Manfred Herzer Eine misslungene Diskursanalyse Philippe Weber: Der
Trieb zum Erzählen. Ursprünglich
erschienen in: CAPRI 44 (Feb. 2011). Die schon oft untersuchte Geschichte der medizinischen Homosexualitätstheorien von den Päderastiestudien des Gerichtsarztes Casper bis zur Sexualtheorie Sigmund Freuds wird in der vorliegenden Züricher Dissertation als eine Foucaultsche Genealogie noch einmal nacherzählt. Ausdrücke mit Wiedererkennungswert wie »Biopolitik«, »Disziplinarmacht« und »Mikrophysik der Macht« sowie die Bezeichnung der Homosexuellen des 19. Jahrhunderts als »Spezies«, ihre Homosexualität als »Monomanie« signalisieren die Treue zum Denken des großen postmodernen Nietzscheaners. So dient auch das protokollierte Gespräch zwischen Ärzten und schwulen oder lesbischen Patienten dazu, »Geständnisse« über ihre »Lüste« herauszupressen (116). Insgesamt geht es Verf. um eine »Diskursanalyse«, deren Vorzüge gegenüber herkömmlicher Wissenschaftsgeschichtsschreibung demonstriert werden. Die Methodik geht aber über bloße Genealogie hinaus, indem »der narratologische und poetologische Zugriff« ergänzend herangezogen wird, denn »mit diesen Methoden werden die literarischen Instrumente sichtbar, mit denen dieselbe Geschichte immer wieder neu und anders erzählt werden kann« (28). Diese immer gleiche und doch stets neue Geschichte ist das Protokoll, das die Ärzte oder Sexualpathologen über die Untersuchung und Befragung der Patienten anfertigten und in die Fachpublikationen zur Veranschaulichung ihrer Theorien einfügten. Seitdem Casper 1852 elf eigene Beobachtungen von Päderasten veröffentlichte, soll es diesen Typus von Texten geben, den Verf. »sexualpathologisches Narrativ« nennt und dessen Genese und schließliche Überwindung durch Freud er diskursanalytisch nachzeichnet. Die Texte Caspers, in denen er seine Päderasten beschreibt und Allgemeines über Verbreitung und Erscheinungsformen der Päderastie in Geschichte und Gegenwart, speziell in Berlin, mitteilt, sollen noch sehr allgemein und nicht dazu geeignet gewesen sein, eine »spezifische homosexuelle Persönlichkeit« zu begründen (49). Caspers Päderasten sollen sich von den Späteren schon deshalb unterschieden haben, weil »die Päderastie grundsätzlich von allen Männern vorgenommen werden« konnte, weshalb es auch »keine spezifisch ›päderastische‹ Persönlichkeit« gab (51). Dass Casper schließlich von dem Laster der Päderastie annimmt: »Bei den meisten, die ihm ergeben sind, ist es angeboren und gleichsam wie eine geistige Zwitterbildung«; dass er ferner Angaben über »Gang, Blick, Haltung, Stimme«, sowie über Wohnungseinrichtungen, Kleidung und das häufig »weibische Aeussere« der ihm bekannt gewordenen Männer macht (z.B. Casper 1858: 174 f.); dass schließlich keiner der nachfolgenden Ärzte bezweifelt hat, alle Männer seien zu päderastischen Akten als Prostituierte oder Insassen homosozialer Institute wie Gefängnisse, Klöster oder Internate fähig – all dies hindert Verf. nicht daran, Caspers Fallgeschichten als bloße Vorläufer des wirklichen und echten sexualpathologischen Narrativs oder »Erzählmusters« zu klassifizieren. Dieses Muster soll erst 1869 von Griesinger und dessen Schüler Westphal erfunden worden sein. Griesingers Polemik gegen Casper soll die bloße Vorläuferschaft des letzteren belegen (58 f.), ist aber schon deshalb dafür ungeeignet, weil Griesinger Caspers Ansichten zur Zurechnungsfähigkeit einer Tat zum Täter kritisiert, Caspers Päderastiegutachten aber überhaupt nicht die Frage der Zurechnungsfähigkeit, sondern das mögliche Vorhandensein von körperlichen Spuren des päderastischen Aktes betraf. Westphal war es, der für Caspers Päderastie nicht nur den neuen Namen ›Conträre Sexualempfing‹, sondern auch eine neue »Textsorte« (61) zur Beschreibung derselben, eben jenes Narrativ erfand. Sie brachte die Ergebnisse der Beobachtung, Befragung und Diagnose »in eine narrative Ordnung«, die auf neue Weise »ein Wissen über die psychischen Zustände, über das Fühlen, Begehren und Denken der Patienten« hervorbrachte (64). Die eigentliche Vollendung des sexualpathologischen Narrativs gelang aber erst 1882 Krafft-Ebing, als er in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie drei neue Fälle von conträrer Sexualempfindung beschrieb, wobei »die neuen Erzählpraktiken paradigmatisch zusammengeführt wurden« (77). Wenn es aber darum geht, die neue Qualität dieser paradigmatischen Zusammenführung zu benennen, bleibt es doch nur bei quantitativen Änderungen: der pathologische Trieb, den Casper noch »Drang« nannte, wird in einem »neuen Ausmaß sichtbar«, er wird zur »entscheidenden Kraft innerhalb der Biographie« und »zum zentralen Symptom« der conträren Sexualempfindung (78). Die nähere Bestimmung dessen, was mit dem neuen Ausmaß, der entscheidenden Kraft und dem zentralen Symptom gemeint ist, unterbleibt aber. Stattdessen wird eine bloße Dichotomie behauptet, Unschärfe vs. Präzision: während es Westphal noch misslang, »diesen Trieb präzise darzustellen, so dass er »ein unscharfes Phänomen« blieb (71), konnte Krafft-Ebing nach dem Wendejahr 1882 »minutiös« und »in einer unerhörten Präzision« die »Welt des Geschlechtslebens« des Patienten rekonstruieren (79). Weber behauptet sogar, dass diese Krafft-Ebingsche Präzision eine »Berechnung« (83 u.ö.) der Triebstärke »mit exakten Vermessungen […] psychischer Anomalien« (114) erlaubt habe. Tatsächlich geht es Weber nur um ein lustiges Wortspiel, wenn er sagt, die Ärzte seien in der Lage, »die Zurechnungsfähigkeit zu berechnen« (149). Die forensischen Ärzte konnten natürlich nichts berechnen, sondern nur ein gutachterliches Urteil über die Frage abgeben, ob der Angeklagte oder Zeuge zur Zeit der Tat über so viel freien Willen verfügte, dass er dafür verantwortlich war oder nicht. Der Hintergrund des Spiels mit dem Wort Berechnung scheint aber in dem Wunsch zu liegen, möglichst weitgehend Begriffe der Newtonschen Physik als Metaphern ganz nach Foucaults Gusto in die Diskursanalyse der Sexualpathologen einzupflegen. Dass dies keinen Erkenntniszuwachs bringt, sondern eher eine Vernebelung, lässt sich gut an den Begriffen ›Kraft‹ und ›Energie‹ zeigen. Der Sexualtrieb, den die Sexualpathologen konstruierten, wirkt aufgrund einer »Triebkraft«, der wiederum einer »Triebmechanik« als »geschlossenes mechanisches System« unterliegt (144 f.) Erst Freud soll etwa zeitgleich zu Iwan Bloch dieser Triebmechanik ein Ende bereitet haben, indem er ein Triebmodell nach dem Vorbild der Thermodynamik einführte; dies soll an dem Ersatz des Begriffs ›Kraft‹ durch ›Energie‹ deutlich werden, weil die Triebkraft immer nur in eine Richtung wirken kann, entweder hetero oder homo. Energie ist nach Webers Verständnis im Gegensatz zu Kraft beliebig verschiebbar und wandelbar und kann überall wirken zum Beispiel in Sport und Literatur und nicht nur beim Sex; »überall regierte der ›König Sex‹ (Michel Foucault)« (165). Der Gipfel des Antriebswechsels soll mit »Freuds Konzept der Libido-Energie« (318) erreicht worden sein, weil dies die »Loslösung des Sexualtriebs von einer natürlichen Finalität« ermöglicht. Vor Freud war eine solche Loslösung den Sexualpathologen unmöglich, weshalb auch Freud allein die »Grundlagen für die Liberalisierung und Pluralisierung der Sexualitäten im 20. Jahrhundert« gelegt habe (320). Diese Argumentation ist in mehreren Punkten nicht überzeugend: 1. hat Verf. den Unterschied zwischen Kraft und Energie in der Physik nicht begriffen. Dieser besteht nicht darin, dass Energie anders als Kraft wandelbar und verschiebbar ist, vielmehr ist Energie definiert als das Potential eines physikalischen Systems zum Einsatz von Kraft für eine Arbeit. Die Möglichkeit der Verschiebung, Schwächung, Verstärkung, Transformation, Umkehrung usw. haben Kraft und Energie gemeinsam. (Als übrigens Gunter Schmidt die Sexualitätsideologien der letzten 200 Jahre kritisierte, weil ihnen eine »Dampfkesseltheorie« oder ein »psychohydraulisches Modell« zugrunde liegt, bewies er immerhin genügend Physikkenntnisse, um in Freuds Triebtheorie nur die differenzierteste Form jenes Modells zu identifizieren, das die sexuelle Lust als Abfuhr von durch biologische Prozesse oder innere Reize aufgebauten Spannungen deutet. (Vgl. Schmidt 1975: 30 ff.) 2. war der Sexualtrieb in den Theorien Blochs und Freuds gerade nicht darin von der »Libido sexualis« Krafft-Ebings unterschieden, dass letztere in Richtung und Ziel weniger veränderbar oder sublimierbar wäre; in dieser Hinsicht sind sie gleich: »Jedenfalls bildet das Geschlechtsleben den gewaltigsten Factor im individuellen und socialen Dasein, den mächtigsten Impuls zur Bethätigung der Kräfte, zur Erwerbung von Besitz, zur Gründung eines häuslichen Heerdes, zur Erweckung altruistischer Gefühle, zunächst gegen eine Person des anderen Geschlechts, dann gegen die Kinder und im weiteren Sinn gegenüber der gesammten menschlichen Gesellschaft.« (Krafft-Ebing 1886:2) 3. räumt Verf. zwar ein, dass Freud »zu einem neuartigen Verständnis der Homosexualität« gefunden habe, dennoch aber bleibe eine »Ambivalenz«, weil Freud dem »sexualpathologischen Erbe« irgendwie treu blieb (312). Es bedarf keiner besonders sorgfältigen Freud-Lektüre, um zu bemerken, dass sich diese Treue bei Freud − und bei seinen SchülerInnen noch bis in die 1980er Jahre hinein − in ihrem Festhalten an der doktrinären Überzeugung zeigt, nach der manifeste Homosexualität eine therapiebedürftigen »Abirrung« oder »Störung« der einzig gesunden und biologisch korrekten Entwicklung zur Fähigkeit ist, heterosexuell zu koitieren. Dass Verf. die durchgängige Pathologisierung der Homosexuellen durch Freuds Lehre unter dem Schlagwort Ambivalenz versteckt, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen, muss als eine der größeren Mängel seines Buchs gelten. Die beiden letzten Kapitel (219-327) bieten eine Art Showdown zwischen Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud, bei dem letzterer siegt, weil ihm als einzigen unter den Ärzten »die Distanzierung zum pathologischen Denken« (321), die Unterminierung der »epistemischen Grundlagen des sexualpathologischen Denkens« dank des »revolutionäre[n] Potential[s]« der Psychoanalyse gelingt (323). Hirschfeld hingegen war nicht in der Lage, jenes pathologische Denken zu überwinden; anders als bei Freud waren seine Homosexuellen auch nur so krank wie die Patienten Molls oder Krafft-Ebings. Der kleine Unterschied zu den Vorgängern bestand darin, dass »Hirschfelds Homosexueller« etwas von ihm lernte, nämlich »mit seiner leicht pathologischen Anomalie umzugehen und ein sexuell erfülltes Leben zu führen« (240). Dieses Kunststück brachte Hirschfeld mithilfe der »Theorie der sexuellen Zwischenstufen« (241 u.ö.) und einer »Soziologie der Homosexualität« (275 u.ö.) zustande. Die Soziologie wird auch mehrfach als »Hirschfelds Innovation« bezeichnet; innovativ war es, »die Homosexuellen nicht nur als Individuen, sondern auch als Kollektiv zu erforschen« (244). Letztlich war aber Hirschfeld mit seinem Anspruch auf »›Befreiung‹ der Homosexuellen« (220) auch nur ein Funktionär einer sexualpathologischen »Biopolitik«, die im Interesse der Festigung der Disziplinarmacht des Ärztestandes und einer irgendwie rassistischen Bevölkerungspolitik (vgl. 278) für die Schwulen und Lesben allein »Unterwerfung unter das sexualpathologische Wissen« bezweckte. Verf. will nicht wie die Autoren Sigusch und Kratz eine Verbindung zwischen Hirschfelds Lehren und »faschistischem Gedankengut« konstruieren (233). Hirschfeld wird vielmehr innerhalb der Sexualpathologie und der dazugehörigen, die Disziplinarmacht stärkenden Biopolitik »verortet« (ebd.) Freud hingegen »verstärkte« die »liberalen und pluralen Momente« im Geschlechtsleben, indem er mit seinen Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie und dem Aufsatz »Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität« eine neuartige »Buntheit« entdeckte (311 ff.; bes. 327). Die Sexualpathologen incl. Hirschfeld waren allesamt zu diesem Schritt nicht imstande − trotz »humaner Rhetorik« (38) und obwohl ihr »Diskurs« als ein »plurales, dynamisches Feld« (36) vorzustellen ist, das »zweifellos ein liberales Moment« entfaltet (171). Sie alle hielten mehr oder weniger starr an dem von Foucault genealogisch nachgewiesenen Esquirolschen Monomaniekonzept fest. Die Interpretation der Texte Hirschfelds kann man nicht anders denn als Tiefpunkt des vorliegenden Buches bezeichnen; Hirschfelds »Innovation« im Vergleich zu den älteren Sexualpathologen soll darin bestehen, dass er als Biopolitiker »das Kollektiv der Homosexuellen als pathologische Minorität isolierte«, nachdem er zuvor bei seinen homosexuellen Patienten mittels des sexualpathologischen Narrativs »einen pathologischen Trieb« diagnostiziert habe (270). Nicht zu beanstanden ist die Feststellung des Verf., dass Hirschfeld die beiden Behauptungen, Homosexualität sei keine Krankheit, sondern eine Anomalie, und Homosexuelle seien zur Ehe nicht geeignet, weil sie gesundheitliche Mängel an ihren Nachwuchs vererben könnten, nicht selbst erfunden, sondern von Albert Moll übernommen hat (215 & 305). Verf. ist aber nicht in der Lage, die pathologisierende Version des Homosexualitätskonzepts in seiner transitorischen Funktion innerhalb der Hirschfeldschen Zwischenstufenlehre zu verstehen. Dass Hirschfeld gerade nicht »seine ›Theorie der sexuellen Zwischenstufen‹« aufgestellt hat, um »in sexualpathologischer Manier« dem Sexualtrieb als Geschlechtsmerkmal die Aufgabe der Fortpflanzung zuzuschreiben (241), wird deutlich bei etwas genauerer Betrachtung dieser vermeintlichen Theorie. Einer der zentralen Texte hierfür ist Hirschfelds Aufsatz »Die Zwischenstufen-„Theorie“« von 1910. Verf. zitiert daraus mehrfach, übersieht aber konsequent die Gänsefüßchen, die das Wort Theorie einschließen. Die »nicht ganz richtige Vorstellung«, seine Lehre von den sexuellen Zwischenstufen sei eine Theorie, hat Hirschfeld zuerst bei Forel und Friedländer gefunden und korrigiert: »Vor allen Dingen ist da zu betonen, dass es sich bei diesem Sexualproblem in erster Linie überhaupt nicht um eine Theorie, sondern um ein Einteilungsprinzip handelt. Wir verstehen unter sexuellen Zwischenstufen männlich geartete Frauen und weiblich geartete Männer in allen möglichen Abstufungen« (Hirschfeld 1910: 116 & 130). Im selben Aufsatz behauptet Hirschfeld, »in jedem Menschen findet sich eine verschiedene Mischung männlicher und weiblicher Substanz«, was letztlich jedes Individuum zu einer sexuellen Zwischenstufe macht; sodann kennzeichnet er seinen Standpunkt zur Frage der Pathologie in aller Eindeutigkeit indem er »alle diese Zwischenstufen als sexuelle Varietäten auffasst und den Begriff des Pathologischen im Sexualleben von ganz anderen Momenten abhängig macht, in erster Linie nämlich davon, inwieweit die Voraussetzungen der beiderseitigen Geschlechtsreife und Geschlechtsfreiheit Verletzungen erleiden« (Hirschfeld 1910: 129). Somit gibt es für Hirschfeld im Gegensatz zu allen seinen Kollegen – von Moll und Kraepelin bis zur Freudschen Schule – nur zwei Handlungsweisen, denen er Krankheitsqualität zuerkennt: Sex mit Kindern und Notzucht. Um diese klare Aussage Hirschfelds, die sich durchgängig im Gesamtœuvre wiederfindet ähnlich wie die erwähnten Gänsefüßchen zu übersehen, bedarf es einer Lektüre und Interpretationsmethode, die man vielleicht als selektiv bezeichnen könnte. Zu dieser Methodik passt es recht gut, wenn Verf. zu J.E. Bauers Aufsatz »Der Tod Adams« (Bauer 1998) nur der etwas fade Scherz einfällt, Bauer sei mit seiner Feststellung »ein wenig vorschnell« (242). Hirschfelds Bruch mit dem Geschlechterdualismus hält Verf. nämlich für eine Art Paradoxon, das dieser lediglich »mittels Pathologisierung überschrieb« (243). Abschließend noch ein Wort zum Leiden der Homosexuellen im Berichtszeitraum, dessen Fehleinschätzung Verf. womöglich bei der angemessenen Lektüre Hirschfelds behindert hat. Wenn Freuds Patientin einen »Selbstmordversuch« (321) unternimmt, ist dies für Verf. ebenso wenig Anlass zur Reflexion wie die »Angst- und Verzweiflungszustände« (138) eines Krafft-Ebing-Patienten; wenn Dessoirs Patient seine »Leidensgenossen« (137) erwähnt, dann ist dies auch nur ein weiteres Symptom für die Machtbesessenheit der Ärzte, die Geständnisse aus den eingebildeten Kranken herauspressen, um diese zu Narrativen zu verarbeiten. Wenn die Sexualpathologen des Verf. ihren Anspruch artikulieren, menschliche Leiden zu mildern oder zu beseitigen, dann kann sein »sozialgeschichtlich bemühtes Auge« (47) immer nur Versuche wahrnehmen, die ärztliche Gier nach Disziplinarmacht »mit humanitärer Rhetorik« (38) zu kaschieren. Wer es wie Verf. versäumt, einen Gedanken auf die Motivation und den Leidensdruck der sexualpathologischen Forschungsobjekte zu verwenden, dem wird es schwer fallen, die Logik der Hirschfeldschen entpathologisierenden Sexologie und Sexualpolitik zu begreifen, die der Utopie der »sexuellen Menschenrechte« keinesfalls nur rhetorisch verpflichtet war.
Literatur Bauer, J. Edgar (1998): Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds, in: 100 Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Berlin, S. 15 ff. Casper, Johann Ludwig (1858): Practisches Handbuch der gerichtlichen Medicin. Biologischer Theil. Berlin Hirschfeld, Magnus (1910): Die Zwischenstufen-„Theorie“, in: Sexualprobleme, S. 116 ff. Krafft-Ebing, Richard von (1886): Psychopathia sexualis. Eine klinisch-forensische Studie. Stuttgart. Schmidt, Gunter (1975): Sexuelle Motivation und Kontrolle, in: Ergebnisse zur Sexualforschung. Hrsg. von E. Schorsch u. G. Schmidt. Köln, S. 30 ff.
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