Joseph Wong

Bisexualität im China der frühen Kaiserzeit:
Ein vorläufiger Überblick


Ursprünglich erschienen in: Haeberle, Gindorf (Hrsg.): Bisexualitäten, Gustav Fischer,
Stuttgart, Jena, New York, 1994, S. 172-183.

Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.

Inhalt

1. Einführung. 1

2. Die Han-Dynastie (2028 v. Chr. - 198 n. Chr.) 1

3. Die Sui- und die Tang-Dynastie (581-907 v. Chr.) 6

4. Einige Beobachtungen. 9

Anmerkungen und Literatur 10

 

1. Einführung

 

Es gibt nur sehr wenige geisteswissenschaftliche Untersuchungen zur Geschichte der Sexualität in China, schon gar nicht zur Homosexualität und Bisexualität.(1) Dies liegt ganz offensichtlich daran, daß es in China sehr lange, wenn auch nicht im eigentlichen Sinne als Tabu, so doch als unmoralisch galt, offen über Sexualität zu reden. Allmäh­lich ändert sich die Situation, in manchen Gebieten schneller, in anderen langsamer.(2) Das heißt nicht, daß die «Standardwerke» der Geschichtsschreibung, die aufgrund ihres offiziellen Charakters politischen Aspekten weiten Raum geben, solche Berichte über­haupt nicht enthalten, doch die entsprechenden Schriften wurden lange Zeit vernach­lässigt, übersehen oder fehlinterpretiert, entweder absichtlich oder unbewußt. Wie in anderen Ländern auch, gibt es natürlich auch in China inoffizielle historische Werke, die uns die Vergangenheit in einem anderen Licht erscheinen lassen. Als vorläufige Über­sicht will diese Darstellung sich jedoch nur mit den historischen Standardwerken beschäftigen, die systematischer aufgebaut sind(3). Als ausgebildeter Historiker wird es mein Hauptanliegen sein, die wichtigsten Quellen zu benennen. Ich hoffe dann, daß die Informationen, die ich im folgenden zusammengetragen habe, es ermöglichen werden, einige Einsichten zu unserem Thema und Ansatzpunkte für weitere Forschungen zu gewinnen.

 

Bevor wir uns den Quellen zuwenden, noch einige Bemerkungen: Die Worte Homo­sexualität (toxinglian) und Heterosexualität (xiangxinglian) sind im Chinesischen moderne Wortschöpfungen, die auf dem westlichen Einfluß auf die Wissenschaft beru­hen. Es gab auch vorher schon verschiedene Worte, die solche Aktivitäten bezeichneten, aber sie wurden nicht oft benutzt, und wenn doch, ist es fraglich, ob im modernen Sinn. - Wir müssen uns leider auch auf die männliche Bisexualität beschränken, weil alle historischen Werke von Männern für Männer geschrieben wurden: Sie enthalten nur Kapitel über tugendhafte, besonders über keusche Frauen als nachahmenswertes Modell für andere. Es ist daher unwahrscheinlich, daß wir uns jemals sinnvoll mit der weib­lichen Bisexualität in der chinesischen Geschichte beschäftigen können, es sei denn mit der in einer sehr viel späteren Epoche. Der Leser muß auch berücksichtigen, daß die Quellen von der herrschenden Klasse für die herrschende Klasse geschrieben wurden, weshalb es fraglich ist, ob die Darstellungen für das gesamte chinesische Volk reprä­sentativ sind. Was für die Frauen in China und woanders gilt, trifft auch auf die Regier­ten zu: Was sie taten und dachten, kommt kaum jemals ans Licht.

 

2. Die Han-Dynastie (2028 v. Chr. - 198 n. Chr.)

 

Das früheste und vielleicht meist gelesene Geschichtswerk ist das «Shiji» aus den Berich­ten des chinesischen Historikers Sima Qian (145-86 v. Chr.). Es stellt den ersten bewußten Versuch dar, eine chinesische Geschichte von den frühsten Anfängen bis in die Gegenwart des Autors zusammenzustellen.(4) Wir werden uns einem der am wenig­sten beachteten Kapitel zuwenden, dem 125. in den «Lebensbeschreibungen der männ­lichen Favoriten des Kaisers». Im ersten Absatz heißt es dort:

 

«... nicht nur die Frau kann ihre Blicke benutzen, um die Aufmerksamkeit des Herr­schers auf sich zu ziehen; Höflinge und Eunuchen können dieses Spiel genauso gut spielen. Viele Männer haben in alter Zeit auf diesem Wege Wohlwollen gefunden.»

 

Während spätere Gelehrte darin nur eine Erweiterung der Möglichkeit, Ansehen zu erlangen, sehen wollen, betont Sima Qian offensichtlich in dem Vergleich der Höflinge und Eunuchen mit den Frauen, daß viele Männer am Hofe ihren Einfluß in erster Linie durch sexuelle Anziehungskraft gewannen.

 

Diese Interpretation wird auch durch den folgenden Bericht erhärtet:

 

«Als die Han an die Macht gelangten, war Kaiser Gaozu . . . sehr von dem Charme des jungen Qi angetan, und Kaiser Huis Favorit war ein Knabe namens Hong. Weder Qi noch Hong verfügten über irgendwelche besonderen Talente oder Fähigkeiten; beide erlangten ihre Bedeutung einfach durch ihre Blicke und ihre Anmut. Sie wichen dem Herrscher Tag und Nacht nicht von der Seite, und alle hohen Minister mußten sich an sie wenden, wenn sie den Kaiser zu sehen wünschten. Das führte dazu, daß alle Besucher des Palastes die gleichen Muschelschärpen trugen und ihre Gesichter in der gleichen Weise schminkten, sich gleichsam in eine Schar von Qis und Hongs ver­wandelnd ...»

 

«Zu den Herren, die sich im Palast des Kaisers Wen seiner Gunst erfreuten, gehörten auch ein Höfling namens Deng Tong und die Eunuchen Zhao Tan und Beigong Bozu. Beigong Bozu war ein würdiger und zärtlicher Mann, während Zhao Tan die Auf­merksamkeit des Kaisers durch seine Fähigkeiten, die Sterne und die Wolken zu beob­achten, erregte; beide fuhren gewöhnlich mit Kaiser Wen in derselben Kutsche.»

 

Eine detailliertere Beschreibung der intimen Beziehungen eines Kaisers zu einem Eunu­chen findet sich in dem Teil über Deng Tong:

 

«Deng Tong scheint keine besonderen Talente besessen zu haben. Er kam aus Nan'an in der Provinz Shu (dem heutigen Siqan). Da er es verstand, einen Kahn zu staken, wurde er einer der gelbhütigen Bootsmänner in den Gefilden um den kaiserlichen Palast . . .

 

Deng Tong versah seine neue Aufgabe mit großer Ehrbarkeit und Umsicht. Niemals mischte er sich unter das Volk außerhalb des Palastes und, obwohl der Kaiser ihm einige freie Tage gewährte, um die Seinigen zu besuchen, weigerte er sich immer zu gehen. Schließlich überschüttete ihn der Kaiser mit Geschenken, bis er über ein gewal­tiges Vermögen verfügte und in den Rang eines Edelmannes aufgestiegen war. Der Kaiser begab sich sogar gelegentlich selbst in Deng Tongs Haus, um sich dort zu ver­gnügen.

 

Deng Tong jedoch verfügte über keine andere Gabe, als den Kaiser zu unterhalten, und war niemals fähig, irgendetwas zum Vorteil anderer bei Hofe zu erreichen. Statt dessen richtete er all sein Bemühen darauf, seine eigene Stellung zu erhalten und sich beim Kaiser einzuschmeicheln . . .

 

Einmal wurde Kaiser Wen von einem Geschwür gequält, und Deng Tong machte es sich zur Pflicht, die Wunde auszusaugen, um eine Entzündung zu verhindern. Der Kaiser war durch seine Krankheit sehr betrübt, und, um sich ein wenig abzulenken, fragte er Deng: <Wer, glaubst du, liebt mich am allermeisten im ganzen Reich?> <Ganz sicher wird Eure Majestät am allermeisten vom Erbprinzen geliebt>, antwortete Deng Tong. Als der Erbprinz später kam, um sich nach dem Befinden seines Vaters zu erkundigen, trug der Kaiser ihm auf, die Wunde auszusaugen. Es gelang dem Prinzen zwar, die Wunde reinzuhalten, doch war ihm deutlich anzusehen, daß er diese Auf­gabe widerlich fand. Als er später erfuhr, daß Deng Tong schon sehr lange das Geschwür des Kaisers aussaugte, war er insgeheim beschämt. Von dieser Zeit an hegte er Groll gegen Deng ...»

 

Es gibt keine explizite oder lebendige Beschreibung sexueller Vorgänge, was auch gar nicht möglich ist, denn dies war nicht die chinesische Art zu schreiben. Dazu folgende Anmerkung: Kaiser Gaozu (Regierungszeit: 202-195 v. Chr.) was angeblich der Sohn eines Drachen, der im Gewitter seine Mutter begattete. Dies wurde von ihrem Ehemann beobachtet, was einfach heißt: «Es war ein Drache auf ihr» (Shiji, Kap. 8). Wenn Sima Qian schrieb, «richtete all sein Bemühen darauf, seine eigene Stellung zu erhalten und sich beim Kaiser einzuschmeicheln . . .», waren die Implikationen für seine Zeitgenos­sen offensichtlich. Sexualität wurde nicht erwähnt, war aber gemeint. Für diejenigen, die sich für die Geschichte der Sexualität im alten China interessieren, ist dies vielleicht der wichtigste Aspekt.

 

Der Historiker Sima Qian war ein Kastrat. Was er an Deng und anderen kritisiert, ist jedoch nicht die Tatsache, daß sie mit dem Kaiser homosexuelle Beziehungen hatten, sondern ihr Mangel an Talenten und Fähigkeiten trotz ihres großen Einflusses, «irgend­etwas zum Vorteil anderer bei Hofe zu erreichen». In einer anderen Passage wird berich­tet, wie ihn die Prinzessin Zhang mit Nahrung und Kleidung versorgt, nachdem der Kai­ser gestorben ist und der Erbprinz, der zornig auf Deng war, den Thron bestiegen hat. Sicher ist jedoch, daß die Kaiser Wen (Regierungszeit: 180-157 v. Chr.), Gaozu und Hui (Regierungszeit: 195-188 v. Chr.), die alle Kaiserinnen und Söhne hatten, bisexu­ell waren.

 

Das «Shiji» fährt fort mit Berichten über ihre Nachfolger Kaiser Jing (Regierungszeit: 157-141 v. Chr.) und Wu (Regierungszeit: 141-87 v. Chr.), zu deren Zeit Sima Qian lebte. Kaiser Jing hatte offensichtlich keine besonderen Favoriten, obwohl einer höher in seiner Gunst stand als andere. Doch die Berichte über die Favoriten des Kaisers Wu sind wieder bemerkenswert:

 

«Zu den Favoriten des gegenwärtigen Kaisers (d. h. Wu) gehörten der Höfling Han Yan, der große Enkel von Xin, dem König von Han, und der Eunuch Li Yanlian. Als der herrschende Kaiser noch König von Qiaotong war, lernten er und Yan zusammen schreiben, und sie mochten einander sehr. Später, nachdem der Kaiser zum Erbprin­zen ernannt worden war, wandte er sich Yan sehr liebevoll zu. Yan war ein guter Reiter und Bogenschütze und sehr geschickt darin, die Gunst des Kaisers zu erwer­ben . . . Yan stieg bald in den Rang eines hohen Würdenträgers auf und erhielt soviele Geschenke vom Herrscher wie Deng Tong in seiner Glanzzeit. Zu dieser Zeit wich Yan dem Kaiser Tag und Nacht nicht von der Seite . . .

 

Da Han Yan beim Kaiser ein und aus ging, war ihm auch der Zutritt in die Frauen­gemächer des Palastes gestattet, und er mußte sich nicht an das allgemeine Verbot halten, diese zu betreten. Einige Zeit später wurde der Kaiserinwitwe berichtet, daß Yan eine verbotene Beziehung mit einer der Frauen hätte. Sie war darüber sehr auf­gebracht und sandte ihm sofort einen Boten mit dem Befehl, sich das Leben zu neh­men. Obwohl der Kaiser selbst ihn verteidigte, konnte auch er den Befehl nicht mehr ändern, und Yan war gezwungen zu sterben. Auch seinem jüngeren Bruder Han Yue, dem Fürsten von Antao, gelang es, sich in bedeutendem Maß die Gunst des Kaisers zu erwerben.»

 

Hier haben wir einen eindeutigen Fall eines bisexuellen Würdenträgers. Bei der Glaub­würdigkeit gibt es allerdings ein kleines Problem. Kaiser Wu war etwa vier Jahre alt, als er den Titel «König von Jiaotong» erhielt, und er wurde drei Jahre später Kronprinz, bevor er, ungefähr 16jährig, den Thron bestieg. Es ist zweifelhaft, daß die Art von Zuneigung, die er für Han Yan empfand und die uns hier interessiert, schon in der Kind­heit begann, und wenn, hätte der Historiker dies wahrscheinlich gewußt, da der Kaiser und er etwa zur gleichen Zeit lebten. Vermutlich kommt es dem Autor hier darauf an, deutlich zu machen, daß sich diese enge Beziehung bereits frühzeitig entwickelte. Die Geschichte des anderen Favoriten des Kaisers Wu ist ähnlich, wenn nicht noch bemerkenswerter, da es sich bei diesem Günstling um einen heterosexuellen Eunuchen zu handeln scheint.

 

«Li Yan'nian wurde in Zhongshan geboren. Seine Eltern und seine Geschwister waren alle begabte Sänger. Li Yan'nian, der wegen irgendeines Verbrechens zur Kastration verurteilt worden war, erhielt den Posten eines Hundehüters im kaiserlichen Palast. Später empfahl die Prinzessin von Pingyuan dem Kaiser Lis jüngere Schwester wegen ihrer Tanzkunst. Als der Kaiser sie sah, gewann er sie lieb und nahm sie in sein Frauenhaus im Palast auf, zur gleichen Zeit ließ er Li Yan'nian vor Publikum singen und wies ihm einen höheren Posten an.

 

Li war ein guter Sänger und verstand es, neue Lieder zu komponieren. Der Kaiser verlangte von ihm, einige Hymnen mit einer Begleitung für Saiteninstrumente zu ver­tonen, die bei den Feierlichkeiten zu Ehren des Himmels und der Erde erklingen soll­ten, die der Kaiser selbst eingeführt hatte. Li stellte sich dieser Aufgabe und erfüllte sie zur Zufriedenheit des Kaisers . . .

 

Zu dieser Zeit trug Li die Siegel eines Zweitausend-Pikul-Würdenträgers und den Titel «Erster Meister der Harmonie der Töne». Tag und Nacht wich er nicht von der Seite des Kaisers und gewann Gunst und Ehre, die sich mit denen messen konnten, derer sich Han Yan einst erfreut hatte. Nach einigen Jahren fing er jedoch ein Ver­hältnis mit einer Dame des kaiserlichen Palastes an (5) und wurde immer arroganter und sorgloser in seinem Betragen. Nachdem die Dame Li gestorben war, schwand die Nei­gung des Kaisers für die Brüder Li, und er ließ sie schließlich einsperren und hin­richten.»

 

Es besteht Uneinigkeit darüber, ob es Li Yan'nian oder sein Bruder Li Ji war, der ein Verhältnis mit einer der Palastdamen hatte. Leider wissen wir nur sehr wenig über Li Ji. Es fragt sich, ob er nicht vielleicht auch ein Eunuch war, was erklären würde, warum er Zutritt zu den Frauenhäusern hatte und das Verbrechen begehen konnte; außerdem war sein Aufstieg möglicherweise ganz anderer Art als der der Han-Brüder Yan und Yue, von denen vorher berichtet wurde.

 

Die Lis hatten noch einen anderen Bruder, Guangli, ein General, der bekannt war für seine Schlachten gegen die barbarischen Eindringlinge im Norden(6), eine Glanzleistung, die eine nähere Betrachtung seiner Person in diesem Kapitel ausschließt, denn es ist, wie bereits gesagt, den Unbegabten und Nutzlosen vorbehalten, und Musik wurde in der Han-Dynastie nicht als ehrbare Kunst angesehen. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß Li Guangli ebenso enge Beziehungen zum Kaiser hatte wie seine Brüder. Am Ende dieses Kapitels bemerkt der Chronist, daß von dieser Zeit an diejenigen die besondere

Gunst des Kaisers genossen, die zu Familien gehörten, die durch Heirat mit dem Kaiser verwandt waren. Doch sollen sie in diesem Kontext nicht berücksichtigt werden, weil ihr Erfolg in erster Linie auf Talenten und Fähigkeiten beruhte. Als Beispiele dafür wird von Wei Qing und Huo Qubing berichtet, denen das ganze 111. Kapitel des «Shijin» gewidmet ist.

 

Was den Erfolg der beiden Generäle betrifft, kann Sima Qian nur in einem Falle recht haben. Nach seiner eigenen Biographie im 111. Kapitel des «Shiji» war Wei ein Reiter am Hofe des Grafen Hou und diente später im Palast, wo seine Schwester die Gunst des Kaisers erlangte. Wei wurde gefangengenommen, als die Prinzessin Chang erfuhr, daß seine Schwester schwanger war, doch später wurde er von einem Reiter des Palastes und einer Gruppe junger Männer befreit. Als der Kaiser von diesem Vorfall erfuhr, ließ er Wei vor sich bringen und ernannte ihn zum Oberaufseher der kaiserlichen Wachen. Seine Brüder wurden ebenfalls in hohe Ämter berufen, und im Verlauf einiger Tage wur­den sie mit Geschenken im Werte von 1000 Goldstücken überschüttet. Später wurde Wei zu einem kaiserlichen Ratgeber befördert, bevor er gegen die Eindringlinge nach Norden zog. Bis zu diesem Zeitpunkt war Weis Karriere nicht ungewöhnlich. Um Sima Qians eigene Worte zu gebrauchen, glich Wei den anderen in den «Lebensbeschreibun­gen der männlichen Favoriten des Kaisers» darin, daß er «keine besonderen Talente oder Fähigkeiten» besaß, und die Vermutung liegt nahe, daß er sich «beim Kaiser ein­schmeichelte», bevor er und seine Brüder diese ungewöhnlich großzügigen Geschenke erhielten.

 

Von Huo Qubing, dem Sohn von Wei Jings älterer Schwester, wird in seiner Lebensbe­schreibung ganz unmißverständlich berichtet, daß er im Alter von 18 Jahren die Gunst des Kaisers erlangte und von ihm zu seinem Gesellschafter ernannt wurde.(7) Kurz gesagt, es ist sehr wahrscheinlich, daß Wei und Huo eine Art männlicher Favoriten des Kaisers waren, und hätten sie in ihrem späteren Leben nicht so überragende militärische Kar­rieren gemacht, wären sie entweder im Kapitel über die männlichen Favoriten des Kaisers abgehandelt oder gänzlich übergangen worden. Letzteres war wahrscheinlich das Schicksal jener Reiter, die Wei retteten und von denen der Kaiser die Geschichte vielleicht gehört hat und die möglicherweise in einer ähnlichen Beziehung zum Kaiser standen.

 

In vielerlei Hinsicht war das «Shiji» ein Modell für spätere chinesische Historiker, und dasselbe kann man auch von den «Lebensbeschreibungen der männlichen Favoriten des Kaisers» sagen. Das wird z. B. im Kapitel 93 des «Hanshu» deutlich, das vollständigere Aufzeichnungen über die Han-Dynastie (202 v. Chr. - 6 n. Chr.) enthält. Während die früheren Berichte aus dem «Shiji» kopiert sind, hat der Autor für spätere Epochen eige­nes Material zusammengetragen. Obwohl der Stil der Darstellung sich etwas geändert hat, finden sich auch hier einige interessante Fälle: Shixian wurde in seiner Jugend kastriert, wurde dann Erster Eunuch und genoß das Vertrauen des Kaisers Yuan (Regie­rungszeit: 49-33 v. Chr.). Es gibt keine eindeutige Aussage, die auf physische Intimität mit dem Kaiser hinweist, doch der Kaiser schickte auch in diesem Falle eine beträcht­liche Menge von Geschenken ohne ersichtlichen Grund. Dasselbe gilt auch für Chunyu Chang Who, der im Umgang mit den internationalen Angelegenheiten des Hofes Geschick besaß. Er erfreute sich aber nicht im gleichen Maße der Gunst des Kaisers wie Zhang Fang, der immer gemeinsam mit ihm ins Bett ging und wieder aufstand; sie leg­ten häufig auch einfache Kleidung an und reisten inkognito.

 

Das berühmteste Beispiel ist aber zweifellos Dong Xian. Es wird behauptet, daß seine hübsche, aufgeweckte Erscheinung bereits im Alter von zwei Jahren die Aufmerksam­keit des Kaisers Ai (Regierungszeit: 7-18 v. Chr.) erregte. Auch er wurde mit Geschen­ken überhäuft und teilte das Lager des Kaisers. Eine Anekdote berichtet, daß sie einmal zusammen ein Mittagsschläfchen hielten und der Kaiser beim Erwachen feststellte, daß Dong auf ihm lag. Bei dem Versuch, sich zu erheben, ohne Dong zu wecken, zerschnitt der Kaiser schließlich seine Ärmel, was nicht nur Dong erlaubte weiterzuschlafen, son­dern auch dazu führte, daß in der klassischen chinesischen Literatur der Ausdruck «Ärmel zerschneiden» ein Bild für homosexuelle Beziehungen unter Männern wurde. Dong war bisexuell; er hatte eine Frau, der der Kaiser gestattete, im Palast zu leben, um Dong beschwerliche Heimreisen zu ersparen. Im Alter von 22 Jahren war er einer der Drei Exzellenzen, d. h. daß er eine Spitzenposition in der Regierung einnahm.

 

Bisher haben wir die Berichte in den «Lebensbeschreibungen der männlichen Favoriten» untersucht, doch es wäre irreführend, daraus abzuleiten, daß sich nicht an anderen Stel­len der Offiziellen Geschichtswerke Dokumente zur Bisexualität finden, obwohl es verständlicherweise weniger sind. Im «Hanshu» wird in der Biographie von Huo Guang (Regierungszeit: 86-66 v. Chr.), dem jüngeren Bruder von Huo Qibing, dem wir bereits begegnet sind, berichtet, daß er einen Sklavenaufseher namens Fang Zudu liebte. Huo besprach oft seine Angelegenheiten mit ihm und übte Nachsicht mit seinen vielen Ver­gehen. Fang und Wang Zufang, ein anderer von Huos Sklaven, beachteten den kaiser­lichen Kanzler überhaupt nicht, solange Huo an der Macht war. Obwohl wir wenig über Wang wissen, ist bemerkenswert, daß Fang eine illegale Affaire mit Huos Frau Xian hatte, nachdem sie Witwe geworden war.(8) In einem anderen Fall berichtet das «Hou Hanshu», daß der «geliebte Aufseher der männlichen Sklaven» Qin Gong von Liang Ji ähnlich einflußreich war. Er brachte es bis zum Posten eines Präfekten der Großen Getreidespeicher und konnte die Räumlichkeiten betreten, in denen Liangs Frau Shou lebte. Jedesmal, wenn Gong zu ihr kam, entließ sie ihre Dienerinnen unter dem Vorwand, Staatsangelegenheiten besprechen zu wollen, und hatte ein illegales Verhält­nis mit ihm. In den inneren wie äußeren Gemächern gleichermaßen in Gunst, nahm Gongs Macht welterschütternde Ausmaße an. Alle Inspektoren und Zweitausend-Pikul- Würdenträger mußten von ihm Abschied nehmen, wenn sie den Hof verließen. Es ist nicht sicher, ob nicht mehrere tausend Menschen, die gefangen und zu männlichen oder weiblichen Sklaven gemacht wurden, sexuelle Beziehungen zu ihrem Herrn hatten. Wie dem auch sei - Liang und Qin waren vermutlich bisexuell.

 

3. Die Sui- und die Tang-Dynastie (581-907 v. Chr.)

 

Die Sui- und die Tang-Dynastie werden im allgemeinen als weitere ruhmreiche Epochen in der chinesischen Geschichte angesehen. Nach dem Ende der Han-Zeit war China für einige hundert Jahre in mehrere kleine Staaten zerfallen, und die Gebiete nördlich des Flusses Jangtze wurden häufig von Nomadenstämmen besetzt, die nicht zum Volke der Han gehörten, das lange in Zentral-China in den Tälern des Gelben Flusses und des Jangtze gelebt hatte und die sich in Sitten und Lebensstil sehr stark von den Chinesen zu Beginn des Zerfalls des Reiches unterschieden. Doch unter der Regierung der Sui wurde China wieder unter einem Rechtssystem und einer Zentralregierung geeinigt; viele der Nomaden hatten sich bereits vorher integriert. Tatsächlich waren weder die Familie der Sui noch die der Tang reine Nachfahren der Han, und so finden sich in bei­den Dynastien Spuren von Sitten und Eigenarten der Nomaden.(10)

 

Es ist nicht sicher, ob bisexuelle Praktiken zum chinesischen Erbe der Han-Zeit gehören oder auf nicht-chinesische Einflüsse zurückgehen. Sicher ist jedoch, daß solche Prakti­ken in den Offiziellen Geschichtswerken weiterhin dargestellt werden, wenn auch nicht so direkt und leicht erkennbar wie zuvor. Es ist wichtig zu wissen, daß die Tradition der Sammlung von Biographien der Favoriten des Kaisers in den Offiziellen Geschichts­werken in der Tang-Zeit aufhört, nachdem sechs solcher Geschichtsbücher zusammen­gestellt waren und keine eine derartige Biographie enthielt(11). Dies bedeutet nicht unbe­dingt, daß es zu dieser Zeit kein bisexuelles Verhalten gab, sondern wahrscheinlich, daß solche Verhaltensweisen nicht als moralisch akzeptabel angesehen wurden. Infolgedes­sen wurden sie in den Offiziellen Geschichtswerken nicht einmal mehr als negative Bei­spiele toleriert. Wir wissen nichts von irgendeinem Gesetz, daß solche Handlungen offen unter Strafe gestellt hätte(12), sie wurden jedoch sicherlich nicht ermutigt.

 

Dies soll an einigen Beispielen erläutert werden. Interessant ist die Geschichte von Zheng Yi, einem Würdenträger, der in der Nördlichen Zhou-Dynastie (550-577) und der Sui- Dynastie (581-618) diente, und dessen Biographie sowohl im Kapitel 35 des «Zhou Shu» wie im Kapitel 38 des «Sui Shu» überliefert ist.(13) Der letztgenannte Text berich­tet, daß er, über zehnjährig, einen Würdenträger, der «ein wenig Spaß mit ihm haben» wollte, zurückwies, indem er ihm ohne Umschweife ins Gesicht sagte, daß solch ein «intimes Spiel» unmoralisch sei. Vielleicht war es gerade diese Zurückweisung, die Zheng das Vertrauen des Kaisers eintrug, der für ihn sogar die Ehe mit einer Prinzessin arrangierte, nachdem Zhengs Frau gestorben war. Als Zheng später ein Staatsbeamter des Kronprinzen geworden war, fing er mit diesem eine intime Beziehung an. Als der Kaiser davon erfuhr, enthob er Zheng seines Amtes und machte ihn wieder zum Gemei­nen. Doch er wurde bald vom Prinzen zurückgeholt, sie nahmen ihre Beziehung wieder auf, und Zheng nahm an dem Staatsstreich teil, der später zur Etablierung der Sui-Dynastie führte.

 

Während sich bisexuelle Verhaltensweisen in der Han-Dynastie meistens in den Bezie­hungen der Kaiser finden, treten sie in der Sui- und Tang-Dynastie eher in denen der Prinzen auf. Z. B. war der erste Kronprinz der Sui, Yang Yong, ganz sicher bisexuell, wenngleich sich Hinweise darauf nicht in seiner eigenen Lebensbeschreibung finden, sondern in der eines seiner Beamten, der nicht versuchte, seine Gunst zu erlangen, und den Mut hatte, gegen indezente Verhaltensweisen zu Felde zu ziehen: Er brachte sogar einmal einen Wächter vor Gericht, dessen Gelächter bei den intimen Spielen mit dem Prinzen so laut waren, daß sie außerhalb der prinzlichen Gemächer zu hören waren. Aus diesen Berichten wissen wir, daß der Prinz nicht weniger als vier männliche Liebhaber hatte; außerdem hatte er zehn Söhne von wenigstens vier Frauen.(14)

 

Li Chengqian, der älteste Sohn des berühmten zweiten Kaisers Taizong der Tang, war auf jeden Fall homo-, wahrscheinlich auch bisexuell. Er liebte einen jungen Musiker, der gut aussah und gut tanzte. Der Kaiser war sehr wütend, als er von dieser Affaire erfuhr und befahl, daß der Musiker mit einigen anderen zusammen getötet wurde. Li Cheng­qian verlieh seinem Schmerz Ausdruck, indem er einen Raum in seiner Residenz nach seinem Geliebten benannte, seine Bediensteten anwies, für ihn zu opfern, ihn schließlich nahe seiner Residenz beisetzen ließ, ihn posthum mit Titeln überhäufte und für ihn eine Stele aufstellen ließ, die im allgemeinen hohen Würdenträgern vorbehalten war. Außer­dem zog er sich für Monate vom Hofe zurück. Da sein Mißverhalten auch die Weige­rung einschloß, Kleidung und Haartracht im Stil der Han-Chinesen zu tragen, und er sich stattdessen in einem türkischen Dekorum gefiel(15), hat man angenommen, daß seine sexuellen Neigungen türkischen Ursprungs sind.(16) Bedenkt man jedoch, von wievielen vor und nach ihm solche Verhaltensweisen berichtet werden, bei denen es kaum Hinweise auf einen türkischen Einfluß gab, scheint diese Hypothese sehr dubios zu sein.

 

Keinesfalls war Chengqian das einzige Mitglied der kaiserlichen Familie, von dem bise­xuelles Verhalten berichtet wird - zwei seiner Brüder glichen ihm wahrscheinlich darin: Von einem ist überliefert, daß er enge Beziehungen zu unter ihm dienenden Bogen­schützen

hatte; bei dem anderen ist dies ungewiß, was aber teilweise an einer späteren Idealisierung seiner Biographie liegen kann.(17) Zwei Enkel Taizongs, einschließlich Zhongzong, der zu Beginn des 8. Jahrhunderts den Thron bestieg, waren wahrschein­lich auch bisexuell. Tatsächlich war die Regierungszeit Zhongzongs (705-710 v. Chr.) eine bisexuell sehr aktive Epoche, weil der Kaiser selbst dieser Neigung nachging. Zhongzong wurde von seinem jüngeren Bruder Ruizong (Regierungszeit: 710-712 v. Chr.) abgelöst, dem seinerseits sein Sohn Xuanzong Li Longji folgte, besser bekannt unter den Namen Minghuang oder der Strahlende Kaiser.

 

Der Strahlende Kaiser wurde so genannt, weil in seiner Regierungszeit die Tang-Dyna­stie in ihrem Zenit stand und weil er sehr lange regierte (712-756 v. Chr.). Seine Herr­schaft endete tragisch durch eine innere Rebellion, die ihn zwang, zuerst seinen Lieb­haber aufzugeben, später den Thron. Seine Romanze mit der Dame Yang ist bekannt, seine männlichen Liebhaber sind jedoch fast vollständig vernachlässigt worden. Nur drei von ihnen werden im 106. Kapitel des «Jiu Tang Shu» oder der «Alten Tang-Geschichte» erwähnt. Über den einen wissen wir nur sehr wenig, es ist nichts weiter überliefert, außer daß er «alle seine Kräfte zusammennahm, um dem Kaiser zu dienen». Ein ande­rer tat sich durch «kleine Talente» hervor, wie z. B. die Herstellung von Medizin, und der Kaiser «ließ ihn oft zu sich kommen und behielt ihn bis tief in der Nacht bei sich . . . Eunuchen wurden ausgeschickt, ihn an freien Tagen an den Hof zu holen. Er nahm an allem teil und war von wichtigen Angelegenheiten unterrichtet, und von seinen Zeit­genossen wurde er der <innere Minister>, genannt». Der dritte war ein Leibwächter des Kaisers, den er schon in seinen Prinzentagen bei sich hatte. «Wenn es dem Kaiser eine Zeit lang nicht möglich war, ihn zu sehen, sah er so aus, als vermißte er etwas; doch wenn er ihn sah, verbrachten sie die ganze Nacht lang glückliche Stunden miteinander, manchmal bis die Sonne hoch am Himmel stand.» Aufschlußreich ist jedoch, daß am Ende des Kapitels, wo die Geschichtsschreiber ihre eigenen Bemerkungen und Kom­mentare geben, die drei mit Deng Tong und Hong Ru in der Han-Dynastie verglichen werden.(18) Hong Ru verweist auf Hong, den Favoriten des Kaisers Hui der Han, und über Deng Tong ist ausführlich berichtet worden. Kurz gesagt, waren sich die Geschichtsschreiber dieser Zeit der Beziehungen dieser drei Beamten zum Strahlenden Kaiser bewußt. Die Biographien dieser drei Männer werden mit denen zweier anderer Beamten zusammengestellt, die während der Regierungszeit des Strahlenden Kaisers sehr einflußreich waren, weil sie sein Vertrauen genossen, die aber im allgemeinen für den Niedergang der Dynastie verantwortlich gemacht werden. Diese beiden hatten wahr­scheinlich keine sexuellen Beziehungen zum Kaiser, doch hätte sich nicht das Organisa­tionsprinzip der Offiziellen Geschichtswerke verändert, hätte man die Lebensbeschrei­bungen dieser fünf Männer sicherlich in einem Kapitel über die männliche Favoriten des Kaisers zusammengefaßt.

 

Die Beziehungen des Strahlenden Kaisers zu Männern waren wahrscheinlich nicht auf die drei erwähnten beschränkt. Man kann davon ausgehen, daß eine beträchtliche Anzahl seiner Untergebenen seit seiner Zeit als Prinz, die mit der Regierung von Zhong­zong begann, eine nicht zu leugnende und nicht erläuterte enge Beziehung zum Kaiser hatte, die dem Verhältnis zwischen ihm und seinen Beamten nicht angemessen war. Einer z. B. weigerte sich, dem Brauch der Zeit zu folgen, und saß mit den Brüdern des Kaisers zusammen, die versuchten, ihn daran zu hindern, bestimmte Ereignisse am Hofe an Außenstehende weiterzugeben. Was immer diese Ereignisse gewesen sein mögen, sie waren wahrscheinlich skandalös. Interessanterweise wurde einer dieser Skandale in der frühen Tang-Zeit durch einen der Söhne Taizongs verursacht, der gewöhnlich in den Provinzen stationiert war, als er in der Hauptstadt zu Besuch war und bei seinem Bru­der lebte. Die Notwendigkeit für spätere Geschichtsschreiber den Bericht darüber zu glätten und zu schönen(19), erhärtet den Verdacht, da der Skandal mit einer Beziehung zwischen Männern zusammenhing. Es muß beachtet werden, daß es in der Hauptstadt im 8. Jahrhundert männliche Prostituierte gab, deren Kunden Männer waren.(20)

 

Daß die direkte Erwähnung der Homosexualität vermieden wurde, sieht man gut an den Lebenserinnerungen der Ratgeber jener Prinzen, die für solche Verhaltensweisen bekannt waren. Dafür gibt es mindestens zwei Beispiele: Eines bezieht sich auf Li Chengqian, das andere auf Li Xuan, den Sohn Gaozongs, des dritten Tang-Kaisers. Beim Lesen der Memoiren nimmt man zunächst kaum wahr, daß das Verhalten der Prinzen beanstandet wird.(21) In einem anderen Fall jedoch wird der Erste Minister Li Yifu in der Regierungszeit Gaozongs (649-684 v. Chr.) von einem Zensor der Regierung kritisiert, weil Li seine Position durch die Handlungen des «Pfirsichteilens» und des «Ärmelzer­schneidens» erlangt haben soll. Der Ursprung des letzten Ausdrucks ist bereits darge­stellt worden, der erste ist ein Synonym für dieselbe Handlung.(22) Obwohl solche Euphe­mismen benutzt wurden, war der Kaiser sehr wütend. Der Zensor wurde wegen des Gebrauchs vulgärer Ausdrücke in die Provinz verbannt, und die Anklage wurde nie ernsthaft verfolgt.(23) Ob der Kaiser damit seinen Ersten Minister schützen wollte oder wirklich aufgebracht war, ist aufgrund der Natur des Gegenstands schwer zu sagen, doch die Tatsache, daß der Zensor wegen einer solchen Beschuldigung verbannt wurde, legt die Vermutung nahe, daß offensichtliche Beziehungen zwischen Männern bereits in der frühen Tang-Periode tabuisiert worden waren.

 

Diese offiziell feindliche Haltung gegenüber Beziehungen zwischen Männern bedeuteten für die Geschichtsschreiber größere Schwierigkeiten in der direkten Berichterstattung und - wie ein gegenwärtiger Wissenschaftler festgestellt hat - sind die Berichte über homosexuelle Beziehungen seit der Tang-Zeit tatsächlich aus den Offiziellen Geschichts­werken verschwunden.(24) Die oben zitierten Beispiele verstoßen bereits gegen diesen Anspruch, und tatsächlich fördert tiefes Nachdenken und eine phantasievolle Interpre­tation interessante Resultate zutage.

 

Ich selber bin z. B. von der Annahme ausgegangen, daß der erste und der zweite Kaiser der Tang bisexuell gewesen sein könnten. Die verwirrend enge Beziehung zwischen Li Yuan, dem Begründer der Tang-Dynastie und seinem Schwager Dou Kang könnte in diesem Licht verstanden werden. Sein Sohn Taizong hatte nicht nur eine ähnliche Bezie­hung zu einem anderen Verwandten der kaiserlichen Familie, sondern überschüttete auch einige Musiker und Sklaven, die am Hofe die Pferde betreuten, ohne erkennbaren Grund mit Geschenken, was zu einer Warnung durch einen seiner Ratgeber führte. Ob Taizong, der lange als exemplarischer Kaiser in der chinesischen Geschichte betrachtet wurde, bisexuell war oder nicht, wird wahrscheinlich ein Geheimnis bleiben. Doch wenn er es tatsächlich war, maß er sicherlich mit zweierlei Maß, denn er war wahrscheinlich dafür verantwortlich, daß die Biographien der männlichen Favoriten aus den offiziellen Geschichtswerken entfernt wurden, und er war sehr stark gegen seinen Sohn Chengqian eingenommen, der, wie oben dargestellt, ein ausgeprägtes Interesse an Vertretern des eigenen Geschlechts hatte.

 

4. Einige Beobachtungen

 

Aus den historischen Berichten geht klar hervor, daß es in der Han- und in der Tang- Zeit bisexuelles Verhalten in China gab, obwohl sich Stil und aufgezeichnete Inhalte ver­änderten. Zu Beginn beschränkten sich die Materialien auf Geschehnisse am Hofe und konzentrierten sich auf die Favoriten des Kaisers. Doch seit Mitte des 7. Jahrhunderts, als China von den Tang regiert wurde, hörte die Tradition solcher Berichte, in denen ein didaktischer Unterton immer stärker geworden war, auf, worin sich eine weniger tolerante, wenn nicht gar feindselige Haltung gegenüber bisexuellem Verhalten wider­spiegelt. In den sehr seltenen Berichten dieser Art, die es danach noch gab, finden sich nur noch sehr wenige Fälle von Dreiecksverhältnissen zwischen einem Mann und einem verheirateten Paar.

 

In den hier geschilderten Fällen scheinen sich die meisten bisexuellen Beziehungen im Jugendalter entwickelt zu haben. Die Intimpartner des Kaisers oder Kronprinzen waren häufig Menschen, die ihm für eine relativ lange Zeit nahestanden und einer sehr viel niedrigereren sozialen Klasse angehörten: ein Eunuch, ein Sklave, ein Leibwächter oder ein Musikant. Solche Beziehungen waren häufig mit einem hohen Maß an Vertrauen verbunden und gestatteten vielen Favoriten, besonders in der Han-Zeit, eine bedeuten­de politische Rolle zu spielen. Weniger derartige Fälle finden sich in der Tang-Zeit, doch wir haben dabei nicht die letzte Hälfte dieser Zeit untersucht, in der die kaiserliche Macht weniger stark war und hohe Würdenträger und andere einflußreiche Personen die politischen Ereignisse manipulierten.

 

Um mehr über Bisexualität zu erfahren, müßten noch viele Untersuchungen über die all­gemeine Geschichte der Sexualität in China durchgeführt werden. Es müssen noch mehr Quellen aufgefunden und noch mehr Fälle entdeckt werden. Die Biographien der männ­lichen Favoriten, von denen es noch viel mehr gibt, müssen noch detailierter untersucht werden, z. B. die Bedeutung der Eunuchen in der Tang-Zeit, die in dieser Darstellung nicht berücksichtigt wurde. Angesichts des großen Umfangs chinesischer Geschichts­werke, offizieller wie inoffizieller, ist die Annahme sicher nicht abwegig, daß sich dort reiche Schätze an Informationen befinden, die zutage gefördert werden müssen. Ein sol­ches Unternehmen würde das Instrumentarium und die Ausbildung eines Historikers erfordern, der nicht nur im historischen Bereich versiert, sondern auch mit einem offe­nen und phantasievollen Geist begabt ist. Ist das Material einmal zusammengestellt, würden sich daraus nützliche Informationen für vergleichende Untersuchungen ergeben, besonders wenn man es unter der Optik moderner sozialwissenschaftlicher Theorien untersucht. Der Gegenstand ist seiner Natur nach interdisziplinär, und es ist zu hoffen, daß sich in Zukunft gemeinsame Anstrengungen seiner annehmen.

 

Deutsch von Sabrina Hausdörfer

 

Anmerkungen und Literatur

 

1.  R. H. Van Guliks Sexual Life in Ancient China - A Preliminary Survey of Chinese Sex and Society from ca. 1500 B.C. till 1633 A. D. (E. J. Brill, Leiden 1974) liefert eine geisteswis­senschaftliche Übersichtsdarstellung zum Thema, geht aber nicht sehr ausführlich auf Homo­sexualität ein. Bret Hinschs kürzlich erschienene Arbeit Passions of the Cut Sleeve, The Male Homosexual Tradition in China (University of California Press, Berkeley 1990) konzentriert sich auf das Thema unter der Optik westlicher anthropologischer Theorien und bezieht sich größtenteils auf Sekundärliteratur. Obwohl einige seiner Schlußfolgerungen noch sehr vorläu­figer Natur sind, deckt der Text einen langen Zeitraum ab, enthält einen Anhang über Les- bierinnen und ist für am Thema Interessierte sehr nützlich. Zwei chinesische Bücher stellen umfangreiches Quellenmaterial zur Verfügung, unterziehen dieses jedoch beide nicht einer kri­tischen Bewertung: Weixing Shiiguan Zhaizhu: Zhongguo Tongxingren Mishi (The Secret History of Homosexuality in China; Xianghang Yuzhou Chubanshe 1964) und Xiaomingxiong. Zhongguo Tongxingai Shilu (A History of Homosexuality in China; Fenghongse Sanjiao Chubanshe, Hong Kong 1984).

 

2.     Vgl. z. B. Jiang Xiaoyuan: Zhongguoren de xing shenmi (The Chinese Mystery of Sex) Kexue chubanshe, Beijing 1989.

 

3.     Vgl. Kapitel V bis VII in D. Leslie, C. Mackerras, Wang Gungwu (eds.): Essays on the Sources for Chinese History, Australian National University, Canberra 1973.

 

4.     Es wurde von Burton Watson ins Englische übersetzt: Records of the Grand Historian of China, 2 Vols., New York 1961. Es gibt eine andere bedeutende Übersetzung von Edouard Chavannes: Les memoires historiques de Se-ma Ts'ien, 5 vols., Paris 1895-1905; Reprint Lei­den 1967. Falls nicht anders angegeben, wird nach der Übesetzung von Watson zitiert. Ich ersetze jedoch das (ältere) von Watson benutzte Wade-Giles-System (der chinesich-lateinischen Transkription) durch das (neuere) pinyin-System und werde seinen Text, falls nötig, mit Anmerkungen ver­sehen.

 

5.     Watson hielt das nicht für möglich und folgte dem «Hanshu», indem er diese Ereignisse sei­nem jüngeren Bruder Ji zuschrieb.

 

6.     Vgl. Hanshu (The History of Han Dynasty) Zhonghua Shuju edition, Beijing 1962, Kap. 97a, S. 3951 f.

 

7.     Die Biographien der beiden Generäle befinden sich im Kapitel 111 der Records of the Grand Historian, v. 2

 

8.     Vgl. Hanshu, Kap. 68, S. 2950, 2953, 2955. Vgl. auch: Han Social Structure, hrsg. u. über­setzt von Jack L. Dull, University of Washington Press, Seattle, London 1972, S. 154, 353.

 

9.     Hou Hanshu (The History of the Later Han) Zhonghua Shuju edition, Beijing 1965, Kap. 34, S. 1180f. Ich folge hier der Übersetzung von Dull, Han Social Structure, S. 381 f.

 

10.     Einen allgemeinen Überblick über die Sui- und Tang-Dynastie findet sich im Abschnitt «The Establishment of national Unity» im ersten Kapitel von The Cambridge History of China, hrsg. v. D. Twichett, Cambridge 1979, v. 3, part 41.

 

11.     Es gab das Liang Shu, Chen Shu, Zhou Shu, Bei Zhou Shu, Sui Shu und das Jin Shu. Das Bei Zhou hat in seiner gegewärtigen Form kein Kapitel über Favoriten, doch handelt es sich hier­bei nicht um das Original, das verlorenging, sondern um eine Zusammenstellung anderer Texte, hauptsächlich das Nanshi, das in der frühen Tang-Zeit zusammengestellt wurde, doch nicht auf offizielle Anweisung hin. Diese sechs Bücher waren jedoch nicht die ersten, die der­artige Kapitel ausschlössen. Ein Präzidenzfall findet sich im San Guo Ji, das über eine frühere Zeit berichtet. Doch wurde das San Gou Ji erst in der Tang-Dynastie zu einem einheitlichen Werk zusammengestellt.

 

12.     Die Allgemeinen Prinzipien der Tang-Gesetze sind von W. Johnson ins Englische übersetzt worden: The T'ang Code, Princeton University Press 1979. Wir haben jedoch weiter unten ein Beispiel, wo jemand tatsächlich aus diesem Grund an den Hof berufen wurde; vgl. Anm. 14.

 

13.     Seine Biographie findet sich auch im Kapitel 35 des Bei Shi, doch sie ist mehr oder weniger eine Kombination aus beiden.

14.     Vgl. Sui Shu (Zhonghua Shuju edition, Beijing 1973, Kap. 62, S. 1478). Für Informationen über die Familie des Prinzen vgl. a. a. O., Kap. 45, S. 1238.

 

15.     Vgl. seine Biographie im Jiu Tang Shu (eine alte Chronik der Tang; Zhonghua Shuju edition, Beijing 1975) Kap. 76, S. 2648.

 

16.     Xiaominxiong, ibid. S. 105.

 

17.     Vgl. meinen chinesischen Artikel Tang Taizong yu aizibing (Tang Taizong und AIDS) in: Mingbao Yuekan, Hong Kong, Juli 1990, S. 99-102. Die folgende Diskussion ohne Anmer­kungen bezieht sich auf diesen Artikel.

 

18.     Jiu Tang Shu, S. 3247-56.

 

19.     Vgl. dazu die Biographie des Prinzen Yuanzhang im Xin Tang Shu (Eine neue Chronik der Tang; Zhonghua Shuju edition, Beijing 1975), Kap. 79, S. 3549. Der Teil über den Skandal erscheint nicht im Jiu Tang Shu, Kap. 64, S. 2425. Obwohl das erstgenannte Werk später zusammengestellt wurde, stammt das Material wahrscheinlich aus einer Originalquelle wie dem Wahrhaftigen Bericht (Shilu).

 

20.    Vgl. Kaiyuan Tianbao Yishi (Shanghai Guji edition, Beijing 1985) S. 81.

 

21.   Vgl. Wen Yuan Ying Hua (Zhonghua Shuju Reprint edition, Beijing 1960) Kap. 60, die Schrif­ten von Li Baiyao, S. 271 - 73. Der Name wird im Jiu Tang Shu, Kap. 72, S. 2657 erwähnt, wo bemerkt wird, daß die Erinnerung gegen die «ausschweifenden Spiele» des Prinzen prote­stiert. - Der andere findet sich im Jiu Tang Shu, Kap. 88, S. 2863f. als Rat gegen «enge Bezie­hungen» zwischen dem Prinzen und seinem/n Sklaven.

 

22.    Vgl. Shi Ji, Kap. 63, S. 2154.

 

23.   Cefuyuangui (Zhonghua Shuju Reprint edition 1960) Kap. 520, S. 6211. Jiu Tang Shu, Kap. 82, S. 2676 revidiert die Wortwahl wieder.

 

24.   Pan Guangdan: Zhongguo wenxian zhong tongxingren quli (Beispiele zur Homosexualität in chinesischen Aufzeichnungen), ein Artikel, der seine Übersetzung von Havelock Ellis' Psychology of Sex: A Manual for Students (chinesisch: Xing Xinlixue, Reprint bei Sanlian Shuden, Beijing 1987, S. 532) beigefügt ist.

 

Die Herausgeber verweisen auch auf die in deutscher Sprache vorliegende Darstellung von Man-Lun-Ng: Sexualität in China. In: Rolf Gindorf, Erwin J. Haeberle (Hg.): Sexualwissenschaft und Sexualpolitik. Spannungsverhältnisse in Europa, Amerika und Asien. Schriftenreihe Sozialwissen­schaftliche Sexualforschung, Band 3, S. 359-376 (Berlin und New York: W. de Gruyter 1992).