J. Edgar Bauer

MAGNUS HIRSCHFELD:  DER SEXUALDENKER
UND DAS ZERRBILD DES SEXUALREFORMERS

   

Ursprünglich erschienen in: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum.
Redaktion: Manfred Herzer. Berlin: Nr. 37 (Mai 2005), S. 5-18.

Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.

 

»Du hast kein Gedächtnis für Dinge, die vor zehn oder 20 Jahren vorgefallen sind, und daher wiederholst du die Dummheiten, die du schon vor 2000 Jahren sagtest.«

Wilhelm Reich: Rede an den kleinen Mann, Frankfurt a.M. 1986: 97

 


1. Am 14. Mai 2003 jährte sich zugleich der 135. Geburtstag und der 68. Todestag von Magnus Hirschfeld. Aus diesem Anlass veranstaltete das Potsdamer Mo­ses Mendelssohn Zentrum eine drei­tägige Konferenz zum The­ma »Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. 1868-1935. Ein Le­ben im Spannungsfeld von Wis­senschaft, Politik und Gesell­schaft«. Ein Sammelband, der die meisten Vorträge der Tagung enthält, erschien dann 2004.[1]  Da der Verfasser der nachstehenden Ausführungen einen Vortrag zu Magnus Hirschfelds Auffassung vom Judentum hielt, der im er­wähnten Werk veröffentlicht wur­de,[2] und zudem an einer im Rahmen der Tagung stattge­fun­denen Podiumsdiskussion teil­nahm, wäre es unangebracht, ei­ne Buchbesprechung des aus der Tagung hervorgegangenen Sam­melbandes vorlegen zu wol­len. Im folgenden handelt es sich da­rum ausschließlich um die Er­ör­terung von zwei Sachfragen, die in verschiedenen Beiträgen the­matisiert wurden und in einem direkten Bezug zu Thesen ste­hen, die der Verfasser zu Hirsch­felds Verständnis von Sexu­alwis­senschaft und Juden­tum in frü­he­ren Veröffentli­chun­gen vertre­ten hat. Da sowohl der einfüh­rende Text von Friede­mann Pfäfflin über »Die Rele­vanz Hirschfelds hier und heute« als auch der Beitrag von Rüdiger Lautmann, der den Titel »Mit dem Strom – gegen den Strom. Magnus Hirschfeld und die Se­xu­alkultur nach 1900« führt, ei­ni­ge kritische Äußerungen zu der vom Verfas­ser vorgeschla­genen Deutung von Hirschfelds »sexu­eller Zwischenstufenlehre« und dessen Verhältnis zur jüdi­schen Geistestradition enthalten, wird es hier zunächst darum ge­hen, die Vorbehalte beider Auto­ren zu analysieren und zu ent­kräf­ten. Dann wird der Ver­such unter­nommen, die Gegen­sätz­lichkeit zwischen den Hirsch­feld-Inter­pretationen zu präzi­sieren, die den Beiträgen von Christina von Braun und vom Verfasser zu­grunde liegen. Im vierten Teil der Konferenz, der unter Hirsch­felds Lebensmotto »Per Scien­tiam ad Justitiam« stand und in dessen Rahmen die Beiträge Lautmanns und des Ver­fassers gehalten wurden, prä­sentierte auch die Autorin ihre Ansichten zum Thema »Ist die Sexualwis­sen­schaft eine ›jüdi­sche‹ Wis­sen­schaft?«, bei denen ein Verstän­d­nis von Hirschfelds wissen­schaft­lichen Bemühungen und deren Bezug zum Judentum vor­ausgesetzt wird, das mit den vom Verfasser vorgetragenen Thesen zu beiden Themenkom­plexen scharf kontrastiert. Da keine dies­­bezügliche Auseinan­der­set­zung während der Tagung mög­lich war, scheint es ange­mes­­sen, das Versäumte im Rah­men dieser Ausführungen nachzuholen.  

 

2. Es gehört zu den Augenfällig­keiten des von Elke-Vera Ko­towski und Julius H. Schoeps herausgegebenen Sammelbandes, dass der auf dem Buchdeckel an­gegebene Titel höhere Erwartun­gen weckt als die entsprechende Formulierung des Schmutztitels und die auf dem Titelblatt. Bald aber erweist sich die schlichtere und zugleich anspruchsvollere An­gabe »Magnus Hirschfeld« auf dem Deckel als nur eine Kür­­zung des eigentlichen Titels des Sammelbandes, welcher »Der Sexualreformer Magnus Hirsch­feld« – in Entsprechung zu den Formulierungen in der Ankün­digung und im Flyer der Tagung  – lautet. Damit war eine sach­li­che Fokussierung inten­diert, wel­che der konzeptionellen Arbeit der Organisatoren und He­raus­geber zugrunde lag. Da der Ak­zent auf »Sexualreformer« aber eine Einschätzung von Werk und Wirkung Hirschfelds erken­nen lässt, die auf eine Über­schattung seiner denkeri­schen Leistungen angelegt ist, kann nicht überraschen, dass die the­matische Gliederung des Sam­­melbandes nirgends vorsah, die Frage nach Hirschfelds epocha­ler Redefinition der ge­schlecht­lichen Differenz im Rah­men der Zwischenstufenlehre eigens zu untersuchen.

 

3. Im Vorwort zur 2. Auflage sei­ner Hirschfeld-Biografie, das den Titel »Hirschfeld-Forschung in den neunziger Jahren« trägt, stellt Manfred Herzer 2001 fest, dass in dem Dezennium »eine neue Sicht der Dinge oder eine neue Gewichtung und Deutung der Tatsachen [...] nicht zu ge­winnen [war].«[3] Dann führt er aus: »Allein J. Edgar Bauers Neu­interpretation der Hirsch­feldschen Zwischenstufenlehre bildet hier eine Ausnahme, in­dem sie ›die eigentliche utopi­sche (präziser: messianische) Di­men­sion Hirschfelds‹ erörtert.[...] Dass diese Deutung der Zwi­schen­­stufenlehre bisher nahezu völlig unbeachtet blieb [...] muss wohl als Symptom für das weit­gehende Desinteresse an einer Auseinandersetzung mit Hirsch­feld gewertet werden.«[4] Obwohl Herzers Vorwort zwei Jahre vor der Potsdamer Hirschfeld-Kon­fe­renz veröffentlicht wurde, ver­schlossen sich die Organisatoren der Frage, ob Hirschfelds Sexu­aldenken womöglich von grö­ße­rer Bedeutung ist, als all das, was er auf dem Gebiet der sexual­eman­zipatorischen Politik erzie­len konnte. Sowohl dem Vor­wort des Sammelbandes als auch der konzeptionellen Strukturie­rung der vorgesehenen Einzel­the­men ist zu entnehmen, dass die Veranstalter die grundle­gen­de Frage nach dem Verhältnis von Hirschfelds Reformwerk zum meta-theoretischen Entwurf seiner sexuellen Zwischen­stu­fen­lehre konsequent zu vermeiden suchten. In Anbetracht ihrer schwerwiegenden Entscheidung muss leider erneut darauf hinge­wiesen werden, »dass Hirschfeld für die jüdische Kul­turgeschichte nicht nur wegen sei­ner Bemü­hun­gen um die Gleichberech­ti­gung der Homo­sexuellen von außerordentlicher Bedeutung ist, sondern auch und vor allem weil die wissenschaft­lich begründete Auflösung bino­mer Sexuiertheit durch die Zwi­schenstufenlehre einen epochalen Pa­radigmenwechsel im Ver­ständ­­nis der menschlichen Sexu­al­differenz vollzog.«[5]                                

 

4. Im Vorwort des Sammel­ban­des wird bezeichnenderweise nicht darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Konferenz die schon erwähnte Podiumsdis­kus­sion zum Thema »Ein schwuler Jude und die deutsche Erinne­rungs­kultur« stattfand, die von Julius H. Schoeps geleitet wurde und an der sich Sophinette Be­cker (Frankfurt am Main), Chris­tina von Braun (Berlin), Man­fred Herzer (Berlin), Rüdi­ger Laut­mann (Hamburg), Rosa von Praunheim (Berlin) und der Ver­fasser beteiligten. In ihrem »nach-denkliche[n] Be­richt« über die Tagung bemerkte Marita Keil­son-Lauritz, dass das, worü­ber die Podiumsteilnehmer »hät­ten reden wollen«, »ein wenig in der Frage steckenblieb, wie erin­nerungswürdig Hirschfeld sei.«[6]  Die Autorin präzisiert, dass das Unbefriedigende an der Diskus­si­on über die Erinnerungs­wür­dig­­keit des Sexologen »genau daran, nämlich an der deutschen Erinnerungskultur«[7] lag, teilt aber leider nichts Näheres darü­ber mit, an welche Aspekte des Hirschfeldschen Œuvres die Dis­­kutanten sich hätten erinnern sollen. Die Klärung dieser Frage wäre um so dringender gewesen, als die meisten Diskussions­teil­nehmer sehr wohl zu wissen meinten und in ihren Ausfüh­run­­gen davon ausgingen, dass Hirschfelds Bedeutung in der Ge­schichte der Sexualeman­zi­pa­tion sich in seiner Rolle als »Se­xu­­alreformer« erschöpfte. Die ent­scheidende Frage war für sie folglich, ob das Reformwerk Hirschfelds so viel »Erinne­rungs­­­kultur« verdient habe, dass man ihm gleich eine ganze Ta­gung widmen sollte. Es schien, als ob die Mehrheit der Disku­tanten ohne weiteres die Ein­schätzung Manfred Herzers hätte unterschreiben können, die in seiner Hirschfeld-Biografie nachzulesen ist:

»Bei näherem Hinsehen bemerkt man [...], dass Hirschfelds Werk, sein Konzept einer Geschlechts­kunde oder Sexologie, seine Ant­worten auf die sexuellen Proble­me der modernen Zivilisation schon in den dreißiger Jahren zu veralten begannen und spätes­tens mit dem Erscheinen der Kinsey-Reports 1949 und 1953 nur noch ein abgeschlossenes Kapitel aus der Geschichte der Sexualwissenschaft repräsentier­ten.«[8]  

Herzers Einschätzung der Hirschfeldschen Sexologie ver­trägt sich bestens mit der vor­herrschenden Ansicht, Hirsch­feld sei vornehmlich oder aus­schließlich ein »Sexualrefor­mer« von nur noch historischem In­teresse in der Gegenwart. Wenn Hirschfelds wissenschaftliche und emanzipationspolitische Be­strebungen sich nur nach Zielen richteten, welche schon längst erreicht wurden oder sich gar als überholt erwiesen haben, dann gebühren ihm höchstens Pietät und Dankbarkeit, aber doch nicht die Aufmerksamkeit, die man nur zukunftsweisenden Denkern zollt. Da die meisten Podiumsteilnehmer – in Über­einstimmung mit den organisa­torischen Vorgaben der Kon­fe­renz – in Hirschfeld nur einen »Sexualreformer« zu erkennen vermochten, weigerten sie sich beharrlich, sich mit der These  des Verfassers auseinander­zu­setzen, dass die eigentliche, aber bis heute kaum gewürdigte Be­deutung Hirschfelds in der Auf­stellung der sexuellen Zwischen­stufenlehre und der damit zu­sammenhängenden Postulierung der potentiell unendlichen Ge­schlechter besteht. Trotz der wiederholten Versuche des Ver­fassers, die Aufmerksamkeit auf diese wahrlich denkwürdigen Aspekte von Hirschfelds Be­mü­hungen zu lenken, bezogen die meisten Diskutanten mit ge­dan­kenloser Unbeirrtheit Posi­tio­nen, die letztlich einer Museali­sierung Hirschfelds gleichkamen. 

 

5. Es kann als symptomatisch gelten, dass keiner der neunzehn abgedruckten und in fünf Ab­teilungen gruppierten Beiträge[9] sich zum Ziel setzte, Gehalt und Relevanz der Zwischenstufen­lehre als Herzstück von Hirsch­felds Sexologie zu analysieren und zu würdigen. Dass diese Pro­blematik nicht thematisiert wurde, ist das Ergebnis von kon­zeptionellen und organisatori­schen Entscheidungen, die ver­mutlich nicht nur von den zwei Herausgebern des Sammel­ban­des mitgetragen wurden. Denn abgesehen von dem schon er­wähnten Hinweis Manfred Her­zers auf die vom Verfasser vor­ge­schlagene Neudeutung der Zwi­schenstufenlehre hatte dieser auf eine Anfrage hin, die im Vor­feld der Tagungs-Vorberei­tun­gen erfolgte, die Gelegenheit, auf die dringende Notwendigkeit auf­merksam zu machen, Hirsch­felds »Lehre« im Rahmen der ge­planten Veranstaltung schwer­punktmäßig zu behandeln. Da das dem Verfasser zugewiesene Thema nur die Erörterung der Frage nach Hirschfelds Ver­ständ­­nis des Judentums vorsah, konnte im Kontext des Vortrags auf die Verbindung von der Zwi­schen­stufenlehre und seinem jüdisch inspirierten Befreiungs­ethos nur summarisch eingegan­gen werden.[10] Vor diesem Hin­tergrund war es um so erfreu­li­cher, dass ein offensichtlich auf­merksamer Zuhörer Tage darauf in einem Zeitungsartikel schrieb: »Für Bauer ist Hirschfeld ein ›messianischer Denker‹, der für die ›Menschheitsassimilation des Judentums‹ eintritt: ›Wenn der Mensch nur Mensch sein wird, ist Hirschfelds Ziel erreicht.‹  Der Ansatz zu einer Gesamt­deu­tung des Phänomens Hirsch­feld wurde erkennbar. Allein, die Kon­ferenz wollte darüber nicht streiten. Man vertiefte sich lieber in den irdischen Helden, der Sex-Spielzeug gesammelt hat, Eu­ropas Vortragssäle füllte und in mehreren Romanen auftaucht [...].«[11] Diese die Atmosphäre der Tagung prägende Unwillig­keit, sich auf ein theoretisches Niveau von Diskursivität ein­zu­lassen, hätte kaum prägnanter zum Ausdruck gebracht werden können.

 

6. Die Organisatoren der Tagung trafen sicherlich eine in ihrem Sinne zweckdienliche Entschei­dung, als sie Friedemann Pfäfflin mit der Aufgabe betrauten, einen einleitenden Vortrag zu halten, der den vielversprechenden Titel »Die Relevanz Hirschfelds hier und heute« führte. Offenbar über­­traf Pfäfflin alle auf ihn ge­setzten Erwartungen, als er die gängigen Ansichten über Hirsch­feld mit einem überschwäng­li­chen Loblied auf seine Tatkraft bestätigte, das in den Sätzen gip­felte: »Mir scheint, dass es ihm [d.i. Hirschfeld] weniger ums Den­ken ging als ums Wollen, Etwas-tun-Wollen. Und dabei hat er einiges auf die Beine ge­stellt, an dem sich die, die ihn beurteilen, erst einmal messen mö­gen.«[12]  Um den »Re­for­mer« Hirschfeld um so kontrastreicher zu präsentieren, machte sich Pfäfflin das ganze Arsenal von Einwänden zu eigen, die gegen Hirschfelds theoretische und wis­senschaft­liche Leistungen er­hoben werden. Nicht von un­ge­fähr erwähnt Pfäfflin sogar Mar­tin Danneckers Charakteri­sie­rung vom Schreibstil Hirschfelds als einem »Stil des ›höheren Ge­schwätzes‹« und führt aus: »Es wird so wenig abstrahiert und reflektiert, dafür um so mehr anekdotisches Material ausge­brei­tet; ja man wird gelegentlich mit Material überschüttet, mit seitenlangen Fallgeschichten und Zitaten aus anderen Quellen, deren Reflexion an der Ober­flä­che bleibt.«[13] Obwohl Pfäfflin – seinen eigenen Angaben zufolge – »zu Hause [...] zwei Regal­me­ter«[14] von Büchern, die von Hirschfeld geschrieben wurden, besitzt, zeugen seine »Anmer­kungen und Kommentare zur eigenen Wiederentdeckung von Hirschfeld«[15] von keiner sach­li­chen Auseinandersetzung mit den Texten des Sexologen, son­dern nur von einer relativen In­formiertheit über die sogenannte Sekundärliteratur, die er ständig referiert und variiert. Gegenüber Pfäfflins Verfahren und Ergeb­nissen kann nur daran erinnert werden, dass die sachgemäße Ein­­­schätzung der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte eines Au­tors die genaue Kenntnisnahme der Quellen voraussetzt, deren Deutung, Kritik und Auswir­kun­gen es in der Gegenwart zu thematisieren gilt.

 

7. In Anbetracht seines eigenen Textes mutet es seltsam an, dass Pfäfflin sich zu der Meinung ver­steigt, dass es Hirschfeld eigent­lich nicht ums Denken ging. Ab­gesehen von seinem unkritischen Umgang mit der Wirkungsge­schichte des Sexologen sind es vor allem Pfäff­lins Äußerungen zu Hirsch­feld selbst, die eine er­staunliche, sachliche und begriff­liche Undif­ferenziertheit ver­ra­ten. So schreibt er zum Beispiel von »Hirschfelds Konzepten über das dritte Geschlecht«[16]oder von »seine[r] ätiologische[n] These vom Dritten Geschlecht«[17] unter völliger Ausblendung der Tatsache, dass Hirschfeld schon in seinem Buch Berlins Drittes Ge­schlecht von 1904 ausdrück­lich da­rauf hinwies, dass der Ter­minus »drittes Geschlecht« »nicht gera­de sehr treffend« bzw. »nicht ge­rade glücklich«[18] sei, aber im­mer­hin besser als das Wort »homo­sexuell«, das den Akzent auf das Vorkommen sexueller Akte oder deren Be­absichtigung setzt. Da­rüber hinaus verschweigt Pfäff­lin, dass Hirschfeld in seiner »Er­wi­de­rung« auf G. Fritsch rückbli­ckend hervorhebt, dass er sich »in wissenschaftlichen Veröf­fent­­lichungen des Ausdrucks ›drit­tes Geschlechts‹ nicht be­dient«[19] und dass er statt dessen in solchen Publikationen die Be­zeichnung »sexuelle Zwischen­stufe« bzw »Geschlechtsüber­gänge« verwendet hat. Daher nimmt es nicht wunder, dass der Begriff »drittes Geschlecht« in Hirsch­felds fünfbändigem Haupt­werk Geschlechtskunde nir­gends termi­nologisch eingesetzt und dem­entsprechend im Regis­terteil nicht berücksichtigt wird.[20]  Von der begrifflichen Frage im enge­ren Sinne abgesehen, ist darauf hinzuweisen, dass Hirsch­feld die Postulierung einer drit­ten Sexu­al­­alternative – unter wel­chem Namen auch immer – nur als einen »Notbehelf« ansah, der dazu diente, über das »leider nur allzu oberflächliche Einteilungs­schema [...] in Mann und Weib«[21] hinauszuführen. In diesem Licht erscheint die Annahme einer drit­­ten Sexualalternative im Grun­de nur als eine zweck­mä­ßige, provisorische Fiktion, deren spezifische Funktion in der Auflösung des binomen Schemas sexueller Distribution besteht und darum in keiner Wei­­se die schon 1896 in Hirsch­felds sexologischer Erstlings­schrift mitgeteilte Einsicht auf­hebt, dass »alle Menschen [...] intersexuelle Varianten«[22] sind. Vor diesem Hintergrund wird deut­lich, wie sehr Pfäfflins bei­läufige Erwähnungen des »drit­ten Geschlechts« und seine sons­tigen Ausführungen zum Thema einer dritten Sexual­alternative den sexualkritischen Aussagen und Intentionen Hirschfelds wi­dersprechen und aufgrund ihrer Unreflektiertheit dazu beitragen, das gängige Zerrbild des Sexolo­gen zu perpetuieren.                             

 

8. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht überraschend, dass Pfäff­­­­lin trotz seiner wiederholten Verweise auf Hirschfelds Zwi­schenstufenlehre deren Tragwei­te und Relevanz »hier und heute« systematisch verkennt. Bezeich­nenderweise lässt Pfäfflin die Tat­sache unbeachtet, dass die Zwi­schenstufenlehre die Über­win­­dung eines jeglichen ge­schlos­se­nen Schemas sexueller Distribu­tion ermöglicht, indem sie po­ten­ziell unendliche Ge­schlechter postuliert, deren Viel­falt iden­tisch mit der Anzahl der tat­säch­lich existierenden, sexu­ier­ten In­dividuen ist, entspre­chend Hirsch­­felds Feststellung, dass »hinsichtlich der Sexual­kons­ti­tu­tion [...] jeder Mensch seine Na­tur und sein Gesetz hat.«[23] Da Pfäfflin offenbar ent­schied, Hirschfelds radikale Auf­lösung des Sexualbinarismus und seiner hetero- und homosexuel­len Kom­­binatorik zu ignorieren, vermeidet er an einer relevanten Stelle seiner Darlegun­gen den Terminus »Zwischen­stufenlehre« zu erwähnen, und legt deren Inhalt so dar, als ob es sich dabei bloß um »Zwischen­stufen­kate­go­risierungen«[24] han­deln würde. In diesem unmit­tel­baren Zu­sam­menhang rügt Pfäff­lin – völlig zurecht –  Gesa Lindemann des­wegen, weil sie »explizit und ent­gegen dem, was Hirschfeld selbst dazu sagt«, die Zwischenstufen­lehre »zur Zwi­schenstufentheorie erklärt.«[25] Tat­sächlich verwendet Lindemann in ihrem 1993 er­schie­nenen Auf­satz den Begriff »Zwischenstu­fen­theorie«, ob­wohl sie selbst auf eine Stelle in der »Ge­schlechts­kunde« ver­weist, in der Hirschfeld notiert: 

»Auf die Erkenntnis gestützt, dass jeder Geschlechtscharakter für sich variieren kann, baute ich das System der sexuellen Zwi­schenstufen auf, wobei ich mich von Anfang an gegen die alsbald auftauchende Bezeichnung dieses von mir nur als Einordnung ge­­dachten Prinzips als ›Zwi­schen­stufentheorie‹' wandte.«[26] 

Kurz darauf präzisiert Hirschfeld folgendermaßen die Konturen seiner »Lehre«:

»Lediglich die Registrierung (=Einreihung) und Ordnung in­tersexueller Varianten in ihrer au­ßerordentlichen Vielgestal­tig­keit, ihre Erfassung und Bewer­tung in biologischer, histori­scher, ethnologischer und sozio­logischer Hinsicht sah ich als Aufgabe der Lehre und der Lehrbücher von den sexuellen Zwischenstufen an.«[27] 

In Anbetracht dieser Ausfüh­rungen Hirschfelds hätte man sich über Pfäfflins Einsatz für begriffliche Stringenz und Klar­heit freuen können, wenn Pfäff­lin selbst  – einige Zeilen nach seiner Kritik an Lindemann  – nicht genauso unordentlich mit Begriffen umgegangen wäre, wie die zuvor Getadelte. So muss man mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass Pfäfflin zunächst die – gelinde gesagt  – irreführende Frage stellt, »ob Gesa Lindemann und Edgar Bauer nicht doch recht haben, wenn sie Hirschfelds Zwischen­stufentheorie eine weit höhere aktuelle Relevanz beimessen als deren Erfinder ihr selbst zu­schrieb«[28], und dann in einer Fußnote auf den schon erwähn­ten Text Lindemanns und auf den Essay des Ver­fas­sers, der unter dem Titel »Der Tod Adams« 1998 erschienen ist, ver­weist.[29] Die Wortwahl bei der Formulierung der Frage macht deutlich, dass Pfäfflin nicht nur seine eigene vorherige Zurück­weisung des Begriffs »Zwischen­stufentheorie« kur­zerhand außer acht gelassen hat, sondern auch, dass er die Argu­mente des Ver­fassers in dem er­wähnten Essay mit derselben Un­genauigkeit ver­folgt hat, mit der er sonst auch Hirschfeld ge­lesen zu haben scheint. Die schlichte Unrich­tig­keit von Pfäfflins Behauptung, dass der Verfasser Hirschfeld eine »Zwi­schenstufentheorie« zugeschrie­ben habe, lässt sich mühelos fest­stellen, wenn man sich fol­gende Passage aus dem siebten Absatz vom »Tod Adams« vergegenwärtigt: 

»Dass Hirschfeld seine Zwi­schen­­stufen­lehre nicht als ›Ursa­chen­er­klä­rung‹ und damit nicht als ›Theorie‹ ansah, ist unbe­strit­ten. Dies im­pli­ziert aber nicht den von [Manfred] Herzer ange­nommenen »ein­ge­schränkten Sta­tus« der Leh­re. Im Gegenteil. Ihre Unver­zicht­bar­keit für Hirsch­felds Sexual­wis­sen­schaft erweist sich in der Tat­sa­che, dass sie keine erklä­ren­de Theorie dar­stellt, sondern eine Art fundamen­tum incon­cussum in sexua­libus bietet, von dem mög­liche re­gio­nale Se­xu­al­the­o­rien auszu­gehen ha­ben. Erst auf der Basis dieser Lehre wird er­sichtlich, dass der Mensch nicht nur als ›Kul­tur­we­­­­­sen‹, son­dern schon als ›Naturwesen‹ ei­gentlich ›unnatürlich‹ im gän­gi­gen Sinne ist. Der Zu­­gang zu die­ser Sexual­wahrheit bedarf kei­ner Theo­riebildung, son­dern nur der adäqua­ten Be­­­obachtung und Be­schrei­bung menschlicher Se­xu­iertheit, wie sie tatsächlich vorkommt.«[30]                             

Pfäfflins thematische Ausblen­dungen und Begriffskonfusionen können leicht zu der Annahme verleiten, Hirschfeld sei in der Tat nur ein »Sexualreformer«, der, ohne ein stichhaltiges Kon­zept zu haben, etwas »bewegen« wollte. Erfreu­licherweise vermag Pfäfflins zwei­felhaftes Verfahren in der Sache nichts dagegen aus­zu­­richten, dass Hirschfelds he­raus­­ragende und bis heute maß­geb­liche Denk­leistung in der Auf­­lösung des binären Paradig­mas sexueller Distribution im Namen der po­tenziellen Unend­lichkeit der Geschlechter besteht.

 

9. In einem weiteren Passus bringt Pfäfflin beide Stränge sei­ner fraglichen Darlegungen zu­sammen, wenn er schreibt:  

»Er [=Hirschfeld] hatte sie [=die Zwischenstufentheorie] ja im wesentlichen dafür benötigt, um seine ätiologische These vom Dritten Geschlecht zu untermauern in der irrigen Hoffnung, dass das, was biologisch gegeben auch natürlich und infolgedessen mo­ralisch richtig sein müsse.«[31]

Abgesehen davon, dass weder der Begriff »Zwischenstu­fen­the­or­ie« noch die Bezeichnung »drit­tes Geschlecht« eine termi­nologische Verwendung bei Hirschfeld findet, übersieht Pfäfflin krass die Tatsache, dass das, was Hirschfeld die »Zwi­schen­stufenlehre« nennt, nicht dazu dient, irgendein Seg­ment im Naturkontinuum des Ge­schlechtlichen zu hyposta­sie­ren. Aus der Sicht von Hirsch­felds Lehre sind das »erste«, »zweite« und »dritte« Geschlecht nur eta­blierte »Fiktionen«, deren kultu­relle Geltung durch wissen­schaft­liche Einsicht in die Natur­gegebenheiten letztlich aufgelöst werden muss, um eine gesell­schaftliche Ordnung zu schaffen, in der jede Form der im Prinzip unendlichen, natürlichen Sexual­variabilität existenzberechtigt ist. Wie schon ausgeführt, ist die Pos­­tulierung einer dritten Sexu­alalternative nur ein »Notbe­helf«, d.h. ein Provisorium, das zum Zweck der Auflösung der binä­ren Sexualfixierungen ange­nom­men wird. Die dritte Sexu­alalter­native hat also keine supp­le­tive bzw. ergänzende Funktion inner­halb eines geschlossenen Sche­mas sexueller Distribution, son­dern erfüllt die katalysierende Auf­gabe der Auflösung des Se­xu­­­aldimorphismus, um somit die prinzipiell unabschließbare Reihe möglicher Sexualkonsti­tu­tionen einzuleiten. Unter Kennt­nisnah­me von Hirschfelds Zwi­schen­stufenlehre können also nicht nur die bisher unter­drück­ten Se­xualminderheiten, sondern auch und vor allem die sich »nor­mal« wähnende Majorität ein neues se­xuelles Selbstver­ständ­nis erlan­gen, das der Ein­sicht gerecht wird, dass jeder Mensch eine un­wiederholbare Spezifikation des Prinzips der geschlechtlichen Zwischen­stu­figkeit konstituiert. Die Tatsache, dass sich auf der Basis von Hirschfelds Lehre eine Emanzi­pationsprogrammatik anvisieren lässt, die nicht nur sogenannte sexuelle Minder­hei­ten tangiert, bedeutet freilich nicht, dass Hirschfeld sich wider­sprach, als er sich in erster Linie den Be­lan­gen der sexuell Un­ter­drückten seiner Zeit widmete. Hirschfelds kulturpolitischer Ein­satz für die Opfer der vor­herr­schenden Sexu­alideologie stellt weder eine prinzipielle Ein­schränkung noch einen Ge­gen­satz zur Zwischen­stufenlehre, sondern eine kon­kret-geschicht­liche Einlösung des emanzi­pa­torischen An­spruchs dar, der dieser Lehre inhärent ist. Von daher ist die vom Verfasser vor­genommene Explizierung der befreiungs­ge­schichtlichen bzw. messiani­schen Aspekte von Hirschfelds Lehre, wonach alle Menschen dazu berufen sind, sich von der Weltanschauung und den sozio­politischen Folgen des Sexual­dimorphismus zu be­freien, mit keiner »besonderen Emanzipa­ti­onsprogrammatik«[32] gleichzu­setzen, wie Pfäfflin sug­ge­riert. Im Gegenteil, erst im Lich­te der prinzipiellen Aner­ken­nung der sexuellen Zwischenstu­figkeit eines jeden Menschen wird deut­lich, dass die unmittel­bare Be­freiung der unter der fik­tiven, aber mächtigen Ordnung des Sexualbinarismus am meis­ten Leidenden nur als der erste Schritt in der allgemeinen Sexu­al­befreiung der Menschheit auf­gefasst werden kann. Da diese umfassende emanzipatorische Dimension von  Hirschfelds Leh­­re Pfäfflin gänz­lich entgeht, muss man Nach­sicht walten las­sen, wenn er meint, dass die vom Verfasser vertretene Inter­pre­ta­tion von Hirschfelds Zwi­schen­stufenlehre »weit herge­holt« und »nicht schlüssig be­grün­det« ist.[33] Der­artige Vor­wür­fe unterstrei­chen nur, wie sehr die denkeri­sche Radikalität von Hirschfelds dekon­struk­ti­vem Ansatz Pfäfflin überfordert.    

 

10. Ausgerechnet in der zehnzei­ligen Passage, in der Pfäfflin die Interpretation der Zwischenstu­fenlehre durch den Verfasser er­wähnt, verwendet er »Theorie« und »Lehre« als austauschbare Begriffe, obwohl er – nach eige­ner Auskunft  – weiß, dass eine solche terminologische Oszilla­tion in dem Zusammenhang nicht zulässig ist. Abgesehen da­von, dass Pfäfflin  kurz zuvor an Hirschfelds Zurückweisung der Bezeichnung »Zwischen­stufen­theorie« erinnert hat,[34] ist er – spätestens seit der Lektüre des von ihm zitierten Textes des Ver­­fassers – darüber informiert, dass die Aufrechterhaltung des epistemologischen Status von Hirschfelds Lehre davon ab­hängt, dass sie als Fundament einer neuen Sexualdistribution von möglichen erklärenden bzw. ätiologischen Theorien auf sexo­logischem Gebiet strikt un­ter­schieden wird. Vor dem Hin­ter­grund dessen, dass der Ver­fasser wiederholt diese Thematik erör­tert hat sowohl in den Er­wide­run­gen[35] auf die Einwände, die Manfred Herzer gegen die in »Der Tod Adams« vertretenen Thesen erhoben hat, als auch in weiteren, auf Deutsch geschrie­benen Aufsätzen,[36] ist Pfäfflins Be­griffsverwirrung höchst be­fremdlich. Er ist selbstredend nicht der erste, der die sexologi­sche und sexualemanzipatorische Programmatik Hirschfelds ver­zerrt darstellt, doch ist es beson­ders gravierend, dass derartige Ausführungen im einleitenden Aufsatz eines Buches nachzu­le­sen sind, das vornehmlich zur kri­tischen Prüfung der vorherr­schenden Sicht auf Leben und Werk des Sexologen hätte bei­tra­gen müssen. Da der Verfasser sich mit der »Zwischenstu­fen­the­orie« einiger Hirschfeld-Exe­ge­ten neueren Datums ander­wärts auseinandergesetzt hat,[37] sei hier nur noch auf die zwei weiteren Beiträge des Sam­mel­bandes hin­gewiesen, deren Au­toren sich über Hirschfelds ter­minologi­sche und sachliche Un­terschei­dung zwischen »Lehre« und »The­orie« hinweg­setzen zu kön­nen meinten. Am Anfang seiner Ausführungen verwendet Rü­di­ger Lautmann einmal den de­pla­zierten Begriff »Zwischen­stu­fen­theorie« ohne weitere Er­klärung oder Rechtfertigung,[38] obwohl er sonst korrekterweise von Hirsch­felds »Zwischen­stu­fenlehre« bzw. von seiner »Lehre von den sexuellen Zwischen­stu­fen« schreibt.[39] Auch der Beitrag von Christina von Braun weist dies­bezügliche begriffliche Män­gel auf. Aus Gründen, die sie leider nicht mitteilt, vermeidet die Au­torin den Terminus »Zwi­schen­stufenlehre« geflissentlich und setzt statt dessen den Begriff »Theorie« an eine denkbar unge­eignete Stelle ein, wenn es heißt: »Hirschfeld verkündete [...] die Theorie von den ›sexuellen Zwi­schenstufen‹ [...].“[40] Mit dieser verkehrten Bezeichnung der »Zwi­­schenstufenlehre« gerät die Autorin in Widerspruch zu Hirsch­feld und verwischt zudem die entscheidende Grenzziehung zwischen der meta-theoretischen Postulierung eines kritischen, sexu­aldistributiven Schemas und mehr oder weniger gelun­ge­nen – weil falsifizierbaren  – Regional­theorien des Geschlechtlichen. Auch wenn die begrifflichen Un­genauigkeiten Lautmanns und von Brauns durchaus nicht hinnehmbar sind, so darf nicht über­­sehen werden, dass beide Au­­toren sich wesentlich von Pfäff­lin insofern unterscheiden, als ihre Ausführungen nicht dazu dienen, Hirschfelds vermeint­li­che Theorieunfähigkeit zu insi­nuieren oder ihn auf die fragliche Rolle eines gutmeinenden Prag­matikers zu reduzieren.

 

11. Keiner der im Sammelband vertretenen Autoren kommt der vom Verfasser vorgeschlagenen Deutung der sexologischen Grund­lagen Hirschfelds näher als Rüdiger Lautmann. Vor dem Hintergrund dieser aus einem close reading resultierenden Inter­pretation mahnen Lautmanns Überlegungen über die Zwi­schen­­stufenlehre an eine soziolo­gische Umsetzung bzw. Überset­zung der Hauptthesen, die der Verfasser in mehreren Publikati­onen seit 1998 vorgetra­gen hat. Korrekterweise weist Lautmann darauf hin, dass der Verfasser »die Zwischenstufenlehre in einen Zusammenhang mit der Auf­­lösung des überkommenen Sexualdimorphismus« gestellt hat,[41] um dann zu bemängeln, dass »[r]adikale Auslegungen [des Zwischenstufenkonzepts] zu sel­ten vorgebracht [werden], etwa die Lesart von J. Edgar Bauer, der hier die ›Auflösung jeglicher kategorialen Subsumption sexu­ierter Individuen‹ sieht.«[42] Des weiteren erwähnt Lautmann die Kontroverse zwischen Manfred Herzer und dem Verfasser be­züglich der Frage, »[w]ie neu das Konzept der unendlich vielen Abstufungen damals gewesen ist«[43] und führt in Überein­stim­mung mit der Sichtweise des Ver­fassers aus: »[D]ie Zwischen­stufenlehre [war] ein Novum, un­geachtet aller Vorausklänge seit dem Altertum. Und sie könn­­te, ernst genommen, bis heu­te umstürzlerisch wirken. Diese Wirkungsgeschichte ist noch zu schreiben.«[44] Schließ­lich berichtet Lautmann sowohl über Transvestitismus und Ge­schlechts­wechsel im Zusammen­hang mit Hirschfelds Zwischen­stufenlehre[45] als auch über die gegen den sexuellen »Normalis­mus« sich wendenden Thesen Hirschfelds, denen zufolge »die Skala der möglichen Ge­schlechts­­persönlichkeiten unend­lich fein gegliedert ist«.

Lautmanns Ausführungen schließen als disiecta membra fast alle inhaltlichen Momente ein, die erforderlich wären, um eine Rekonstruktion der Zwischen­stu­fenlehre in Übereinstimmung mit der Deutung des Verfassers zu unternehmen. Auch wenn Lautmanns unnötig konzilianter Ton gegenüber möglichen Kri­ti­kern seines Unterfanges zuwei­len einer präziseren Kontu­rie­rung seines eigenen Standpunk­tes entgegenwirkt, so ist nicht zu übersehen, dass seine Ausfüh­run­gen zur Zwischenstufenlehre eine Gesamteinschätzung Hirsch­felds erkennen lassen, die im Widerspruch zu der steht, die von den Herausgebern des Ban­des und Pfäfflin vertreten wird.                    

 

12. Es ist zu begrüßen, dass Laut­mann sogar die Thesen des Verfassers bezüglich der Kon­gru­enz von Hirschfelds Grund­­lehre mit dem dekons­truk­tiv-kri­ti­schen Leitmotiv übernimmt, das die im Entstehen begriffenen gender und queer studies prägt. Im Hinblick auf den Transgenderis­mus von Leslie Feinberg und die Transsexualität von Kate Born­stein hat der Verfasser erneut und mit Nachdruck darauf hin­gewiesen,[46] dass nach Hirschfeld die Struktur der Zwischen­stu­fig­keit eines jeden Menschen auf allen Beschreibungsebenen der Sexualität – von den tiefsten en­dogenetischen Konfiguratio­nen bis hin zu dem, was heute »gen­der expression« genannt wird – ablesbar ist. Ohne weiteres lässt sich nachweisen, dass die von Hirschfeld angenommenen de­skrip­tiven Ebenen[47] in etwa der heutigen Schichtung entspre­chen,  in der zwischen dem ver­schie­dentlich stratifizierbaren bio­lo­gi­schen Geschlecht, der sexu­ellen Orientierung und dem kul­turell bedingten Sexualaus­druck bzw. gender unterschieden wird.[48]  Relevant aus heutiger Sicht ist nicht so sehr die von Hirschfeld tatsächlich ange­nom­mene An­zahl von Beschrei­bungs­ebenen, sondern die Pos­tu­lierung eines Schichtungs­prin­zips, mit dessen Hilfe die Ein­sicht artikuliert wird, dass die sexuellen Misch­ungsverhältnisse des Männlichen und Weiblichen auf den ver­schie­­denen Beschrei­bungsebe­nen ein und desselben Indivi­du­ums mehr oder weniger von ein­ander divergieren und dass aus dieser Konfigurierung die je ei­ge­ne Komplexität der indivi­duel­len Sexualkonstitution resul­tiert. In Anbetracht der hier um­risse­nen Aspekte von Hirsch­felds Lehre ist nicht nachvoll­ziehbar, dass Lautmann die indi­viduali­sie­renden Konsequenzen der Zwi­schenstufenlehre zwar be­grüßt, aber gleichzeitig Hirsch­felds Be­rücksichtigung der bio­lo­gischen Schichtungskompo­nen­ten bean­standet, wenn er schreibt:

»In dem Streit zwischen biolo­gischen und soziokulturellen Verständnissen zum Geschlecht und zur Sexualpräferenz wird das Zwischenstufenkonzept meistens der biologischen Seite zugeschlagen. Vordergründig zu Recht, weil M[agnus] H[irsch­feld] selbst sein Konzept so ver­stand. Jedoch haben sich die me­tatheoretischen Voraussetzungen solcher Zuordnung seitdem ver­schoben. [...] In der Begrifflich­keit zum Geschlecht befindet sich heute weniger sex und mehr gender als vor Zeiten. Hirschfelds Zwischenstufen lassen sich in Gender-Begriffen besser rekon­struieren als nach den Theore­men einer Sexualphysiologie.«[49]

In seinen Ausführungen scheint Lautmann übersehen zu haben, dass Hirschfelds Zwischenstu­fen­lehre als Einordnungs- und Beschreibungsprinzip grundsätz­lich alle Ebenen der Sexualkons­titution umfasst, d.h. auch die­jenigen, die erst unter der Vor­aus­setzung soziokultureller Rah­menbedingungen zur Entfaltung kommen und häufig unter Re­kurs auf den Begriff gender kon­zeptualisiert werden. Da die Zwi­­schenstufenlehre von den bi­ologischen Schichten des Sexu­ellen zwar ausgeht, aber keine biologistische Reduktion von nurture auf nature bzw. von gender  auf sex impliziert, braucht sie kei­ne Korrektur ihrer »meta­theo­re­tischen Voraussetzungen«, die ihre Rekonstruktion »in Gender-Begriffen« ermöglichen würde. Zwar bleibt die Zwi­schenstufen­lehre aufgrund ihres deskriptiven Charakters offen für eventuelle weitere Differen­zie­rungen des Geschlechtlichen auf dem Ge­biet des naturbeding­ten sex oder des soziokulturellen gender, aber sie verschließt sich aus prinzi­pi­ellen Gründen jeg­li­chem Ver­such, natur- oder kul­turreduk­ti­onistisch zu verfahren. Als ein neues Prinzip sexueller Distri­bu­tion, das die kulturelle Ausge­stal­tung naturgemäßer Be­dingungen zu erfassen sucht, war Hirsch­felds Lehre auf keine Naturali­sierung des Geschlecht­lichen an­gewiesen und darum braucht sie künftighin keine gender-zentrierte Rekonstitution ihrer Prämissen.      

 

13. Zu den Verdiensten Hirsch­felds rechnet Lautmann die Tat­sache, dass er »[a]nders als die Sexualmedizin seiner Zeit und die Psychoanalyse [...] keine ein­zig richtige Sexualform [ver­kün­dete]«. Diese Einschätzung schränkt Lautmann aber ein, wenn es dann heißt: »Als intel­lek­­tuellen Preis – in heutiger Sicht – entrichtete M[agnus] H[irschfeld] einen Tribut an den Biologismus. Er hielt jegliche Se­xualpräferenz für angeboren, also konstitutionell gegeben. [...] Die biologische Verankerung des Begehrens war indessen das feste Bollwerk, wenn sich heimlich die Moral zu Wort meldete, sich hin­ter der Figur des ›Normalen‹ ver­schanzend.«[50] Obwohl Laut­manns Feststellung bezüglich Hirschfelds kritischer Distanz zur vorherrschenden Sexuali­täts­auffassung seiner Zeit – schon von Sándor Ferenczi als »zwangs­­­heterosexuell«[51] emp­fun­den – zutreffend ist, verrät der darauf folgende Hinweis auf »den Tribut an den Biologis­mus« ein grundlegendes Missverständ­nis des deskriptiven, d.h. nicht-ätiologischen Status der Zwi­schen­stufenlehre. Entsprechend seiner Leitvorstellung einer Re­konstruktion der Zwischen­stu­fen »in Gender-Begriffen« ver­sucht Lautmann den An­schein zu erwecken, als ob es »in heu­ti­ger Sicht« überflüssig wäre, die biologischen Schichten des Sexu­ellen bzw. »die biologische Ver­ankerung des Begehrens« zu berücksichtigen. Offensichtlich lehnt Lautmann die Einbe­zie­hung von biologischen Gesichts­punkten deswegen ab, weil er be­fürchtet, dass es auf diesem Weg zu einer kontraproduktiven Wie­derherstellung des sexuellen Bi­narismus kommen könnte. Da­bei übersieht er aber, dass die Fra­ge nach der Auflösung der bi­nären Sexualität heute nicht nur von den Vertretern der gender und queer studies, sondern auch innerhalb der Biologie und ver­wandten Disziplinen gestellt wird,[52] und dass die Berücksich­tigung der biologischen Sexual­sphären im Rahmen der Zwi­schenstufenlehre keineswegs ei­ne biologistische Determinie­rung von Sexualpräferenzen im­pli­ziert. Da die Zwischen­stu­fen­lehre – wie schon dargelegt – kein Erklärungsmodell bietet, sondern ein offenes sexualdistri­butives Schema von potentiell un­endlichen Sexualkonstitu­tio­nen aufstellt, führt Hirschfelds Einbezug der biologischen Ge­gebenheiten zu keiner Fixie­rung des Begehrens oder der Sexual­orientierung nach dimorphis­ti­schen Kriterien, sondern zu einer radikalen Entgrenzung der Sexualkombinatorik zwischen In­dividuen, die ausnahmslos se­xu­elle Zwischenstufen dar­stel­len. Weil Hirschfeld die tragen­de, aber nicht determinierende Rolle der biologischen Schichten er­kannte, war er in der Lage, für einen sexuellen Essentialismus zu plädieren, welcher – in Über­einstimmung mit seiner La­marck­schen Sicht des Lebens – in der unendlichen Vielfalt der Naturhervorbringungen ver­an­kert ist.

    

14. Lautmanns Überlegungen basieren auf einer wenig durch­dachten Erfassung des Kon­nexes von Biologie und Natu­ra­lis­mus bei Hirschfeld. Denn obwohl Lautmann sich herab­lassend über die Rolle des »Bio­logismus« im Zwischenstufen-Paradigma äußert,[53] suggeriert sein stichwortartiger Vergleich zwischen Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud, dass der Sexologe just aufgrund seiner »na­turalistisch[en]« Einstellung[54] in einem positiv zu bewertenden Widerspruch zur Sexualkultur seiner Zeit sich befand.[55] In An­lehnung an die von Murray S. Davis eingeführte Unterschei­dung zwischen naturalistischen und jehovanistischen Sexualthe­o­rien präzisiert Lautmann, dass Hirschfeld – im Gegensatz zu den Sexualideologien seiner Zeit  – »ganz [...] auf den Naturalis­mus gestimmt [ist]«, während Freud »moderat naturalistisch [verfährt], aber auch jehovanis­tisch, weil er vom unersättlichen Sexualtrieb eine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung ausgehen sieht.«[56] Leider nimmt Lautmann den von ihm ange­stell­ten Vergleich nicht zum An­lass, um die Tatsache zu explizie­ren, dass erst auf der Basis von Hirschfelds viel geschmäh­tem »Biologismus« die faktisch vor­handenen, physiologischen und psychischen Sexualvariationen ergründet werden konnten, die letztlich zur Kritik an dem auch von Sigmund Freud sanktio­nier­ten, dimorphistischen Schema sexueller Distribution führten. Dank seiner beharrlichen Beob­achtung und Beachtung der bio­logischen Aspekte der Sexualität konnte Hirschfeld den bis dahin ungeahnten Reichtum an Sexu­alitätskonstitutionen sichtbar ma­chen, die gegen die Bei­behal­tung der religiös und wissen­schaft­lich untermauerten Sexu­alideologien seiner Zeit und für ein in einem Essentialismus der unendlichen Naturvielfalt grün­dendes Befreiungsethos spra­chen. Darum ist es umso unver­ständlicher, dass Lautmann be­reit ist, ausgerechnet auf die anti-ideologische Instanz reflektierter Natürlichkeit zu verzichten, um so Hirschfeld den Weg zur Inte­gration in diejenige »vergeisti­gende«, weil sich von den bio­lo­gischen Gegebenheiten wei­test­gehend entkoppelnde Traditi­ons­linie zu bahnen, die, von der Freudschen Psychoanalyse aus­gehend, über Alfred Adler und Michel Foucault zu den heutigen gender studies führt.[57] Die von Lautmann ausgespro­chene Wünsch­barkeit, Hirschfelds Zwi­schenstufenlehre in Gender-Be­griffen, d.h. unter Verzicht auf das biologische Moment ihrer Konstitution zu rekonstruieren, bedeutet zuletzt eine grundlose Entschärfung ihrer kritischen Brisanz gegenüber rein ideolo­gi­schen Konstrukten des Ge­schlecht­lichen. Da die von Laut­mann befürwortete »Ent-natura­lisierung« der Zwischen­stufen­lehre den Grund von Hirschfelds bahnbrechender Überwindung der geschlossenen Schemata se­xueller Distribution unter­mi­niert, bleibt rätselhaft, inwiefern seine vorgebliche Aktualisierung der Zwischenstufenlehre dazu bei­tragen sollte, Hirschfeld die schon längst fällige Anerken­nung als Klassiker der modernen Sexologie zuteil werden zu lassen.[58]   

 

15. Eingedenk der in der Kon­ferenz vorherrschenden Ansicht über den »Sexualrefor­mer« Hirschfeld ist es zu begrüßen, dass Lautmann seine abwei­chen­de Einschätzung folgen­der­ma­ßen auf den Punkt brachte: »Wir suchen alle nach den Riesen, auf deren Schultern wir Zwerge klet­tern, um weiter sehen zu können (Robert K. Merton/Lawrence Sterne). Zählt M[agnus] H[irsch­feld] dazu (so wie S[igmund] F[reud] seit langem)?  Oder bleibt er eine Fußnote in der Ge­schichte des Sexualdenkens?  Mein Votum hierzu ist klar.«[59]  Um aus Hirschfeld einen »Klas­siker« entstehen zu lassen, wäre es nach Lautmann notwendig, »ihn aus den Konfliktfronten seiner Zeit herauszulösen« und »den kognitiven Gehalt seines Werkes zu würdigen«.[60] Das Thema der wissenschaftlichen Geltung von Hirschfelds Werk eindeutig ins Zentrum seiner Überlegung rückend, meint Laut­mann, unter anderem auf die »unerheblich[e]« Frage ver­zichten zu können, ob Hirsch­felds Werk »von einem jüdischen Deutschen oder deut­schen Juden geschrieben ist«.[61] Da Lautmann in dem unmittel­baren Zusam­men­hang die An­sicht vertritt, dass die Frage nach dem Juden­tum des Atheisten Hirschfeld für die sachgemäße Bewertung sei­nes Œuvres uner­heblich ist, über­rascht nicht, wenn er bean­standet, dass der Verfasser Hirschfeld als einen atheistischen Juden bezeichnet hat, und be­gründet seine Kritik mit dem Hinweis darauf, dass »die Er­wäh­­nung der jüdischen Herkunft im Zusammenhang mit der reli­giösen Selbstdeutung unpas­send [wirkt], ja im Verhält­nis zum Atheismus widersprüch­lich.«[62]  Lautmanns Einschät­zung, dass Hirschfelds jüdische Herkunft – in Anbetracht seines Atheismus – nicht erwähnt zu werden braucht, ist den Texten Hirsch­felds genauso wenig sach­gerecht, wie das vorwurfs­volle Gerede darüber, dass Hirschfeld sein Judentum »tabuisiert« ha­be.[63]  Wie jeder selbstden­kende Jude hatte Hirschfeld ein pro­blema­tisierendes und oft pro­blema­tisches Verhältnis zur jü­dischen Schicksalsgemein­schaft, das aber weder eine Leug­nung noch eine Verneinung sei­ner eigenen Jü­dischkeit implizierte. Dies lässt sich ohne weiteres am Leitfaden einer genauen Lektüre von eini­gen einschlägigen Texten nach­weisen, zu denen das sexu­al­eth­nologische Grundwerk Die Welt­reise eines Sexualfor­schers[64] und die in einer deut­schen Prager Zei­tung erschie­nene Fortset­zungs­reihe »Phan­tom Rasse. Ein Hirn­gespinst als Weltgefahr«[65] gehö­ren. Wie im Beitrag des Ver­­fas­sers zu Hirschfelds Auf­fassung vom Judentum nach­zu­lesen ist, be­stand Hirschfeld da­rauf, frei von äußeren Zwän­gen und in der ihm richtig schei­nen­den Form über seine eigene Jüdi­sch­keit sich zu äußern, ohne dass er da­durch versucht hätte, die all­­seits bekannte Tatsache, dass er Jude war, zu verdrän­gen.[66] Da­rüber hinaus lässt die »Welt­reise« ein­wandfrei erken­nen, wie inten­siv Hirschfeld über seinen durch das Judentum mit­beding­ten Stand­­punkt als Sexu­alethno­loge nach­ge­dacht hatte, so dass Laut­manns Annahme, dass Hirsch­­felds jüdische Zuge­hörig­keit für seine wissen­schaft­lichen und emanzipato­rischen Bemü­hungen ohne Belang war, nicht auf­recht­erhalten werden kann. Dies­be­züg­lich scheint Lautmann von einer grundsätz­lichen Kom­men­surabilität zwi­schen Juden­tum und Chris­ten­tum ausge­gan­gen zu sein, die ihn zu der irrigen An­sicht verleitet, dass jüdische Iden­tität aus­schließ­lich oder in der Haupt­sache über religiöse Glaubens­sätze sich konstituiert und dass darum die Aussage, jemand sei ein »atheis­tischer Jude«, als eine contradictio in adjecto zu beurteilen ist. Laut­manns Vorbehalte ge­genüber den dies­bezüglichen Ausfüh­rungen des Verfassers zu dieser Frage lassen vermuten, dass er sich bislang nicht gefragt hat, weshalb Peter Gays maßgeb­li­cher Beitrag zur Freud-For­schung den Titel A Godless Jew trägt,[67] oder warum For­scher wie Dennis B. Klein,[68] Yosef Hayim Yerushalmi[69] und Richard B. Bernstein[70] sich aus­führlich mit der Jüdischkeit des atheistischen Begründers der Psychoanalyse auseinanderset­zen. Mit Rück­sicht auf die Freud-Forschung und im Hin­blick darauf, dass das Jude-sein sich nicht auf ein Glau­bens­be­kenntnis reduzieren lässt, wäre es zu begrüßen, wenn Lautmann sich mit der Idee ver­söhnen könnte, dass auch Hirschfeld »a godless Jew« war.

 

16. Während Lautmann die ei­gentliche Bedeutung der Zwi­schenstufenlehre bei gleichzei­tiger Ausblendung von Hirsch­felds Zugehörigkeit zum Juden­tum zu würdigen sucht, thema­tisiert Christina von Braun die Jüdischkeit von Hirschfelds sexo­­­logischem Entwurf ohne im geringsten erkennen zu lassen, dass sie bereit und in der Lage wäre, die Tragweite und Rele­vanz der Zwischenstufenlehre zu er­örtern. Da von Brauns Aus­ein­andersetzung mit Hirschfeld in erster Linie der Beantwortung der Frage dient: »Ist die Sexual­wissenschaft eine ›jüdische‹ Wis­senschaft?“, wird die Sexologie Hirschfelds im Rahmen einer jüdischen Säkularisierungspro­grammatik kontextualisiert, welche die Autorin als we­sens­verschieden von der christlichen  deswegen verstanden wissen will, weil beide aus unterschiedlichen, von der jeweiligen Religion ge­prägten Vorstellungen von »Wis­senschaft und Vernunft«[71] her­vorgingen. In der Annahme, dass »[m]it dem Säkularisierungs­pro­zeß [...] sich ein Teil der jüdi­schen und christlichen Denktra­ditionen in die Sexualität selbst (im kollektiven Singular) ver­la­gert [hatte]«[72], kommt die Au­to­rin zu dem Schluss, dass, obwohl die Sexualwissenschaft keine »jü­dische« Wissenschaft sei, sie »ei­ne ›doppelte‹ Erbschaft an­ge­tre­ten hat.«[73] Da die in der Sexu­al­wissenschaft enthaltenen, jüdi­schen und christlichen Denk­traditionen Erbschaften verkör­pern, die einander wider­spre­chen, betont von Braun gegen Ende ihrer Überlegungen, dass »vermutlich in ›jedem‹ Sexual­wesen des Abendlandes ›beide‹ Strömungen vertreten sind.«[74]  Auch wenn die Autorin anfäng­lich von zwei distinkten, aber gleichwertigen Begriffen von Rationalität und Wissen­schaft im Judentum und Chris­tentum aus­zugehen scheint, zeigt sich zu­letzt, dass sie just im Zu­sam­men­hang mit der Frage der Entste­hung und Entfaltung des Säkula­ri­sierungsprozesses eine wesent­liche Wert-Asymmetrie zuguns­ten des Christentums zwi­schen beiden Denktraditionen vor­aus­setzt. So räsoniert sie: »Hät­te kei­ne christliche Säku­la­risierung statt­gefunden, so hätte die jüdi­sche Religion keinen eigenen Sä­kularisierungsprozeß durch­lau­fen [...].«[75]  In Anbetracht einer solchen Einschätzung kann man sich des Eindrucks kaum er­weh­ren, dass von Brauns Über­le­gun­gen im Grunde nur eine Varia­tion des zwei Millennien alten Topos der Überwindung des Ju­dentums durch das Chris­tentum darstellen.                                                

 

17. Der Gegensatz zwischen den jüdischen und christlichen Denktraditionen, der sich in der Sexualwissenschaft widerspiegelt, ist von Braun zufolge in seinem Ursprung theologischer, und darum grundsätzlicher Natur. In ihrer typologischen Skizze beider Theologien geht die Autorin da­von aus, dass »[f]ür das christ­li­che Denken [...] die Veränderung der Welt, der physisch wahr­nehmbaren Wirklichkeit eine re­ligiöse ›Notwendigkeit‹ dar[stell­te]«,[76] entsprechend dem christli­chen Theologumenon der Welt­werdung des Transzendenten bzw der Menschwerdung Got­tes. Im Unterschied dazu schil­dert von Braun die jüdische Grundhaltung als eine Annahme der bestehenden Welt im Sinne einer »Offenbarung und Gabe Gottes«, aus der »keine dem Christentum vergleichbare missi­o­narische und historische Dy­na­mik gegenüber der Außen­welt«[77] hervorging. Vor dem Hin­ter­grund dieser erstaunlich simpli­fizierenden Rollenver­tei­lung von Statik und Dynamik wird die aus dem Judentum her­vorgegangene Rationalität als eine »im Sinne von Bejahung und Erkenntnis des Bestehen­den, nicht seine Ver­änderung« charakterisiert, um so die These zu untermauern, dass Juden – namentlich erwähnt werden Mag­nus Hirschfeld und Ivan Bloch –  die Sexualwissen­schaft »auf der Biologie fußen sahen – einer Biologie, die sie sozusagen als ›naturgegeben‹ betrachte­ten.«[78] Das von der Au­torin ent­worfene Bild des Juden­tums als eines das Bestehende vorneh­m­lich bejahenden Religi­onsge­bil­des ist nicht aufrecht­zu­er­hal­ten, es sei denn, man ver­gisst das kri­tische Potential, das in der Bot­schaft der biblischen Prophe­ten enthalten ist und sich in den ver­schiedenen Formen von Mes­si­a­nismen, Eschatolo­gien und apo­kalyptischen Bewe­gun­gen in­ner­halb und außerhalb des Ju­den­tums ausgewirkt hat. Von Braun scheint zu über­se­hen, dass selbst das Christentum in seinem Kern sich auf die Bot­schaft eines jü­dischen Wander­predigers be­ruft, der sich gegen die Macht des Be­stehenden wand­te und die baldi­ge Ankunft der   proklamierte.[79] Gerade weil der Gott Israels als der Differente zur Welt gedacht wird, bleibt er die unassimilier­bare kritische Instanz gegenüber allem endlich »Gegebenen«, wel­che die unab­schließbare Umge­stal­tung der Welt entsprechend der »Gabe der Thora« fordert. Wenn die Autorin sich weniger an den lite­rarisch-apologetischen Auskünf­ten Max Brods orientiert hätte und sich statt dessen eine phi­lo­sophisch durchdachte Selbst­­­in­terpretation des Juden­tums wie die von Hermann Cohen ange­eignet hätte, wäre sie in der Lage gewesen nachzuvoll­ziehen, dass das Judentum von sei­nen Quel­len her darauf ange­legt ist, die Welt messianisch zu transfor­mie­ren.[80] Erst im Hin­blick auf diese geistige Grund­haltung lässt sich die kritische und emanzi­pa­tori­sche Ausrich­tung von Mag­nus Hirschfelds Denken als eine spe­zifisch jü­dische be­grei­fen, wel­che sich in einem prin­zipi­ellen Widerspruch zu denjenigen be­findet, die Hein­­­rich Heine als die »Justifika­toren dessen, was da ist«,[81] denunzierte.

 

18. Da von Braun die kritische Kraft des hebräisch-prophe­ti­schen Gedankens eines von der Welt stets differenten Gottes letztlich nicht zu würdigen ver­mag, meint sie die Ansicht ver­treten zu müssen, dass es ohne den christlichen Säkula­ri­sie­rungsprozess keinen jüdischen gegeben hätte. Dabei ignoriert sie die Tatsache, dass dieser Pro­zess entscheidend dadurch ge­fördert wurde, dass heraus­ragen­de Gestalten unter den im 15. Jahrhundert zwangsgetauften Juden und deren Nachkom­men – die sogenannten marranos oder chuetas – eine intellektuelle Reak­tion gegen den Absolutheits­an­spruch des Christentums und des­sen totalitäre Assimilations­po­litik bildeten.[82] Da das Juden­tum in seiner Geschichte nur sel­ten der Gefahr erlegen ist, sich als missionarisches Religionsge­bilde zu missverstehen, ver­moch­te es nach außen ein trans­formierendes, zuweilen revolu­tionierendes Wirkungspotential zu entfalten, ohne darauf abzu­sehen, aus Heiden jüdische Pro­selyten zu machen. So wie der hebräisch-biblische Gott dem Menschen begegnet, ohne des­sen endliche Bestimmung auf­zuheben, so soll die Begegnung des Juden mit dem Nicht-Juden frei von dem allzu menschlichen und häufig religiös verbrämten Assimi­la­tionstrieb des Fremden erfolgen. Um auf diesen theo­lo­gisch-anthropologischen Sach­verhalt zu verweisen, wurden zwei Motti dem ersten Aufsatz des Verfas­sers zu Magnus Hirschfelds Werk vorangestellt, die den Bezug zwischen Juden­tum und Humanität unterstrei­chen.[83] Das erste Motto wurde Hirschfelds Bericht Die Weltreise eines Sexualforschers entnommen und lautet: »[...] dieses ›unstet und flüchtig‹ herumwandernde [...] Volk [...], das nirgends eine eigentliche Heimstätte finden kann und doch überall eine gro­ße menschliche Mission er­füllt.«[84] Im zweiten Motto be­leuchtet Élie Wiesel einen ande­ren Aspekt derselben Grund­hal­tung: »[...] car la mission du Juif n’est pas de judaïser le monde mais de l’humaniser […]«.[85] Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer sons­tigen Positionen heben bei­de Autoren die jüdische Aufgabe einer die ganze Welt umfassende Vermenschlichung hervor, wel­che von den missio­narischen Be­strebungen zuguns­ten einer reli­giösen Weltsicht wesensverschie­den ist. Vor dem Hintergrund der jüdi­schen Moderne, die sich grundsätzlich zwischen der Phi­lo­sophie des Marrano-Nachkom­men Baruch de Spinoza und den Gründungs­texten der Freud­schen Psychoanalyse abspielt,[86] und eingedenk des nicht-assi­mi­latorischen Grund­bezuges des Judentums zur nicht-jüdischen Menschheit, braucht kaum be­tont zu werden, dass die vom Judentum vorangetriebene Ent­zauberung und Humani­sierung der Welt auf den christlichen Säkularisierungsprozess nicht angewiesen waren, um zu der ihnen gemäßen Entfaltung zu kommen.                                                   

 

19. Da von Braun in ihrer Ein­schätzung der modernen Geis­tes­­geschichte des Judentums die kritische Radikalität seiner heraus­­­ragendsten Vertreter ver­kennt, überrascht nicht, dass sie in ihrer Skizze der Sexologie Hirschfelds den Paradigmen­wechsel gänzlich außer acht lässt, den die Zwischenstufenlehre herbeiführt. Zwar hat sich die Autorin Mühe gegeben, einiges zum halachischen Verständnis der Sexualität unter Verwendung der einschlägigen Sekundär­lite­ra­tur zusammenzutragen, um ei­ni­germaßen plausibel zu machen, dass Hirschfelds wissenschaft­liche und emanzipatorische Be­mühungen im traditionellen Ju­dentum verankert sind, doch konnte ein solches Unterfangen schon deswegen nicht zielfüh­rend sein, weil Hirschfelds Zwi­schenstufenlehre das binäre se­xu­­aldistributive Schema, das dem biblischen und rabbinischen Se­xualverständnis zugrunde liegt, radikal in Frage stellt und auf­löst. Da die Autorin Hirschfelds eindeutige Ausführungen über den kritischen Bezug der Zwi­schenstufenlehre zum Sexual­di­morphismus nicht zur Kenntnis nimmt, meint sie behaupten zu können, dass Hirschfeld an der binär aufgefassten Sexualdiffe­renz und an dem herkömmli­chen Junktim von Sexualität und Fortpflanzung festgehalten hat. Nachdem sie Hirschfelds kriti­sche Absichten willkürlich aus­ge­blendet hat, schickt sich von Braun bedenkenlos an, Hirsch­feld dem zuzuordnen, was sie sich unter einer im Geist des Ju­dentums entworfenen Sexo­logie vorstellt. Nicht von ungefähr be­müht die Autorin sogar den To­pos von dem vorgeblich biologi­schen Reduktionismus, wenn sie Hirschfelds auf der Biologie fu­ßende Sexualwissenschaft als ein Erkennen vom »[N]aturgege­be­nen« schildert und dieses  inhalt­lich mit dem Sexualdimor­phis­mus gleichstellt. Offensichtlich ist ihr entgangen, dass Hirsch­felds Annahme von potenziell unendlichen Geschlechtern aus seiner von Baruch de Spinoza inspirierten Auffassung der Na­turvielfalt folgt und konsequent zur Sprengung aller geschlos­se­nen sexualdistributiven Sche­ma­ta –  einschließlich des sexualdi­mor­­phistischen – führt. In An­be­tracht der vorangegangenen Überlegungen ist kaum erfor­der­lich zu betonen, dass die »Jü­disch­keit« von Hirschfelds Sexu­alwissenschaft nicht in irgend­welchen konkreten Überein­stim­mungen mit dem herkömmlich jüdischen Verständnis des Sexu­ellen liegt, sondern im ikono­klas­tischen Gestus der Auflösung von Un­freiheit stiftenden Sexu­al­bildern, der eine der Sittlichkeit ver­pflich­tete Emanzipationsge­schichte einleitet. Da im Mit­tel­punkt von Hirschfelds sexolo­gischer Konzeption das Indi­vi­duum steht, das durch seine ein­zigar­tige und darum unwie­der­holbare Geschlechtsdifferenz durchgängig bestimmt ist, be­greift er diese Differenz nicht unter Rekurs auf die Figur der Teilhabe an einer »göttlich« oder »natürlich« vorgegebenen Ord­nung sexueller Distribution, son­dern im Sinne einer eigentlich unabschließbaren Aufgabe, die in der freiheitlichen Ausgestal­tung der in der Individualkons­titution angelegten Sexualmög­lichkeiten besteht. Der Paradig­menwechsel, den Hirschfelds of­fenes Schema sexueller Distri­bu­tion mit sich bringt, ermög­licht eine radikalisierte Erfahrung der je eigenen Endlichkeit, weil die­ses Schema die geschlecht­li­che Alterität des Individuums durch keine er­zwun­gene Ent­sprechung zu ei­nem ewig gülti­gen Sexual­mus­ter einschränkt. Entgegen der her­kömmlichen Sanktion der hete­rosexuellen bzw. homo­sexu­ellen Ge­schlechts­­kombinatorik lässt die Zwischenstufenlehre einen Ho­rizont der Zwischen­mensch­lich­keit anvisieren, in dem die Erfah­rung des sexuellen bzw. eroti­schen Aufeinander-Ange­wie­sen­seins im Zeichen der Be­gegnung von geschlechtlich nicht katego­risierbaren Indivi­duen zum Tragen kommt.

 

20. In der Hirschfeld-Forschung gilt weitgehend als ausgemacht, dass der Sexologe »denkerisch anspruchslos«[87] war, durch »Er­kennt­nisarmut«[88] charak­te­risierte Schriften verfasste und seine eigene Jüdischkeit tabuisierte.[89]  Weder die zugrundeliegende Konzeption des Sammelbandes noch die meisten der darin ent­haltenen Beiträge waren darauf angelegt, derartige Vorurteile zu hinterfragen oder zu beanstan­den. Bedenkt man, dass Hirsch­feld – ein aus Deutschland stam­mender, zuletzt staatenlos ge­wordener Jude – erstmalig ein sexualdistributives Schema auf­stellte, das den Sexualdimorphis­mus und seine duale Kombi­na­to­rik im Hinblick auf die po­ten­ziell unerschöpfliche Varietät der Geschlechter auflöste, so mutet es seltsam an, dass in einer in Deutschland stattgefundenen Tagung 68 Jahre nach seinem Tode die Organisatoren und die überwiegende Mehrheit der Vor­tragenden sich stillschweigend darauf verständigen konnten, die sexualtheoretischen und sexual­politischen Konsequenzen seiner bahnbrechenden »Lehre« zu ver­drängen. Dass nur Rüdiger Laut­mann mit seiner Feststel­lung, dass Hirschfeld »[z]um Klas­siker [...] bislang nicht geworden [ist]«[90], eine abwei­chende Ein­schätzung des Hirsch­feldschen Œuvres kund­tat, macht die Be­schränkt­heit des Denkhorizontes deut­lich, in dem die für die Ta­gung verantwort­lichen Reprä­sen­tanten des Moses Mendelssohn Zen­trums für europäisch-jüdische Studien, des Kulturwissen­schaftlichen Seminars der Humboldt Universität zu Berlin und der Magnus-Hirschfeld-Gesell­schaft[91] sich bewegen. In An­be­tracht dieser Sachlage drängt sich der Ein­druck auf, dass die Misere der Hirschfeld-Studien in Deutsch­land in erster Linie nicht auf den Mangel an finanziellen und or­ganisatorischen Mitteln zurück­zuführen ist. Denn für die Texte, die aufgrund ihrer inter­pretato­rischen und religionsge­schicht­lichen Defizite im vorigen bean­standet werden mussten, haben sich nicht Studenten oder Dok­to­randen, sondern Hoch­schul­­lehrer zu verantworten.                



[1] Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Berlin-Brandenburg 2004  

[2] Cf. Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Un­ruhe« und »Menschheitsassi­mi­la­tion«:  Zu Magnus Hirschfelds Auffas­sung vom Judentum. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.):  Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 271-291

[3] Herzer, Manfred:  Magnus Hirsch­feld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexo­logen. 2., überarb. Aufl., Hamburg 2001: 7

[4] Herzer, Manfred:  Magnus Hirschfeld, op. cit.: 7-8

[5] Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Un­ru­he« und »Menschheits­assi­milation«, op. cit.: 274. In diesem Zusam­men­hang sei darauf hingewiesen, dass der zukunfts­trächtige Charakter von Hirsch­felds theoretischen Grundan­sichten sich u.a. darin zeigt, dass sie Themen und An­liegen vorwegnehmen, die seit Anfang der 90er Jahre vor­nehm­lich von den Repräsentanten von Queer und Trans­gender studies arti­kuliert werden. Cf. Bauer, J. Edgar:  Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sex­ual Intermediaries and the Trans­gender Politics of  (No-)Iden­tity. In:  Past and Present of Radical Sexual Politics. Ed.: Gert Hekma. Amster­dam 2004: 41-55. Im folgenden wird danach zitiert. Die­ser Text ist auch im Internet zugäng­lich: Bauer, J. Edgar:  Magnus Hirsch­feld's Doctrine of Sexual Interme­diaries and the Trans­gender Politics of  (No-)Identity. In: Procee­dings of the Conference »Past and Present of Radical Sexual Po­li­tics«. The fifth meeting in the series Socialism and Sexuality,  University of Amsterdam, 3-4 October 2003. Organized by the Mosse Foundation, Gay and Lesbian Studies and the Master Club Gender, Sexuality and Culture. http://www.iisg.nl/~womlist/hirschfeld.doc, 2004.

[6] Keilson-Lauritz, Marita:  Tagungs­bericht. Internationale Hirschfeld-Tagung im Potsdamer Moses Mendels­sohn Zentrum. Ein nach-denklicher Bericht. In: Forum 42 (2003): 115

[7] Keilson-Lauritz, Marita:  Tagungs­bericht, op. cit.: 115

[8] Herzer, Manfred:  Magnus Hirschfeld, op. cit.: 27-28

[9]  Nach dem Vorwort der Herausgeber und dem einleitenden Beitrag von Friedemann Pfäfflin werden die Auf­sätze in folgende Abteilungen grup­piert:  Biografisches, Wissen­schaft­li­che Konzepte, Das Institut für Sexu­al­wissenschaft, Per Scientiam ad Justi­tiam, Hirschfeldrezeption in Politik und Literatur. 

[10] Cf. Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Unruhe« und »Menschheits­assimi­lation«, op. cit.: 273-275

[11] Orzessek, Arno: Der Gott der Juden küsst nicht. Eine Tagung in Potsdam über den Sexualreformer Magnus Hirschfeld. In: Süddeutsche Zeitung vom 17./18. Mai 2003: 14 

[12] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute. In: Ko­towski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 26 

[13] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 22

[14]  Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 15

[15] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 14

[16] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 16

[17] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24

[18] Hirschfeld, Magnus: Berlins Drittes Geschlecht. Mit einem Anhang:  Paul Näcke:  Ein Besuch bei den Homo­sexu­ellen in Berlin. Hrsg. und mit ei­nem Nachwort versehen von Manfred Herzer. Berlin 1991: 10 und 14

[19] Hirschfeld, Magnus: Das angeblich dritte Geschlecht des Menschen. In:  Zeitschrift für Sexu­al­forschung 6 (1919): 22

[20] Cf. Hirschfeld, Magnus: Ge­schlechts­­kunde auf Grund dreißig­jäh­riger Forschung und Erfahrung bearb. 5 Bände. Stuttgart 1926-1930

[21] Hirschfeld, Magnus: Die intersexu­elle Konstitution. In:  Jahrbuch für sexu­elle Zwischenstufen 23 (1923): 23

[22] Ramien, Th. [=Magnus Hirschfeld]:  Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts?  Leipzig 1896: 49. Hervorhebung des Verfassers.

[23] Hirschfeld, Magnus: Die intersexu­elle Konstitution, op. cit.: 10

[24] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23

[25] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23

[26] Hirschfeld, Magnus: Geschlechts­kun­de auf Grund dreißigjähriger For­schung bearbeitet. I. Band:  Die kör­perseeli­schen Grundlagen. Stuttgart 1926: 548. Lindemann verweist auf diese von ihr missverstandene Stelle in: Lindemann, Gesa: Magnus Hirsch­feld [1993]. In: Seeck, Andreas (Hrsg.): Durch Wissen­schaft zur Ge­rechtigkeit?  Münster u.a. 2003: 102.      

[27] Hirschfeld, Magnus: Geschlechts­kunde auf Grund dreißigjähriger For­schung bearbeitet. I. Band, op. cit.: 548

[28]  Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24

[29] Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds. In: 100 Jahre Schwulen­be­wegung. Dokumentation einer Vor­tragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und herausgegeben von Manfred Herzer. Berlin 1998: 15-45. Der Essay ist auch erschienen in: Seeck, Andreas (Hrsg.): Durch Wis­sen­schaft zur Gerechtigkeit? Text­samm­lung zur kritischen Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld. Münster u.a. 2003: 133-155. Im fol­gen­den wird nach dieser Ausgabe zitiert.

[30] Bauer, J. Edgar:  Der Tod Adams, op. cit.: 144

[31] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24

[32] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24

[33] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24-25

[34] Pfäfflin, Friedemann:  Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23

[35]  Es handelt sich um folgende Erwi­derungen: Bauer, J. Edgar: Über Hirsch­felds Anspruch. Eine Klarstel­lung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 29/30, Juli 1999: 66-80; und Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld:  per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 33/34, 2002: 68-90.

[36] Es handelt sich um folgende Bei­träge: Bauer, J. Edgar: »43 046 721 Sexual­typen.« Anmerkungen zu Mag­nus Hirschfelds Zwischenstufen­lehre und der Unendlichkeit der Ge­schlech­ter. In: Capri Nr. 33, Dezember 2002: 23-30;  Bauer, J. Edgar: Ge­schlecht­liche Ein­zigkeit. Zum geis­tesge­schicht­lichen Konnex eines sexualkri­tischen Gedan­kens. In: Capri  Nr. 34, November 2003: 22-36;  und vor allem: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfelds »Zwi­schen­stu­fen­lehre« und die »Zwischenstufen­theorie« sei­ner Interpreten. Notizen über eine rezep­tionsgeschichtliche Kon­fusion. In: Capri Nr. 35, April 2004: 36-44.

[37]  Diese Auseinandersetzung ist einer der Schwerpunkte der in Fußnote 36 und 37 angeführten Publikationen.

[38] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 294

[39] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom. Magnus Hirschfeld und die Sexualkultur nach 1900. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 299, 300, 301 und 306

[40] Braun, Christina von: Ist die Sexu­al­wissenschaft eine ›jüdische‹ Wissen­schaft? In: Kotowski, Elke-Vera und Ju­lius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexu­al­re­former Magnus Hirschfeld, op. cit.: 257  

[41]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 299

[42]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300

[43]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 301

[44]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 301

[45] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 303

[46] Cf. Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sexual Inter­mediaries and the Transgender Politics of  (No-)Identity, op. cit.: 41-55

[47] Hirschfeld unterscheidet zwischen den deskriptiven Schichten (1) der Ge­schlechtsorgane, (2) der sonstigen kör­perlichen Eigenschaften, (3) des Ge­schlechtstriebes und (4) der sonsti­gen seelischen Eigenschaften. Cf. da­zu: Hirschfeld, Magnus: Die Homo­sexua­li­tät des Mannes und des Weibes. Nach­druck mit einer kommentierenden Ein­leitung von E.J. Haeberle. Berlin / New York 1984: 357; und Hirschfeld, Mag­nus: Ge­schlechtskunde auf Grund drei­ßig­jähriger Forschung und Erfahrung be­arbeitet. I. Band: Die körpersee­li­schen Grundlagen, op. cit.: 547-548

[48] Hirschfelds Schema kann als ein wichtiger Ausgangspunkt der diffe­ren­zierteren Schemata betrachtet werden, die die Sexualwissenschaft in den letz­ten Jahren entwickelt hat. Dazu cf. die u.a. von Judith Shapiro vertre­te­ne Ein­teilung allein des biologischen Ge­schlechts in »chromosomal (or genetic) sex, anato­mical (or mor­phological) sex, genital (or gonadal sex), germinal sex and hormo­nal sex«. (Shapiro, Judith: Transsex­ualism: Reflections on the Persistence of Gender and the Mutability of Sex. In: Epstein, Julia and Kristina Straub: Body Guards. The Cultural Politics of Gender Ambiguity. New York and London 1991: 250.)  Cf. dazu auch: Haeberle, E.J.: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas. 2., erw. Aufl. Hamburg 1985: 151-152.

[49]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300

[50]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 306

[51]  Cf. Ferenczi, S[ándor]: Bausteine zur Psychoanalyse. Band I:  Theorie. Mit einem Vorwort von M. Balint. 2. Aufl. Bern und Stuttgart 1964: 168. Ein ver­gleichbarer Begriff wurde von Adrienne Rich schon im Titel ihres nun klassi­schen Essays »Compulsory Heterosex­ua­lity and Lesbian Exis­tence« (1980) ge­prägt, der in ihrer Textsammlung enthal­ten ist: Rich, Adrienne: Blood, Bread and Poetry. Selected Prose 1979-1985. London 1987: 23-75.

[52]  Cf. dazu insbesondere: Spanier, Bonnie B.: »Lessons« from »Nature«:  Gender Ideology and Sexual Ambi­guity in Biology. In: Body Guards. The Cul­tural Politics of Gender Ambiguity. Ed. by Julia Epstein and Kristina Straub. New York & London 1991: 329-350;  Siann, Gerda: Gender, Sex and Sex­uality. Contem­porary Psychological Per­spectives. London 1994;  Spanier, Bonnie B.: Im/Partial Science. Gender Ideology in Molecular Biology. Bloom­ington and Indianapolis 1995; van den Wijngaard, Marianne: Reinventing the Sexes. The Biomedical Construction of Femini­nity and Masculinity. Bloom­ing­ton and Indianapolis 1997; Rogers, Lesley:  Sexing the Brain. New York 2001.

[53]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300

[54]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 308

[55]  Hier sei auf eine vermutlich redak­tio­nelle Inkonsistenz in Lautmanns Aus­füh­rungen hingewiesen. Obwohl es zunächst heißt, dass die »Ja«-Anga­ben im Sinne von »Widersprüchen zur Sexu­alkultur seiner [= Hirschfelds] Zeit« de­fi­niert werden, steht unmit­telbar nach der Tabelle der Satz: »ja = Übereinstim­mung mit der Sexualkultur der Zeit, nein = Widerspruch dazu.« (Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 308)

[56]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 309.

[57]  Für eine ausführlichere Behandlung der Problematik cf. insbesondere:  Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld:  per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung, op. cit.: 77-81 [=§ 6] 

[58]  Cf. Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310

[59]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310

[60]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310

[61]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310

[62]  Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 296

[63] Cf. z.B. die Sichtweise, welche die Herausgeber des Sammelbandes gleich auf der ersten Seite des Vorwortes ver­treten: »Während er [d.i. Magnus Hirsch­feld] sich zeitlebens für eine Entkriminalisierung Homosexueller einsetzte, vermied er es jedoch, sich selbst zu outen. Ebenso tabuisierte er sein ›Judesein‹.« (Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps: Vorwort. In:  Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.):  Magnus Hirschfeld, op. cit.: 7)

[64]  Cf. Hirschfeld, Magnus: Die Welt­reise eines Sexualforschers. Brugg 1933. Auf die entsprechenden Passa­gen wird hingewiesen in: Bauer, J. Edgar: »Ahas­verische Unruhe« und »Menschheits­assimilation«, op. cit.: 271-291.

[65]  Cf. Hirschfeld, Magnus: Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr  (19. [eigentlich: 20] Fortsetzungen). In:  Die Wahrheit. Prag, Jahrgänge 13 (1934) Nr. 44-52 und 14 (1935) Nr. 1-15. Es gibt eine englische Fassung des Textes: Hirschfeld, Magnus: Racism. London 1938.

[66] Cf. dazu die in den Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Nr. 37) demnächst erscheinende Er­wide­rung des Verfassers auf die vor­läufig letzten Einwände von Man­fred Herzer: Bauer, J. Edgar:  Magnus Hirschfeld:  Sexual­identität und Geschichtsbe­wusstsein. Ein dritte Klarstellung, §§ 11-14

[67] Cf. Gay, Peter: A Godless Jew. Freud, Atheism and the Making of Psycho­analysis. New Haven and London  1987

[68] Cf. Klein, Dennis B.: Jewish Origins of the Psychoanalytical Movement [1981]. Chicago and London 1985

[69] Cf. Yerushalmi, Yosef Hayim:  Freud's Moses. Judaism Terminable and Interminable. New Haven and London 1991

[70]  Cf. Bernstein, Richard J.: Freud and the Legacy of Moses. Cambridge 1998

[71] Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 261

[72]  Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 267

[73]  Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 266

[74]  Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 267

[75]  Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 260

[76]  Braun, Christina von:  Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 259

[77]  Braun, Christina von:  Ist die Sexu­alwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissen­schaft?, op. cit.: 260

[78]  Braun, Christina von:  Ist die Sexu­alwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 260

[79] Cf. Matthäus 3,2

[80] Cf. vor allem: Cohen, Hermann:  Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Nach dem Manuskript des Verfassers neu durchgearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Bruno Strauß. 2. Aufl. Leipzig 1929. Nachdruck 1978

[81] Heine, Heinrich: Sämtliche Schrif­ten in zwölf Bänden. Hrsg. von Klaus Briegleb. Band 5:  Schriften 1831-1837. München – Wien 1976: 438 

[82]  Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: »Häre­sie«: Religionskritische Thesen zur Auflösung des Begriffs im Geiste des Judentums. In: Pieper, Irene u.a. (Hrsg.): Häresien. Religions­her­me­neutische Studien zur Konstruktion von Norm und Abwei­chung. Mün­chen 2003: 169-188, insbesondere S. 174-177

[83]  Cf. Bauer, J. Edgar:  Der Tod Adams, op. cit.: 133

[84]   Hirschfeld, Magnus: Die Weltreise eines Sexualforschers, op. cit.: 390

[85] Wiesel, Élie: Parole d´étranger. Textes, contes et dialogues. Paris 1982: 141

[86] Cf. dazu: Yovel, Yirmiyahu: Spino­za. Das Abenteuer der Imma­nenz. Göttingen 1994

[87] Sigusch, Volkmar: »Man muß Hitlers Experimente abwarten.« In: Der Spiegel, Nr. 20 (13.5.1985): 244 

[88]  Dannecker, Martin: Der Homo­sexuelle und die Homosexualität. Frankfurt a. M. 1978: 47

[89]  Cf. Herzer, Manfred:  Magnus Hirsch­feld. Leben und Werk eines jü­dischen, schwulen und sozialis­ti­schen Sexologen. Frankfurt / New York 1992: 16. Die Passage ist auch in der »über­ar­beitete[n] Auflage« des Werkes nachzu­lesen: Herzer, Man­fred: Magnus Hirschfeld, op. cit.: 40.

[90] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310

[91] So die Auskunft des die Tagung ankündigenden Faltblattes.