Reisen nach China

I. Reise 1989

1. ZUSAMMENFASSUNG
2. TAGEBUCH


1. ZUSAMMENFASSUNG

Vom 16. bis 23. Mai 1989 besuchte ich auf eine offizielle Einladung hin das neugegründete "Shanghai Sex Sociology Research Center". Der Besuch wurde von beiden Seiten, besonders aber von der chinesischen, als historisch bewertet. Zum ersten Mal seit der Reise Magnus Hirschfelds durch China im Sommer 1931 war wieder ein deutscher Sexualforscher in Shanghai und erneuerte damit die 1933 abgerissenen wissenschaftlichen Kontakte. Die schnelle, erhebliche Verstärkung dieser Kontakte wird von den chinesischen Kollegen ausdrücklich gewünscht.

Der gleiche Wunsch wird auch von den Kollegen in Hongkong ausgesprochen, die im Mai 1990 die Erste Asiatische Konferenz zu Fragen der Sexualität veranstalten werden. Auf meinem Rückflug von Shanghai hat mich am 24. Mai in Hongkong der Hauptorganisator dieser Konferenz, Dr. Ng, aufgesucht, der mich als einzigen europäischen Referenten dazu eingeladen hat.

Meine Gastgeber in Shanghai hatten für mich ein nahezu pausenloses Programm vorbereitet, das vor allem aus offiziellen Besuchen, Besprechungen und einigen Besichtigungen bestand. Zudem hatte man zwei Vorträge, ein Seminar und einigen Interviews von mir angekündigt und bereits zwei meiner Beiträge in der neuen chinesischen sexualwissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht. Unter den Umständen war das Interesse sehr groß, und die Besuchszeit eigentlich sehr kurz. Daher konnte ich weitere, spontan ausgesprochene Einladungen in andere chinesische Städte nicht annehmen. Das vorgegebene Besuchsprogramm wurde fast genau nach Plan ausgeführt, obwohl es wegen täglicher Massendemonstrationen in Shanghai mit den daraus resultierenden Verkehrsproblemen und wegen eines allgemeinen Vorlesungsboykotts und der Teilnahme von Studenten und Professoren an Kundgebungen einige Schwierigkeiten gab. Mein Besuch fiel eben unerwartet in die Woche des Gorbatschov-Besuchs (auch in Shanghai) und einer politischen Erhebung, die das gesamte akademische Leben in einen Ausnahmezustand versetzte. Andererseits kam die intellektuelle Aufbruchstimmung aber auch meinem Besuch in vieler Hinsicht zugute und verstärkte seine Wirkung.

Das "Shanghai Sex Sociology Research Center", unter Leitung von Prof. Liu Dalin und Prof. Fan Minsheng, ist bisher auf mehrere Büros in verschiedenen Universitäten und Organisationen in der Stadt verteilt. Das Hauptbüro befindet sich in der Abteilung Soziologie der Universität von Shanghai. Die Vorarbeiten der beteiligten Kollegen gehen bis 1985 zurück und führten zunächst zur Gründung einer Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung und einer eigenen Zeitschrift. Mit der Gründung des Forschungszentrums hat man nun eine erste große Studie des chinesischen Sexualverhaltens in Angriff genommen, die gleichzeitig in 15 Städten und Landkreisen durchgeführt wird. Ich selbst habe aktiv an einigen vorbereitenden technischen Besprechungen dieser Studie teilgenommen.


Prof. Haeberle (Mitte) und Prof. Liu (rechts hinter ihm) und die Hauptmitarbeiter
der ersten landesweiten Sexualumfrage in China.


Bedeutsam an diesem Projekt ist - außer dem erwarteten Ergebnis -auf jeden Fall die Organisation, die viele Mitarbeiterstäbe aus verschiedenen Regionen Chinas umfaßt - in Universitäten, Frauenorganisationen, Familienplanungsbüros, Krankenhäusern, Polizei und Armee. Rein wissenschaftlich-fachlich sind bisher vor allem vertreten: Soziologie, Pädagogik, Geschichte, Frauenforschung, Kriminalistik, traditionelle chinesische Medizin und medizinische Ethik. Diese breite Basis verspricht, der chinesischen Sexualwissenschaft von vornherein den notwendigen Praxisbezug und die interdisziplinäre Ausrichtung zu geben, die sie zur erfolgreichen Weiterentwicklung braucht. Es besteht also die begründete Hoffnung, daß in China ein weites Netzwerk von sexologisch interessierten Wissenschaftlern und Praktikern aus vielen Bereichen entsteht, mit dem es sich lohnt, regelmäßige Kontakte zu pflegen.

Ein nächster Kontakt könnte sich sehr bald mit dem Zentrum für Familienplanung in Shanghai ergeben, das meine Ausstellung "Anfänge der Sexualwissenschaft 1908 - 1933" zeigen möchte. Anfragen nach dieser Ausstellung von 50 Schautafeln, die z. Z. am Medizin-Historischen Institut der Universität Zürich gelagert sind, liegen aus Peking und Hongkong vor. (Das Deutsche Hygienemuseum in Dresden hat mich gebeten, ihm die Ausstellung als Schenkung zu überlassen.)

Obwohl AIDS nur ein Nebenthema meines Besuches war, fand ich auch hier ein stärkeres Interesse, als ich erwartet hatte. Besonders bei der Vorbeugung ist man an Informationen und praktischen Ratschlägen interessiert. Hier könnte in Zukunft nicht nur das BGA (Bundesgesundheitsamt), sondern auch die BZgA und das Ministerium selbst eine in China dankbar vermerkte Hilfestellung leisten.

Z. Z. besteht leider immer noch keine sexualwissenschaftliche Institution in Berlin, mit der eine förmliche Kooperation hätte eingeleitet werden können. Dennoch habe ich mich im Auftrag des Präsidenten für das BGA bemüht, wenigstens den Boden für eine solche Kooperation zu bereiten und eine einstweilen unspezifische beiderseitige Absichtserklärung zu fixieren.

Konkret hatte mein Besuch zunächst die folgenden Ergebnisse:

- Als Mitarbeiter des BGA habe ich mit dem Leiter des "Shanghai Sex Sociology Research Center", Prof. Liu, ein Abschlußprotokoll unterzeichnet, das den beiderseitigen Wunsch nach Zusammenarbeit artikuliert.

- Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung (DGSS) habe ich eine förmliche Kooperation zwischen dem "Shanghai Sex Sociology Research Center" und dem DGSS-Institut in Düsseldorf vereinbart.

- Als Mitglied der International Academy für Sex Research habe ich Herrn Prof. Liu und Herrn Prof. Fan zugesagt, mich für ihre Einladung zur Akademiesitzung im Juni 1990 einzusetzen, damit sie dort die Ergebnisse ihrer Umfrage vorstellen können. Es ist eine sehr bittere Ironie, daß diese Akademiesitzung ausgerechnet an der Humboldt-Universität in Berlin (Ost) stattfinden wird, da es in Berlin-West bisher kein Institut für Sexualwissenschaft gibt. (Man sollte die chinesischen Kollegen aber unbedingt sofort in den westlichen Teil der Stadt einladen, wo die DGSS ihren dann ohnehin fälligen Kongreß abhalten könnte.)

- Als Privatperson habe ich den Vize-Präsidenten des Shanghai College of Traditional Chinese Medicine, Herrn Dr. Hong, versprochen, mich nach einem europäischen Verleger für die vom College geplante Publikationsserie umzusehen.

- Im Auftrag von Herrn Dr. Manuel Carballo (Global Programme on AIDS) der WHO in Genf habe ich dem "Shanghai Sex Sociology Research Center" die von der WHO erarbeitetem sexologischen Fragebögen übergeben mit der Bitte, sie auf ihre Verwendbarkeit in China zu prüfen. Ich habe gleichzeitig eine künftige Zusammenarbeit der chinesischen Sexologen mit der WHO empfohlen und sie gebeten, zu diesem Zweck mit dem WHO-Büro der Western Pacific Region (Dr. Umenai, Manila) Kontakt aufzunehmen.

- Der Organisator der Ersten Asiatischen Konferenz zu Fragen der Sexualität, Herr Dr. Ng, hat mich als einzigen Vertreter der europäischen Sexualwissenschaft eingeladen mit einem Grundsatzreferat an dieser Konferenz im Mai 1990 in Hongkong teilzunehmen. Die Konferenz wird Teilnehmer aus allen asiatischen Ländern vereinigen und drei Tage dauern. Da der Schwerpunkt dabei auf der intensiven Diskussion grundsätzlicher Fragen liegen wird, sind nur insgesamt 20 Referate, darunter mein eigenes, vorgesehen.

2. TAGEBUCH

Um die Reisekosten zu senken, wurde ein besonderer Billigflug gebucht, der allerdings mehrtägige Zwischenaufenthalte in Hongkong beim Hin- und Rückflug vorschrieb.

13. bis 16. Mai

Abflug von Berlin am 13. Mai morgens über Frankfurt nach Hongkong. Dort zwei Übernachtungen.

16. Mai

Ankunft in Shanghai um 21.45 Uhr. Ich wurde am Flughafen begrüßt von Herrn Prof. Liu Dalin, dem Leiter des "Shanghai Sex Sociology Research Center", seinen Kollegen, Prof. Fan Minsheng, Prof. He Jianwen und dem chinesisch-deutschen Dolmetscher, Herrn Guan Deshen. Sie fuhren mich ins Gästehaus des Shanghai College of Traditional Medicine und eröffneten mir dort das von ihnen geplante, fast pausenlose Besuchsprogramm für die kommende Woche. Ich erklärte mich mit allem einverstanden und bat nur um die Gelegenheit, meine Gastgeber an einem der folgenden Tage zu einem Essen einladen zu dürfen.


Das "Shanghai College of Traditional Medicine"


17. Mai

Der Dolmetscher, Herr Guan, der während meines ganzen Besuches von morgens bis abends an meiner Seite blieb, holte mich um 7.30 Uhr zum Frühstück ab. Anschließend fuhren wir zur Shanghai Academy of Social Sciences, wo Herr Prof. Liu und seine Kollegen ihr Sexualforschungsprojekt zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellten. Anwesend waren etwa 40 - 50 Personen, größtenteils Mitarbeiter an dem Projekt, aber auch Presse-, Radio- und Fernsehjournalisten. Die Vertreter der Medien waren allerdings nicht so zahlreich wie erwartet, denn inzwischen fanden in Shanghai die ersten Massendemonstrationen statt.

Bevor Prof. Liu sein Projekt vorstellte, bat er mich, einen zwanzigminütigen Vortrag aus dem Stegreif zur Geschichte und Bedeutung der Sexualforschung überhaupt zu halten. Ich wies dabei auf den Besuch von Magnus Hirschfeld in China 1931 hin sowie auf seinen letzten Schüler und Alleinerben, Li Shiü Tong, der verschollen ist, womöglich aber noch heute in hohem Alter in China, Hongkong oder Taiwan lebt. Mit weiteren Hinweisen auf Kinsey, neuere amerikanische Projekte und Pläne der WHO unterstrich ich die Bedeutung der jetzt in China geplanten großen Studie.


Projektvorstellung in der "Shanghai Academy of Social Sciences"
Von links: Prof. Liu, Prof. Haeberle, Dolmetscher


Danach stellte Prof. Liu sein eigenes Projekt vor. Es handelt sich um eine Umfrage über das chinesische Sexualverhalten, bei der verschiedene Fragebögen von insgesamt 16.000 Chinesen in 15 Städten und Landkreisen der verschiedensten Regionen Chinas ausgefüllt werden sollen. Die Umfrage beschäftigt etwa 1.000 Mitarbeiter (davon 40 Hauptmitarbeiter) in folgenden Städten: Shanghai, Peking, Tianjin, Jütse (Shan Xi Provinz), Chi Xien (Landkreis), Tsingtao, Xiamen, Nanjing, Wu Xi, Zheng Du, Shu Zhou, Jing Chou, K'ai Fun, Cheng Tsen, Guang Zhou. Es werden vier verschieden Fragebögen benutzt:

1. für Kinder und Jugendliche,
2. für Ehepaare,
3. für die Armee,
4. für Straftäter

Alle Fragebögen umfassen die folgenden Gebiete

1. körperliche Entwicklung,
2. sexuelles Wissen,
3. sexuelle Ansichten,
4. "eheliche Harmonie",
5. Familienplanung,
6. Sexualstraftaten

Die Projektleiter sind sich über folgende Mängel der Umfrage im klaren: Sie ist als ganze nicht repräsentativ, und sie wird keine detaillierten Daten über spezifische sexuelle Handlungen liefern. Man glaubt allerdings, bei den befragten Kindern und Jugendlichen eine repräsentative Stichprobe zu haben.

Prof. Liu stellte dann verschieden Mitarbeiter vor, um die fachliche Breite des Forschungsstabs zu illustrieren: Es waren Vertreter nicht nur verschiedener akademischer Fächer, sondern auch Leute aus der Praxis wie Familienplaner, Erzieher, Vertreter/innen von Frauenorganisationen, Armee, Polizei und Strafvollzug. Die Umfrage selbst wird in den Monaten Juni, Juli und August d. J. erfolgen, eine erste Auswertung im September und Oktober, und im Dezember soll ein großes Symposium die Publikation vorbereiten, die im Frühjahr 1990 erfolgen soll.

Bei der anschließenden Diskussion wurde Prof. Liu von den anwesenden Journalisten sehr ausführlich befragt. An mich selbst wurden hauptsächlich Fragen zur Geschichte der Sexualwissenschaft in Europa und zu ihrer heutigen Rolle in den USA und Europa gestellt.

Nach einer Mittagspause nahm ich von 14.00 bis 17.00 Uhr an einer technischen Besprechung der Mitarbeiter teil. Dabei wurden hauptsächlich die Probleme der korrekten Fragestellung, der wissenschaftlichen Neutralität und Objektivität und des Wahrheitsgehalts der Aussagen diskutiert. Eine vollständige deutsche oder englische Übersetzung der Fragebögen lag noch nicht vor, was für mich die Diskussion erschwerte. Dennoch wurden mir sehr viele fachliche Fragen gestellt.

Anschließend an die Sitzung um 18.00 Uhr wurde auf einem Bankett wiederholt der Wunsch nach verstärkter deutsch-chinesischer Zusammenarbeit ausgesprochen.

18. Mai

Am Vormittag von 9.00 bis 13.00 Uhr Besuch des städtischen Erziehungsheims für straffällige Jugendliche und "verwahrloste" Mädchen. Der Direktor dieses Heimes, Herr Zhu, ein hoher Polizeibeamter, ist Mitarbeiter bei dem Forschungsprojekt, das er energisch unterstützt. Das Heim bietet Platz für etwa 1.500 Jugendliche, war im Augenblick aber nur mit 800 männlichen und 100 weiblichen Jugendlichen (alle unter 18 Jahren) belegt. Wie Herr Zhu erklärte, handelt es sich bei den männlichen Jugendlichen vor allem um Diebe, Schläger und Notzuchttäter, bei den weiblichen vor allem um sexuelle "Verwahrlosung". Das Heim versucht, durch Schulunterricht bei gleichzeitiger Berufsausbildung und Förderung künstlerischer Talente den Jugendlichen Halt und berufliche Chancen zu geben. Das Heim unterhält handwerkliche und künstlerische Werkstätten sowie eine Gartenbauschule. Sexuelle Probleme gibt es nach Auskunft von Herrn Zhu in diesem Heim nicht; er ist aber bereit, sich durch die geplante objektive Untersuchung überraschen zu lassen.


Prof. Haeberle mit dem Anstaltsdirektor Herrn Zhu


Das Nachmittagsprogramm in der Stadt konnte wegen zunehmender Demonstrationen nicht durchgeführt werden.

19. Mai

Für diesen Tag waren im großen Hörsaal der Shanghai Jiao Tong Universität zwei Vorträge und ein Seminar von mir angekündigt. Wegen des andauernden Vorlesungsboykotts waren aber nur etwa 100 Fachleute im Auditorium, die allerdings bis zum Abschluß am Nachmittag blieben. Von 8.30 bis 11.00 Uhr hielt ich zunächst in englischer Sprache einen Vortrag zur Geschichte und gegenwärtigen Lage der Sexualforschung ("Sexual Science - Past and Present"). Der Vortrag und alles Folgende wurde abschnittweise von einem chinesisch-englischen Dolmetscher, Herrn Dr. Wang, übersetzt.


Links: Auf dem Campus der Jiao Tong Universität. Studenten bei der Vorbereitung für eine Demonstration.
Rechts: Beginn einer Demonstration am "Bund".


Nach dem Mittagessen leitete ich dann mit der Hilfe von Lichtbildern ein Seminar über die Entstehung der Sexualwissenschaft. Darauf folgte mein Vortrag "AIDS and the Role of Sexology", an den sich eine lebhafte Diskussion anschloß. Sie galt vor allem der Frage der Vorbeugung, wobei immer wieder die schulische Sexualerziehung und das anscheinend wachsende Problem der Prostitution angesprochen wurde.

20. und 21. Mai

Das Wochenende galt einem Ausflug nach Hangzhou. Herrn Prof. Fan und mir wurde dafür ein Dienstwagen und ein Fahrer der Volksarmee zur Verfügung gestellt. Neben einer Besichtigung der berühmten Sehenswürdigkeiten galt der Besuch auch einem Gespräch mit Prof. Gu Ying Chun vom Soziologischen Forschungsinstitut der Zhejiang Social Science Academy. Prof. Gu ist ein China bekannter Hegel-Forscher, der auch schon eine Konferenz über das Werk Max Webers organisiert hat. Sein Interesse an der chinesischen und deutschen Sexualforschung rührt aber von seiner wichtigen Position in der chinesischen Frauenforschung her. Das Gespräch drehte sich um den notwendigerweise interdisziplinären Charakter der Sexualforschung und um die Betonung der gesellschaftlichen und historischen Aspekte. Hier stellten wir eine große Übereinstimmung fest.


Hangzhou: Prof. Haeberle und Prof. Gu


Bei meiner Rückkehr nach Shanghai wurde ich von dem Vize-Präsidenten des Shanghai College of Traditional Chinese Medicine, Herrn Prof. Hong Jiahe, zu einem Gespräch erwartet. Er drückte den dringenden Wunsch nach verstärkten Kontakten mit deutschen Wissenschaftlern und Behörden aus und bat mich, ihm behilflich zu sein, einen europäischen Verleger für eine vom College geplante Publikationsreihe zu finden. Er sieht eine große Zukunft für die traditionelle chinesische Medizin, nicht nur in China, sondern auch in der übrigen Welt als eine zunehmend willkommene Ergänzung der "westlichen" Medizin. Auch glaubt er, daß die traditionelle chinesische Medizin einen großen Beitrag zur Gesunderhaltung, Streßminderung und Immunitätsstärkung leisten kann. Er war über die Absicht informiert, in Berlin am Krankenhaus in Moabit eine Abteilung für traditionelle chinesische Medizin einzurichten, und gab gleichzeitig der Hoffnung Ausdruck, daß andere deutsche Städte diesem Beispiel folgen würden. Herr Prof. Hong scheint mir ein lohnender Ansprechpartner auch für das BGA zu sein.

22. Mai

Der Morgen war für einen Besuch beim Zentrum für Familienplanung in Shanghai reserviert. Zunächst wurde ich durch eine neue Ausstellung geführt, die vor allem für Schulklassen und andere öffentliche Besuchergruppen bestimmt ist. Hier wurden die Biologie des menschlichen Körpers, die Fortpflanzung, Empfängnisverhütung, Erb-und Geschlechtskrankheiten sowie deren Prävention, gesunde Ernährung usw. dargestellt. Ein besonderer Schaukasten war dem Thema AIDS gewidmet. Anschließend führte mir Herr Wang Zhong, der Medienexperte des Zentrums, sein neuestes Werk vor - ein dreißigminütiges Video über AIDS, das, soweit ich es beurteilen konnte, wissenschaftlich auf dem neuesten Stand und technisch von hoher Qualität war. Herr Wang hatte im vergangenen Jahr die Vereinigten Staaten bereist, sich gründlich informiert und das nötige Material gesammelt. Er sprach den Wunsch aus, als nächstes Projekt ein besonderes Video zu AIDS-Prävention herzustellen, und bat um Vorbilder oder Anregungen aus Deutschland. Ich wies ihn auf die Rolle der BZgA hin und versprach, ihm passendes Material zuzusenden und weitere Kontakte herzustellen.


Herr Wang Zhong und Prof. Haeberle


Bei der anschließenden Besprechung, an der auch andere Mitarbeiter teilnahmen, wurde ich gebeten, meine Ausstellung "Anfänge der Sexualwissenschaft 1908 - 1933" zur Verfügung zu stellen, da man sie gerne in Shanghai zeigen möchte. Dieser Wunsch war vor allem das Resultat meines wenige Tage vorher gehaltenen Lichtbilderseminars.

Zum Mittagessen lud ich Herrn Prof. Liu und seine wichtigsten Mitarbeiter in ein privates Restaurant ein. Der Nachmittag und Abend galt dann einer intensiven und weitreichenden fachlichen Besprechung mit Herrn Prof. Liu und Herrn Prof. Fan, bei deren Abschluß das bereits erwähnte Protokoll unterzeichnet wurde.

23. Mai

An diesem Morgen waren die bisherigen Massendemonstrationen soweit abgeflaut, daß der Besuch des Shanghai Import & Export Commodity Inspection Bureau in der Innenstadt möglich wurde. Ich wurde von Frau Zhao Guo-jun empfangen, der ich die herzlichsten Grüße vom Präsidenten des BGA überbrachte. Frau Zhao zeigte sich hocherfreut. Ihr ist sehr viel an der Zusammenarbeit mit dem BGA gelegen.

Für den Nachmittag lud mich Herr Prof. Liu zu einer weiteren Besprechung in seine Wohnung ein. Die Themen waren: chinesische Zusammenarbeit mit der Sexualumfrage der WHO, Grundzüge einer sexologischen Bibliothek, gemeinsame Publikationen und Vorbereitung der Ersten Asiatischen Konferenz zu Fragen der Sexualität in Hongkong 1990. Herr Prof. Liu, der selbst an dieser Konferenz teilnehmen wird, hatte inzwischen den Hauptorganisator, Herrn Dr. Ng, in Hongkong über meine dortige Zwischenlandung informiert und ein Treffen arrangiert. Herr Prof. Liu sprach die Hoffnung aus, daß ich an dieser Konferenz teilnehmen könnte.

Ich verließ Shanghai um 20.30 Uhr.

24. Mai

Von 18.30 bis 23.30 Uhr Besprechung mit Herrn Dr. Ng Man Lun von der Abteilung Psychiatrie der Universität Hongkong. Herr Dr. Ng erzählte mir von seinen bereits weit gediehenen Plänen für die Erste Asiatische Sexologen-Konferenz und lud mich als einzigen Europäer ein, ein Grundsatzreferat beizusteuern. Vor allem aber war ihm an aktuellen Informationen über den Stand der amerikanischen und deutschen Sexualforschung gelegen. Sein besonderes Interesse dabei galt der World Association for Sexology (WAS), deren Weltkongreß im Dezember d. J. in Caracas, Venezuela, stattfindet. Herr Dr. Ng bat mich um Unterstützung bei seinem Plan, den Weltkongreß 1994 nach Hongkong zu holen (der Kongreß 1992 ist bereits nach Amsterdam vergeben). Ich machte Herrn Dr. Ng auch auf die sexologischen Umfragen der WHO aufmerksam und ermunterte ihn, mit Herrn Dr. Umenai vom WHO-Büro der Western Pacific Region in Manila Kontakt aufzunehmen. Herr Dr. Ng hatte soeben selbst eine größere Umfrage über das Sexualverhalten Jugendlicher in Hongkong durchgeführt, deren Resultate er mir übergab. Er interessierte sich außerdem sehr für Probleme der jugendlichen Sexualerziehung und vor allem für die Sexualtherapie, deren Pionier in Hongkong er selbst seit einigen Jahren ist. Auch er äußerte den Wunsch, nach Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen, und ich versprach, die nötigen Kontakte für ihn herzustellen.


Dr. Ng Man Lun