Die Schließung der "Schwulenbäder"
in San Francisco

Erwin J. Haeberle

Dieser Aufsatz erschien zuerst in: "Sexualwissenschaft und Sexualpolitik" (hg. von Rolf Gindorf und Erwin J. Haeberle), Berlin 1992, S. 187-194

Der voraufgehende Aufsatz von Allan Berube wurde auf dem Höhepunkt einer Kontroverse geschrieben, die nach mehreren Hoch- und Tiefpunkten erst mit der unwiderruflichen Schließung aller "Schwulenbäder" in San Francisco ein Ende fand. Dies Ende kam aber auf so eigentümliche, unvermutete Weise zustande, daß es sich lohnt, die Geschichte kurz nachzuerzählen. Sie enthüllt einige der Wechselwirkungen und Rückkoppelungen, die in der Sexualpolitik zwischen Mehrheit und Minderheiten, repressiven und liberalen Strömungen, Bürokratie und Basisgruppen, Recht und Sitte, Wissenschaft und Lebenspraxis, Moral und Kommerz bestehen.

Die erste amtliche Schließung durch das Gesundheitsamt vom Oktober 1984, von der Berube noch selbst berichtet, war nicht lange aufrechtzuerhalten, da die Rechtsanwälte der Badbesitzer bis zur gerichtlichen Klärung der Situation einfach den Weiterbetrieb empfahlen und ermöglichten. Als es dann schließlich zum Prozeß kam, fiel das Urteil anders aus, als die streitenden Parteien erwartet hatten. Aber der Reihe nach:

In den frühen achtziger Jahren, als — unter zunächst verschiedenen Namen - die neue Krankheit AIDS zum erstenmal in den USA auftauchte, gab es in San Francisco 11 schwule Bäder und Sex-Clubs: das Hot House, das Sutro, Dave's Bath, die Liberty Baths, Ritch Street Baths, Club Baths, 21. Street Baths, das Cauldron, Animals, Bootcamp und Slot.

Wie schon beschrieben, waren diese Einrichtungen teilweise recht groß und luxuriös ausgestattet. Einige boten mehreren hundert Kunden Platz und waren fast jede Nacht, an Wochenenden aber auch tagsüber voll belegt. Der Eintrittspreis für je 24 Stunden betrug in den sechziger und siebziger Jahren etwa 5 Dollar und stieg später auf 8 — 10 Dollar. Wenn man bedenkt, daß man für diese bescheidene Summe nicht nur eine Schlafkabine mit Bett bekam, sondern auch noch die Whirlpools, Dampfbäder, Duschen, Sonnendecks, Fitness- und Fernsehräume nutzen konnte, so wird verständlich, daß viele Besucher San Franciscos die "Schwulenbäder" jedem Hotel vorzogen und teilweise mehrere Urlaubstage dort verbrachten. Dies war umso eher möglich, als einige Bäder auch einfache Gerichte sowie Kaffee, Tee und Soft Drinks servierten. Und selbstverständlich kam als Hauptattraktion noch das sexuelle Abenteuer hinzu.

Gerade in San Francisco wurden die "Bäder" von Männern jedes Alters, jeder Herkunft und jeder Hautfarbe besucht, von Einheimischen sowohl wie von Touristen aus aller Welt. Kein Treffpunkt hätte zivilisierter und egalitärer, ja demokratischer und — wenn man die Leistung betrachtet — billiger sein können. Was Wunder also, daß die "Bäder" den meisten Besuchern wie fast paradiesische Freiräume erschienen, wie verborgene Inseln der Seligen inmitten der zunehmend häßlicher, grausamer werdenden Konkurrenzgesellschaft. In der Tat, dieser Gesellschaft blieb die schöne, neue Welt paradiesischer Nacktheit und Lust, schneller Verbrüderung und leichter Trennung, schuldfrei erlebter Genüsse und orgiastischer Selbstvergessenheit so gut wie unbekannt.

Der amerikanische Durchschnittsbürger, ja sogar die meisten Bürger San Franciscos ahnten nicht, daß in ihrer Mitte spontane adamitische Riten und dionysische Sinnenräusche erlebbar geworden und daß nicht nur eine mittelalterliche, praktische Ketzerei, sondern der antike Hedonismus selbst wieder auferstanden waren.

Allerdings begannen schon in den siebziger Jahren einige Wermutstropfen in den immer höher geschwungenen Freudenbecher zu fallen. Zunächst waren die früher gefürchteten sexuell übertragbaren Krankheiten wie Gonorrhoe und Syphilis, da leicht heilbar, keine wirklichen Hemmnisse gewesen, das Reich der Sinne gemeinsam neu zu erobern. Die gut informierte Schwulenszene selbst sorgte dafür, daß die Symptome schnell erkannt und die Ursachen behandelt wurden, so daß die Angst vor Ansteckung mit Recht als Störfaktor so gut wie ausgeschaltet blieb. Mit der Zeit aber stellten sich neue Gefahren ein wie Hepatitis B, Herpes und eine Reihe von parasitären Darmerkrankungen, für die man den bezeichnenden Sammelnamen "Gay Bowel Syndrome" ("Schwulen-Darm-Syndrom") erfand. Daß auch diese Gefahren in der Schwulenszene schnell erkannt wurden, war vor allem dem Aktivismus schwuler Ärzte zu verdanken, die sich in eigenen Organisationen zusammenschlossen und auch ihre heterosexuellen Kollegen in Wort und Schrift über homosexuelles Verhalten und seine Ansteckungsrisiken aufklärten.

Auch die "Schwulenpresse" leistete eine erhebliche Aufklärungsarbeit, so daß viele Leser vorsichtiger wurden und zum ersten Mal — wenn auch nur vereinzelt — der Gebrauch von Kondomen selbst in den Bädern beobachtet werden konnte.

Dennoch wäre es falsch zu sagen, daß es vor AIDS schon etwas Ähnliches wie die "Safe-Sex-Leitlinien" gab. Im großen und ganzen wurden weder die "klassischen" noch die neuen sexuell übertragbaren Krankheiten sehr ernst genommen. Man vertraute eben grundsätzlich auf die ärztliche Kunst, die auch im schlimmsten Fall die Rettung bringen würde.

Das wurde erst anders, als Anfang der achtziger Jahre AIDS zu diesen Krankheiten trat. Sobald seine sexuelle Übertragbarkeit und seine Unheilbarkeit erwiesen waren, mußte dies eine Rückwirkung auf die anscheinend noch heile Welt der Bäder haben.

Wiederum war es die schwule Ärzteschaft — in San Francisco die Vereinigung "Bay Area Physicians for Human Rights (BAPHR)" —, die den Ernst der Lage erkannte und sich für eine intensive Aufklärung einsetzte. Sie entwickelte daher die schon erwähnten Leitlinien, die alle denkbaren homosexuellen Handlungen in drei Gruppen einteilte: unsafe, possibly safe und safe.

Im Sommer 1984, also zu der Zeit, als der Streit um die Bäderschließung am heftigsten tobte, nannte BAPHR die folgenden Praktiken "unsafe" (risikoreich): "Oral-Anal-Kontakt, Faustfick, Blutkontakt, gemeinsames Benutzen von sexuellen Hilfsmitteln (wie Penisattrappen u. ä.), Samen und Urin im Mund, Analverkehr ohne Kondom."

Als "safe" (risikofrei) wurden bezeichnet: "Massage, Umarmungen, gegenseitige Masturbation, trockene Küsse, Frottage (das Aneinanderreihen der Körper)." Alles andere galt als "possibly safe" (risikoarm) [1].

Wie man sieht, versuchten die schwulen Ärzte "auf Nummer sicher" zu gehen und empfahlen implizit nur Sexualpraktiken, die auf keinen Fall zur Ansteckung führen konnten. Die Leitlinien wurden sofort von der San Francisco AIDS-Foundation übernommen, die versuchte, sie "vor Ort" in der Schwulenszene zu propagieren, unter anderem auch durch mobile Teams in den Bädern und Sex-Clubs selber. Diese Veranstaltungen stießen dort auf großes Interesse und bereitwillige Zustimmung. Sie führten aber auch dazu, daß einer wachsenden Zahl von Besuchern Zweifel am Sinn der ganzen Bäderszene kamen. Ein drastisches Absinken der Kundenzahl führte dann bald auch zur Geschäftsaufgabe der ersten Clubs (Sutro-Bad und Cauldron).

Die Geschäftseinbußen wiederum ließen die Badbesitzer auf Distanz gehen, und ihr Enthusiasmus für die Vorbeugung schwand. Als eine "schwule" Zeitung ("Corning Up!") die Bäder unter diesem Gesichtspunkt explorierte und rezensierte, mußte sie feststellen, daß bei den meisten von der Befolgung der "Safe-Sex-Leitlinien" keine Rede war. Die Zeitung riet ihren Lesern deshalb ausdrücklich vom Besuch ab. Andererseits versuchten schwule Aktivisten wie Allan Berube mit seinem historischen Aufsatz, vor einer amtlichen Schließung zu warnen, da sonst risikoreiches Sexualverhalten in dunkle Straßenecken, öffentliche Toiletten und Stadtparkbüsche verlagert würde. In den Bädern habe man dagegen — wenigstens potentiell — fast ideale Aufklärungsorte, falls die Badbesitzer wirklich kooperierten. Ich selbst vertrat dieses Argument, als ich mit Wardell B. Pomeroy und anderen Kollegen vom Institute for Advanced Study of Human Sexuality einen offenen Brief an das städtische Gesundheitsamt schrieb [2].

Der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Mervyn Silverman, hatte inzwischen aber ganz andere Sorgen. Nicht nur war die "Schwulenszene" San Franciscos in dieser Frage gespalten, sondern ein älterer Schwulenaktivist mit unbestreitbaren langjährigen Verdiensten namens Larry Littlejohn hatte eine Automatik in Bewegung gesetzt, die eine schnelle Entscheidung erzwang.

Littlejohn gehörte, zusammen mit dem schwulen Stadtrat Harry Britt und dem schwulen Journalisten Randy Shilts, zu denjenigen, die lautstark eine sofortige Schließung der Bäder verlangten, da jedes Zögern nur den vermeidbaren Tod weiterer schwuler Männer bedeute. Angesichts dieser Gefahr müßten alle anderen Überlegungen zurückstehen. Littlejohn blieb aber nicht bei bloßen Worten, sondern schritt zur Tat: Er kündigte eine Unterschriftensammlung an, die erlaubten sollte, das ganze Problem im November 1984 den Wählern zur Abstimmung vorzulegen. Jeder konnte sich ausmalen, wie eine solche Wählerentscheidung aussehen würde — sie mußte zur vollständigen Niederlage der Badbesitzer führen und hätte auf dem Wege dorthin alle bisher öffentlich kaum bekannten sexuellen Details im Wahlkampf ausgebreitet — mit sehr schädlichen Folgen für alle Schwulen San Franciscos.

Dr. Silverman saß also auf einer Art tickender Zeitbombe und mußte sich entscheiden. Ja, die Entscheidung war ihm durch Littlejohn praktisch abgenommen: Eine Wählerentscheidung, also eine rein politische Lösung, war nur durch eine vorherige gesundheitspolizeiliche — und damit auch viel enger begründete — Schließung zu verhindern. Silverman versuchte also, auch unter seinen schwulen Gegnern, für diese unausweichliche Entscheidung zu werben. Als er glaubte, genügend Unterstützung zu haben, berief er eine Pressekonferenz ein, um die Schließung zu verkünden. Zur vollständigen Überraschung aller verkündete er aber nur, daß ihm neue Zweifel gekommen seien und er die Entscheidung vertagen müsse.

Nun hatte er es mit allen verdorben. Zwei Wochen später verfügte er dann, daß die Bäder zwar geöffnet bleiben könnten, daß aber jede sexuelle Aktivität dort zu unterbleiben habe. Diese "Zwischenlösung" brachte ihm nur noch Hohn und Spott, sogar von Seiten der konservativen Presse, ein. Die "San Francisco Chronicle" etwa druckte die Karikatur eines Polizisten, der mit einem Notizblock bewaffnet in einem Schwulenbad durchs Schlüsselloch schaut. Die Zeitung illustrierte damit die Absurdität des Verbots, dessen Einhaltung gar nicht zu kontrollieren sei.

Ironischerweise kam nun aber Dr. Silvermans nächste Aktion dieser Karikatur sehr nahe. Er schickte nämlich Privatdetektive in die Bäder, die dort unerkannt im Schutz ihrer zivilen Nacktheit Beobachtungen anstellten und diese dann schriftlich niederlegten. Niemand war überrascht, als die Berichte vielfach risikoreiche Sexualpraktiken bestätigten. Die Bäder, Sex-Clubs und andere Einrichtungen, in denen dies beobachtet worden war, wurden mit Namen und Adresse genannt. Nun glaubte Dr. Silverman, die nötigen Beweise in Händen zu haben, um den lange aufgeschobenen Schritt zu tun: Er verkündete die Schließung der Etablissements, die von den Detektiven genannt worden waren. Als einige sich widersetzten, rief er die Gerichte an.

In dieser Situation schrieb Allan Berube den vorstehenden Aufsatz, und nicht nur er, sondern ganz San Francisco erwartete mit Spannung ein Urteil. Als der Richter schließlich dieses Urteil sprach, überraschte es jeden: Die Bäder können geöffnet bleiben, aber mit gewissen Auflagen: Die Badbesitzer müssen für je 20 Kunden einen Aufpasser bestellen, der die sexuellen Aktivitäten beobachtet und diejenigen Kunden des Hauses verweist, die "unsafe" (risikoreichen) Sex praktizieren. Was unter "unsafe Sex" zu verstehen ist, entscheidet die San Francisco AIDS Foundation (die sich, wie bereits ausgeführt, dabei auf die schwule Ärztevereinigung BAPHR stützt). Damit waren damals de facto Fellatio und Analverkehr ohne Kondom in den Bädern nicht mehr zugelassen. (Alles andere blieb aber implizit gestattet.) Um die lückenlose Beobachtung möglich zu machen, mußten alle Türen von den Kabinen entfernt und alle Räume hell ausgeleuchtet werden.

Dies Urteil wurde von der Öffentlichkeit mit Verblüffung aufgenommen. Die juristischen Implikationen sind musterhaft in einem Aufsatz der "Yale Law and Policy Review" dargelegt, der, obwohl äußerst kritisch, auch eine faire Zusammenfassung der ganzen Kontroverse liefert [3].

Als unmittelbar entscheidend erweisen sich jedoch die praktischen Implikationen dieser Gerichtsentscheidung. Obwohl den Badbesitzern der Betrieb weiterhin erlaubt war, gaben sie bald auf oder "warfen das Handtuch", wie eine Zeitung ironisch bemerkte. Der Grund dafür waren aber nicht etwa die von der Presse als grotesk und von ihnen selbst als lästig empfundenen Auflagen, sondern das inzwischen veränderte Sexualverhalten ihrer früheren Kundschaft. In der Tat, die meisten Männer, die früher die Bäder bevölkert hatten, blieben nun aus und entzogen ihnen damit die geschäftliche Grundlage. Einige Badbesitzer verkauften ihre Immobilien schnell mit Gewinn, andere stellten den Betrieb völlig um und wieder andere schlossen einfach und warteten ab. Ein großes Bad wurde zum Obdachlosenheim der Episkopalkirche, ein anderes wurde zur Disco, ein drittes zum Jazz-Club, ein weiteres zum Bürogebäude. All diese Nutzungen waren nun einträglicher als das ursprüngliche Geschäft, denn, wie gesagt, die Kundschaft hatte sich verlagert.

Es war aber auch nicht sonderlich schwer herauszufinden, warum und wohin sie sich verlagert hatte. Die Gründe waren für jedermann in der örtlichen Schwulenpresse zu lesen. Ein Zitat macht das klar:

"Geil und risikofrei: Sex-Clubs wieder in Siedehitze mit Freuden des Neuen Zeitalters"

Ein Hinweisschild im 1808-Club warnt: "Köpfe über der Gürtellinie oder ihr fliegt raus!" Im Campus Theater läuft es über Lautsprecher: "Stadt und Landkreis San Francisco erlauben nicht, das Gesäß oder die Genitalien der Darsteller zu berühren." Im Circle-J-Club erscheint ein besonderes Video auf der Leinwand, sobald "unsafe sex" praktiziert wird, und ermahnt die Kundschaft, zu risikofreien Praktiken überzugehen. In welcher Form auch immer, die Botschaft signalisiert eine neue Disziplin und ein neues Zeitalter der schwulen Sex-Clubs. Eine von sexuell übertragbaren Krankheiten verwüstete Szene fängt wieder an, Sex positiv zu bewerten. Das Resultat sind erfolgreiche Versuche mit risikofreien und lustvollen sexuellen Aktivitäten in sicherer Umgebung. Larry Creson arbeitet im 1808-Club. Er sagt, er habe besonders während der 2. Schwulen Olympischen Spiele (Gay Games II) eine große Zunahme der Kundschaft beobachtet. Er glaubt, daß die Spiele den Schwulen ein neues Selbstwertgefühl und neue Lebensfreude gebracht hätten ... Seither ist der Club jede Nacht voll von Männern, die "Safe Sex" suchen. "Unsafe Sex" wird so gut wie nie beobachtet, sagt Creson. Obwohl Aufpasser im großen Masturbationsraum vorhanden sind, praktizieren alle Kunden freiwillig nur sexuelle Techniken, bei denen eine Infektion ausgeschlossen ist. Viele besuchen den Club wegen der anonymen Sexualkontakte, aber viele andere sehen dort auch die Gelegenheit, Bekanntschaften zu schließen und Beziehungen zum Zwecke sonstiger Geselligkeit aufzubauen ..." [4].

Der Artikel fährt in diesem Sinne noch über mehrere Spalten fort und nennt zum Schluß zwei weitere ähnliche Clubs. Tatsächlich aber erschöpft auch diese Aufzählung das Angebot nicht, denn es gab und gibt noch weitere "Safe-Sex"-Treffpunkte, von einer Organisation, den "San Francisco Jacks", die wöchentlich große Masturbationsabende mit 100 — 200 Teilnehmern veranstaltet, bis zur "Kirche des Hl. Priapus", bei denen die regelmäßigen Masturbationsriten sakralen Charakter haben.

Diese Treffen und Begegnungsstätten sind ohne Vorbild in den USA. Sie wurden erst dadurch möglich, daß sich die Schwulenszene selbst über die Infektionsgefahr mit HIV, dem AIDS-Virus, aufklärte und eine entsprechende Verhaltensänderung anstrebte.

Diese Änderung wiederum vollzog sich vor, während und nach der Kontroverse um die Bäderschließung. Während also Lokalpolitiker, Schwulenführer, Rechtsanwälte und letztendlich ein Richter das Problem auf ihre Weise angingen, löste es sich von selbst "von der Basis her". Zum Zeitpunkt des Urteils hatte es sich praktisch erledigt. Es zeigte sich also im Nachhinein, daß alle streitenden Parteien sowohl Recht wie Unrecht gehabt hatten. Vor allem erwies sich, daß der von allen geschmähte Direktor des Gesundheitsamtes, Dr. Silverman, sehr klug gehandelt hatte. Sein Zögern, seine anscheinende Unentschlossenheit, sein ständiges Verhandeln hinter den Kulissen — all das hatte dazu gedient, die Situation soweit reifen zu lassen, daß es zu einer echten und dauerhaften Lösung kam. Als der Richter endlich sein kontroverses Urteil sprach, war es praktisch gegenstandslos geworden. Die Hauptkontroverse hatte aufgehört.

Das allerdings wäre nicht möglich gewesen ohne die beispiellosen Anstrengungen der Schwulen San Franciscos, wirkliche Alternativen zu den Bädern zu entwickeln. Jedem von ihnen war klar geworden, daß auch sie, wie die schwulen Bars und Vereine, ungewollt dazu beigetragen hatten, daß AIDS sich so rapide ausbreiten konnte. Die bittere Ironie, daß ausgerechnet die größten Errungenschaften schwuler Freiheit allzulange unbemerkt zur größten Bedrohung schwulen Lebens geworden waren, war niemandem mehr verborgen.

Daneben nahmen sich die vielen kleinen Ironien der Entwicklung nachträglich fast versöhnlich-heiter aus, z. B.: Die Ersetzung romantisch-schmusiger Beleuchtung durch strahlende Helle, die Abschaffung aller Einzelkabinen, der zunächst als Karikaturalptraum entworfene Aufpasser, der über risikofreien Sex wacht — sie sind nun alle Wirklichkeit und zwar auf Wunsch der Schwulen selbst.

Dabei hat sich, wie von selbst, auch im Sexuellen ein neues Gruppengefühl eingestellt, eine Solidarität selbst bei anonymen Begegnungen, die ja nun häufiger sozusagen "im größeren Kreise" stattfinden. Hier paßt daher auch der überkommene (niemals sehr instruktive) Begriff der Promiskuität nicht mehr. Diese neuen Formen schwuler Sexualität sind aber noch kaum erforscht, und es wird sicher noch eine Weile dauern, bis ein anderer Allan Berube (oder vielleicht er selbst?) ihre Geschichte schreiben kann.

Anmerkungen

[1] Bay Area Physicians for Human Rights: "AIDS Safe-Sex Guidelines", Juni 1984, verteilt von der San Francisco AIDS Foundation.

[2] Siehe Ronald Bayer. "Private Acts, Social Consequences: AIDS and the Politics of Public Health", New York/London 1989, S. 35-36. Der Brief war unterzeichnet von Wardell B. Pomeroy, Erwin J. Haeberle, Ted McIlvenna, Phyllis Lyon, Maggie Rubenstein und anderen Mitgliedern des Lehrkörpers. Lesenswert ist Bayers ganzes Kapitel "Sex and the Bathhouses: The Politics of Privacy", S. 20-71.

[3] Scott Burris: "Fear Itself: AIDS, Herpes and Public Health Decisions", in: Yale Law and Policy Review, III (2): S. 479-518, (Frühjahr 1985).

[4] Allen White: "Hot and Safe: Sex Clubs Sizzling Again with New Age Pleasures", in: Bay Area Reporter (BAR), 18. September 1986, S. 14. Die klassische, erste wissenschaftliche Studie der Schwulenbäder stammt von Martin Weinberg und Colin J. Williams, ,Gay Baths and the Social Organization of Impersonal Sex', in Social Problems, vol. 23 (1976), S. 124-136.
Die Kontroverse um die Schließung der Schwulenbäder in San Francisco ist nicht nur von Ronald Bayer und Scott Burris (s. o.) ausführlich und fair dargestellt worden, sondern auch von Frances FitzGerald in "Cities on the Hill: A Journey through Contemporary American Cultures", New York 1986, s. das Kapitel "The Castro", S. 25-119. FitzGerald stellt in ihrem ausgezeichneten Buch nicht nur die Bäderschließung in den größeren Kontext der Schwulenbefreiung, sondern auch diese selbst wiederum in den noch größeren Kontext amerikanischer utopischer Kommunen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist natürlich auch das Buch von Randy Shilts "And the Band Played On: Politics, People and the AIDS Epidemie", New York 1987. Shilts gehörte zu den lautstärksten Rufern nach der Bäderschließung, und er geht im Laufe seines sehr umfangreichen chronologisch aufgebauten Buchs immer wieder auf das Thema ein.