Manfred Herzer

What the Butler Saw (und was sie sich dabei dachte).

100 Jahre Female Trouble

 Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.

 

Match (to Dr Prentice). Have you anything to say, sir?

Prentice. Yes. What this young woman claims is a tissue of lies.

Sergeant Match scratches his head.                                          .  

Match (pause). This is a boy, sir. Not a girl. If you’re baffled by

the difference it might be as well to approach both with caution.

(To Geraldine.) Let’s hear what you’ve got to say for yourself.

Geraldine. I came here for a job. On some pretext the doctor got me

 to remove my clothes. Afterwards he behaved in a strange manner.

(Joe Orton: What the Butler Saw. London 1969, S. 52)

 

Was will das Weib? (Sigmund Freud nach Jones 1962, S. 493)

 


Im Folgenden soll der Versuch unternommen wer­den, den Geschlechter-Begriff zu kritisieren, den Judith Butler in ihrem seinerzeit viel beach­teten Buch Das Unbehagen der Geschlechter ent­faltete. Der Vergleich mit dem Geschlechter-Begriff Magnus Hirschfelds, der erstmals 1896 in seiner Schrift Sappho und Sokrates entwickelt wird, macht deutlich, dass Butler weit hinter das von Hirschfeld erreichte Reflexionsniveau zu­rückfällt, was vermutlich mit Butlers linguistisch geturntem Idealismus zusammenhängt, den sie mit einer nietzscheanischen Moralkritik ver­quickt, um »Zwangsheterosexualität« und die Vorstellung von »vordiskursiven Körpern« mit­tels einem linksliberalen Politikkonzept zu be­kämpfen. Schließlich wird eine Neuinter­pretation der Hirschfeldschen Lehre von den sexuellen Zwischenstufen aus der Sicht des Historischen Materialismus skizziert.

* * *

Vor fast zwanzig Jahren, 1990, erschien erstmals Gender Trouble, das Buch der US-amerikani­schen Professorin für Rhetorik und Vergleichen­de Literaturwissen­schaf­ten Judith Butler. Im Vorwort zur 1999er Neuausgabe nennt sie ihr Werk treffend »one of the founding texts of queer theory« bezeichnete (But­­ler 2007, S. VII). Schon ein Jahr nach dem Origi­nal konnte man Das Un­behagen der Geschlech­ter, die deutsche Version von Gender Trouble, als Taschenbuch kaufen.

 

1. Foucaults Queer Genealogie

Die erwähnte Queer Theory könnte man als eine Korrekturbewegung innerhalb der zuvor aufge­kommenen Gender Studies ansehen, da eine auf­fällige Eigentümlichkeit derselben in einer Art Ausklammerung der Sexualität aus der Erfor­schung der Geschlechtsidentität – eine mögliche Übersetzung von »gender« − bestand. Reiche (2004, S. 115) beschreibt diese, der Queer The­ory vorausgehende Bewegung als einen »Sie­­ges­zug«: »Gender ist ein selten schönes Bei­spiel dafür, wie ein Begriff aus einer hoch­spe­zialisier­ten Wissenschaftssprache, in diesem Fall dem Schnitt­punkt von Endokrinologie, Genetik und Psychoanalyse, heraustritt, einen Siegeszug durch die Geistes- und Sozialwissen­schaf­ten antritt und dort zu einer Hauptmetapher für Wis­sen­schafts­politik (gender studies) und politische Bewegun­gen (gender movements) wird. Wo von gender gesprochen wird, wird das sex verdrängt – Ver­drängung hier zunächst phy­sikalisch und seman­tisch und gar nicht psycho­analytisch ver­standen.« Die Aufhebung dieses Verdrängungs­prozesses scheint nun in der Queer Theory ange­strebt (vgl. Hark 1998); und Butlers Buch habe ich als einen nietzscheanisch-foucaultistischen Synthesever­such von gender & sex gelesen, der sich selbst als »subversiv« und »politisch« ver­steht. Natürlich kommt es dabei zu interessanten Verwicklungen und Konfusionen, die auch dann nicht aufge­löst werden, wenn Foucaults Ideen zur Macht der Diskurse und zum Macht­dispositiv Sexualität am En­de einer behutsamen Kritik unterzogen werden.

Zunächst rekapituliert Butler in mehreren Anläu­fen Foucaults, im ersten Band seiner Sexualität und Wahrheit entwickelte Vorstellung von der Ver­geb­lichkeit sexueller Emanzipation. Für Foucault führt jeder Befreiungsversuch immer nur zu einer Ausweitung der Macht, weil er von dieser Macht als einer Art automatischem Sub­jekt selbst produziert wurde; so beispiels­weise im Kapitel »Das Verbot, die Psychoanalyse und die Produktion der heterosexuellen Matrix«:

»An dieser Stelle scheint es angebracht, zu Fou­cault zurückzukehren, der behauptet, daß Sexua­li­tät und Macht stets deckungsgleich sind, und so implizit das Postulat einer subversiven oder eman­­zipatorischen, vom Gesetz befreiten Sexua­li­tät zurückweist […] Dieser normativen Struktur gemäß erfordert die Subversion, Desta­bi­lisierung oder Verschiebung eine Sexualität, der es irgend­wie gelingt, den hegemonialen sexu­­ellen Verbo­ten zu entgehen. Foucault dagegen betrachtet die­se Verbote als ständig und ungewollt produktiv, was gerade bedeutet, daß das ›Subjekt‹ das in und durch diese Verbote begründet und hergestellt werden soll, keinen Zugang zu einer Sexualität hat, die irgendwie ›außerhalb‹, ›vor‹ oder ›nach‹ der Macht selbst liegt.« (Butler 1991, S. 55)

Ständig und ungewollt produktiv (»invariably and inadvertently productive«, Butler 2007, S. 40) ist demnach »die Macht«, die man sich wohl als ein mittels der »Diskurse« alles kontrollie­ren­des und beherrschendes Super-Subjekt vorzu­stel­len hat, vor allem auf zweierlei Art:  (1) die le­ben­digen Menschen werden von Anfang an von der Macht in Subjekte, in Unterworfene, verwan­delt und dem Gesetz (was ein weiterer Name der Macht ist; ein ande­rer ist: »Kultur«) un­terworfen. Diese Unterwer­fung ist aber so total und unent­rinnbar, dass sie (2) auch noch alle möglichen Re­bellionen, Subversi­onen, Wider­stände u. dergl., die die Sub­jekte au­tonom zu veranstalten wähnen, eben­falls um­fasst, so dass alles Aufbe­gehren und alle Eman­zipati­ons­­kämp­fe statt zur Befreiung nur zu einer immer ausweglosere Ver­stri­ckung ins Regel­­werk der Macht führen. Butler ermittelt zum Zweck ihrer subversi­ven Ana­lyse der Pro­­­duk­tion der bi­nären Ge­schlechts­­identität zwei Ge­stal­ten die­ser allmäch­tigen Macht: Phal­lo­go­zentrismus und Zwangs­hete­rosexualität (phal­­logocentrism & compulsory heterosex­ual­ity). Sie übernimmt diesen sozusagen konter­revolutionären und fata­listischen Macht-Begriff via Foucault von Nietz­sche und damit noch einen anderen Ausdruck, den sie für ihre Unter­su­chung der Ge­schlechterbinarität fruchtbar machen will: Ge­nealogie. Dieses Kon­zept, das Nietzsche sei­ner­zeit zur Überbietung des damals im deut­schen Kaiserreich vorherr­schenden Historismus erfand und das die folgen­den Nietzsche­aner als kapita­lismusapologetische Alternative zum His­to­ri­schen Materialismus ein­setzten, geht von einer Doktrin aus, nach der die Geschichte die ewige Wiederkehr des Gleichen sein soll, weshalb eine genealogische Untersu­chung historischer Phäno­mene sich auch nur mit einer Art impressionisti­scher Beschreibung der unendlichen Vielfalt der Machtmanifestationen in der Zeit begnügt. Wie aber kann man unter sol­chen ideologischen Prä­mis­sen hoffen, zur Ver­wirk­lichung eines »Eman­zipationsideals« (Butler 1991, S. 142) beizu­tra­gen und die Macht sub­ver­siv an­grei­fen zu können? Die Stichworte hierzu lau­ten: stö­ren, enthüllen, dezentrieren, lachen: »Wie kann man am besten die Geschlechter-Ka­te­gorien stören, die die Geschlechter-Hierarchie und die Zwangsheterosexualität stützen? […] So ernst die Medizinalisierung des weiblichen Kör­pers ist – dieser Begriff ist zugleich lachhaft, und für den Feminismus ist es unbedingt not­wen­dig, über ernste Kategorien zu lachen[1] […] Die grund­legen­den Kategorien des Geschlechts, der Ge­schlechtsidentität und des Begehrens als Effekt einer spezifischen Machtformation zu ent­­hüllen, erfordert eine Form der kritischen Un­tersuchung, die Foucault in Anschluß an Nietz­sche als ›Gene­alogie‹ bezeichnet hat […] Die Aufgabe der vor­liegenden Untersuchung ist, sich auf solche defi­nierenden Institutionen: den Phal­logozentrismus und die Zwangshetero­sexualität zu zentrieren – und sie zu dezentrieren(Butler 1991, S. 8 f.) Später, in ihrem 1999er Vorwort, formuliert sie ihr Ziel noch beschei­de­ner: »The aim of the text [Gender Trouble] was to open up the field of possibility for gender without dictating which kinds of possibilities ought to be realized.« (Butler 2007, S. VIII)

Zweifellos hat sie ihr Ziel, zu »enthül­len«, dass das Geschlechtsleben bunter und viel­fältiger ist, als wir uns das in unseren künsten Träumen vor­zu­stellen wagen, erreicht. Sie will aber doch noch etwas mehr: »The text also sought to undermine any and all efforts to wield a discourse of truth to deligimate minority gendered and sexual prac­tices.« (Butler 2007, S. VIII) Ihr politi­sches Pro­gramm (J.E. Bauer würde hier ver­mut­lich sagen: ihr Messi­a­nismus) sieht demnach vor, für ein biss­chen mehr Freundlichkeit und Nettigkeit gegenüber den meisten sexuellen Min­derheiten in die Welt zu sorgen und die Macht der Hauptwi­der­­sacher in dieser Angele­gen­heit, Phallogozen­tris­mus und Zwangshetero­sexu­alität, subversiv zu unterminieren.

Butler wiederholt immer wieder Foucaults Auf­fassung, dass emanzipatorische Se­xualpo­litik deshalb illusorisch sei, weil sie von der »Macht« produziert wurde, um diese nur immer weiter zu festigen. (Butler 1991, S. 146 u. ö.) Sie glaubt aber, in einem abgelegeneren Text des Meisters, in seinem Vorwort zu Herculin Barbin, dite Alexina B. von 1978 »ein unausge­sprochenes Emanzipationsideal« ent­hüllen zu können (Butler 1991, S. 142). Butlers Beweis­führung ist nur wenig überzeugend, eben­so we­nig wie die Kritik, die sie an dem un­ausgespro­chenen Ideal übt: Sie hat den Ein­druck, als würde Foucault in der von ihm herausgegebenen und kommentierten Auto­bio­­grafie des irgendwie transsexuellen, damals, im 19. Jahrhundert, so genannten Hermaphro­di­ten Herculine Barbin indirekt ein romantisches Emanzipationsideal pro­pa­gieren: »Allem An­schein nach romantisiert Foucault Herculines Welt der Lüste als ›glückli­chen Limbus[2] der Nicht-Identität‹, d.h. als eine Welt, die die Kate­gorien des Sexus und der Iden­­tität übersteigt [...] Anders formuliert: Foucault ruft hier die Trope[3] der vordiskursiven, libi­­di­nösen Mannigfaltigkeit auf, die im Grunde eine Sexualität ›vor dem Ge­setz‹ voraussetzt, eine Sexualität, die nur darauf wartet, von den Fesseln des ›Sexus‹ befreit zu werden.« (Butler 1991, S. 143 & 146) Solche vor­diskursiven Mannigfaltigkeiten – das ist eine Ge­­neralüberzeugung, die Butler aus Foucaults Schriften übernommen hat – darf es in der Ideen­­­­welt der Diskurse und Mächte natürlich gar nicht geben. Daher kann sie dem The­o­re­tiker nicht verzeihen, dass er auch nur an­deu­tungs­weise das Vorhandensein einer vor­dis­kur­­siven Natur für denkbar hält. Die Annahme einer vor­dis­kursiven materiellen Natur wie etwa die Kör­per der Men­schen ist für Butlers idealisti­schen Konstruktio­nis­mus ganz unakzeptabel, weshalb auch große Teile ihres Buches der Ent­hüllung von natura­lis­tischen Annahmen bei AutorInnen wie Sigmund Freud, Jacques Lacan, Simone de Beauvoir, Claude Lévi-Strauss, Julia Kristeva und Mo­nique Wittig gewidmet sind. Ihr Urteils­spruch in allen diesen Fällen lautet: Ver­ding­li­chung (reifi­cation), ein von Hegel entlehn­ter Aus­druck, den Butler aber mit einer morali­sie­­renden (»politischen«) Neben­bedeutung ver­sieht. Die zugrun­deliegende Idee ist durchaus eh­ren­wert und bei­nahe ein bisschen krypto­marxis­tisch: die gesell­schaft­li­chen Ver­hältnisse (die Neo-Nietzschea­nerin spricht hier von Macht & Dis­kurs) werden von den Men­schen im histo­ri­schen Prozess hergestellt und ver­ändert, er­schei­nen ihnen aber ver­dreht als unveränderbare, ewi­ge Naturver­hält­nisse; Wirt­schafts­krisen, Krie­­ge und alle Herrschafts- und Knecht­schaftsverhält­nisse er­scheinen als Natur­katas­trophen oder Natur­ereig­­nisse, die sich ereig­nen wie Regen und Sonne, Seuchen und Erd­beben. Da Butler er­kannt hat, dass auch die Ge­schlechteridentitäten (gen­der identities) und die da­mit zusammenhän­gende Herrschaft der Män­ner über die Frauen Ergebnis­se historischer Kämpfe sind und kei­ner­lei natür­liche Ursachen haben, folglich auch in Kämpfen veränderbar sind, sieht sie ihre Auf­gabe als Kul­tur­kritikerin darin, die als ewige Natur­verhält­nisse erschei­nenden Geschlechter­verhält­nisse als historisch gewordene und irgendwie »diskursiv« verän­der­bare zu kennzeichnen. Dass sie sich damit in einem Widerspruch mit Foucaults Lehren verheddert, scheint sie nicht zu stören.

An dieser Stelle ist natürlich eine Abgrenzung vom Marxismus erforderlich, was Butler auf recht originelle Weise gelingt: Marx habe die Aufgabe gestellt, »die kontingenten Akte, die den Schein einer natürlichen Notwendigkeit her­vor­bringen, zu enthüllen«, was ihn immerhin in den Rang eines Vertreters der »Kulturkritik« erhebt (Butler 1991, S. 61). Friedrich Engels wird nicht ganz so cool behandelt; an seine »Spekulatio­nen« wird die gute Absicht gelobt, »jenen reaktio­nä­ren Theorien entgegenzutreten, welche die Unterord­nung der Frau als natürlich oder uni­versell hin­stel­­len«. Engels sei aber beim Spe­kulieren von »Scheinvoraussetzungen« ausge­gan­gen und habe »fragwürdige normative Ideale« vertreten, womit alles klar zu sein scheint. (Butler 1991, S. 65)

Simone de Beauvoirs nach sechzig Jahren ein we­­nig veraltetes Wort: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, sondern wird es« meint wohl un­gefähr diesen Sachverhalt, wird aber für Butler zum An­lass der Kritik, weil das Zur-Frau-Werden à la Beauvoir einen Frauen­kör­per vor­aus­­setzt, der gewissermaßen die Na­tur­basis ab­gibt, auf der die soziale Konstruktion Frau errich­tet wird. Der Einwand, dass die Wahrneh­mung und Bezeich­nung eines Kör­pers als männ­lich oder weiblich immer schon sozial konstru­iert ist, dass »die Plausibilität die­ser binären Be­ziehung dis­kur­­­­siv hervorgebracht wird«, scheint so etwas zu sein wie der Kern der Butlerschen »Genea­lo­gie der Ge­schlechter-Ontologie (gender ontol­ogy)« (Butler 1991, S. 60). An der gleichen Stelle benennt sie als Sub­jekt dieses Vorgangs nicht etwa die le­ben­digen Menschen, es sind für die nietzscheanische Kulturkritikerin stattdessen »be­stimm­te kul­tu­relle Konfigurationen der Ge­schlechts­iden­ti­tät, [die] die Stelle des ›Wirk­li­chen‹ ein­genom­men haben und durch diese ge­glückte Selbst-Natura­li­sierung ihre He­ge­mo­nie festigen und ausdeh­nen« (ebd.) Damit hat Butler – im­mer im Bemü­hen, versteckten Naturalismus & Verding­lichung zu enthüllen − noch die letz­ten Reste mate­­rialis­ti­scher Annah­men aus Beau­voirs These hinaus­ge­säubert und die handelnden Men­schen, die in ihrer gesell­schaftlichen Praxis mei­ner An­sicht nach diese ›kulturellen Konfigu­ra­­ti­o­nen‹ produ­zieren, repro­­duzieren und schließ­­lich dekonfigu­rieren, ebenfalls hinausge­säubert. Der ganze kri­tische Reinigungsprozess heißt dann: »Genealo­gie der Geschlechter-Onto­logie« (ebd.) und wird ein wenig schematisch bei den Texten der oben genannten AutorInnen durchexerziert.

 

2. Lesbophobe Mütterlichkeit

An einem weiteren Beispiel, der Kritik einiger Texte der Psychoanalytikerin und Linguistin Julia Kristevas, möchte ich jetzt die Unzu­länglichkeit des Butlerschen Genealogie-Sche­mas deutlich machen. Butler will herausgefunden haben, dass »das Semiotische« Kristevas »emanzipato­ri­sches Ideal« ist, das manchmal verneint und manchmal bejaht werde (Butler 1991, S. 124). Tatsächlich entwickelt Kristeva den Begriff des Semioti­schen, um die erste Phase des Sprach­erwerbs der Kleinkinder zu beschreiben, die nach dem Freud-Lacanschen Entwicklungs­mo­dell in der präödipa­len Phase der symbioti­schen Bezie­hung des Kin­des zur Mutter beginnt und mit dem »Spiegel­sta­dium«[4] und der imagi­nierten Kastrati­on im Ödi­pus (etwa im zweiten Lebens­jahr) in das »Sym­bolische« übergeht. Das Symbolische steht für:

- Loslösung des kindlichen Körpers von der Mutter

- Selbstwahrnehmung als identisches Subjekt

- Lokalisieren des Lusterlebens in den Genitalien

- Unterwerfung unter die symbolische Ordnung, die die Zeichen als Signifikante und die Objekte als Signifikate bezeichnet und so die Sprache als Kommunikationsmedium ermöglicht.

(Kristeva 1978, S. 58 u.ö.)

Das Semiotische ist dem Symbolischen zeitlich vorgelagert und zugleich als seine notwendige Voraussetzung unauflöslich mit ihm als »rhyth­mi­scher Raum«, in dem Sinngebung stattfindet, verbunden. Diese Verbindung ins allgemeine Be­wusstsein zu heben, unternehmen in Kristevas Sicht zuerst die avant­gardis­tische Dichtern Sté­phane Mallarmé (1842-1898) und Lautréa­mont (Isidore Ducasse, 1846-1870) – bald darauf Sigmund Freud:

»Mit Freuds Entdeckung wurde der Schleier ge­lüftet, den das 19. Jahrhundert über die Sexua­li­tät gebreitet hatte; sie wurde zum Angelpunkt zwi­schen Sprache und Gesellschaft erklärt, zwi­schen Trieb und soziosymbolischer Ordnung; Freud ist es zu verdanken, daß die Praxis Lautré­a­monts und Mallarmés radikalisiert werden und die ob­jek­tive und gesellschaftliche Bedeutung erlangen konnte, die ihr vorschwebte. Mit ande­ren Wor­ten: Die poetische Erfahrung am Aus­gang des letzten Jahrhunderts, an der Schwelle zu Freuds Entdeckung, bezeichnet einen Durch­bruch, der sogleich wieder verschüttet, re-feti­schi­siert (Apollinaire), ja akademisiert wurde (Valéry). Erst seit und kraft Freud[s Entde­ckung] hatte sie eine Zukunft (Joyce, Bataille); erst seit ihr und mit ihr läßt sich die Reichweite dieser Erfahrung ermessen.« (Kristeva 1978, S. 94)

Es geht Kristeva demnach um die Erkundung der sexuel­len Ur­sprün­­ge der Sprache, sowohl in der Phylo­genese der menschlichen Gattung wie in der Onto­gene­se des Individuums und zusätzlich um die spezi­fische Konstellation von Produktiv­kräften und kapitalistischen Produktionsverhält­nissen, die Entdeckung dieses Zusammenhangs ermöglichten.

Eine weitere Umschreibung des Semiotischen:

»Mallarmé kennzeichnet diesen der Sprache in­hä­renten semiotischen Rhythmus, wenn er vom ›Geheimnis in den Buchstaben‹ spricht (Mystère dans les lettres): gleichgültig gegen­über der Spra­che, rätselhaft und weiblich, ist dieser dem Schrei­ben zugrunde liegende Bereich rhyth­misch, entfesselt und nicht auf seine intelligible, verbale Übersetzung reduzierbar; er ist musika­lisch, geht den Urteilen voraus, und nur eine ein­zige Gewähr gibt es, die ihn zu mäßigen vermag – die Syntax.« (Kristeva 1978, S. 40 f.)

Kristeva erstrebt mit ihrer Unterscheidung des Sym­bolischen vom Semio­tischen also keinen Beitrag zur Psycho­linguistik des Kleinkindes oder zur Be­wahrung des Semi­otischen als »emanzipatori­sches Ideal« im von Butler so genannten kultu­rel­len Leben. Viel­mehr geht es um die Untersu­chung einer konkre­ten histori­schen Situation Frankreichs, in der die beiden Revolutionäre der poetischen Sprache, Mallarmé und Lautréa­mont, ihre Avantgarde-Texte produzierten, gewisser­ma­ßen als Ersatz für die gescheiterte soziale Revolution:

»Man denke nur an die zweite Hälfte des 19. Jahr­­hunderts, an die Unzufriedenheit der arbei­tenden Klassen, der Bauern und Kleinbürger, die infolge der Kapitalakkumulation des bürgerli­chen Staates verarmt waren und ihrem Unmut in einer Reihe von Revolten Ausdruck gaben – von 1848 bis hin zur Commune. Ihre ideologische Re­prä­sentation fand diese Unzufriedenheit je­doch le­diglich im mystischen Positivismus eines Comte oder Renan, allenfalls in den revolutionä­ren sozi­ologischen Theorien von Marx und den französi­schen Utopisten und Anarchisten. Der Kapitalis­mus gesteht dem Subjekt zwar An­spruch auf Re­volte zu, wobei er sich auf jeden Fall das Recht ihrer Unterdrückung vorbehält, doch die ideolo­gischen Systeme, die er ihm anbie­tet, beherr­schen, vereinigen, konsolidieren die Revolte und drängen sie in den Spielraum des Subjekts oder des Staates zurück. Sind die ob­jektiven Bedin­gun­gen dafür nicht erfüllt, daß sich dieser Span­nungszustand in einer Revoluti­on entlädt, so ist das Verwerfen auf die Symboli­sie­rung in Avant­garde-Texten angewiesen wie im ausgehen­den 19. Jahrhundert; die verdrängte Wahrheit des aufgesplitterten Subjekts wird dann in ihnen festgemacht.« (Kristeva 1978, S. 207)

Es klingt irgendwie allzu queer, wenn Butler be­haup­tet, es gehe Kristeva um die Formulie­rung eines emanzipatorischen Ideals oder »poli­ti­schen Pro­gramms«, demzufolge das Müt­ter­lich-Semi­o­ti­sche das väterliche Gesetz des Sym­boli­schen zu subvertieren und einen »ande­ren Kul­turty­pus« hervorzubringen hätte, was aber an inneren Wi­dersprüchen und Wirrnissen in Kris­te­vas Schrif­ten zum Scheitern verurteilt sei (But­ler 1991, S. 132, 136 u.ö.) Kristeva formuliert nir­gends ir­gendwelche ausgedachten Programme zur Eman­zipation von Frauen, Müt­tern, Kindern oder sonst jemanden; sie macht zwar aus ihrer Sym­pathie für die großen Praktiker und Theoretiker der Revolu­tionierung des kapitalisti­schen Aus­beu­tersystems, Marx, Lenin, Mao Tse-tung nie einen Hehl[5]; sie ist sich aber darüber im Klaren, dass sie mit ihrer Praxis als Psychoanalytikerin und Sprachwis­sen­schaftlerin einen eher küm­mer­lichen Beitrag zur Aufhellung der Bedingun­gen leisten kann, die »Lusterleben und Revolu­tion« ermöglichen (Kristeva 1978, S. 31)    

Der Vorwurf, den Butler gegen Kris­te­va erhebt, zielt nicht darauf, dass sie nicht den gleichen Hausgöttern wie Butler (Nietz­sche und Foucault) huldigt, sondern die Herren Hegel, Marx, Lenin, Mao und Freud verehrt; es geht vielmehr gegen Kristevas vermeintliche Homo­phobie oder ge­nau­er ihre Lesbophobie, die Butler in Kristevas Aufsatz Maternité selon Gio­vanni Bellini von 1975entdeckt haben will. But­ler behauptet, Kris­teva bezeichne dort – aller­dings »nicht explizit« − weibliche »Homo­sexu­alität als eine kulturell unintelligible Praxis und als zu­innerst psycho­tisch; andererseits ruft sie die Mut­terschaft als zwanghafte Abwehr ge­gen das libi­di­­nöse Chaos auf.« (Butler 1991, S. 132) Und noch einmal gegen die »nicht expli­zit« lesbo­pho­be Sprachwis­senschaftlerin: »Indem Kristeva das Lesbische als ›Anderes‹ der Kultur und die lesbi­sche Rede als psychoti­schen ›Wort-Taumel‹ kenn­­zeichnet, konstruiert sie die lesbi­sche Sexu­a­lität als wesen­haft un­intel­ligibel« (Ebd., S. 133) Ähnlich wie Kristeva nirgendwo ihre angeblichen Thesen von den not­wendig psychotischen Lesben vertritt, weder im- noch explizit, er­läu­tert auch Butler nie, in welcher Bedeutung sie eines ihrer Lieblings­begriffspaare einsetzt: intelli­gibel/un­intelligibel. Schaut man sich die Kontex­te an, in denen eines der beiden erscheint, dann kann es eigentlich nur im Sinne von gut/bö­se gemeint sein mit der Neben­bedeu­tung, dass das »Gesetz des Vaters« mehr noch als die praktische Moral die väterliche Regelung von vernünftigem Den­ken und Spre­chen be­stimmt. Lesben sollen für Kristeva, wenigstens in ihrem Aufsatz über die Semiotik der Inzest­fantasien in den Madonnen­bildern des venezia­ni­­schen Malers Bellini, zuin­nerst psycho­tisch und wesenhaft unintelligi­bel sein: »Kristeva zufolge führt die unmittel­bare Be­set­zung des weiblichen homosexuellen Be­geh­rens unmißver­ständlich zur Psychose.« (Ebd., S. 132) Butler belegt die explizite These von den psy­chotischen Lesben mit drei Zitaten aus Kris­te­vas Bellini-Aufsatz und scheitert dabei kom­plett.[6] Ihr Pro­blem ist, dass Kristeva an kei­ner Stelle in den von Butler herangezogenen Texte prakti­zier­te Er­wachsenenhomosexualität thema­tisiert. An den von Butler inkriminierten Stellen geht es allein um Vorgänge im Unbe­wuss­ten von Ge­bä­ren­den, die Wiederbelebung von Inzest­fan­ta­sien aus der eigenen frühen Kindheit während und unittelbar nach der Niederkunft − sowohl mit der eigenen Mutter als auch mit dem eigenen Va­­ter. Dabei sind die gleich­geschlecht­lichen In­zestfan­ta­sien dem Semi­otischen, der präödi­pa­len Ent­wick­lungs­stufe näher als die gegen­ge­schlecht­lichen mit dem Vater, die dem Syboli­schen, dem Sprach­­erwerb und der Ich-Identitäts­bildung na­he­stehen. In diesen Gedanken Kriste­vas hinein­zu­le­sen, das  damit »der Homosexua­li­tät« die Fähig­keit zu einem »nicht-psychotischen gesellschaft­lichen Ausdruck« abgesprochen werde, kommt mir irgendwie unintelligibel vor: statt einer Textinterpretation eine Fälschung.

Für Butler ist offensichtlich das größte Ärgernis, dass Kristeva eine schwer zu bestreitende Tatsa­che überhaupt thematisiert: alle Menschen wer­den von einer Mutter geboren, leben mit ihren Müt­tern anfangs in einer symbioseartigen Bezie­hung und bewahren das Gedächtnis der Erlebnis­se und Fantasien dieser Frühzeit in ihrem Unbe­wuss­­ten. Da Butler sich eine »vordiskursive« Na­­­tur­basis des menschlichen Lebens, die erwähn­­ten schwer zu bestreitenden Tatsachen, nicht vor­stel­len mag, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Materialis­tInnen, die dies dennoch tun, als Handlanger der Verdinglichung zu de­nun­zie­ren, die »die Institu­tion Mutterschaft als Zwangs­­system für die Frau­en« verschleiern und als unabänderlich recht­fer­tigen (Butler 1991, S. 140 f.) Eine Be­gründung für die Ansicht vom Systemzwang zur Mutter­schaft hält Butler für über­flüssig. In unseren fort­ge­schrit­tenen kapitalisti­schen Gesellschaften, die legalisierte Abtreibung und chemische Antikon­zeptiva für die Gebär­fähigen ohneweite­res ver­füg­bar halten, dürfte eine solche Begründung auch einigermaßen kompliziert ausfallen.

 

3. Lesbischer Materialismus & Totalitarismusverdacht

Das Geschlecht eines Menschen steht für Butler nicht von Anfang an fest, sondern wird von ei­nem Diskurs (der Erwachsenen?) über das Neu­ge­borene erzeugt. Der Diskurs markiert die Geschlechts­identitäten der Körper und verleiht ihnen zugleich die Eigenschaft des Menschli­chen: »Ein Kind wird in dem Augenblick zum menschlichen Wesen, wenn die Frage: ›Ist es ein Junge oder ein Mädchen?‹ beantwortet ist.« (But­­ler 1991, S. 165 f.) In Übereinstimmung mit den Ansichten der französischen Schriftstellerin Monique Wittig (1935-2003) will sie damit de Beauvoirs quasi rollentheoretische These der gesellschaft­lichen Produktion der Geschlechter­rollen über­bieten, denn gender ist viel mehr als Geschlech­terrolle. Gender ist ein Effekt der nietz­sche­ani­schen Macht, deren Wahrheit in ihrer all­umfas­senden Produktion von Diskursen und Ge­gendis­kursen besteht und eine vordiskur­sive Rea­li­tät ausschließt, jedenfalls aus den Köp­fen derer ausschließt, die an sie glauben: »Die Sprache gewinnt ihre Macht, das ›gesellschaft­lich Reale‹ zu schaffen, durch die lokutionären Akte [=Sprech­­akte, die Realität bezeichnen] der sprechenden Subjekte.« (Butler 1991, S. 171)

Butler macht aus ihrer warmen Sympathie für die lesbischen Kampfschriften von Monique Wittig keinen Hehl, übt aber heftigste Kritik an einigen besonders schrägen Doktrinen Wittigs zur Macht des Wortes. Einiges davon, das Wittig dem But­lerschen Totalitalrismusverdacht aus­setzt (Butler 1991, S. 175), sei hier kurz resü­miert[7]: Die kom­mu­nistischen Parteien und Be­we­gungen haben bisher verhindert, dass die Frau­­­en sich als eine Klasse an und für sich wahr­nehmen und organi­sieren. Wenn die Frauen dies jetzt endlich tun, dann können sie in einem revo­lu­­tionären Klas­sen­kampf gegen die Männer eine neue Ord­nung ohne die Spaltung der Gesell­schaft in herr­schen­de Männer und unterdrückte Frauen errich­ten. Revolution und neue Ordnung unterscheiden sich aber grundlegend von allen früheren von Män­nern gemachten, denn die Revolution der Femi­nis­tinnen und Lesben findet nicht auf der Straße, sondern in der Sprache statt. Wittigs Poesien, ihre Romane und Thea­ter­stücke, sollen dazu einen Bei­trag leisten; es sieht so aus, als ob hier eine (vielleicht nur als Nonsense-Satire gemeinte) Miss­interpretation von Kristevas Die Revolution der poetischen Spra­che ausprobiert wird. Butler lehnt zwar die in Wittigs Schriften propagierte politische Stra­tegie rundweg ab, weil sie sie für problematisch hält (zu einem »proble­matischen Hu­manismus« und einer »problema­ti­schen Me­ta­physik« zurück­führend, S. 184). An­dererseits freut sich But­­­ler über ihre offen­sicht­lich zutref­fende Ent­deckung, dass sich die selbst­ernannte Materialis­tin Wittig »als klassi­sche Ide­a­listin« er­weist (S. 185), deren politische Ziele an libera­listischer Harmlosigkeit dem Sub­versions-Ideal Butlers ebenbürtig ist: »Ihr [Wittigs] Ziel ist, die Idee des natürlichen Körpers als Kons­truk­tion zu ent­larven und ein Ensemble von dekonstrukti­ven/ rekonstruktiven Strategien zur Konfigura­ti­on der Körper anzubieten, die die Macht der He­tero­sexu­alität anfechten.« (Ebd.) Und eine solche Anfechtung ist auch Butlers erklärtes Ziel, das sie unter der Ru­brik »gegen Zwangsheterosexu­ali­tät« und »für Ver­vielfältigung der möglichen Geschlechts­iden­ti­tä­ten (many genders)« abhan­delt. In der guten al­ten Zeit der 1970er Jahre war, we­nigs­tens in der Westberliner Schwulenbewe­gung, die­ses mehr oder weniger amüsante Ver­vielfäl­tigungs-Spiel mit dem aus New York City impor­tierten Namen Genderfucking[8] zeitweise recht beliebt. Das war damals die schwulen­beweg­te Antwort der Den­ne­witzstraße auf die tra­ditionellen Tun­ten­bälle (Ball der Freunde) in »Walterchens Ball­haus« am Bülow­bogen und die noch tradi­tions­be­tonteren Trans­ves­ti­ten­revuen im »Chez nous« in der Marbur­ger Straße. Viele der damals Schwu­len­bewegten glaubten ähnlich wie Butler einige Jahrzehnte später, dass ihr transves­ti­ti­­sches Frei­zeit­vergnü­gen subversiv sei, einige behaupteten sogar, Gen­der­fucking sei ein funda­mentaler Angriff auf die »bürgerliche Sexual­mo­ral« (zur Kritik dieser Illusion vgl. Graf/Steglitz 1974)

 

4. Kapitalismus und Schizophrenie I.        Many Sexes

Butler wie auch der Wittig-Kommentator J.E. Bauer zitieren eine Stelle bei Wittig, in der es auf den ersten Blick so aussieht, als würde sie wie aus einem somnambulen Dämmerzustand heraus die ihr gewiss unbekannte Lehre von den sexu­ellen Zwischenstufen Magnus Hirschfelds aufrufen:

»For us there are, it seems, not one or two sexes but many (cf. Guattari/Deleuze), as many sexes as there are individuals.«[9] (Wittig 1979, S.119)

Butler weist diese Vorstellung vom einzigartigen Geschlecht jedes Individuums strikt zurück, weil sie »mit logischer Notwendigkeit« glaubt, diese »schrankenlose Vervielfältigung« führe »zur Ne­­gierung des Geschlechts als solchem«: »Das Geschlecht eines Individuums wäre eine radikal einzigartige Eigenschaft, die nicht mehr als sinn­volle, deskriptive Verallgemeinerung fungieren könnte« (Butler 1991, S. 176). Butler begründet nicht, warum sie diesen Funktions­verlust fürch­tet und welche sinnvollen Verallge­meinerungen ihr bei Wegfall des Geschlechts nicht mehr möglich sein würden.

Ich verdanke J.E.Bauer den Hinweis auf die Be­deutung des im obigen Zitat eingeklammerten »cf. Guattari/Deleuze«: Es handelt sich um eine Stelle aus dem Buch Capitalisme et schizophré­nie 1: L’Anti-Œdipe der beiden Autoren Gilles Deleuze und Félix Guattari (Paris 1972), sie fin­det sich in der deutschen Ausgabe im 3. Kapitel »Einführung in die Schizo-Analyse« auf der Sei­te 381 und hat nach meinem Verständnis einen völ­lig andern Sinn als den, den Wittig dort hinein­legt. Es geht darin um eine Charakterisie­rung des Unbewussten in einer Schicht, die ein wenig Kris­­tevas präödipalem Semiotischem ähnelt. Für De­leuze und seinem Partner gibt es dort aber nicht soviele Geschlechter wie Indivi­duen, son­dern auch nur, wie im wirklichen Le­ben Männer & Frauen. Sie sollen »anthropo­mor­phe Reprä­sen­ta­tionen« sein, die die unbewusste »Wunschpro­duktion« vervielfältigt, »hundert­tausend Mal«:

»[…] aus dem Unbewußten aufgestiegene Vor­stel­lung! […] überall eine mikroskopische Trans-Sexualität, die bewirkt, daß die Frau eben­so viele Männer umfaßt wie ein Mann, und der Mann ebenso viele Frauen, die alle in der Lage sind, miteinander in Verhältnisse der Wunsch­produk­tion einzutreten, die die statistische Ord­nung der Geschlechter umstürzt. Sich zu lieben heißt nicht, es nur einmal, oder selbst zweimal, sondern hun­derttausendmal zu treiben. So sind die Wunsch­ma­schinen, ist das unmenschliche Geschlecht also nicht ein, nicht zwei, sondern n… Ge­schlech­ter. Die Schizo-Analyse ist die wechsel­seitige Analyse dieser n… Geschlechter in einem Subjekt [!], jenseits der anthropo­mor­phen Reprä­sentation, die die Gesellschaft ihm aufzwingt […] Die schizo-analytische Formel der Wunschre­vo­lution wird zu allem Anfang sein: Jedem seine Geschlechter!« (Deleuze/Guattari 1974, S. 381)

Wittig versucht also vergeblich, sich in ihrer Visi­on (Bauer 2006, S. 28 spricht von »utopia«) − jedem Individuum sein eigenes Geschlecht −  bei Deleuze & Guattari, zwei Superstars der Lite­­­ratenszene der 1970er Jahre[10], rückzuversi­chern. Das ist auch eher bedeutungslos, denn in Wittigs literarischem Assoziationsstrom wird stellen­wei­se ein allgemeinmenschliches Eman­zi­pations­pro­gramm angedeutet, das Bauer (2006, S. 23) recht treffend charakterisiert als »libertar­ian thrust toward the concrete realization of uni­versal humanness«, wobei wir immerhin bei den Idealen von 1789 angekommen wären. Dieser »liber­ta­ri­an thrust« scheint mir ein sympathischer Unter­schied zu sein zwischen Wittigs Ansichten einer­seits und den doch immer verstohlen mit der Macht einer Nietzscheschen selbstbefreiten Her­ren­­rasse jenseits aller Sklavenmoral lieb­äugeln­den »postmodernen« Autoren Foucault, Deleuze, Guatteri u.v.a.m., und leider auch unserer Judith Butler.

Die zahllosen Männer und Frauen in jedem von uns haben sich Deleuze und Guatterie nicht selbst ausgedacht. Da beide Nietzsche ähnlich glühend verehren wie Butler dies tut, konnten sie bei ihm ihren schizo-analytischen Einfall vorgefertigt übernehmen. In der Ausgabe des Nazi-Philoso­phen Alfred Baeumler liest sich das so:

»Das Ich ist nicht die Stellung eines Wesens zu mehreren (Triebe, Gedanken usw.), sondern das ego ist eine Mehrheit von personenartigen Kräf­ten, von denen bald diese, bald jene im Vorder­grund steht als ego und nach den anderen wie ein Subjekt nach einer einflußreichen und bestim­men­den Außenwelt hinsieht.« (Nietzsche 1931, S. 137)

Baeumler datiert diese Stelle auf etwa 1873 und seither erfreute sich die Vorstellung ›Ich ist nicht ein anderer, sondern viele‹ besonders bei den Dichtern zunehmender Beliebtheit. Obwohl Marcel Proust nie Nietzsche rezipiert hat (wohl aber ähnlich reaktionären Anschauungen anhing wie Nietzsche), gibt es in seinem zwischen 1913 und 1927 erschie­nem Roman À la recherche du temps perdu. ebenfalls eine Vielfalt von Ichs in jedem Individuum. In Prousts Roman gibt es zwar auch nur zwei Ge­schlechter, und die vielen Schwulen und Lesben, die darin vorkommen, muss man sich vielleicht als zusammengesetzt aus einer Männer- und einer Frauenhälfte vor­stel­len: einmal nennt Proust sie »hommes-femmes« (Proust 1993, S. 7). Was er damit mei­nen könnte, wird nicht erklärt. Proust erklärt auch nicht, wie er sich das vorstellt: die zahllo­sen Ichs, aus denen wir bestehen. Er erwähnt diesen Gedanken aber zahllose Male in seinem siebenbändigen Roman, zum Beispiel dort, wo der Protagonist darüber sinniert, dass seine Geliebte, Albertine, ihn verlassen hat:

»Ach! Noch nie, seit Albertine fort war, hatte ich mich dorthin gesetzt. Daher konnte ich auch nicht sitzen bleiben und erhob mich; und so stell­te sich jeden Augenblick eines der zahllosen Ichs ein, aus denen wir bestehen und die sich be­scheiden zurückhalten, ein Ich, das noch nichts davon wuß­te, daß Albertine gegangen war, und dem ich es erst mitteilen mußte; ich war ge­zwun­gen – was grausam schien, als wenn sie Fremde gewesen wären, die nicht meine ei­ge­ne Leidensfähigkeit besaßen − , das widerfah­re­ne Unglück allen diesen Wesen, allen diesen Ichs zu berichten, denen es noch unbekannt war; jedes von ihnen mußte ein erstesmal die Worte vernehmen: […] ›Albertine ist fort‹.« (Proust 2001, S. 24 f.)

Wir alle sind demnach für Nietzsche, Proust, Deleuze und Guattari irgendwie multiple Persön­lichkeiten, bei denen zwischen Nietzsche und den  Spä­te­ren strittig ist, ob es sich dabei um Frauen und Männer handelt oder um bloße Monosexualität.

Niklas Luhmann behauptet wohl zurecht, die Idee des aus einer Mehrheit von Ichs oder Selbsts zu­sammengesetzten Individuums sei »gegen Ende des 19. Jahrhunderts« aufgekom­men: »Alle copie­­­ren, alle richten sich nach der Mode. Und es ge­hört schon verzweifelter Mut dazu, für den Künstler eine Ausnahme zu rekla­mieren. Mit einem Fuß steht auch er auf den vari­ablen, kon­tin­genten, modischen Grundlagen der Moderni­tät; nur mit dem anderen berührt er das Absolute. Hierin deutet sich schon an, was wenig später ›wissenschaftliches‹ (psychiatri­sches, sozialpsy­chologisches, soziologisches) Normalrezept wer­den wird: sich in mehrere Selbsts, mehrere Iden­ti­­täten, mehrere Persön­lich­­kei­ten zu zerlegen, um der Mehrheit sozialer Umwelten und den Unter­schiedlichkeiten der Anforderun­gen gerecht wer­den zu können. Das In-dividuum wird durch Teil­barkeit definiert.« (Luhmann 1981, S. 220 & 223)

 

5. »Wissenschaftliche Mythen« bei Freud und Hirschfeld

Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud erzählen je einen, von Freud so genannten »wissenschaft­lichen Mythus« (Freud 1967, S. 74) über den »so­­­zialen Urzustand des Menschen«, um ihre je­weiligen Konzepte der geschlechtlichen Vielfalt (Hirschfeld) resp. des Ursprungs von Religionen, Künsten und Moralen (Freud) zu verdeutlichen. Bei aller Verschiedenheit beider Erzählungen tei­len sie doch mindestens zwei Vorlieben: Beide se­hen eine ursprüngliche Bisexualität des Men­schen und beide beziehen sich auf Ideen Dar­wins, die sie für ihre Zwecke uminterpretieren.

(a) Freud: In seiner Studie Totem und Tabu von 1913,  in der er Ergebnisse ethnologischer For­schungen mit der damaligen Einsicht der Psycho­analyse parallelisiert, dass der Ödipus-Komplex »den Kern aller Neurosen bildet« (Freud 2000, S. 212), erzählt Freud von der »Darwinschen Ur­horde« (ebd., S. 179), die er sich als heterosexu­ell-patriarchalischen Verband denkt, den ein »ge­waltätige[r] Urvater« (ebd. S. 196) beherrscht. Dieser Urvater hat für sich das Monopol des Ge­schlechtsverkehrs mit allen Frauen der Urhorde durchgesetzt und damit die jüngeren Männer zur heterosexuellen Enthaltsamkeit und zu »homo­sexuellen Gefühlen und Betätigungen« (ebd. S. 198) miteinander gezwungen. Dieser Zu­stand ist für die jungen Heterosexuellen unhaltbar: »Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zu­sammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende. Vereint wagten sie und brachten zustande, was dem ein­zelnen unmöglich gewesen wäre.« (Ebd. S. 196) Im vorliegenden Zusammenhang ist vor allem in­teres­sant, dass die Annahme einer ursprüng­li­chen Bi­sexualität hier nur als Not-Homosexualität der Brü­der vorkommt und dass es für Freud nur um die Naturalisierung und Verewigung des­sen ging, was man mit Judith Butler »Zwangs­hetero­sexualität« nennen könnte.

Im ersten Kapitel von Totem und Tabu sieht es so aus, als würde Freud seinen wissenschaftlichen Mythus von der Ermordung des Vater-Despoten durch die not-homosexuelle Brüderhorde gleich­sam nach hinten in eine noch fernere Vergangen­heit erweitern, indem er die von einigen totemis­tisch organisierten Völkern praktizierte »Grup­penehe« erwähnt, »deren Wesen darin besteht, daß eine gewisse Anzahl von Männern eheliche Rechte über eine gewisse Anzahl von Frauen aus­übt.« (Freud 2000, S. 53) Überhaupt setzen die von Freud gewählten Beispiele mythischer Hete­ro­sexualität eine Stufe der Naturerkenntnis oder Produktivkraftentwicklung voraus, auf der die Kau­salität von Zeugung und Geburt bereits be­kannt ist. Freud erwähnt zwar kurz das Bei­spiel des australischen Arunta-Volkes (»Men­schen, die noch nicht erkannt hatten, daß die Empfängnis die Folge des Geschlechtsverkehrs sei«, Freud 2000, S. 167), stellt aber keine Über­legungen darüber an, wie sich dieses Nicht-Wissen auf die Se­xualitäts- und Herrschaftsverhältnisse bei den Arunta auswirkt. Ihn interessiert al­lein die Frage nach der Onto- und Phyloge­nese hetero­sexueller Männer und Frauen. Der orthodox freudianische Psycho­analytiker Reimut Reiche weist dann auch zutreffend in seiner Butler-Kritik mit einiger Selbst­ironie darauf hin, dass die Psychoanalyse bisher auf folgende Ent­hüllung spezialisiert gewe­sen sei: »Die verschie­denen psychoanalyti­schen Abfall­bewegungen und die Utopisten [sei­en] mit den Perversen darin vereint […], dass sie in ihrer unbewussten Dyna­mik den Ge­schlechts­unter­schied leugnen« (Reiche 2004, S. 134). Und er fügt hinzu: »Der radikale  geschlechts­kons­truk­ti­vis­tische Diskurs unterläuft die­se Enthül­lung, indem er den Ge­schlechts­unterschied bewusst verneint und gerade diese Verneinung zu seinem eigenen Differenz­sche­ma erklärt, mit dem er sich von den anderen Wissen­schaften unter­scheidet. Als tendenziell unnormal, nämlich als chauvinis­tisch, altmodisch oder pseu­doreligiös erscheint dann, wer immer noch an die Körper­gebunden­heit von Geschlechts­unterschieden glaubt.« (Ebd.)  

(b) Hirschfeld: In seiner kleinen, fast zwei Jahr­zehnte vor Totem und Tabu erschienenen Schrift Sappho und Sokrates erzählt Magnus Hirschfeld zur Einleitung in seine Lehre von den sexuellen Zwischenstufen ebenfalls einen »wissenschaftli­chen Mythus« aus den Anfängen der Mensch­heits­geschichte:

»Wenn wir davon ausgehen, woran ein Zweifel naturwissenschaftlich nicht möglich ist, daß die An­lage jedes Individuums eine zwitterhafte ist und der seelische Drang ursprünglich beide Geschlechter in gleicher Stärke umfaßte, so ist es wohl wahrscheinlich, daß die Absicht sich fortzu­pflanzen, sich der Kinder zu erfreuen, die Men­schen bewogen hat, die Liebe zum andern Ge­schlecht zu bethätigen, entsprechend der durch göttliche Autorität verstärkten Suggestion: ›seid fruchtbar und mehret Euch‹. Nach dem Darwin’ schen Grundsatz von dem Siege des Zweckmäßi­gen – survival of the fittest −  erstarkte die fleißig geübte Anlage – Uebung macht den Meister – und befestigte sich immer tiefer durch tausend­jäh­rige Vererbung, während der mit gutem Recht vernachlässigte Trieb zum eigenen Geschlecht verkümmerte« (Hirschfeld 1896, S. 15)

Hirschfeld stellt sich hier offensichtlich vor, wie in einer Epoche der Menschheitsgeschichte, die noch lange vor der von Freud imaginierten vater­mordenden Brüderhorde liegt, die Menschen pari­tätisch homo- und heterosexuelle Prak­ti­ken pflogen und nach der Erkenntnis, dass Hetero­sexuelles die Produktion von Nachkom­men er­möglicht, diesem den Vorzug gaben und den Trieb zum eigenen Geschlecht wegen fehlen­der Übung verkümmern ließen. Diese »Genealogie« des Primats der Heterosexualität trägt zwar recht skurrile Züge, immerhin aber versucht Hirschfeld hier, ein Phänomen entwicklungsgeschichtlich zu erklären, das seine Zeitgenossen normalerweise als individuelle Krankheit oder persönliches Las­ter klassifizierten. Zudem nimmt Hirschfeld die naturwissenschaftlich nicht zu bezweifelnde zwit­terhafte Anlage jedes Individuums zum Aus­gangspunkt für ein folgenreiches Nachdenken über Männer und Frauen: zur ersten Formulie­rung seiner Lehre von den sexuellen Zwischen­stu­fen, die nicht nur Butlers hundert Jahre spätere linguistisch-idealisti­sche Vorstellung von diskur­siven gender identities vorwegnimmt, sondern auch jene Sichtweise auf Mann und Frau begrün­det, die in Monique Wittigs Vision der unendlich vielen Ge­schlechter angedeutet wird. Ausgehend von der Feststellung: »in der Ur-Anlage sind alle Menschen körperlich und seelisch Zwitter« (Hirsch­feld 1896, S. 9 f.), gelangt Hirschfeld bald darauf zu folgen­der die Erwachsenen betreffende Einsicht:

»So sehen wir, dass die Behauptung, sämtliche Geschlechtsunterschiede seien nur Gradunter­schiede, ›bis aufs Haar‹ stimmt […], alles, was das Weib besitzt, hat, wenn auch in noch so klei­nen Resten der Mann ebenfalls und ebenso sind bei jedem Weibe Spuren aller männlicher Eigen­tümlichkeiten nachzuweisen.« (Hirschfeld 1899, S. 15)

Die radikalste Formulierung dieser Sicht auf Mann und Frau gelingt ihm erst 1905, als er schreibt: »Sehr streng wissenschaftlich genom­men dürfte man in diesem Sinne gar nicht von Mann und Weib sprechen, sondern nur von Men­schen, die größtenteils männlich oder größtenteils weiblich sind.« (Hirschfeld 1905, S.4)

In diesem Sinne kann man sagen, Hirschfeld er­öffnet die Möglichkeit einer Perspektive, die ein neuartiges individualistisches Bild des Menschen und seiner Geschlechtlichkeit zeigt: »Der Mensch ist nicht Mann oder Weib, sondern Mann und Weib. Nur ist das Mischungsverhältnis der aus müt­terlicher und väterlicher Ahnenreihe ererbten Eigenschaften ein so unendlich mannigfaltiges, daß kein Einzelwesen mit einem anderen über­ein­stimmt, weder im ganzen noch im kleinsten seiner Teile. Nichts Gleiches gibt es unter der Sonne, nur Ähnliches.« (Hirschfeld 1926, S. 5)

Diese extrem individualistische Sicht steht für Hirschfeld jedoch nicht in Widerspruch zu einer Typenklassifika­tion, die die »Sexualtypen Mann und Weib« annimmt und von der biologischen Tat­sache der Mutterschaft und Vaterschaft ausgeht:

»Nichts wäre nun allerdings verfehlter […], als wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, daß es eigentliche Geschlechtsunterschiede über­haupt nicht gäbe, die beiden Geschlechter seien nicht nur gleichwertig und gleichberechtigt, son­dern auch körperseelisch von gleicher Beschaf­fen­heit. Daß die Natur eine Teilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern vorgesehen hat, geht schon aus der Trennung der Geschlechter her­vor.« (Ebd., S. 490)  Das hört sich fast so an wie die Butlerschen Bedenken gegen Wittigs Vision (as many sexes as there are individuals). Anders als Butler, die bei einer unendlichen Vermehrung der Geschlechter befürchtet, diese Kategorie wür­de entleert und ihre Unterscheidungskraft verlie­ren, verweist Hirschfeld auf die nur schwer zu be­­strei­tende Tatsache der Vaterschaft und Mut­ter­schaft, ohne die es kein menschliches Leben gibt. Würde man diese »Arbeitsteilung« zwi­schen Mann und Frau bei der Nachwuchs­pro­duk­tion leugnen und die beiden Geschlechter in many sexes »auflösen«, jeden Menschen zu einer einzigartigen sexuellen Zwischenstufe erklären, die weder Mann noch Frau ist, sondern ein un­wie­­derholbarer Zwitter, dann hätte man die Frau­enfrage, die Tatsache der seit »vielen Jahr­tau­sen­den« bestehenden Unterdrückung der Frau durch den Mann gleich mitaufgelöst und hin­weg­theo­re­tisiert. Für Hirschfeld wäre nichts ver­fehlter als eine solche Sichtweise, denn er be­grüßt und un­terstützt aktiv den Kampf der Frau­en­bewegun­gen (und den der homosexuellen Männer und Frauen ohnehin): »[…] erst seit einigen Jahr­zehn­ten, die im Vergleich zu den vielen Jahrtau­senden eine viel zu kurze Spanne Zeit sind, um zu ab­schlie­ßenden Urteilen zu ge­lan­gen, beginnt das Weib sich seine natürlichen Freiheiten und Rechte zurückzugewinnen.« (Ebd.)

J.E. Bauer, der in seiner Interpretation der Zwi­schenstufenlehre den eben erwähnten Aspekt übergeht, stützt sich hauptsächlich auf eine For­mulierung Hirschfelds, wo dieser, ausgehend von der Kernthese, der Mensch ist nicht Mann oder Weib, sondern Mann und Weib, sagt, dass diese Grund­typen Mann und Weib »im Grunde nur Fik­­tionen sind« (Hirschfeld 1923, S. 24, vgl. Bauer 2007, S. 112). Bauer folgert aus der im Zitat behaup­te­ten Fikti­o­nalität der Ge­schlechter, dass all diese Fiktionen im Zuge eines Befreiungsmessianismus »letztlich aufge­löst werden müssen« (ebd.) und vermutet bei denen, die die »dekonstruktiven Folgen von Hirschfelds Lehre« nicht nachvoll­ziehen wollen, sie hofften, Konstrukte wie »der Schwule« vor »der Auflösung durch Hirschfelds kritischen Ansatz zu retten« (ebd., S. 109)

Man kann Bauers Auflösungsforderung ohnewei­teres zustimmen, wenn man mit ihm einen Au­gen­blick über den Zustand einer befreiten Zu­kunftsgesell­schaft spekulieren will, in der es kei­ne Herrschaft des Menschen über den Menschen mehr gibt. Dort werden vermutlich alle Klassi­fi­kationen, die gegenwärtig Ausbeutungs- und Herr­schaftsver­hält­nisse stützen oder gar begrün­den (Geschlecht, Sexualorientierung, Hautfarbe, Privateigentum, Sprache, Wohnort u.dergl.) außer kraft gesetzt oder »aufgelöst« sein. Wenn aber heutzutage im imperialistischen Ausbeu­tungs- und Unterdrückungssystem des Kapitalis­mus Intellektuelle wie Butler und Bauer mit sprachidealistischem Instrumentarium an der Demontage von Kategorien der Geschlechts­kun­de arbeiten und ihre Arbeit für politisch oder gar subversiv halten, dann können wir Materi­a­lis­tIn­nen[11] dem nicht folgen. Zudem halten wir auch diese »dekonstruktiven« Bemühungen für bloße ideologische Reflexe einer gesellschaftlichen Ent­wicklung, die ohnehin vor unseren Augen abläuft und die, wie im letzten Abschnitt ange­deutet werden soll, mit der »transitorischen Not­wendigkeit« der kapitalistischen Produk­tions­weise zusammenhängt (vgl. dazu Graf/Steglitz 1974). Es ist leider noch viel schlimmer: die Entlarvung der Geschlechterkategorien als »Fik­tion« ist vorallem eine Reverenz an Nietzsche, in dessen Schriften die »Fiction« der zentrale Vor­wurf seiner Vernunft-, Religions- und Moralkri­tik ist. Der nationalsozialistische Nietzsche-Herausgeber R.Oehler hat die Stellen aufgelistet, in denen Nietzsche nicht nur Gott, sondern auch den Rest der Welt zur Fiktion erklärt. Das Subjekt, die Gattung, der Zweck (Der Wille zur Macht), der Mensch (Morgenröthe), das logische Denken (Die Unschuld des Werdens) und natür­lich das Christentum (Götzendämmerung) – alles nur Fiktionen (Oehler 1943, S. 113). Hirschfeld erläu­tert seinen Gebrauch der »Fiktion« an der zitierten Stelle nicht, und soweit ich sehe, ver­wendet er den Begriff nur dort im Aufsatz über die »intersexuelle Konstitution«. Bedenkt man die zeittypische Faszination, die Nietzsches Schriften auch auf Hirschfeld ausgeübt haben und deren Spuren in Hirschfelds Gesamtwerk zu finden sind, dann haben wir es hier, in der »inter­sexuellen Konstitution«, wo Mann und Weib als Fiktionen erscheinen, mit einem spielerischen Umgang mit nietzschescher idealistischer Aus­drucksweise zu tun.[12]

Und noch ein Beispiel für Hirschfelds Nietzsche-Rezeption:

Wenn er sich im Band 1 seiner Ge­schlechtskunde zum Ur­­sprung der Frauenunter­drückung äußert, bietet er ein weiteres Stück seines wis­sen­schaftli­chen Mythus. Er greift dann nicht, was bei seiner SPD-Mitglied­schaft und persönlichen Freund­schaft mit August Bebel zu erwarten gewe­sen wäre, auf die Darstel­lung in Bebels Die Frau und der Sozialismus zu­rück, sondern übt sich in Genealogie à la Nietz­sche: Der Mensch war »von jeher zu herrsch­süch­tig« um gleiche Recht und Freiheiten für Frauen und Männer zu verwirkli­chen; »der Wille zur Macht, zur Über­le­genheit war in ihm zu stark, und so hat der Mann im Kampf der Geschlechter das Weib nicht nur erobert, sondern unterjocht, nicht nur erworben, sondern unter­drückt« (Hirschfeld 1926, S. 490). Eine gewisse Distanz zu Nietz­sches Anschauun­gen kommt immerhin zum Aus­druck, wenn Hirschfeld einen von dessen Lieb­lings­ausdrü­cken: »Wille zur Macht«, der die Zukunftsmoral seiner über­menschlichen Herren­rasse bezeichnen soll, kri­tisch übersetzt als Herrschsucht. Der herrsch­süch­tige Mensch, der sein Weib seit Jahr­tausen­den unterjocht, wird neuerdings von die­sem bedrängt, weil es seine natürlichen Freihei­ten und Rechte zurückgewin­nen will. Die von wenigen Vorbehalten gehemm­te Sympathie Hirschfelds für Nietzsche (und nicht für Bebel oder gar den Marxismus) lässt sich nahezu in seinem gesamten Werk nachwei­sen und war damals keineswegs ein Widerspruch zu seinem Engagement auf dem rechten Flügel der Sozial­demokratischen Partei. Eine gewisse ide­ologische Ähnlichkeit zu dem Nietzsche­vereh­rer und irgend­wie linken Gaullisten Michel Fou­cault, Butlers großem Lehrmeister, fällt hier auf: Wenn man das Adjektiv »postmodern« einen Augen­blick beiseite lässt, kann man die beiden, Hirsch­feld und Foucault, mit Jan Rehmann einem »Links-Nietzscheanismus« zuordnen (Rehmann 2004); sie haben auf der Suche nach einer Alter­native zum Historischen Materialismus Nietz­sche, den einflussreichsten bürgerlichen Denker des 20. Jahr­hunderts, entdeckt. Der Nietzsche-Kult der beiden schwulen Anti-Mate­rialisten unter­scheidet sich aber in vielen Punk­ten, so in die­sem: in Hirschfelds privatem Pan­theon steht − anders als bei Foucault − nicht Nietzsche, son­dern Goethe auf Platz Nummer Eins. Goethes Sentenz: »Das eigentliche Studium der Mensch­heit ist der Mensch« wird in Hirschfelds Schriften häufig zitiert. 

 

6. Individualität. Individuelles Geschlecht. Vereinzelte Einzelne. Warenbesitzer

Die von Marx unternommene Analyse des kapi­talistischen Gesellschaftssystems kommt unter anderm zu dem Ergebnis, dass dieses System der völlig neuartigen Entwicklung gesellschaftlichen Reichtums (und des Wohlstands der herrschen­den Klasse) in mehrfacher Hinsicht die Voraus­setzung für die Entstehung einer höheren Gesell­schaftsform ist. Das Kapitalverhältnis ist quasi Motor des materiellen und zivilisatorischen Fortschritts:

»Nur soweit der Kapitalist personifiziertes Kapi­tal ist, hat er einen historischen Wert und jenes historische Existenzrecht, das, wie der geistreiche  Lichnowski sagt, keinen Datum nicht hat[13]. Nur soweit steckt seine eigene transitorische Not­wen­digkeit in der transitorischen Notwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Aber soweit ist auch nicht Gebrauchswert und Genuß, sondern Tauschwert und dessen Vermehrung sein treiben­des Motiv. Als Fanatiker der Verwertung des Werts zwingt er rücksichtslos die Menschheit zur Produktion um der Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen Produk­tivkräfte und zur Schöpfung von materiellen Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer höheren Gesellschaftsform bilden können, deren Grundprinzip die volle und freie Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Personifikation des Kapitals ist der Kapitalist respektabel.« (Marx 1968a, S. 618)

Marx argumentiert sozusagen zweigeleisig: logisch-historisch. Aus der Logik des Tausch­ver­hältnisses zweier Waren­besitzer wird die Ent­ste­hung des Geldes entwi­ckelt und aus der Ent­ste­hungsgeschichte des dop­pelt freien Lohn­arbei­ters[14] das Kapital­verhält­nis, die Verwand­lung ei­nes Geldbetrags in Kapi­tal mittels Kauf der Ware Arbeitskraft und ihrer profi­ta­blen Ausbeutung. War die  »sogenann­te ursprüngliche Akku­mu­la­tion«, also die Tren­nung der Arbeiten­den von den Arbeitsmitteln und die Aneignung dieser Arbeits­mit­tel durch die herr­schende Klasse, ein durchaus gewalttätiger, terro­ristischer Vor­­gang, so funktio­niert späterhin der Arbeits­markt und die Produk­ti­onssphäre unter dem fal­schen Schein der Frei­wil­ligkeit und Gewalt­frei­heit − ein ideologischer Effekt des von frei­en und gleichberechtigten Ver­tragspartnern aus­gehandel­ten Arbeitsvertrags. Mit der Verall­ge­meinerung der Lohnarbeit und der Entwick­lung von Maschi­ne­rie und Großin­dus­trie entfaltet dieser ideologi­sche Effekt eine Wirkung, die für die Totalität der bürgerlichen Gesellschaft von der Produk­ti­ons­sphäre bis zum Staatsapparat grundlegend ist: die Produktion des bürgerlichen Individuums. Je­des dieser Individu­en kann sich als freier Bür­ger fühlen, dessen Frei­heit sich auf dem Eigen­tum an Mitteln zur Pro­duk­tion des eigenen Lebens grün­det: die Werktä­tigen sind Eigentümer ihrer Arbeits­kraft, die sie zeitweise verkaufen, um zu le­ben; die kapitalisti­schen Pro­duktions­mit­tel­besit­zer verkaufen auch nur die mittels gekauf­ter Arbeitskraft in ihren Un­­ter­neh­men produzier­ten Waren. Sie alle er­schei­nen als vereinzelte Ein­zelne, die untereinan­der allein über ihre Bezie­hung zu den Waren und zur allge­meinen Ware, zu Geld, verbunden sind:

»Es ist im Geld zuerst, und zwar in der abstrak­tes­ten, daher sinnlosesten, unbegreiflichsten Form – eine Form, in der alle Vermittlung auf­ge­hoben ist − , worin die Verwandlung der wech­selseitigen ge­sell­schaftlichen Beziehungen in ein festes, über­wäl­tigendes, die Individuen subsu­mie­rendes gesell­­schaftliches Verhältnis erscheint. Und zwar ist die Erscheinung um so härter, als sie hervor­wächst aus der Voraussetzung der frei­en, willkür­lichen, nur durch die wechsel­seitigen Bedürfnisse in der Produktion sich aufeinander beziehenden, atomistischen Privatpersonen.« (Marx 1953, S. 928)  

Die atomistischen Privatpersonen, die auf dem Markt gegeneinander konkurrieren, um ihre Wa­ren zu verkaufen und zu kaufen, entwickeln sich unter der Bedingung wachsender Produktiv­kräfte und wachsenden gesellschaftlichen Reich­tums widersprüchlich: einerseits bedingt Produktiv­kraft­entwicklung »keineswegs Entsagen vom Ge­nuß, sondern Entwickeln von power, von Fähig­kei­ten zur Produktion und daher sowohl der Fähigkeiten, wie der Mittel des Genusses« (Marx 1953, S. 599), aber zugleich unterliegt die Wahr­nehmung, die die Individuen von den gesell­schaft­lichen Verhältnissen haben, einer besonde­ren Verzerrung, die ihnen die Überzeugung nahe­legt, dass nicht sie selbst ihre Geschichte machen, sondern vielmehr von den Dingen beherrscht wer­den, die unter ihren Händen Warenform ange­nommen haben; dass sie von ihren eigenen Pro­duk­ten durch die Gesetzmäßigkeiten der Wirt­schaft soweit entfremdet sind, als sei es zu einer »Verkehrung von Subjekt und Objekt« (Marx 1968b, S. 55) oder als würde ein »Kapitalfetisch« (ebd., S. 405) sie beherrschen.[15] Diese ideologische Mystifizierung der Klassenherrschaft begegnet uns wieder in der von den postmodernen Nietz­scheanerInnen wie Butler & Co. beschworenen »Macht«, der man sich durch Widerstand und Emanzipationskampf nur immer unentrinnbarer ausliefert (Foucault) oder die man durch läppi­sche Geschlechtertauschkomödien »subver­siv« dezentrieren kann ( Butler). Diese für das Bewusstsein der vereinzelten Einzelnen (Wa­ren- und Geldbesitzer) im Kapitalismus charak­te­ristische »Religion des Alltagslebens« (ebd., S. 838) funktioniert offensichtlich ähnlich wie eine traditionelle Religion: »Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eigenen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eigenen Hand beherrscht.« (Marx 1968a, S. 649)

Das fortschreitend vereinzelte, aber auch diffe­ren­zierte und bedürfnisreiche Individuum im Kapita­lismus wird sich selbst in seiner Entfrem­dung, Ver­einzelung und Innendifferenzierung zum Ge­genstand der Reflexion. Zunächst von den Dich­terInnen und bald darauf und parallel dazu von der Psy­chologie. (Bertolt Brecht kann man beispielswei­se als einen poetischen Fortsetzer der Marxschen Kons­truktionen des Zusammenhangs von Sein und Be­wusstsein der Produzenten verstehen.)

Ich möchte behaupten, Hirschfelds Idee, je­des menschliche Individuum sei ein einzig­arti­ges und un­wiederholbares Ensembel männlicher und weiblicher Eigenschaften und man könne daher »sehr streng wissenschaftlich genommen« nicht sagen, ein Mensch sei entweder Mann oder Weib, vielmehr sei jedes Individuum stets Mann und Weib −, diese Bild des sexuierten Unikums ist imgrunde eine Anwendung der Vorstellung vom vereinzelten Einzelnen, welche das kapitalisti­sche waren­­pro­du­zierende Gesellschaftssystem in den Köp­fen der Individuen erzeugt, jedenfalls begün­s­tigt. Betrachtet man wie Hirschfeld die atomistische Privatperson, die mit den anderen freien und gleichen, aber unverwechselbar ein­ma­li­gen Warenbesitzern am Markt konkurriert, unter dem Gesichtspunkt ihrer Geschlechtlich­keit, dann hat dies zur Voraussetzung, dass diese Vorstellung vom konkurrierenden Marktteilneh­mer – vom »Einzigen« und seinem Eigentum − bereits einen festen Platz in der normalen Reli­gion des Alltags­lebens einge­nom­men hat. In der imperialistischen Militärdespotie Preußen-Deutschlands, in der das Kapitalverhältnis so gut wie alle Bereiche der Gesellschaft prägte, war dies zweifellos der Fall. Begünstigt wurde so auch die Idee der Emanzipation einzelner Bevöl­ke­rungsgruppen, die aufgrund vorkapitalistischer Moralvorstellungen in ihrer individuellen Per­sön­lichkeitsentfaltung behindert wurden – behindert in der Teilnahme am Konkurrenzkampf um den Verkauf ihrer Arbeitskraft oder wie die Mittel­klassen und Großunternehmer um die Realisie­rung der Marktpreise für ihre Waren. Hirschfeld selbst sieht seine theoretischen und politischen Bemühungen um sexuelle Emanzipation speziell der schwulen Männer in einem zeitgeschichtli­chen Kontext mit einigen anderen, damals in den kleinbürgerlichen Mittelschichten aufkommen­den Emanzipationsbewegungen und nennt namentlich (Hirschfeld 1926, S. 377):

− die Jugendbewegung (Wandervogel)

− die Bewegung gegen die Ächtung der Geschlechtskranken (Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten)

− die Bewegung für Gleichstellung unehelicher Mütter und Kinder mit denen in bürgerlichen Familien (Bund für Mutterschutz)

− die Bewegung gegen die Diskriminierung der weiblichen Prostituierten (Internationale abolitionistische Föderation)

− die Frauenbewegung (1896 in Berlin der erste »Internationale Frauenkongreß für Frauenwerke und Frauenbestrebungen«)

All diese mittelständischen Sozialreformbewe­gun­gen kann man als Ausdruck fortschreitender Ver­festigung einer Ideologie deuten, die die Ent­faltung (»Selbstverwirklichung«) des Indivi­du­ums verlangt; es wäre der ideologische Reflex jener doppelt bestimmten illusorische Bewusst­seinsform (einerseits frei und gleich zu sein, andrerseits von den selbst produzierten Dingen beherrscht zu sein), zu der die kapitalistische Produktionsweise die Individuen disponiert.

Was nun Hirschfelds Variante dieser Bewusst­seins­form – jeder Mensch ist auch in seiner Geschlechtlichkeit von Natur aus einzigartig – betrifft, so fällt auf, dass sie bis heute nicht im Alltagsbewusstsein präsent ist wie die andern Vorstellungsinhalte zum vereinzelten Einzelnen. Von Anfang an gab es statt einer Rezeption einen polemischen Abwehrkampf, an dem sich neben Sigmund Freud nur wenige heute vergessene Au­toren beteiligten. Und auch diese Abwehr richtete sich nicht gegen die Lehre von den sexuellen Zwi­schenstufen, sondern gegen einen Popanz, das Dritte Geschlecht, eine damals popu­läre Be­zeichnung Homosexueller.[16] Hirschfeld zitiert zur Illus­tration dieser, die Auseinander­set­zung ver­weigernden Polemik aus einer zeitgenös­si­schen Tageszeitung den schönen Satz: »Es gibt nur zwei Geschlechter; das dritte Geschlecht ist die Erfindung verpesteter Gehirne und perverser Herzen.« (Hirschfeld 1905, S. 5) Dann referiert er einmal mehr vergeblich seine Zwischen­stufen­lehre und muss es geschehen lassen, dass diesel­be erst sechszig Jahre nach seinem Tod, in den 1990er Jahren eine zweifelhafte und eher klan­des­tine »postmoderne« Renaissance erlebt – eher nicht bei J. Butler & M. Foucault, deutlicher schon bei M. Wittig & J. E. Bauer.

Vermutlich ist das entscheidende Hemmnis, das der Verabschiedung von der Vorstellung »Mann oder Frau« ent­gegensteht, die Evidenz der alltäg­lichen Begeg­nung, die uns unwillkürlich das ein­deutige Ur­teil aufdrängt: Dies ist ein Mann, diese aber eine Frau, und das Freud sehr eindringlich in sei­ner Vorlesung über die Weiblichkeit be­schreibt: »Männlich oder weiblich ist die erste Unterschei­dung, die Sie machen, wenn Sie mit einem ande­ren menschlichen Wesen zusammen­treffen, und Sie sind gewöhnt, diese Unterschei­dung mit unbedenklicher Sicherheit zu machen.« (Freud 1978, S. 92)

Diese unbedenkliche Sicherheit, die uns ja auch den Eindruck vermittelt, dass die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht, anstatt dass, wie die Wissenschaft behauptet, die Erde sich um die Sonne und um sich selbst dreht, wird dadurch bekräftigt, dass wir, anders als bei der Planeten­be­we­gung, unsere Sexualobjekte nach der unbe­denk­li­chen Unterscheidung Mann oder Frau aus­wählen. Freud warnt hier, wo es, 1932, so scheint, als ob er die Lehre von den sexuellen Zwi­schen­­stufen nacherzählt, vor der Verwirrung der Gefühle:

»Und dann sagt Ihnen die Wissenschaft etwas, was Ihren Erwartungen zuwiderläuft und wahr­scheinlich geeignet ist, Ihre Gefühle zu verwir­ren. Sie macht Sie darauf aufmerksam, daß Teile des männlichen Geschlechtsapparats sich auch am Körper des Weibes finden, wenngleich in ver­kümmertem Zustand, und das gleiche im anderen Falle. Sie sieht in diesem Vorkommen das Anzei­chen einer Zwiegeschlechtlichkeit, Bisexualität, als ob das Individuum nicht Mann oder Weib wä­re, sondern jedesmal beides, nur von dem einen so viel mehr als vom andern. Sie werden dann aufgefordert, sich mit der Idee vertraut zu ma­chen, daß das Verhältnis, nach dem sich Männ­liches und Weibliches im Einzelwesen vermengt, ganz erheblichen Schwankungen unterliegt.« (Freud 1978, S. 93)

Die Auflösung des Geschlechterdualismus in der Religion des Alltagslebens wird uns, wenn überhaupt, die Zukunft bringen, ähnlich den anderen Fetischen, die zur Aufrechterhaltung der Normalität in der gegenwärtigen Gesellschaft unentbehrlich scheinen.

 

Literatur

Bauer, J. Edgar (2006): Mêmeté and the Critique of Sexual Difference: On Monique Wittig's Deconstruction of the Sym­­bolic Order and the Site of the Neuter, in: Proceedings of the Conference on New Social Movements and Sexual­ity. Sofia University, Sofia, Bulgaria, 8-9 October 2004.  Washington D.C., S. 22 ff.

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Hirschfeld, Magnus (1899): Die objektive Diagnose der Homosexualität, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Band 1, S. 4 ff.

Hirschfeld, Magnus (1905): Geschlechtsübergänge. Mi­schungen männlicher und weiblicher Geschlechtscharaktere (sexuelle Zwischenstufen). Erweiterte Ausgabe eines auf der 76. Naturforscherversammlung zu Breslau gehaltenen Vortrages... Leipzig.

Hirschfeld, Magnus (1923): Die intersexuelle Konstitution. Erweiterung eines am 16. März 1923 im hygienischen Institut der Universität Berlin gehaltenen Vortrags, in: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Band 23, S. 3 ff.

Hirschfeld, Magnus (1926): Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet. 1. Band: Die körperseelischen Grundlagen. Stuttgart.

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[1]Butler empfiehlt den FeministInnen, ins Kino zu gehen und sich die zweifellos grandiose Komödie Female Trouble mit dem unvergesslichen Transvestiten Divine in der Hauptrolle anzusehen. (Butler 1991, S. 8)

[2] Ein Übersetzerinnen-Witz am Rande: Butler zitiert diese Stelle aus Foucaults Herculine-Kommentar mehrmals, und stets ist da von dem karibischen Männertanz Limbo die Rede. Frau Menke übersetzt abwechselnd »Limbus«, was keinen Sinn ergibt, und »Limbo«. Dass Foucault mit dieser Tanzmetapher seinem Idol Nietzsche huldigt, interessiert Butler nicht und Menke schon gar nicht.

[3] Der Gebrauch des seltenen Ausdrucks »Trope« ist wohl Butlers Beruf als Rhetorikprofessorin geschuldet. Die Aussa­­ge des Satzes bliebe gleich, würde die »Trope« weggelassen.

[4] Ein nicht ganz unpassendes Zitat zum Spiegelstadium Lacans: »In gewisser Art geht’s dem Menschen wie der Ware. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt kommt, noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin ich, bespiegelt sich der Mensch zuerst in einem andren Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seinesgleichen, be­zieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch der Paul mit Haut und Haaren, in seiner paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des Genus Mensch.« (Marx 1968a, S. 67)

[5] Z.B. Kristeva 2007, S. 198: »Der Marxismus beharrt vor allem darauf, daß sich die Praxis an der äußerlichen, objek­tiven Wirklichkeit orientiert. Marx schreibt: ›Der Haupt­mangel alles bisherigen Materialismus – den Feuer­bach­schen mit eingerechnet – ist, daß der Gegenstand, die Wirk­lichkeit, Sinnlichkeit, nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird; nicht aber als mensch­liche sinnliche Tätigkeit, Praxis […] Feuerbach will sinnli­che, von den Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objek­te; aber er faßt die menschliche Tätigkeit selbst nicht als ge­­genständliche Tätigkeit.‹ Im selben Sinne stellt Lenin dem Hegelschen ›Schlusse des Handelns‹ die Vorherrschaft der logischen äußerlichen Wirklichkeit entgegen: ›[…] nicht in dem Sinne, daß die Figur der Logik ihr Anderssein in der Praxis hätte (=absoluter Idealismus), sondern daß vice versa die Praxis des Menschen sich dadurch, daß sie sich milliar­den­male wiederholt, im Bewußtsein des Men­schen als logi­sche Figur einprägt. Diese Figuren haben gerade (und nur) kraft dieser milliardenmaligen Wiederho­lung die Fes­tigkeit eines Vorurteils und axiomatischen Cha­­rakter.‹ Mao Tse-tung übernimmt in seiner Schrift Über die Praxis Lenins Kommentare zu Hegel und betont das Materialistische an der Praxis sei die persönliche und un­mittelbare Erfahrung. Davon ausgehend, daß die Aktivität in der Produktion jede praktische Aktivität bestimmt, fügt er dem Register der Praxis den Klassenkampf, das politi­sche Leben, die wissenschaftliche und ästhetische Tätigkeit hinzu.«

[6] Eine der Stellen, wo es um die Erinnerung der Gebären­den an die Inzestfantasien in der eigenen Kindheit geht und nicht um psychotische Lesben: »Die mütterlich-homosexu­el­le Seite: ein Taumel von Worten, der keinen Sinn, kein Sehen mehr birgt. Gefühl, Verschiebung, Rhythmen, Töne, Lichter und die phantasmierte Umarmung des Körpers der Mutter als Schutzschild vor dem Versinken … das verlore­ne Para­dies der Frauen, doch gleichsam wie mit Händen zu grei­fen.« (Butler 1991, S. 130) Kristevas Originaltext: »Versant maternel-homosexuel: vertige des mots, plus de sens ni de vision, toucher, déplacements, rythmes, sons, lueurs et l’étreinte fantasmée avec le corps maternel comme paravent devant la plongée […] paradis perdu des femmes, mais comme à portée de la main.« (Kristeva 1975, S. 411)

[7] »For women, Marxism had two results. It prevented them from being aware that they are a class and therefore from constituting themselves as a class for a very long time, by leaving the relation ›women/men‹ outside of the social or­der, by turning it into a natural relation, doubtless for Marx­ists the only one, along with the relation of mothers and chil­dren, to be seen this way, and by hiding the class con­flict between men and women behind a natural division of labor (The German Ideology) […] On the practical level, Lenin, the party, all the communist parties up to now […] have always reacted to any attempt on the part of women to reflect and form groups based on their own class problem with the accusation of divisiveness. By uniting, we women are dividing the strength of the people […] This real neces­sity for everyone to exist as an individual, as well as a mem­­­­ber of a class, is perhaps the first condition for the  accom­plishment of a revolution, without which there can be no real fight or transformation […] At this point, let us say that a new personal and subjective definition for all humankind can only be found beyond the categories of sex (woman and man) and the advent of individual subjects demands first destroying the categories of sex, ending the use of them, and rejecting all sciences which still use these categories as their fundamentals (practically all social sciences).« (Wittig 1992, S. 17 ff.)

[8] Genderfuck is a politics of identity stemming from the identity politics movements of the 1950s and 1960s, a guiding principle of which is the idea that the personal is political. The term dates at least to 1979, when an article by Christopher Lonc, entitled »Genderfuck and Its Delights«, appeared in the magazine Gay Sunshine. Lonc wrote: »I want to criticize and poke fun at the roles of women and of men too. I want to try and show how not-normal I can be. I want to ridicule and destroy the whole cosmology of restrictive sex roles and sexual identification.«

(http://en.wikipedia.org/wiki/Genderfuck)

[9] Frau Menke übersetzt aus dem Amerikanischen: »Für uns gibt es nicht ein oder zwei, sondern viele Geschlechter, so viele Geschlechter wie Individuen.«

[10] Kristeva (1978, S. 31) hat für die beiden ein kluges Lob bereit, das sie mit einer nützlichen Klarstellung verbindet: »[…] auch Deleuze und Guattari beharren zu Recht auf dem destrukturierenden und asignifikanten Strom der Schi­zo­phre­nie, auf der begehrenden und asignifikanten Ma­schi­ne des Unbewußten. Ihr Vorgehen wirkt angesichts der von Kommunikations- und Normativitätsideologen, die mehr oder weniger Anthropologie und Psychoanalyse ver­sor­gen, befreiend. Doch ist offenkundig, daß die für den ›schizo­phre­nen Strom‹ gegebenen Beispiele hauptsächlich der mo­dernen Literatur entnommen sind, einer Praxis also, in der der ›Strom‹ auf die Sprache gestoßen ist, um sich dort erst als Strom zu verwirklichen, wo er das Signifikante von der Seite her angreift, um sodann in ihm die heterogene Erzeu­gung der ›begehrenden Maschine‹ zu betreiben.«

[11] Wir halten uns nämlich mit Antonio Gramsci für etwas Besseres: für organische Intellektuelle, die wert darauf legen, kritische Distanz zu den hegemonialen ideologischen Apparaten zu halten.

[12] J.E.Bauer will Hirschfelds Zwischenstufenlehre nicht mit Nietzsche, sondern mit dem eine Generation früher ähnlich argumentierenden Max Stirner rückkoppeln. Stirners erkenntnistheoretisches Motto »Ich hab‘ Mein Sach‘ auf Nichts gestellt« erscheint als eine Vorwegnahme der Idee, die ganze Welt sei eine bloße Fiktion.

[13] »Der reaktionäre schlesische Großgrundbesitzer Lichnow­ski ergriff am 31. August 1848 in der Frankfurter National­ver­sammlung das Wort und sprach sich gegen das histori­sche Recht Polens auf selbständige Existenz aus. Dabei benutzte er mehrmals die oben zitierten Worte, worauf die An­we­senden jedesmal mit großem Gelächter antworteten.« (Marx 1968a, S. 858; Erläuterung der Herausgeber beim Institut für Marxismus-Leninismus der SED)

[14] Zusammenfassend heißt es zu den Verhältnissen in West­europa: »So wurde das von Grund und Boden gewaltsam ex­propriierte, verjagte und zum Vagabunden gemachte Land­volk durch grotesk-terroristische Gesetze in eine dem Sys­tem der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht, -gebrandmarkt, -gefoltert.« (Marx 1968a, S. 765)

[15] Hier wäre eigentlich noch ein Exkurs über die entgegen­ge­setzte Tendenz im Bewusstsein der kapitalistischen Wa­ren­produzenten einzufügen: Als »entgegenwirkende Ursa­che« zum Konkurrenzkampf aller gegen alle erzeugt die große Industrie auch in ihrer gegenwärtigen postfordisti­schen Gestalt bei den Ausgebeuteten die Disposition zu Klassenkampf und Solidarität sowie zur Einsicht in die Notwendigkeit der sozialen Revolution, wenn der Transit in den Sozialismus gelingen soll.

[16] Beispielsweise Freud 1919, S. 38 f.: »Die homosexuellen Män­ner, die in unseren Tagen eine energische Aktion gegen die gesetzliche Einschränkung ihrer Sexualbetätigung unter­nommen haben, lieben es, sich durch ihre theoretischen Wort­­führer als eine von Anfang an gesonderte geschlecht­liche Abart, als sexuelle Zwischenstufen, als ›ein drittes Geschlecht‹ hinstellen zu lassen [… Aber] diese beiden Festellun­gen [(1) Schwule fixierten ihre Liebesbedürfnisse anfangs an die Mutter, (2) »jedermann, auch der Normalste« ist der ho­mo­sexuellen Objektwahl fähig] machen sowohl dem An­spruch der Homosexuellen, als ein ›drittes Ge­schlecht‹ aner­kannt zu werden, als auch der für bedeut­sam gehaltenen Unterscheidung zwischen angeborener und erworbener Homosexualität ein Ende.«