühte er sich zunächst, einen Kontrast zur gängigen theologischen und juristischen Wertung des Sexuellen herauszuarbeiten, und so bot er, neben einigen generellen Überlegungen, vor allem praktische Vorschläge an. Sein theoretisches Verständnis blieb dabei vergleichsweise kurzsichtig, denn in seinem Objektivierungsstreben schlug er die Sexualwissenschaft kurzerhand der Naturwissenschaft zu:

"Die Sexualwissenschaft stützt sich, wie jede andere, auf das Wissen der Einzelerscheinungen. Diese sammelt und beschreibt sie und sucht sie zu erklären, indem sie mit Hilfe des Gedankens aus den Einzelbefunden das Gemeinsame ableitet, das Naturgesetz, um uns so neu entgegentretende Einzelerscheinungen wieder verständlich zu machen . . .

Die Naturwissenschaft, und dieser gehört die Sexualwissenschaft ja an, sammelt die Naturerscheinungen, ist also vor allem beschreibend, dann läßt sie uns aber auch die Tatsachen verstehen, nämlich dadurch, und dies teilt sie mit jeder anderen Wissenschaft, vor allem auch mit der ehrwürdigen Trias Theologie, Jurisprudenz und Philosophie, daß sie Gedanken in die Phänomene hineinträgt und sie dadurch verbindet. Das Hauptprinzip des Gedankens ist in diesem Falle die Vereinfachung, die Zurückführung der mannigfachen Erscheinungen auf Grundphänomene bis zu der Stelle, die eine weitere Zurückführung nicht mehr zuläßt." [16]

Wenn Hirschfeld hier Gemeinsamkeiten in den Naturwissenschaften und der alten geisteswissenschaftlichen Trias findet, so bleibt er allzu oberflächlich und verschleiert gerade jene fundamentalen Unterschiede, die für die Erkenntnis fruchtbar zu machen sind. Dennoch, seine folgenden Aufsätze zur "Einteilung der Sexualwissenschaft" und "Zur Methodik der Sexualwissenschaft" haben das Verdienst, wenigstens verfahrenstechnisch, gleichsam "von außen", ihren interdisziplinären Charakter zu beschreiben.

Hirschfeld teilte seine Wissenschaft in 14 Forschungsbereiche ein, von der Anatomie über die Physiologie und Psychologie bis zur Ethnologie und Ethik. Ja, er führte dabei neben der Sexualgesetzgebung sogar die Sexualpolitik auf [17]. Was die Methoden angeht, so nannte Hirschfeld zunächst die der Naturwissenschaft, von Messer, Maß und Mikroskop bis zur chemischen Analyse und zum Züchtungsexperiment, dann aber auch Fragebögen, statistische Umfragen, Autobiographien und Biographien, historische, ethnographische und philologische Studien. Endlich forderte er die Gründung sexualwissenschaftlicher Gesellschaften, die Organisation von Kongressen und ein besonderes Institut:

"Sehr erstrebenswert erscheint mir die Schaffung eines Archivs für Sexualwissenschaft, eines sexualbiologischen Museums, analog etwa dem phylogenetischen Institut Haeckels in Jena oder dem bakteriologischen Institut Pasteurs in Paris. Hier könnten zu streng wissenschaftlichen Zwecken neben einer Fachbibliothek wertvolle urschriftliche Dokumente und Urkunden gesammelt werden, sowie bildliche und sonstige Unterlagen für Sammelforschungen, Daten, Statistiken für vergleichende Folkloristik und Jurisdiktion, ferner graphische Darstellungen, Resultate vergleichender Messungen, Präparate, Photographien, Diapositive, Moulagen, Instrumente, sexuelle Symbole usw. usw.; auch Zeitungsausschnitte bestimmten Inhalts wären zu sammeln, trotzdem, wie die Erfahrung gezeigt hat, diese keineswegs immer absolut zuverlässiges Material darbieten ...

Von Bedeutung erscheint es mir dabei, daß ein derartiges Institut nicht einer sexuellen Spezialfrage gewidmet ist, sondern daß es die gesamte Sexualwissenschaft umfaßt. So wichtig nämlich das planmäßige und exakte Studium spezieller Fächer der Sexologie ist, - es bleibt hier noch unendlich viel zu tun übrig -, so sehen wir bei größerer Vertiefung in den Gegenstand doch immer wieder, wie die verschiedenen Einzelfragen in engstem Zusammenhang miteinander stehen und für ein richtiges Verständnis aufeinander angewiesen sind." [18]

Alle diese praktischen Forderungen lassen keinen Zweifel daran, daß auch für Hirschfeld die Naturwissenschaft zum Studium des Sexuellen nicht ausreichte. In der Tat gab er sich als Herausgeber seiner Zeitschrift große Mühe, neben biologischen, medizinischen und psychologischen auch soziologische, juristische, historische, literarische und philologische Beiträge zu veröffentlichen. Auch der Psychoanalyse gab er ein Forum, die selber eine prekäre Mittelstellung zwischen Natur- und Kulturwissenschaft einnahm. So druckte er unter anderem Originalbeiträge von Freud, Adler, Stekel, Sadger und Abraham. Der Anspruch der Kulturwissenschaften wurde aber vor allem auch noch durch die Mitherausgeberschaft des großen Wiener Ethnologen Friedrich S. Krauss unterstrichen.

An diesen Leitlinien änderte sich im Prinzip auch nichts, als die Zeitschrift 1914 von Albert Eulenburg und Iwan Bloch neu begründet wurde. Im Gegenteil, die von Hirschfeld einmal gewählte herausgeberische Politik wurde bekräftigt und auch später von Max Marcuse bis zur letzten Nummer 1932 beibehalten. In seinem Programmartikel setzte Bloch allerdings nun einen neuen theoretischen Akzent, indem er seine eigene frühere Auffassung teilweise zurücknahm:

"Die Sexualwissenschaft als selbständige Disziplin ist die Wissenschaft vom Sexuellen, d. h. von den Erscheinungsformen und Wirkungen der Sexualität in körperlicher und geistiger, in individueller und sozialer Beziehung. Diese Begriffsbestimmung wird der eigentümlichen Doppelnatur des Geschlechtstriebs gerecht, seiner biologischen und kulturellen Seite und weist darauf hin, daß wir auch als Ärzte und Naturforscher jene sozialen und kulturellen Beziehungen um so weniger vernachlässigen können, als sie stets ein biologisches Substrat haben. Ein wahrhaft wissenschaftliches Studium der sexuellen Phänomene ist nur auf dieser biologischen Grundlage als der primären möglich. Aus den biologischen Erscheinungen der Sexualität erklären sich die geistigen und kulturellen. Dieser Kausalzusammenhang kann auch bei der Erforschung mehr kultureller und sozialpsychologischer Probleme auf diesem Gebiete nie und nimmer außer Acht gelassen werden. Trotz der innigsten Wechselbeziehungen zu den Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Sexualwissenschaft ihrem Wesen nach eine biologische Wissenschaft." [19]

Wenn Bloch hier auf einmal das Primat der Biologie anmeldete, so drückte er unter anderem damit auch eine neue Hoffnung aus, die sich von den ersten Erfolgen der Hormonforschung nährte. Besonders die Pionierarbeit Eugen Steinachs in Prag ließ Umwälzendes erwarten, und diesem allgemeinen Sog konnte sich auch Bloch nicht entziehen [20]. Andererseits bestand aber ohnehin bei vielen Forschern damals der Wunsch, alles Geistige in der Naturwissenschaft zu verankern oder sogar reduktioni-stisch das Psychische aus dem Physischen zu erklären. Auch der "Seelenbiologe" Sigmund Freud, obgleich ambivalent und weitgehend verstohlen, war da keine wirkliche Ausnahme [21]. Die Biologie war das bevorzugte, wenn auch manchmal kaschierte Fundament für viele Gedankengebäude.

An diesem Punkt der Theoriediskussion ist es nützlich, sich seines historischen Datums zu erinnern. Blochs Programmartikel erschien am Vorabend des Ersten Weltkriegs in einer neugegründeten Zeitschrift, die als Organ einer ebenfalls neuen Ärztlichen Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik (1913) fungierte. Diese erste sexologi-sche Gesellschaft bekam aber fast sofort Konkurrenz von einer zweiten, der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung (ebenfalls 1913), die bald darauf auch eine konkurrierende Zeitschrift herausgab, das Archiv für Sexualforschung (1915). War also die Diskussion bisher von den beiden wichtigsten Pionieren der Sexualwissenschaft, Bloch und Hirschfeld, allein bestritten worden, so meldeten sich von nun an auch andere Stimmen zu Wort.

Die zweite Gesellschaft und ihre Zeitschrift gingen vor allem auf den schon erwähnten Albert Moll zurück, obwohl Max Marcuse von Anfang an als Herausgeber eine entscheidende ideologische Rolle spielte. Gleich im ersten Heft seines Archivs druckte er einen Aufsatz des Geisteswissenschaftlers Julius Wolf ab, der Blochs und Hirschfelds bisherige Unentschiedenheit resolut in eine klare Trennung der Forschungswege auflöste. Unter dem Titel "Sexualwissenschaft als Kulturwissenschaft" forderte er zwei fundamental verschiedene Sexualwissenschaften, die allerdings als solche beide empirisch sein sollten: eine natur- und eine kulturwissenschaftliche. Die Trennung war logisch und unvermeidlich, denn im Grunde hatte man es mit zwei völlig verschiedenen Arten der Erkenntnis zu tun:

"Gegenstand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis ist das nicht von Menschen absichtlich Bewirkte. Dieses und nichts anderes meinen wir, wenn wir von Naturprozessen reden. Mit der negativen Kennzeichnung des Gegenstandes naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist aber zugleich auch gesagt, welches der Gegenstand der kulturwissenschaftlichen Erkenntnis ist. Man braucht nur die Negative fortzulassen.

Für das von uns nicht absichtlich Bewirkte können wir selbstverständlich keine Beweggründe als Ursachen angeben. "Natur", so ist in diesem Sinne gesagt worden, "weiß nichts von Zwecken und Ideen". Bei fehlender Ursachenkenntnis kann aber von einem eigentlichen "Verstehen" nicht mehr die Rede sein. Zutreffend hat man die naturwissenschaftliche Erkenntnis insofern auch eine Erkenntnis von der Außenseite her genannt. Von außen erscheint alles rein körperlich, materiell. Die naturwissenschaftliche Erkenntnis gilt darum auch als verstofflichend und entseelend. An Stelle der Beweggründe bedienen sich die Naturwissenschaften durchweg hypothetischer letzter Ursachen zur Erklärung. Das trifft nicht bloß für die Mechanik, die Physik und Chemie zu, das gilt auch für die übrigen erklärenden Naturwissenschaften: die Biologie, die Physiologie und die Psychologie. Man denke nur an die Begriffe der Selektion, Variation, Tumeszenz, Detumeszenz, des Reflexes, der Assoziation u. dgl. Demgegenüber ist alles kulturwissenschaftliche Erkennen ein wirkliches Verstehen, ein Einfühlen und Nacherleben. Wer sich nicht in die Psyche des Unternehmers hineinzuversetzen versteht, dem bleiben die Zusammenhänge der kapitalistischen Volkswirtschaft ewig verschlossen. Von "innen" heraus wollen und können auch die politischen Kämpfe, die religiösen Strömungen, die Kunstbestrebungen u. dgl. erklärt und begriffen werden. Nicht mit Unrecht hat man darum alle kulturwissenschaftliche Erkenntnis als Zweckbetrachtung gekennzeichnet, denn die letzten Ursachen sind stets Zwecke, Ideale, Werte.

Bei so großer Verschiedenheit empfiehlt es sich selbstverständlich nicht, natur- und kulturwissenschaftliche Erkenntnis durcheinanderzuwerfen und vielleicht selbst nicht, sie im Rahmen einer Universalwissenschaft zu pflegen. Jede der beiden Erkenntnisarten erfordert eine Wissenschaft für sich." [22]

Wolf sah auch de facto bereits beide Arten der Sexualwissenschaft getrennt bei der Arbeit und erwähnte die Bücher von Havelock Ellis als einen "Versuch enzyklopädischer Behandlung der naturwissenschaftlichen Sexualwissenschaft". Wie Wolf jedoch weiter erklärt, kann damit das Thema nicht erschöpft sein:

"Gegenstand (dieser) Wissenschaft ist das Animalisch-Erotische, die Libido sexualis in all ihren Varianten für sich, sowie in ihrer Abhängigkeit von anderen "natürlichen" Fakten und in ihrer Rückwirkung auf solche. Eine solche Wissenschaft vom Sexualleben erschöpft aber die Erotik nicht. Unser Liebesleben ist eben nicht rein animalisch, sondern auch ein Kulturprodukt, das als solches in Wechselwirkung mit anderen Kulturobjekten und Kulturwerten wie der Wirtschaft, dem Staate, der Kunst, der Religion, dem Recht usf. steht und sich betätigt. Das Verständnis hierfür kann uns naturwissenschaftliche Forschung niemals erschließen." [23]

Als Beispiel für den kulturwissenschaftlichen Ansatz nennt Wolf dann Iwan Blochs Sexualleben unserer Zeit, das er aber nicht nur als lückenhaft, sondern auch als wertend und damit unwissenschaftlich kritisiert:

"Iwan Blochs Buch . . . dient dem Zwecke, bestimmte Ideale und bestimmte Forderungen an Gesetzgebung und Verwaltung durchzusetzen. Sein Buch ist ein Hymnus auf die freie Liebe . . . Bloch [stellt] die Forschung in den Dienst des Ideals, dem nach ihm alle sexuelle Entwicklung notwendig zutreibt." [24]

Blochs Darstellung ist daher letztlich tendenziös und insofern nicht mehr objektiv:

"Auch als Kulturwissenschaft muß die Sexualwissenschaft weiterhin anders verfahren. Sie darf nichts erstreben, nichts rechtfertigen oder verdammen. Genau wie die Naturwissenschaft hat sie nur zu ermitteln und zu erklären. Sie darf niemals die Erotik eines Kreises oder einer Zeit als vorbildlich hinstellen. Die Erotik der Intellektuellen ist nicht die Erotik schlechthin, sondern nur eine von vielen möglichen Varianten. Demgemäß hat die Sexualwissenschaft jedem Kreise und jeder Epoche ihr Recht zu lassen, d. h. das Sexualleben der verschiedenen Volksschichten, Völker und Zeiten nur so gewissenhaft zu durchleuchten, als es ihr eben möglich ist." [25]

Nach Wolf genügt es aber nicht, einfach sexuelle Klassenunterschiede und historische Wandlungen aufzuzeichnen, sondern man muß auf dieser Basis auch die Wechselwirkungen zwischen dem Sexuellen und den anderen Lebensbereichen studieren. Er nennt als Beispiele die Kunst und die Religion, aber auch die Wirtschaft, wobei er unter anderem auf die Verbindung zwischen puritanischer Sexualmoral und Kapitalismus hinweist. Hier spielt er, wenn auch ohne Namensnennung, offensichtlich auf Max Weber an und seine Studie Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus (1904/05). In diesem Fall erwies sich also die Religionssoziologie als ein Weg zum einfühlenden Verständnis, als ein Mittel, sich "in die Psyche des Unternehmers hineinzuversetzen", wie Wolf es prinzipiell für die Erklärung der modernen Ökonomie gefordert hatte.

Weit wichtiger aber als die Anspielung auf das Werk Max Webers ist die faktische Übernahme seiner Forderung nach "Wertfreiheit" der Wissenschaft. Hier tat Wolf für die Sexualforschung einen potentiell revolutionären Schritt, wenn er sich auch wohl über die logischen Konsequenzen nicht völlig im Klaren war. Sein eigener Text läßt noch manche versteckte Wertung erkennen, aber prinzipiell beschreibt er für seine Kollegen einen klaren Kurs in Richtung auf die neutrale Empirie, auch und besonders in der Kulturwissenschaft. Danach gilt es zum Beispiel, das Bevölkerungswachstum und die Klassenumschichtung, die Prostitution, die Wohnungsverhältnisse, die Berufswahl, die Mode und die Vergnügungsindustrie sexologisch zu untersuchen. Das Recht, die Religion, die Literatur, die Kunst und die Musik verlangen nach wertfreier Aufhellung ihrer erotischen Gehalte, Impulse und Wirkungen. Kurz, der Sexologie eröffnet sich hier ein neues, fast unendlich weites Feld, und ihr naturwissenschaftliches Interesse braucht deshalb nicht zu erlahmen. Im Gegenteil: In der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung "sollen beide Schwesterwissenschaften eine würdige Heimstatt finden"[26].

Die Forderung, beide Sexologien wertfrei zu halten, war freilich bei der naturwissenschaftlichen leichter zu erfüllen als bei der kulturwissenschaftlichen, die ja, nach Wolfs Definition, eigentlich eine "Zweckbetrachtung", d. h. eine nacherlebende Untersuchung von Idealen und Werten sein sollte. Übrigens hatte sich ja auch selbst die naturwissenschaftliche Denkweise nur mit Mühe und gegen viele Widerstände allmählich zur Wertfreiheit durchgerungen. (Der Fall Galilei mag hier als Memento genügen). Die Widerstände wurden jedoch durch die unübersehbare praktische Nützlichkeit der Naturwissenschaft schließlich gebrochen. Die technische Verfügung über ihre Ergebnisse lag so sehr im allgemeinen Interesse, daß sich die normfreie Betrachtung in ihr behaupten konnte.

Die Naturwissenschaft sah bewußt von übernatürlichen Normenstiftern oder Bewegungen hinter jedem Naturvorgang ab und kümmerte sich nicht mehr um letzte Zwecke und Werte [27]. Sie beschränkte sich auf kontrollierbare Daten, d. h. sie nahm die Natur als gegeben hin und ging über dies Gegebene niemals hinaus. Ihr Ziel war die möglichst genaue Beschreibung dessen, was ist. Sie enthielt sich jeder Meinung darüber, ob es überhaupt, oder gerade so oder besser anders sein solle. Aus diesem Grunde beschränkte sie sich auf den Bereich der Welt, der vom Menschen unberührt, ungeformt, unbeeinflußt ist, auf die Aspekte der Natur, die den Menschen und seine Geschichte nicht betreffen. Um Wissenschaft zu sein, mußte die Naturwissenschaft ahistorisch sein; um ahistorisch sein zu können, mußte sie vom Menschen und seiner Wirkung in der Natur absehen. Nur um diesen Preis war die immerwährende Wiederholbarkeit ihrer Experimente sicherzustellen. Von dieser Wiederholbarkeit aber hing die Verifizierung ihrer Hypothesen ab.

Das gilt auch für scheinbare Ausnahmen wie etwa die Erdgeschichte oder die Evolutionstheorie. Auch hier handelt es sich um rein materielle, keinerlei Wertung implizierende Abläufe, nicht um menschliche Historie. Als naturwissenschaftliche Theorie ist die Entwicklungslehre wertfrei, und wo immer sie, wie im Sozialdarwinismus, zur Rechtfertigung menschlicher Handlungen, etwa politischer Maßnahmen, herangezogen wurde, handelte es sich um ideologischen Mißbrauch. Ein solcher Mißbrauch war aber auch in der frühen Sexualforschung durchaus nicht selten; man erinnere sich nur an die eingangs erwähnte Degenerationsthese und an gewisse eugenische oder "rassehygienische" Forderungen.

Die Nichtberücksichtigung menschlicher Spuren in der Realität machte immer das Wesen der Naturwissenschaft aus, ganz gleich, wie man ihr wissenschaftliches Gegenstück definierte. So unterschied man zunächst etwa zwischen scientia naturalis und scientia moralis. Die Engländer sprachen von "moral sciences" und deuteten damit an, daß hier die Wertung ihren angestammten Platz behielt, nachdem sie das Feld der "natural sciences" geräumt hatte. Man sprach aber auch von Human- oder Sozialwissenschaften, die, wenngleich deskriptiv im Ansatz, doch eine kritische Tendenz in sich tragen. Ihre Gegenstände sind eben nicht Daten, sondern Fakten, nicht neutrale Gegebenheiten, sondern Tatsachen, d. h. Dinge oder Geschehnisse, die die Spuren menschlicher Tat, menschlichen Wollens, Vollbringens und Scheiterns an sich tragen. Die Geschichte und alle geschichtlichen Gegenstände, wertfrei beschrieben, wie sie sind, zeigen sich als Resultat eines Kampfes zwischen dem, was ist und dem, was hätte sein können oder sollen. Alles Faktische ist nur wirklich, da es historische Möglichkeiten verdrängt hat. Nicht nur die Tatsache, daß überhaupt etwas als Tatsache erscheint, sondern auch diese Tatsache selbst wiederum bewahrt einen menschlichen Akt in sich auf, der, wie auch immer, von einer Zielvorstellung geleitet war. Es handelt sich also stets darum, den untersuchten Gegenstand als Resultat menschlichen Handelns (res facti) kritisch zu betrachten und ihn nicht nur als Gegebenheit (datum) einfach hinzunehmen. Tatsächlich enthalten die Tatsachen, wie alles Gemachte oder Getane, selbst schon die Wertung. In diesem Sinne stellt auch die Kultur insgesamt, als die Summe alles Gemachten, eine Konstellation von Wertungen dar. Diese Wertungen sind, wie Wolf klar erkannte, Gegenstand der Kulturwissenschaft.

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts erschien die deutliche Trennung der Wissensgebiete in dem Gegensatz von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, wobei man mit Hilfe der letzteren nunmehr daranging, die Spuren des fortschreitenden Weltgeistes zu sichern. Hier wurde also das historische Moment der wertenden Wissenschaften hervorgehoben, und als historische Wissenschaften haben die Geisteswissenschaften sich denn auch zunächst vor allem verstanden. Allerdings blieb ihr Selbstverständnis auch im Rahmen dieser richtigen Einsicht lange Zeit noch getrübt. So wuchs damals zwar den alten topischen Disziplinen Rhetorik und Hermeneutik ein historisches Bewußtsein zu, und sie fanden sich bald im neuen, kritischen Fach der Literaturgeschichte vereinigt, das nun eine große chronologische Inventarisierung begann; es dauerte aber erstaunlich lange, bis man die Wertmaßstäbe, die dieser Geschichtsschreibung zugrunde lagen, als selber historisch vermittelt erkannte. Ebenso glaubte die Rechtswissenschaft lange, sich auf überhistorische Normen berufen zu können. Die Geisteswissenschaften machten zunächst mit der Geschichtlichkeit ihrer Gegenstände nicht wirklich ernst und blieben auf halbem Wege stehen. Erst die immer stärker erhobene Forderung nach Wertfreiheit auch in den Geisteswissenschaften machte den Charakter der ihnen unreflektiert zugrundeliegenden Werte klar: sie waren politischhistorische Setzungen, die der Wissenschaft von außen vorgegeben waren. Das war in der Rechtswissenschaft eine bestimmte Machtkonstellation, das waren in der Wirtschaftslehre bestimmte Besitzverhältnisse, das war endlich in der Kunst- und Literaturwissenschaft ein bestimmter ästhetischer Konsens, ein Geschmack, ein Kulturzusammenhang, eine irgendwie, irgendwann durch irgendwen etablierte Meinung über das Schöne, Wahre, Gute. In der Sexualwissenschaft aber waren es bestimmte Geschlechtsrollen und Familienstrukturen. Auf dieser Basis ruhte das überkommene "reproduktive Vorurteil", d. h. die unbefragte Annahme eines natürlichen, richtigen Sexualverhaltens, das sich in der Zeugung erfüllte. Der von Humboldt bei all seinem historischen Interesse noch naiv benutzte Begriff "Zeugungstrieb" ist vielleicht die beste Illustration dafür.

Diese Redeweise war für die späteren Sexualwissenschaftler nicht mehr akzeptabel. Selbst der konservative Albert Moll, der die Psychoanalyse und ihren Triebbegriff als zu spekulativ ablehnte, stellte notgedrungen fest:

"Die Worte Geschlechtstrieb, Begattungstrieb, Fortpflanzungstrieb, Zeugungstrieb, wurden früher allgemein, und werden heute auch noch vielfach als gleichbedeutend und ohne Nachdenken über den Inhalt beliebig gebraucht. Selten macht sich, wer diese Worte anwendet, deren Sinn klar. Will man z. B. mit Fortpflanzungstrieb sagen, daß der Trieb der Fortpflanzung dient oder daß er ein Trieb zur Fortpflanzung ist? Beides ist voneinander wesentlich verschieden . . . Wir werden aber nicht annehmen, daß das Tier in der bewußten Absicht, sich fortzupflanzen, den Geschlechtsakt ausübt. Auch für den Menschen gelten diese Erörterungen ... Dem Kulturmenschen ist der Zusammenhang zwischen Geschlechtsakt und Geburt bekannt. Aber auch bei ihm ist der Fortpflanzungstrieb nicht identisch mit dem Geschlechtstrieb ... Jedenfalls ist bei beiden Geschlechtern nur selten die Absicht zur Fortpflanzung das bewußte Motiv des Geschlechtsaktes. Dem widerspricht es natürlich nicht, daß nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern oft sehr stark der Wunsch nach Fortpflanzung besteht. Ich erwähne z. B. den Wunsch von Patrizier- oder altadeligen Familien, Nachkommen zu zeugen, damit der Stamm möglichst im Mannesstamm nicht erlösche. Hier handelt es sich um einen Akt, der durch einen rationalistischen Wunsch ausgeführt wird, nicht aber auf Grund eines Triebes." [28]

Moll machte mit diesen Unterscheidungen deutlich, daß das Sexuelle beim "Kulturmenschen" eben auch sozialer Steuerung und bewußter Planung unterliegen kann, daß man mit dem Begriff "Trieb" in diesem Zusammenhang also vorsichtig umgehen muß. Er selbst beschränkte sich deshalb auf eine simple, deskriptive Teilung des Geschlechtstriebes in einen Detumeszenztrieb (von detumescere: abschwellen) und einen Kontrekta-tionstrieb (von contrectare: körperlich oder seelisch berühren) [29]. Dieses Schema erschöpfte für ihn die psychologische Seite. Die weitergehenden psychoanalytischen Theorien lehnte er, wie gesagt, als willkürliche "Symbolisierungen, Deutungen und Tüfteleien" ab [30].

Praktisch waren sich Moll und die Psychoanalytiker aber noch in einem Punkt einig: Die begriffliche Trennung von Zeugungs- und Geschlechtstrieb wurde von keinem von ihnen bis zur letzten Konsequenz durchgeführt. Für sie blieb der Koitus als das einzige potentiell zeugungsdienliche Sexualverhalten die unbefragte Norm. Alle anderen Verhalten galten als Abirrungen, Deviationen oder Perversionen verschiedener Schweregrade, je nachdem, wie weit sie sich von dieser Norm entfernten. Sowohl die Psychoanalytiker wie die Sexologen (mit der möglichen Ausnahme von Magnus Hirschfeld) erblickten nur im Koitus das Ideal, den Ausdruck psychosexueller "Reife", den Modellfall, in dem Sexualobjekt und Sexualziel in der einzig wünschenswerten Weise zusammentreffen [31].

Diese unkritische, wenn auch versteckte Annahme einer Grundnorm zeigt, wie weit die damalige Sexualwissenschaft noch von der erstrebten Wertfreiheit entfernt war. Die Wertung lag aber nicht nur im gepriesenen koitalen Ausdruck, also in der potentiellen Zeugungsdienlichkeit des "reifen", korrekten Triebes, sondern auch in der Vorstellung eines "Geschlechtstriebes" selbst. Mit anderen Worten, an Humboldts Begriffskombination "Zeugungstrieb" waren eigentlich beide Komponenten fragwürdig. Es war nicht nur zu untersuchen, was dieser Trieb mit der Zeugung zu schaffen hatte, sondern auch, ob hier überhaupt ein Trieb vorlag. Ja, die Idee, daß Lebewesen prinzipiell träge sind und wie Maschinen durch eine hypothetische Kraft in Bewegung gesetzt, d. h. "getrieben" werden müssen, trug selber eindeutig einen historischen Charakter, den man aber damals noch nicht erkannte. Es dauerte noch Jahrzehnte, bis Psychologen (und schließlich auch Sexualforscher) daraus die Konsequenzen zogen und den Triebbegriff überhaupt aufgaben [32].

Aber selbst von diesen Spezialfragen abgesehen, ist uns heute deutlich, daß wir nicht nur in dem Wort "Sexualität", sondern auch in dem damit bezeichneten Begriff ein neues historisches Produkt vor uns haben. Das Sexuelle ist deshalb kein fester, klar umrissener Forschungsgegenstand, sondern, wie Michel Foucault es ausgedrückt hat, ein "Dispositiv", d.h. Summe und Resultat verschiedener Machtstrategien, die erst in der Neuzeit voll zur Entfaltung kamen:

"Die Sexualität ist nicht als Triebkraft zu beschreiben, die der Macht von Natur aus widerspenstig, fremd und unfügsam gegenübersteht... Vielmehr erscheint sie als ein besonders dichter Durchgangspunkt für die Machtbeziehungen: zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, zwischen Eltern und Nachkommenschaft, zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Priestern und Laien, zwischen Verwaltungen und Bevölkerungen." [33]

Die Sexualität ist also nur historisch-politisch völlig zu verstehen. Nicht nur in ihrer heutigen Gestalt, sondern in ihrem Wesen ist sie ein Produkt der Geschichte. Sie ist eine in ihrem Kern historisch vermittelte Erscheinung, und als Forschungsproblem war sie erst in der Moderne möglich.

Eine Ahnung davon fand sich aber auch schon in der Theoriediskussion vor 1933. So mußte zum Beispiel Heinz Kunz einräumen, daß die Sexualität als Gegenstand einer Wissenschaft nicht eindeutig bestimmbar war:

"Gewiß: bestimmte Tatsachen sind uns allen als Ausdruck der Sexualität unzweifelbar; aber viele andere wieder, in denen die Psychoanalyse ebenfalls Ausdrucksformen des Sexuellen sieht, bilden ja auch heute noch den Grund des ungerechtfertigten Vorwurfes eines "Pansexualismus" und von fruchtlosen Streitigkeiten. Es bietet sich deshalb von vornherein keine Aussicht auf Zustimmung, das mit Sexualität Gemeinte irgendwie gültig zu definieren ... Wir sehen keinen Weg, den Gegenstand der Sexualwissenschaft eindeutig und exakt zu bestimmen ... Zuletzt darf man aber hinweisen auf andere akademisch geduldete Wissenschaften, die grundsätzlich vor der gleichen Situation stehen, die Psychologie oder Biologie z. B.: Niemand wird es wagen, in der Hoffnung auf allseitige Zustimmung definitorisch umgrenzen zu wollen, was Seele sei oder Leben." [34]

Kunz drängten sich diese Gedanken auf anläßlich einer Neuausgabe von Max Marcuses Handwörterbuch der Sexualwissenschaft (1926), das Artikel sehr verschiedener Ausrichtung enthielt, unter anderem auch Originalbeiträge von Sigmund Freud. Dabei erwies sich aber nicht nur der wissenschaftliche Gegenstand als undefinierbar, sondern auch die wissenschaftlichen Methoden waren nicht eindeutig festzulegen:

"Wollte man die Gültigkeit einer Wissenschaft vom Dasein einer für diese Wissenschaft spezifischen Methode wie eines ihr allein eigenen Objektes abhängig machen, so gäbe es eine Sexualwissenschaft nicht. Niemand dürfte auf eine spezifische sexuologische Methode hinweisen können; was als solche erscheint, ist ... eine Mehrheit von aus anderen Disziplinen - der Psychologie, Physiologie, Ethnologie usw. - übernommenen Methoden, auf einen bestimmten Objektkreis angewandt." [35]

Wenn aber die Sexualwissenschaft weder einen klar bestimmbaren Gegenstand, noch eine eigene Methode hatte, woher nahm sie dann ihre Existenzberechtigung? Wie konnte sie überhaupt zustande kommen? Kunz gibt darauf eine klare und sehr erleuchtende Antwort:

"Es (war) wesentlich die ungeheure Bedeutung der Sexualität im Leben ..., die bei der Schaffung des Terminus "Sexualwissenschaft" durch Iwan Bloch wohl die entscheidende Rolle spielte, im Gegensatz zu anderen Disziplinen, wo das affektive Moment eine mehr untergeordnete, unbewußte, aber nicht zu übersehende Wirkung ausübte. Und daß wir keine eigene Wissenschaft vom "Gerüche" oder vom "Hunger" z. B. besitzen, das verdanken wir nicht etwa logischen Einsichten - die Berechtigung dazu wäre genau dieselbe wie bei der Sexualwissenschaft -, sondern wiederum allein dem affektiven Moment." [36]

Es ist in der Tat keine Frage, daß bei Bloch das affektive Moment eine entscheidende Rolle spielte; gerade deshalb hatte ja auch Julius Wolf sein Werk als tendenziös kritisiert. Bloch aber sprach es selber ganz offen aus: sein Ziel war es, "der ehrlichen, freien und unabhängigen Forschung ... die Bahn freizumachen und für das gewaltige Werk einer Neugestaltung und Verbesserung der sexuellen Beziehungen auf Grund der veränderten Kulturverhältnisse die exakten Grundlagen zu liefern und die objektiven Richtlinien zu bestimmen. Sexualreform auf Grundlage der Sexualwissenschaft! Das ist die Aufgabe der Zukunft." [37]

Diese Absicht bestimmte auch Blochs Themenwahl, denn er wählte das Thema Prostitution nicht nur wegen seines natur- und kulturwissenschaftlichen Doppelaspekts, sondern auch als reformerischen Testfall:

"Die Prostitution ... ist auch in innerer ethischer Beziehung ... die brennendste Gewissensfrage der modernen Kulturmenschheit, ... der Probierstein für jede höhere Ethik der zukünftigen Gesellschaft." [38]

So war es also wirklich die "ungeheure Bedeutung der Sexualität im Leben", die zur Schaffung einer eigenen Sexualwissenschaft führte. Diese Bedeutung aber, die besondere, dringliche Problematik, war der Sexualität erst in der modernen Kultur zugewachsen, und gleichzeitig hatte auch erst die moderne Kultur die kritische Analyse dieser Problematik möglich gemacht. Auch dies sprach Bloch offen aus, und wiederum kann die Prostitutionsfrage dabei stellvertretend für die sexuelle Frage überhaupt stehen:

"Es ist endlich die Zeit gekommen für eine neue und selbständige Bearbeitung der ganzen Prostitutionsfrage ... Es ist das naturwissenschaftliche Zeitalter, charakterisiert durch die gewaltige Entwicklung von Technik, Handel, Industrie und Weltverkehr, durch die rapide Ausbreitung der geistigen Bildung in allen Schichten der Bevölkerung bis zu den untersten Klassen, durch das Hervortreten der Arbeiterklasse, durch die Frauenbewegung und die mächtige Erstarkung des sozialen Bewußtseins und Verantwortlichkeitsgefühles. Alle diese Momente sind noch in voller Wirksamkeit, sie bereiten eine neue Zeit, eine neue Gesellschaft vor, die von der heutigen so verschieden sein wird wie die für uns bereits der Vergangenheit angehörige sogenannte ,Neuzeit' sich vom Mittelalter unterscheidet." [39]

Alle diese modernen Entwicklungen aber, die nun das uralte Problem der Prostitution im öffentlichen Bewußtsein verschärfen, lassen zum ersten Mal auch eine Lösung denkbar erscheinen:

"In diesem Zusammenhange gewinnt auch die Prostitutionsfrage ein ganz anderes Aussehen als sie früher hatte . . . Denn erst mit der organisierten Frauenbewegung, die es in dieser Art niemals vorher in der Menschheitsgeschichte gegeben hat, beginnt eine neue Epoche für die Geschichte der Prostitution, weil erst jetzt das allein wirksame und aussichtsreiche Prinzip der Selbsthilfe und Selbsterlösung sich verwirklichen kann, das bis dahin im Kampfe gegen die Prostitution wegen der Recht- und Machtlosigkeit der Frau völlig gefehlt hat." [40]

Mit anderen Worten: die traditionelle Rolle der Frau beginnt sich zu wandeln, die fundamentale sexuelle "Abhängigkeit im Menschengeschlechte" beginnt sich zu lokkern, und gerade das Studium dieses historischen Prozesses liefert die Mittel, ihn noch zu beschleunigen. Wie Bloch weiter ausführt, ist die Prostitution nur zu überwinden, indem man an ihrer Geschichte ihr Wesen begreift. Dann aber erkennt man ihren eigentlich "unmodernen" Charakter, ihre organisatorischen Wurzeln in der Antike, ihre ethische Verankerung in der Moral von Sklavenstaaten. Diese Einsicht wiederum erleichtert die sexuelle Selbstbestimmung der Frau und schafft eine neue Ethik auf der Grundlage sexueller Gleichberechtigung.

Ist die bisherige sexuelle Abhängigkeit aber erst einmal als historisch vermittelt erkannt, so wird sie damit auch überwindbar. Dies aber heißt, daß nicht nur die Prostitution, sondern auch die bisher unbefragten Geschlechtsrollen und Familienstrukturen zum Gegenstand historischer Forschung werden müssen, und damit kommt die Sexualwissenschaft dem Ideal der Wertfreiheit wieder einen Schritt näher. Was man vorher als "natürlich" gegebene überzeitliche Norm (Datum) einfach hingenommen hatte, wird nun als Menschenwerk (Faktum) erkennbar, das selber gewisse historische Wertungen in sich aufbewahrt. Wie der Literaturwissenschaftler allmählich die Kunstgesetze und Regeln ihres jenseitigen Charakters entkleidete, wie der Jurist das Naturrecht auf positives Recht zurückführte, wie der Ökonom den Besitzverhältnissen ihre göttliche Legitimation entzog, so mußte auch der Sexologe endlich den gesamten ideologischen Überbau des biologischen Geschlechtsunterschiedes in Frage stellen. So brachte die Forderung nach Wertfreiheit auch in den Geisteswissenschaften den Fortschritt, deren Grundlagen selber zum Gegenstand der Kritik zu machen. Da diese Kritik sich aber ihrerseits auch nicht mehr auf überhistorische Normen berufen kann, sieht sie sich damit unausweichlich in der konkreten historischen Situation verankert.

Diese historisch unvermeidliche Auflösung der traditionellen sexuellen Normen ist auch der eigentliche Grund für die Unbestimmbarkeit der Sexualität als Forschungsgebiet. Wie die moderne Kultur das Sexuelle als Problem erst wahrnehmbar macht, so entzieht sie ihm gleichzeitig auch die faktische Grundlage, in der es ursprünglich verankert war. In dem Grade, wie die sexuelle Selbstbestimmung des Individuums unabhängig von seinem Geschlecht denkbar wird, schwinden die überkommenen Zwänge. Nicht nur die Geschlechtsrollen ändern sich, sondern damit auch das Selbstverständnis und das gegenseitige Erleben der Geschlechter. Das allgemeine stillschweigende Einverständnis darüber, was die Sexualität eigentlich sei, zerbricht gerade in dem historischen Augenblick, als die ersten kritischen Fragen möglich werden. Die Moderne problematisiert also das Sexuelle auf zweierlei Weise: Sie macht es einerseits zum Problem und verwischt andererseits seine Konturen. So bekommt das Sexuelle seinen modernen, paradoxen Charakter. Es ist ebenso augenfällig wie schlecht zu fassen - je greifbarer in seiner allgegenwärtigen Nähe, umso unbegreiflicher in seiner verschwimmenden Komplexität.

Aus dieser Situation entspringt, in ihr lebt die Sexualwissenschaft. Sie ist die vorläufige Antwort der modernen Kultur auf eine paradoxe Frage, die sie sich selber gestellt hat -die Frage nach einer objektiven, nichtideologischen Begründung sexueller Normen, Zwecke und Werte. Die Antwort ist vorläufig und muß es bleiben, da die Wissenschaft hier nur negativ vorgehen kann. Es ist eine eitle Hoffnung, Werte wertfrei begründen zu wollen. In der Ideologiekritik aber leistet die Sexologie bereits ihr Bestes, auch wenn sie nur naturwissenschaftlich Daten herbeischleppt, die bestehende Dogmen unterminieren. Wo sie aber als Kulturwissenschaft den Fakten kritisch zu Leibe geht, kann sie wirkliche Freiräume schaffen, die beiden Geschlechtern die volle Entfaltung erlauben.

Dieser potentielle Freiraumgewinn garantiert natürlich noch nicht, daß er auch wirklich im Sinne der freien Entfaltung genutzt wird. Die Herrschaft trägt alle Masken und spielt alle Rollen, auch die der sexuellen Liebe, ja, sogar die der Wissenschaft. Immerhin, eine echte, wertfreie Wissenschaft von der sexuellen Liebe kann, indem sie diese zwangsläufig entgöttlicht, den "Kampf der Geschlechter" für beide Seiten humanisieren.

Ob nur dumpf erahnt oder bereits klar erkannt, diese Möglichkeit der Sexualwissenschaft war ihren Pionieren Grund genug, an ihr als eigenständige geistige Unternehmung festzuhalten. So faßte denn auch Arthur Kronfeld in dem bereits erwähnten Handwörterbuch Max Marcuses den Konsens seiner Kollegen unter dem Stichwort "Sexualwissenschaft" so zusammen:

"Ist Sexualwissenschaft ... eine in sich selber haltbare, vollgültige Eigenwissenschaft?

Das Gegenstandsgebiet der Sexualwissenschaft ist ganz gewiß kein einheitliches. Die Geschlechtlichkeit, ihre Bedingtheiten, Erscheinungsformen und Wirkungen sind von solcher überwältigender Mannigfaltigkeit und Fülle, daß sie sich aus der Totalität der Lebensvorgänge nicht isolieren lassen . . . Insofern scheint es einer besonderen Sexualwissenschaft nicht erst zu bedürfen, sondern die Geschlechtlichkeit geht in der Problemfülle der Gesamtwissenschaften ohne Rest auf ...

Aber auch nach der Methode läßt sich die Sexualwissenschaft als Wissenschaft eigener Art anscheinend nicht rechtfertigen. Die Sexualbiologie beispielsweise hat keine anderen Methoden in ihrem Rüstzeug als die Biologie überhaupt . . . Eine methodische Einheit fehlt der Sexualwissenschaft mit Recht und Notwendigkeit völlig . . ." [41]

Kronfeld läßt sich aber durch diesen Mangel an einem eigenen Gegenstand und einer eigenen Methode nicht beirren. Weder das eine noch das andere ist zur Rechtfertigung einer besonderen Wissenschaft nötig:

"Ich kann hier nur meine persönliche Überzeugung vortragen, die wohl auch diejenige aller Mitarbeiter dieses Handwörterbuchs ist: daß es nämlich in der Tat ein ... Kriterium gibt, welches den Anspruch der Sexualwissenschaft rechtfertigt, eine Wissenschaft eigener Artung zu sein . . .

Dies Kriterium scheint mir zu liegen in der Einheitlichkeit aller der verschiedenen Forschungsrichtungen hinsichtlich ihres leitenden Gesichtspunktes, ihrer leitenden Maxime, ihres Blickpunktes, ihrer Art, auf die Lebenserscheinungen und Vorgänge eingestellt zu sein. Die Sexualwissenschaft geht in der Tat mit allen einzelnen Wissenschaften Hand in Hand, ist auf das gleiche Gegenstandsgebiet gerichtet wie diese, und teilt ihre Methoden: aber der Gesichtspunkt, unter dem sie aus den Erscheinungen und Fragestellungen auswählt, zu ihnen Stellung nimmt, erkennend und wertend sich verhält - dieser Gesichtspunkt ist überall der gleiche. Er hebt die Beziehungen zur Geschlechtlichkeit besonders heraus, sondert sie ab, in bewußter Einseitigkeit ... Diese Einseitigkeit verbürgt die Einheitlichkeit. Man erhält auf diese Weise einen wissenschaftlichen Aspekt von der Totalität des Lebens. Es mag nicht der endgültige sein; andere und vielleicht selbst tiefere sind möglich. Aber dieser Punkt ergibt, wie einseitig er sein mag, dennoch eine gegliederte Struktur von rangordnungsmäßig aufeinander bezogenen und in sich abgestuften Erkenntnissen und Wertungen." [42]

So kommt Kronfeld zum einzig möglichen Schluß und proklamiert damit auch nur, was schon Iwan Bloch gefordert hatte, nämlich einen besonderen sexologischen "Zentralstandpunkt" [43]. Wie aber schon mehrfach betont, wurde diese gezielte Blickrichtung, die wissenschaftsstiftende Einseitigkeit, die Herauslösung und Isolierung des Sexuellen aus der "Totalität des Lebens", erst in der modernen Kultur möglich, und so ist die Sexualwissenschaft eine durch und durch moderne Wissenschaft. Sie schreitet zusammen mit allen anderen Wissenschaften fort und durchleuchtet sie von ihrer besonderen Perspektive aus - die Naturwissenschaften sowohl wie die Kulturwissenschaften.

Kronfeld selbst nennt die Biologie, Psychologie, Anthropologie und Soziologie. Für die praktische Anwendung sexualwissenschaftlicher Einsichten nennt er die Gesetzgebung und Rechtsprechung, die Erziehung, Hygiene und Ethik. Die endliche Krönung der Sexualwissenschaft sieht er dann in einer umfassenden philosophischen Deutung von Sinn und Wesen der Geschlechtlichkeit.

Diese letztere Projektion aber bezeichnet uns heute den Punkt, über den kaum ein Theoretiker damals hinauskam. Sie beweist, daß zumindest Kronfeld und seinen Kollegen der Sinn der Wissenschaftlichkeit in ihrem Fach immer noch nicht völlig einsichtig war. Noch immer waren sie sich ihrer eigenen ideologischen Voraussetzungen nicht bewußt. Nur Hans Kunz, der sonst Kronfeld in allem folgte, blieb dem Prinzip der Wertfreiheit treu und widersprach:

"Nur ein Zweifel sei mir gestattet: daß nämlich die Sexualwissenschaft durch eine, weltanschauliche, philosophische Deutung vom Sinn und Wesen der Geschlechtlichkeit' gekrönt werde. Sie wird in Wahrheit von einer solchen getragen - freilich sehr unklar und verschwommen in den Köpfen spukend -, und wenn diese Deutung einst zur vollbewußten erwachsen, so lebt sie in einer anderen Sphäre denn der wissenschaftlichen." [44]

Diese Kritik weist den richtigen Weg und macht deutlich, wie weit die Theoriediskussion vor 1933 schon gediehen war. Sie läßt auch die nächsten möglichen Schritte erahnen, die dann aber unterblieben. Der Faschismus brachte sehr bald die Disputanten gewaltsam zum Schweigen und fügte so ihrer Wissenschaft einen Schlag zu, von dem sie sich bis heute nicht völlig erholt hat.

Dennoch, wir können, ja müssen den Faden wieder aufnehmen und wie unsere Vorgänger versuchen, unsere Arbeit theoretisch zu klären. Mit anderen Worten, wir müssen weiterhin bestrebt sein, unsere Wissenschaft "wissenschaftlicher" zu machen. Dazu gehört auch, daß wir uns die "unklare und verschwommene Deutung der Geschlechtlichkeit", die unserer Forschung immer noch halbeingestanden zugrunde liegt, voll zum Bewußtsein bringen. So bleibt uns als Sexologen auch in der Zukunft vor allem eine kulturwissenschaftliche Aufgabe - die der Ideologiekritik.

 

Anmerkungen

[1] Bloch, I: Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur. Berlin 1907. Zur Bedeutung Blochs für die Sexualwissenschaft vgl. die ausführliche Darstellung von B. Egger in diesem Band.

[2] Zum Thema Degeneration: Morel, B. A.: Traite des dégénérescences physiques, intellectuelles et morales de l'espece humaine. Paris 1857; Magnan, V. und M. P. Legrain: Les dégénérés. Paris 1895; Magnan, V. und J.-M. Charcot: Inversion du sens génital et autres perversions sexuelles. Paris 1881. - Block selbst überwand die Degenerationstheorie schon in einem Frühwerk: Beiträge zur Aetiologie der Psychopathia sexualis. 2 Bde., Dresden 1902-1903.
Zum Thema ,Psychopathia sexualis': Kaan, H.: Psychopathia sexualis. Leipzig 1843; Krafft-Ebing, R. v.: Psychopathia sexualis. Stuttgart 1886. - Die Rolle Blocks bei der Überwindung dieser Tradition ist dargestellt in: Wettley, A.: Von der ,Psychopathia sexualis' zur Sexualwissenschaft. Stuttgart 1959.
Zum Thema Eugenik: Galton, F.: Hereditary Genius. London 1869; Schallmayer, W.: Vererbung und Auslese in ihrer soziologischen und politischen Bedeutung. Jena 1903 und 1910. - In diesen Zusammenhang gehört auch Forel, A.: Die sexuelle Frage. München 1905.
Zum Thema "Entvölkerungsgefahr": Nadaillac, Marquis de: Affaiblissement de la natalite en France, ses causes et ses consequences. Paris 1885; Lavasseur, E.: La Population frangaise. 2 Bde., Paris 1889-1892. - Die entsprechenden deutschen Warnungen erschienen, etwas verzögert, in: Seeberg, R.: Der Geburtenrückgang in Deutschland - Eine sozialethische Studie. Leipzig 1913; Schrenk, E.: Notsignal für das deutsche Volk. Berlin 1913; Theilhaber, F. A.: Das sterile Berlin -Eine volkswirtschaftliche Studie. Berlin 1913; Wolf, J.: Die Rationalisierung' des Geschlechtsverkehrs in unseren Tagen. In: Sexual-Probleme 9 (1913).

[3] Bloch, L: Die Prostitution. Bd. I, gleichzeitig erster Band von Bloch, I. (Hrsg.): Handbuch der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen. Berlin 1912, S. VII.

[4] Ebenda, S. VIII.

[5] Virchows Archiv 2 (1849) 6. - Virchows Auffassung der Medizin als Basis für soziale Reformen und als die eigentliche Anthropologie ist zusammenfassend dargestellt in: Schipperges, H.: Utopien der

Medizin - Geschichte und Kritik der ärztlichen Ideologie des 19. Jahrhunderts. Salzburg 1968, S. 31-81.

[6] Bastian, A.: Der Mensch in der Geschichte. 3 Bde., Leipzig 1860; Das Beständige in den Menschenrassen und die Spielweite ihrer Veränderlichkeit. Berlin 1868; vgl. ferner Steinen, K. von den: Gedächtnisrede auf Adolf Bastian. In: Zeitschrift für Ethnologie 37 (1905).

[7] Humboldt, W. v.: Geschichte der Abhängigkeit im Menschengeschlechte. In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Gesammelte Schriften. Bd. VII. Berlin 1908, S. 654. [8] Ebenda, S. 653.

[9] Siehe z.B. Sweet, P. R.: Wilhelm von Humboldt: A Biography, vol. I: 1767-1808. Ohio State University Press 1979.

[10] Bloch, L: Die Prostitution. ..., S. IX.

[11] Ebenda, S. 1.

[12] Ebenda, S. X.

[13] Ebenda, S. XII f.

[14] Hirschfeld, M.: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes. Berlin 1914. Nachdruck der Originalausgabe mit einer Einführung von Erwin J. Haeberle, Berlin 1984.

[15] Moll, A. (Hrsg.): Handbuch der Sexualwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Beziehungen. Leipzig 1911.

[16] Hirschfeld, M.: Über Sexualwissenschaft. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft l (1908) 2 f.

[17] Hirschfeld, M.: Einteilung der Sexualwissenschaft. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft l (1908) 569-587. - Der Aufsatz nennt folgende 14 Fachbereiche: 1. Sexualanatomie, 2. Sexuelle Chemie (Hormonforschung), 3. Sexuelle Physiologie, 4. Sexual-Psychologie, 5. Sexuelle Evolution (Entwicklungslehre), 6. Vergleichende Sexualbiologie (Tier-Mensch), 7. Sexuelle Hygiene, 8. Sexuelle Prophylaxe, 9. Sexualpolitik, 10. Sexuelle Gesetzgebung, 11. Sexualethik, 12. Sexuelle Ethnologie, 13. Sexuelle Varietäten, 14. Sexuelle Pathologie.

[18] Hirschfeld, M.: Zur Methodik der Sexualwissenschaft. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft l (1908) 700-702.

[19] Bloch, L: Aufgaben und Ziele der Sexualwissenschaft. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft l (1914/1915) 3 f.

[20] Wie Bloch hier selber erwähnt (S. 6), war es Steinach gerade gelungen, bei Ratten und Meerschweinchen durch Keimdrüsenverpflanzungen die Feminisierung von Männchen und die Maskuli-nisierung von Weibchen zu erreichen. Das führte bald zu der Annahme, weitere endokrinologische Forschungen würden auch die Beweggründe menschlichen Sexualverhaltens entschleiern und so die Mittel liefern, es in allerseits akzeptable Bahnen zu lenken. Darüber hinaus kam Steinach selbst zu dem Schluß, daß die "Sexualhormone" verjüngend wirken könnten und führte daher bei Männern die sog. Steinach-Operation ein, d. h. eine Vasektomie, die die Hormonproduktion gleichsam in den Hoden "speicherte". An die verjüngende Wirkung dieser Operation glaubten noch in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren viele und ließen sie deshalb an sich vornehmen, u. a. auch Sigmund Freud, der sogar einen gewissen Heileffekt auf seinen Krebs in ihr erkennen wollte (Mündliches Zeugnis des Steinach-Schülers Harry Benjamin, New York, der selbst mit Freud darüber sprach). Die damaligen Hoffnungen wurden jedoch am Ende nicht erfüllt, wenn auch die Endokrinologie auf andere, unerwartete Weise, z.B. in der Kontrazeption, das Sexualleben revolutionierte.

[21] Siehe Sulloway, F. J.: Freud - Biologist of the Mind: Beyond the Psychoanalytic Legend. New York 1979.

[22] Wolf, J.: Sexualwissenschaft als Kulturwissenschaft. In: Archiv für Sexualforschung l (1915) 2.

[23] Ebenda, S. 3.

[24] Ebenda, S. 4.

[25] Ebenda, S. 4.

[26] Ebenda, S. 7-10. - Im Zusammenhang mit dem sexologischen Studium der Musik erwähnt Wolf übrigens die Opern von R. Wagner und R. Strauß, die sich hier als ergiebig erwiesen hätten. Interessanterweise war später, beim ersten Kongreß der Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung (Berlin 1926), eine Aufführung der Oper "Salome" unter der Leitung des Komponisten R. Strauß Teil des Kongreßprogramms.

[27] Vgl. im Beitrag von R. Gindorf die Teleologie-Kritik Durkheims.

[28] Moll, A.: Analyse des Geschlechtstriebes. In: Moll, A. (Hrsg.): Handbuch der Sexualwissenschaf-

ten mit besonderer Berücksichtigung der kulturgeschichtlichen Beziehungen. 2. Aufl. Leipzig 1926, S. 235.

[29] Ebenda, S. 238. - Moll hatte diese Trennung zuerst in seinem Buch "Untersuchungen über die Libido sexualis", Berlin 1897, eingeführt. Dieses Buch hatte übrigens auch einen erheblichen, wenn auch nicht voll eingestandenen, Einfluß auf Freud. (Siehe oben unter Anm. 21: Sulloway: Freud ... a.a.O., S. 309-315 und 516-518).

[30] Moll, a.a.O., S. 265.

[31] In diesem Zusammenhang ist eine Jugendarbeit W. Reichs von Interesse, die in drei Folgen in M. Marcuses Zeitschrift erschien. Sie stammte aus dem "Seminar für Sexuologie", Wien, und erschien unter dem Titel "Trieb- und Libidobegriffe von Forel bis Jung" In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft 9 (1922/1923) 17-19; 44-50 und 75-85.

[32] Siehe das Stichwort "Drive" von R. C. Bolles in: Eysenck, H. J., W. Arnold und R. Meili: Encyclo-pedia of Psychology. New York 1979. Deutsche Ausgabe in 3 Bänden 1972 bei Herder, Freiburg/ Br. (Stichwort "Trieb"); vgl. auch die "Trieb"-kritischen Ausführungen von Rolf Gindorf auf S. 34, Anm. 51, dieses Bandes.
In der Sexualforschung ist der bekannteste Versuch, ohne den Triebbegriff auszukommen, der von J. H. Gagnon und W. Simon: Sexual Conduct: The Social Sources of Human Sexuality. Chicago 1973. - Siehe ferner Gagnon, J. H.: Human Sexualities. Glenview 1977. In Deutschland hat der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt ebenfalls den Begriff "Sexualtrieb" für entbehrlich erklärt. Siehe z.B. seinen Aufsatz "Kurze Entgegnung auf Volkmar Siguschs ,Lob des Triebes'", in Dannecker, M., Sigusch, V. (Hrsg.): Sexualtheorie und Sexualpolitik. Stuttgart 1984, S. 17 ff. Dort findet sich auch eine emphatische Ablehnung der Position Schmidts und eine versuchte Neubekräftigung des Triebbegriffs durch Volkmar Sigusch: Lob des Triebes, a.a.O., S. 3 ff.

[33] Foucault, M.: Sexualität und Wahrheit. Bd. I: Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main 1977, S. 125.

[34] Kunz, H.: Zur Methodologie der Sexualwissenschaft. In: Zeitschrift für Sexualwissenschaft 13 (1926/1927) 22.

[35] Ebenda, S. 21.

[36] Ebenda, S. 21 f.

[37] Bloch, L: Die Prostitution. A.a.O., S. XIV f.

[38] Ebenda, S. XV.

[39] Ebenda, S. XV f.

[40] Ebenda.

[41] Kronfeld, A.: Sexualwissenschaft. In: Marcuse, M. (Hrsg.): Handwörterbuch der Sexualwissenschaft. 2. Aufl. Bonn 1926, S. 740.

[42] Ebenda, S. 740f.

[43] Bloch, L: Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur. A.a.O., Vorwort.

[44] Kunz, H.: Zur Methodologie der Sexualwissenschaft. A.a.O., S. 26.