Archive for Sexology


Das 19. Jahrhundert

1822 Der Engländer Francis Place und andere beginnen eine "neomalthusianische" Kampagne für Empfängnisverhütung . Im Laufe des 19. Jahrhunderts sind die bedeutendsten Vertreter dieser Kampagne Charles Bradlaugh, Annie Besant, Charles Knowlton, Charles Drysdale and Alice Vickery Drysdale. Ihre Versuche, das Los der durch immer neue Geburten erschöpften Arbeiterfrauen zu verbessern, werden von Marx und Engels nicht unterstützt.
Der deutsche Philosoph und Bibliothekar Friedrich Karl Forberg veröffentlicht in lateinischer Sprache sein Buch "De Figuris Veneris" (Handbuch der klassischen Erotologie), eine kommentierte Sammlung antiker griechischer und römischer Texte, die in ihrer Gesamtheit eine große Vielfalt sexuellen Verhaltens beschreiben.
1826
   -27
In Berlin entwirft Wilhelm von Humboldt den (nicht ausgeführten) Plan für eine "Geschichte der Abhängigkeit im Menschengeschlechte", die auch Kapitel über die "Geschichte der Hurerei" und die "Geschichte des Zeugungstriebes" enthalten sollte. Er liefert auch die erste wertneutrale Klassifizierung des menschlichen Sexualverhaltens nach seinen vier möglichen Zielobjekten: 1. Selbst, 2. anderes Geschlecht, 3. gleiches Geschlecht, 4. Tier.
1827 Karl Ernst von Baer entdeckt die Eizelle.
1837 In Paris wird die erste große Studie der Prostitution veröffentlicht: A. J. P. Parent- Duchatelet, "De la prostitution de la ville de Paris".
1838 Der Berliner Arzt Friedrich Adolf Wilde beschreibt zum ersten Mal ein Okklusivpessar für Frauen als Mittel der Empfängnisverhütung. (Es wird 1881 durch den norddeutschen Arzt W. A. Mensinga zum zweiten Mal erfunden.)
1843 Der Ruthenische Arzt Heinrich Kaan veröffentlicht seine Studie "Psychopathia sexualis", in der er fleischliche Sünden in geistige Krankheiten umdefiniert. Andere Ärzte und Psychiater folgen dieser Initiative und fangen ebenfalls an, mittelalterliche theologische Schimpfwörter wie "Deviation", "Aberration", und "Perversion" in die Medizin einzuführen. Ursprünglich hatten sie einen "falschen" Glauben opder Ketzerei bezeichnet; jetzt werden sie zu pseudowissenschaftlichen Begriffen, und die Psychiatrie wird zur neuen moralischen Inquisition. Der gesamte Prozeß ist heute in der Kulturgeschichte als die 'Medikalisierung der Sünden' bekannt.
1843
   -44
Die Vulkanisierung von Gummi durch Goodyear und Hancock ermöglicht die Massenproduktion von Kondomen.
1848 Elizabeth Cady Stanton und Lucretia Mott organisieren die erste Frauenrechtsversammlung in Seneca Falls, N.Y. Die Versammlung verabschiedet eine Declaration of Sentiments , die für Frauen Gleichberechtigung fordert.
1857 Der französische Arzt B. A. Morel propagiert das Konzept der körperlichen und geistigen "Degeneration" die auch sexuelles "Fehlverhalten" erklären soll. Dieses Konzept findet auch Eingang in die 'schöne Literatur' und beherrscht bis in die ersten Jahrzehnte unseres Jahrhunderts hinein einen Großteil der medizinischen und sozialpolitischen Diskussion, bevor es schließlich als wissenschaftlich unbrauchbar aufgegeben wird.
1864
   -79
Der deutsche Jurist Karl-Heinrich Ulrichs publiziert eine Reihe von Schriften, in denen er die "mann-männliche Liebe" als angeboren erklärt Sie sei der natürliche, gesunde Ausdruck "einer weiblichen Seele in einem männlichen Körper" - ein Zustand, den er "Uranismus" (germanisierend 'Urningtum') nennt. Die in diesem Zustand Befindlichen nennt er "Urninge". Durch seine These hofft Ulrichs, die Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Handlungen as ungerecht darstellen zu können: Urninge tun, was sie tun, weil sie so sind, wie sie sind. Kein Gesetzgeber aber dürfte auf Dauer Menschen dafür bestrafen, was sie sind. Ulrichs will vor allem verhindern, daß bei einer deutschen Reichsgründung das unreformierte preußische Strafgesetzbuch gegen 'widernatürliche Unzucht' zwischen Männern auf ganz Deutschland ausgedehnt wird. (In Bayern, Württemberg und Hannover war das Gesetz schon abgeschafft.) Auch Ulrichs findet keine Unterstützung beiMarx und Engels, die sich privat über ihn lustig machen.
1865 In Brünn (Brno), legt der Mönch Gregor Mendel die Grundlagen der modernen Genetik. Seine Experimente mit der Kreuzung von Pflanzen erklären die Gesetze der Vererbung, aber die wahre Bedeutung von Mendels Entdeckungen wird von seinen Zeitgenossen nicht erkannt.
1869 Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Karoly Maria Kertbeny (ursprüngl. Karl Maria Benkert) verfaßt einen anonymen offenen Brief an den preußischen Justizminister und prägt darin den neuen Ausdruck "Homosexualität", der mehr oder weniger dasselbe meint wie Ulrichs' "Uranismus". Die "Urninge" heißen nun bei Kertbeny "Homosexuelle". Auch er fordert eine Strafechtsreform. Der Justizminister, der eine solche Reform persönlich unterstützt, beruft eine "Königlich-preußische Medizinaldeputation" (Mitglieder: u.a. Virchow, Housselle, Bardeleben), die ein Expertengutachten erstellen soll. Die angesehenen Ärzte weigern sich, hier ein medizinisches Problem zu sehen und erklären sich außerdem für moralische Fragen unzuständig. Jedenfalls finden sie keine Begründung für das bestehende Strafgesetz. Damit geben sie die Verantwortung zurück an die Politik.Von nun an kann sich der Gesetzgeber bei der Strafbarkeit männlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen nur noch auf 'das gesunde Volksempfinden' berufen. Die Strafrechtsreform in Preußen scheitert, und nach der Reichsgründung wird 1871 das unreformierte Gesetz als § 175 auf das ganze Deutsche Reich ausgedehnt

John Stuart Mill veröffentlicht seine Kampschrift "The Subjection of Women". Darin fordert er die rechtliche und soziale Gleichstellung der Frau. Die Mitautorin, seine Frau Harriet. bleibt ungenannt

1870 Der Berliner Psychiater Carl Westphal publiziert die erste medizinische Fallstudie von gleichgeschlechtlicher erotischer Anziehung in seiner Zeitschrift "Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten". Es handelt sich um eine Frau, die sich von den Schülerinnen im Internat ihrer Schwester angezogen fühlt. Westphal kommt zu dem Schluß, daß sie an einem psychopathologischen Zustand leidet, für den er den neuen Fachausdruck "conträre Sexualempfindung". prägt. Der Aufsatz veranlaßt zahlreiche andere Psychiater, u.a. auchvon Krafft-Ebing, schnell weitere Fallstudien zu liefern. So wird innerhalb kurzer Zeit die gleichgeschlechtliche Liebe zur psychiatrischen Erkankung.
1872
   -85
Der italienische Arzt und Anthropologe Paolo Mantegazza veröffentloicht ein dreibändiges Werk zu sexuellen Fragen "Trilogia dell' amore" (Hygiene der Liebe; Physiologie der Liebe; Anthropologie der Liebe), das mit seinen Beobachtungen bei vielen verschiedenen Völkern einen gewissen moralischen Relativismus einführt.
1873 Der amerikanische Moralapostel Anthony Comstock überredet den US-Kongress, ein neues, strenges Gesetz gegen "Obszönität".zu verabschieden. Damit wird es auch für Ärzte zum Verbrechen, wenn sie ihren Patientinnen Informationen über Empfängnisverhütung geben. Comstock selbst wird zum obersten Gesetzeswächter bestimmt, und es glingt ihm, viele Ärzte ins Gefängnis zu bringen. So wird die Empfängisverhütung in den USA für viele Jahre zum Tabu.
1879 Albert Neisser entdeckt den Gonoccocus (den Erreger der Gonorrhöe).
1886 Der österreichische Psychiater Richard von Krafft-Ebing publiziert seine "Psychopathia sexualis", eine Sammlung von Fallstudien seltener und seltsamer Sexualpraktiken. Diese sollen angeblich symptomatische für gewisse"sexuelle Geisteskrankheiten". sein. Unter anderem führt er die Begriffe "Sadismus" (nach dem Marquis de Sade) und "Masochismus" ein (nach dem damals noch lebenden österreichischen Schriftsteller Leopold von Sacher-Masoch).
1892 Die junge amerikanische Ärztin Clelia Mosher beginnt eine Umfrage unter gebildeten Frauen aus dem Mittelstand über ihre sexuellen Einstellungen und Erfahrungen. Die ErgebnisseThe results bleiben bis 1980 unveröffentlicht. Sie zeigen eine unerwartete Offenheit und gesunde Sinnlichket der befragten Frauen.

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