Der transatlantische Pendler

Ein Interview mit Harry Benjamin
Zuerst erschienen in: Sexualmedizin, 1985, Bd. 14, No. 1, pp. 44-47

 

Dr.med. Harry Benjamin, geboren am 12. Januar 1885 in Berlin, Urvater der Sexuologie, Pionier der Transsexuellen-Therapie, Schüler Eugen Steinachs, Freund Magnus Hirschfelds und Alfred Kinseys, verfolgt bis zum heutigenTage alle sexologischen Entwicklungen mit fachmännischem Interesse. Das nachstehende Interview  gab er im Oktober  in seiner New Yorker Wohnung im Hinblick auf seinen hundertsten Geburtstag: Sein Gesprächspartner war Prof. Erwin I.Haeberte San Francisco, CA (z.Zt. Gastprofessor.an der Medizinischen Fakultät - Abteilung Psychiatrie - der Universität Genf; Schweiz).

Haeberle: Lieber Harry, wir haben uns im Laufe der Jahre oft über die Anfänge der Sexualwissenschaft unterhalten, und ich verdanke Ihnen viel historisches Material sowie interessante persönliche Eindrücke. Neuerdings ist auch in der Bundesrepublik Deutschland erfreulicherweise das Interesse an der Geschichte dieser Wissenschaft sehr gewachsen, und so wissen die Leser der Sexualmedizin diese Gelegenheit zu schätzen, wieder von einem zu hören, der sozusagen von Anfang an dabei war. Wie kamen Sie eigentlich zur Sexualmedizin?

Benjamin: Ganz von Anfang an war ich nicht dabei. Ich erinnere mich allerdings, daß ich als junger Mensch in Berlin einen Vortrag August Forels besuchte, dessen Buch „Die sexuelle Frage“ damals eine Sensation war und mich sehr beeindruckte. Auch Magnus Hirschfeld lernte ich schon sehr früh kennen, und zwar durch eine Freundin, die mit dem damaligen Berliner Kriminalkommissar für Sexualdelikte, Dr: Kopp, bekannt war. Dieser wiederum war mit Hirschfeld befreundet, und so machte ich die Bekanntschaft beider Männer. Das war so um 1907. Sie nahmen mich mehrfach auf ihre Runden durch die Berliner Homosexuellen-Bars mit. Ich erinnere mich noch besonders an das Eldorado, wo Damen-Imitatoren auftraten und auch viele Besucher in der Kleidung des anderen Geschlechts erschienen. Das Wort »Transvestit« war noch nicht erfunden. Hirschfeld prägte es erst 1910 in seiner bekannten Studie. Mein Medizinstudium war aber von sexuellen Fragen nicht berührt. Ich promovierte 1912 in Tübingen bei dem Internisten Ernst von Romberg mit einer Arbeit über Tuberkulose.

Haeberle: Bevor wir mit Ihnen Berlin verlassen, vielleicht noch einige Erinnerungen an die kaiserliche Residenz. Sie haben nur ja einmal erzählt, wie Sie als Kind Bismarck auf der Straße gesehen haben. . .

Benjamin: Ja, aber als lebenslanger Opernliebhaber habe ich auch noch schönere Erinnerungen, etwa daran, wie ich einmal mit der sehr jungen Geraldine Farrar tanzte -- sie begann ja ihre Karriere in Berlin  - , und wie ich 1904 zum erstenmal Caruso hörte. Ich war noch Primaner, aber medizinisch schon sehr interessiert, und so kam es, daß ich mit Hilfe des Theaterarztes einmal sogar Caruso in den Hals sehen durfte. Ich habe aber vor lauter Aufregung nichts gesehen. Andererseits weiß ich noch, daß ich bei Max Reinhardt die berühmte Aufführung von Gorkis »Nachtasyl« gesehen habe, und 1905 war ich auch in der Uraufführung von Wedekinds »Frühlings Erwachen«.

Haeberle: Sie gingen aber recht früh nach Amerika, und zwar im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit über die Tuberkulose.

Benjamin: Ja, und das verdanke ich vor allem dem großen Karl Ludwig Schleich, dem Erfinder der örtlichen Betäubung, der damals schon als älterer Herr am Ende seiner Laufbahn stand. Ich weiß nicht mehr, wie er auf mich aufmerksam wurde, aber er war es, der mir empfahl, einem gewissen Dr. F. F. Friedmann nach New York zu folgen. Dieser. Friedmann hatte mit einem selbstentwickelten Serum erstaunliche Erfolge hei der Behandlung der Knochen-und Gelenktuberkulose erzielt, die er nun auf die Lungentuberkulose ausdehnen wollte, Ein reicher Arnerikaner lud ihn nach New York ein, wo er weiter forschen und dessen Schwiegersohn behandeln sollte. Für die völlige Heilung waren eine Million Dollar in Aussicht gestellt. Friedmann schiffte sich dann mit mir als seinem Assistenten und einem Presseagenten auf der Kronprinzessin Cecilie ein. Leider dauerte aber unsere Zusammenarbeit nicht lange, da Friedniann sich als unethischer Arzt erwies. Sein Gönner wurde bald mißtrauisch, und den Patienten bekamen wir erst gar nicht zu Gesicht. Als Friedmann dann von mir verlangte, ich solle seine Forschungsergebnisse frisieren, war der Bruch unvermeidlich. Ich schlug mich dann zunächst als Privatarzt durch und versuchte im August 1914 nach .Berlin zurückzukehren. Unser Schiff war mitten auf dem Atlantik, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Wir wurden nach England umdirigiert. Ich konnte nicht mehr nach Deutschland, und so kaufte ich mir von meinem letzten Geld eine Rückpassage nach New York. Es war ein großes Glück für mich. Der Krieg blieb mir erspart, und letztendlich kann ich dafür dem gewissenlosen Friedmann dankbar sein.

Haeberle: Wie faßten Sie dann in Amerika Fuß?

Benjamin: Es war anfangs nicht einfach. Nach verschiedenen Ansätzen eröffnete ich 1915 in New York einfach ein Konsultationszimmer, in dem ich auch schlief. Mein Einkommen war nicht üppig; für eine Konsultation bekam ich damals zwei Dollar, ein Hausbesuch brachte drei Dollar. Die Miete selbst kostete sechs Dollar in der Woche.

Haeberle: Wie kamen Sie denn mit Steinach und den anderen Sexologen in Kontakt?

Benjamin: Ich interessierte mich sehr für die Altersmedizin und. hörte, so von den Versuchen Eugen Steinachs, der durch seine sog. Steinach-Operation (Vasoligatur) Verjüngungseffekte bei Tieren erzielt hatte. Dann ergab sich 1921 die günstige Gelegenheit, eine Patientin bei voller Bezahlung auf einer Reise nach Europa zu begleiten. Dabei lernte ich in Wien Steinach persönlich kennen. Ich war sehr beeindruckt von seinen Geschlechtsumwandlungsoperationen an Ratten und Meerschweinchen durch Kastration und Drüsenverpflanzung. Ich besuchte ihn dann als sein Schüler fast regelmäßig jeden Sommer bis in die dreißiger Jahre. So wurde ich sozusagen zum transatlantischen Pendler, der zwischen Amerika und Europa vermittelte. Zum Beispiel brachte ich auch Anfang der zwanziger Jahre den bekannten Steinach-Film, einen abendfüllenden stummen Dokumentarfilm, nach New York und zeigte ihn dort der Academy of Medicine. Dieser wissenschaftliche Film war von der Ufa mit österreichischer Hilfe gedreht worden und existierte in zwei Versionen: eine für die Fachleute und eine andere für das allgemeine Publikum gedacht: In Deutschland war der Film sehr erfolgreich, aber in Amerika fand sich am Ende kein Verleiher. Ich nehme an, daß beide Versionen nun verloren sind.

Haeberle: In Wien besuchten Sie auch Sigmund Freud.

Benjamin: Ja, Steinach arrangierte ein Treffen für mich, und Freud empfing mich in seiner Wohnung, Berggasse 19. Er war sehr ernst, lachte aber doch kurz auf, als ich scherzhaft erklärte, die Disharmonie des Seelenlebens lasse sich vielleicht durch die Disharmonie der endokrinen Drüsen erklären. Freud war sehr biologisch orientiert, und in diesem Sinne war er kein Freudianer. Er wäre sicher schockiert, wenn er sehen könnter was in Amerika aus seiner Lehre geworden ist. Freud gestand mir auch, daß er selbst eine »Steinach-Operation« hinter sich hatte. Er glaubte tatsächlich, sie habe ihm gut getan, seine Vitalität sei gestärkt, und selbst .sein Kiefer (Freud litt an Kieferkrebs) - sei günstig beeinflußt worden. Heute wissen wir natürlich, daß diese Eindrücke zum Teil auf Autosuggestion beruhten. Freud bat mich, niemandem von seiner Operation zu erzählen bis nach seinem Tode, und daran habe ich mich gehalten. Er fragte mich auch, ob ich selber analysiert worden sei. Ich erwähnte meine relativ kurze Analyse durch Arthur Kronfeld in Berlin. Freud warnte mich, daß Kronfeld »einen. sehr schlechten Charakter« habe.

Haeberle: Wie kamen Sie denn an Kronfeld?

Benjamin: Ich lernte ihn 1921 bei Hirschfelds erstem Kongreß in Berlin kennen, Das war die Internationale Tagung für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage im Langenbeck-Virchow-Haus. Ich kannte ja Hirschfeld schon aus der Zeit vor dem Kriege, und inzwischen hatte er in Berlin sein Institut eröffnet, das ich ebenfalls später immer wieder besuchte. Ich kam nun regelmäßig nach Berlin, und so sprach ich zum Beispiel auch auf dem großen Sexualforschungskongreß Albert Molls 1926.

Haeberle: Wie war denn Moll als Mensch? Man hört oft, er sei sehr schwer verträglich gewesen.

Benjamin: Er war ziemlich »preußisch«, kurz angebunden und dünkelhaft. Typ »deutscher Professor«. Nicht besonders einnehmend. Ich habe aber auf seinen beiden Kongressen gesprochen, auch auf dem in London 1930.

Haeberle: Ihrer Freundschaft mit Hirschfeld tat das aber keinen Abbruch?

Benjamin: Nein. Hirschfeld hatte allerdings auch seine unattraktiven Seiten, Er war sehr geizig und in seinem Äußeren oft ungepflegt. Dennoch war er ein bedeutender Pionier von enormer Arbeitskraft. Als 1930, wegen der Nazis, sein Leben in Deutschland immer schwieriger wurde, lud ich ihn nach New York zu einigen Vorträgen ein und half ihm auch später, soweit ich konnte. Sehr um ihn gekümmert hat sich auch unser gemeinsamer Freund, der amerikanische Dichter George Sylvester Viereck, der Hirschfeld publizistisch mit Interviews in vielen amerikanischen Zeitungen unterstützte. Von Amerika aus trat Hirschfeld dann seine bekannte Weltreise an. Zum letzten Mal sah ich ihn in Chicago, wo Max Thorek, der Begründer des International College of Surgeons, ein eindrucksvolles Essen für ihn gab.

Haeberle: Hirschfeld schickte Ihnen auch einen homosexuellen Deutsch-Amerikaner namens Elmhurst zu, der schon damals eine Homosexuellenvereinigung in New York gründen wollte.

Benjamin: Ich unterhielt mich mit Elmhurst und mußte ihm in aller Fairneß von seinen großen Plänen abraten. Amerika war damals für diese Dinge einfach noch nicht reif. Ich schlug vor, er solle zunächst einmal im kleinen Freundeskreis anfangen. Was später daraus geworden ist, weiß ich nicht. Ich verlor ihn aus den Augen.

Haeberle: Sie haben dann mit Hirschfeld praktisch noch bis zu seinem Tode korrespondiert.

Benjamin: Die Korrespondenz habe ich Ihnen ja übergehen für den Fall, daß in Berlin wieder ein Institut eröffnet wird. Dann gehören Hirschfelds Briefe natürlich dorthin. Wenn sich in Berlin aber in absehbarer Zeit nichts tut, dann sollen sie an die Bibliothek in Los Angeles gehen, der ich sie ursprünglich versprochen haue. Den Begriff Transsexualismüs führte  ich 1954 ein.Mein Buch zum Thema erschien aber erst 1966 ( “The Transsexual Phenornenon“).

Haeberle: Hirschfeld hatte ja einmal fast vor, sein Institut nach Kalifornien zu verlagern, nur wurde aus diesem Plan nichts, genausowenig wie aus dem Kongreß der Weltliga für Sexualreform, den Sie 1933 in Chicago organisieren wollten.

Benjamin: Leider. Ich korrespondierte darüber sogar mit Havelock Ellis, der ja ebenso wie Hirschfeld, mit August Forel einer der Präsidenten der Liga war. Auch EIlis lernte ich persönlich kennen. Das war einige Jahre später, 1937, in England. Er war alt und nicht mehr bei bester Gesundheit, aber dennoch eine sehr eindrucksvolle Persönlichkeit, fast wie ein Heiliger. Er erinnerte mich etwas an Rabindranath Tagore, den indischen Dichter, den ich als Patienten bei Steinach kennengelernt hatte. Ellis unterhielt sich lange mit mir, kochte selbst Tee und war überhaupt ein herzlicher Gastgeber. Auf eine englische Art war er sehr charmant.

Haeberle: Sie kannten auch Norman Haire, den jüngeren australisch-englischen Sexualreformer, der ebenfalls in der Weltliga tätig war.

Benjamin: Sehr gut. Bei seinem 60, Geburtstag 1952 war er sogar bei mir in New York, wo wir eine kleine Feier für ihn veranstalteten. Er war leider herzkrank und mußte, noch in New York, plötzlich in ein Krankenhaus. Dort besuchte ich ihn auch, zusammen mit Alfred Kinsey. Wir durften aber nur eine halbe Stunde bleiben, um Norman Haire nicht zu überanstrengen. Einige Monate später starb er dann in England.

Haeberle: Wie, wann und wo trafen Sie denn Kinsey?

Benjamin: Ich lernte Kinsey durch den bekannten amerikanischen Gynäkologen R. L. Dickinson etwa 1945 in New York kennen. Drei Jahre später wohnte er dann in San Francisco im gleichen Hotel wie ich, dem Sir Francis Drake. Ich hatte ja inzwischen eine zweite, d.h. Sommerpraxis eröffnet, gerade gegenüber diesem Hotel. Ich pendelte nun also zwischen beiden amerikanischen Küsten. Kinsey kam öfter nach Kalifornien wegen seiner Interviews, und er bat mich um Rat wegen eines Jungen, den er dabei kennengelernt hatte. Dieser sehr weibisch wirkende Junge wollte, wie er sagte; ein Mädchen werden, und seine Mutter unterstützte diesen Wunsch. Kinsey hatte nie einen solchen Fall gesehen, und auch für mich war er neu. Dies ging über den mittlerweile anerkannten Transvestismus hinaus. Den Begriff des Transsexualismus gab es noch nicht, er bildete sich mir erst allmählich, nicht zuletzt aufgrund dieses erste Falles. Ich führte den Begriff erst 1954 ein, und mein Buch zum Thema erschien erst 1966 („The Transsexual Phenomenon“). Jedenfalls ließ ich den Jungen psychiatrisch untersuchen und die Möglichkeit einer operativen Angleichung an das weibliche Geschlecht prüfen. Die Psychiater waren sich darüber nicht einig. Einige waren dafür, andere dagegen. Der Junge erhielt aber »weibliche« Sexualhormongaben, die »beruhigend« wirkten. Er ging dann nach Deutschland, wo er sich einer Teiloperation unterzog. Dann riß leider jeder Kontakt mit ihm ab, und so weiß ich nicht, was schließlich aus dem Fall geworden ist.

Haeberle: Mittlerweile ist ja nun, dank Ihrer Pionierarbeit, die Transsexualität als eigene Diagnose medizinisch anerkannt, und auch die entsprechenden Operationen sind nicht . mehr selten und dabei technisch weit fortgeschritten. Wie sehen Sie das Problem heute?

Benjamin: Man muß das Hauptproblem des Transsexuellen richtig verstehen, das auf englisch sehr treffend mit »gender disphoria« bezeichnet wird, also die Unstimmigkeit zwischen Anatomie und geschlechtlicher Selbstidentifikation. Das heißt nicht, daß man in jedem Fall operieren soll, denn es gibt Fälle, in denen eine solche Operation, manchmal Jahre später, bereut wird. Viele Transsexuelle kommen vielleicht auch ohne Operation aus, solange sie hormonell behandelt werden und die Kleidung des gewünschten, d.h. genauer gesagt, wirklich gefühlten Geschlechts tragen können. Parallel dazu sollte man eine entsprechende Psychotherapie durchführen. Wie gesagt, das kann mal eine tragbare Lösung sein. Ich bin für die Operation, aber sie sollte sehr kritisch und vorsichtig angewandt werden.

Haeberle: Wenn Sie nun auf Ihre lange und erlebnisreiche Karriere als Arzt und sexualmedizinischer Pionier zurückblicken, was sind Ihre wichtigsten Eindrücke und Erlebnisse?

Benjamin: Zunächst denke ich da natürlich an die rein menschlichen Eindrücke. Solche Männer wie Schleich, Freud, .Steinach, Alfred Adler, Albert Moll, Hirschfeld und seine Mitarbeiter Kronfeldl, Levy-Lenz und Peter Schmidt, den Kunstsammler Eduard Fuchs, Havelock Ellis, Norman Haire.und Alfred Kinsey persönlich gekannt zu haben, ist sicher ein Vorzug, der nicht vielen zuteil geworden ist. Auch Margaret Sanger habe ich gut gekannt, Ben Lindsey und viele andere Amerikaner, die für die Linderung sexueller Not eingetreten sind. Diese Erfahrung zeigt mir, daß Einzelne doch etwas bewirken können, und daß einige wenige Menschen durch Mut und harte Arbeit die Leiden von vielen vermindert haben. In meiner Jugend war z.B. die Syphilis noch unheilbar, und die Empfängnisverhütung sehr unsicher. Hier hat sich die Lage radikal verändert. Auch strafrechtlich, in bezug auf Prostitution und Homosexualität etwa, ist man heute viel vernünftiger geworden. Überhaupt ist die ganze Sicht der Sexualität differenzierter geworden, und. nicht nur ihre prokreative, sondern auch ihre rekreative Funktion wird weithin anerkannt Zu meiner Studienzeit machte man noch wenig Unterschiede. Erst Hirschfeld machte die Transvestiten als besondere Gruppe erkennbar, und ich selbst konnte dazu beitragen, davon wieder die Transsexuellen zu unterscheiden. Diesen Menschen ist dadurch besonders auch gesellschaftlich sehr geholfen worden, Hier hat die Sexologie in der Tat segensreich gewirkt. Ich habe allerdings auch gesehen, wie diese ganze hoffnungsvolle Wissenschaft der Nazi-Barbarei zum Opfer fiel, und wie sie doch wiiedererstand, hier in Amerika, aber auch in Europa.

Haeberle: Was würden Sie unseren deutschen Lesern der Sexualmedizin für die Zukunft wünschen?.

Benjamin: Als gebürtiger Berliner würde ich mich natürlich sehr freuen, wenn ich noch die Rückkehr der Sexualwissenschaft nach Berlin erleben könnte. Wenn ich bedenke, wie diese Stadt einmal das Weltzentrum dieser Wissensehaft war, dann ist es sehr traurig zu sehen, daß das eigene stolze Erbe dort heute so gut wie vergessen ist. So kann ja. auch leider der 8. Weltkongreß der Sexologie 1987 nicht in Berlin stattfinden, sondern geht nach Heidelberg. Früher trafen sich Sexologen aus alIer Welt in Berlin. nicht nur bei den Kongressen, sondern auch in Hirschfelds Institut. Ich selber bin ja mit meinen jährlichen Besuchen in den zwanziger Jahren das beste Beispiel. Ich habe damals als »Wanderer zwischen zwei Welten« die sexologische Verbindung Berlins mit Amerika gepflegt. Heute, da Berlin Amerika so viel verdankt, gibt es ironischerweise keine Berliner Ansprechpartner mehr. Die transatlantische Brücke, die ich so oft in beiden Richtungen überquert habe, ist für unser Fach zerfallen und noch nicht wieder repariert:

Sexualmedizin 14. 42-45 (1985)