J. Edgar Bauer MAGNUS HIRSCHFELD: DER
SEXUALDENKER
Ursprünglich
erschienen in: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum. Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.
»Du hast kein Gedächtnis für Dinge, die vor zehn oder 20 Jahren vorgefallen sind, und daher wiederholst du die Dummheiten, die du schon vor 2000 Jahren sagtest.« Wilhelm Reich: Rede an den kleinen Mann, Frankfurt a.M. 1986: 97
1. Am 14. Mai 2003 jährte sich zugleich der 135. Geburtstag und der 68. Todestag von Magnus Hirschfeld. Aus diesem Anlass veranstaltete das Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum eine dreitägige Konferenz zum Thema »Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. 1868-1935. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft«. Ein Sammelband, der die meisten Vorträge der Tagung enthält, erschien dann 2004.[1] Da der Verfasser der nachstehenden Ausführungen einen Vortrag zu Magnus Hirschfelds Auffassung vom Judentum hielt, der im erwähnten Werk veröffentlicht wurde,[2] und zudem an einer im Rahmen der Tagung stattgefundenen Podiumsdiskussion teilnahm, wäre es unangebracht, eine Buchbesprechung des aus der Tagung hervorgegangenen Sammelbandes vorlegen zu wollen. Im folgenden handelt es sich darum ausschließlich um die Erörterung von zwei Sachfragen, die in verschiedenen Beiträgen thematisiert wurden und in einem direkten Bezug zu Thesen stehen, die der Verfasser zu Hirschfelds Verständnis von Sexualwissenschaft und Judentum in früheren Veröffentlichungen vertreten hat. Da sowohl der einführende Text von Friedemann Pfäfflin über »Die Relevanz Hirschfelds hier und heute« als auch der Beitrag von Rüdiger Lautmann, der den Titel »Mit dem Strom – gegen den Strom. Magnus Hirschfeld und die Sexualkultur nach 1900« führt, einige kritische Äußerungen zu der vom Verfasser vorgeschlagenen Deutung von Hirschfelds »sexueller Zwischenstufenlehre« und dessen Verhältnis zur jüdischen Geistestradition enthalten, wird es hier zunächst darum gehen, die Vorbehalte beider Autoren zu analysieren und zu entkräften. Dann wird der Versuch unternommen, die Gegensätzlichkeit zwischen den Hirschfeld-Interpretationen zu präzisieren, die den Beiträgen von Christina von Braun und vom Verfasser zugrunde liegen. Im vierten Teil der Konferenz, der unter Hirschfelds Lebensmotto »Per Scientiam ad Justitiam« stand und in dessen Rahmen die Beiträge Lautmanns und des Verfassers gehalten wurden, präsentierte auch die Autorin ihre Ansichten zum Thema »Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?«, bei denen ein Verständnis von Hirschfelds wissenschaftlichen Bemühungen und deren Bezug zum Judentum vorausgesetzt wird, das mit den vom Verfasser vorgetragenen Thesen zu beiden Themenkomplexen scharf kontrastiert. Da keine diesbezügliche Auseinandersetzung während der Tagung möglich war, scheint es angemessen, das Versäumte im Rahmen dieser Ausführungen nachzuholen.
2. Es gehört zu den Augenfälligkeiten des von Elke-Vera Kotowski und Julius H. Schoeps herausgegebenen Sammelbandes, dass der auf dem Buchdeckel angegebene Titel höhere Erwartungen weckt als die entsprechende Formulierung des Schmutztitels und die auf dem Titelblatt. Bald aber erweist sich die schlichtere und zugleich anspruchsvollere Angabe »Magnus Hirschfeld« auf dem Deckel als nur eine Kürzung des eigentlichen Titels des Sammelbandes, welcher »Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld« – in Entsprechung zu den Formulierungen in der Ankündigung und im Flyer der Tagung – lautet. Damit war eine sachliche Fokussierung intendiert, welche der konzeptionellen Arbeit der Organisatoren und Herausgeber zugrunde lag. Da der Akzent auf »Sexualreformer« aber eine Einschätzung von Werk und Wirkung Hirschfelds erkennen lässt, die auf eine Überschattung seiner denkerischen Leistungen angelegt ist, kann nicht überraschen, dass die thematische Gliederung des Sammelbandes nirgends vorsah, die Frage nach Hirschfelds epochaler Redefinition der geschlechtlichen Differenz im Rahmen der Zwischenstufenlehre eigens zu untersuchen.
3. Im Vorwort zur 2. Auflage seiner Hirschfeld-Biografie, das den Titel »Hirschfeld-Forschung in den neunziger Jahren« trägt, stellt Manfred Herzer 2001 fest, dass in dem Dezennium »eine neue Sicht der Dinge oder eine neue Gewichtung und Deutung der Tatsachen [...] nicht zu gewinnen [war].«[3] Dann führt er aus: »Allein J. Edgar Bauers Neuinterpretation der Hirschfeldschen Zwischenstufenlehre bildet hier eine Ausnahme, indem sie ›die eigentliche utopische (präziser: messianische) Dimension Hirschfelds‹ erörtert.[...] Dass diese Deutung der Zwischenstufenlehre bisher nahezu völlig unbeachtet blieb [...] muss wohl als Symptom für das weitgehende Desinteresse an einer Auseinandersetzung mit Hirschfeld gewertet werden.«[4] Obwohl Herzers Vorwort zwei Jahre vor der Potsdamer Hirschfeld-Konferenz veröffentlicht wurde, verschlossen sich die Organisatoren der Frage, ob Hirschfelds Sexualdenken womöglich von größerer Bedeutung ist, als all das, was er auf dem Gebiet der sexualemanzipatorischen Politik erzielen konnte. Sowohl dem Vorwort des Sammelbandes als auch der konzeptionellen Strukturierung der vorgesehenen Einzelthemen ist zu entnehmen, dass die Veranstalter die grundlegende Frage nach dem Verhältnis von Hirschfelds Reformwerk zum meta-theoretischen Entwurf seiner sexuellen Zwischenstufenlehre konsequent zu vermeiden suchten. In Anbetracht ihrer schwerwiegenden Entscheidung muss leider erneut darauf hingewiesen werden, »dass Hirschfeld für die jüdische Kulturgeschichte nicht nur wegen seiner Bemühungen um die Gleichberechtigung der Homosexuellen von außerordentlicher Bedeutung ist, sondern auch und vor allem weil die wissenschaftlich begründete Auflösung binomer Sexuiertheit durch die Zwischenstufenlehre einen epochalen Paradigmenwechsel im Verständnis der menschlichen Sexualdifferenz vollzog.«[5]
4. Im Vorwort des Sammelbandes wird bezeichnenderweise nicht darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Konferenz die schon erwähnte Podiumsdiskussion zum Thema »Ein schwuler Jude und die deutsche Erinnerungskultur« stattfand, die von Julius H. Schoeps geleitet wurde und an der sich Sophinette Becker (Frankfurt am Main), Christina von Braun (Berlin), Manfred Herzer (Berlin), Rüdiger Lautmann (Hamburg), Rosa von Praunheim (Berlin) und der Verfasser beteiligten. In ihrem »nach-denkliche[n] Bericht« über die Tagung bemerkte Marita Keilson-Lauritz, dass das, worüber die Podiumsteilnehmer »hätten reden wollen«, »ein wenig in der Frage steckenblieb, wie erinnerungswürdig Hirschfeld sei.«[6] Die Autorin präzisiert, dass das Unbefriedigende an der Diskussion über die Erinnerungswürdigkeit des Sexologen »genau daran, nämlich an der deutschen Erinnerungskultur«[7] lag, teilt aber leider nichts Näheres darüber mit, an welche Aspekte des Hirschfeldschen Œuvres die Diskutanten sich hätten erinnern sollen. Die Klärung dieser Frage wäre um so dringender gewesen, als die meisten Diskussionsteilnehmer sehr wohl zu wissen meinten und in ihren Ausführungen davon ausgingen, dass Hirschfelds Bedeutung in der Geschichte der Sexualemanzipation sich in seiner Rolle als »Sexualreformer« erschöpfte. Die entscheidende Frage war für sie folglich, ob das Reformwerk Hirschfelds so viel »Erinnerungskultur« verdient habe, dass man ihm gleich eine ganze Tagung widmen sollte. Es schien, als ob die Mehrheit der Diskutanten ohne weiteres die Einschätzung Manfred Herzers hätte unterschreiben können, die in seiner Hirschfeld-Biografie nachzulesen ist: »Bei näherem Hinsehen bemerkt man [...], dass Hirschfelds Werk, sein Konzept einer Geschlechtskunde oder Sexologie, seine Antworten auf die sexuellen Probleme der modernen Zivilisation schon in den dreißiger Jahren zu veralten begannen und spätestens mit dem Erscheinen der Kinsey-Reports 1949 und 1953 nur noch ein abgeschlossenes Kapitel aus der Geschichte der Sexualwissenschaft repräsentierten.«[8] Herzers Einschätzung der Hirschfeldschen Sexologie verträgt sich bestens mit der vorherrschenden Ansicht, Hirschfeld sei vornehmlich oder ausschließlich ein »Sexualreformer« von nur noch historischem Interesse in der Gegenwart. Wenn Hirschfelds wissenschaftliche und emanzipationspolitische Bestrebungen sich nur nach Zielen richteten, welche schon längst erreicht wurden oder sich gar als überholt erwiesen haben, dann gebühren ihm höchstens Pietät und Dankbarkeit, aber doch nicht die Aufmerksamkeit, die man nur zukunftsweisenden Denkern zollt. Da die meisten Podiumsteilnehmer – in Übereinstimmung mit den organisatorischen Vorgaben der Konferenz – in Hirschfeld nur einen »Sexualreformer« zu erkennen vermochten, weigerten sie sich beharrlich, sich mit der These des Verfassers auseinanderzusetzen, dass die eigentliche, aber bis heute kaum gewürdigte Bedeutung Hirschfelds in der Aufstellung der sexuellen Zwischenstufenlehre und der damit zusammenhängenden Postulierung der potentiell unendlichen Geschlechter besteht. Trotz der wiederholten Versuche des Verfassers, die Aufmerksamkeit auf diese wahrlich denkwürdigen Aspekte von Hirschfelds Bemühungen zu lenken, bezogen die meisten Diskutanten mit gedankenloser Unbeirrtheit Positionen, die letztlich einer Musealisierung Hirschfelds gleichkamen.
5. Es kann als symptomatisch gelten, dass keiner der neunzehn abgedruckten und in fünf Abteilungen gruppierten Beiträge[9] sich zum Ziel setzte, Gehalt und Relevanz der Zwischenstufenlehre als Herzstück von Hirschfelds Sexologie zu analysieren und zu würdigen. Dass diese Problematik nicht thematisiert wurde, ist das Ergebnis von konzeptionellen und organisatorischen Entscheidungen, die vermutlich nicht nur von den zwei Herausgebern des Sammelbandes mitgetragen wurden. Denn abgesehen von dem schon erwähnten Hinweis Manfred Herzers auf die vom Verfasser vorgeschlagene Neudeutung der Zwischenstufenlehre hatte dieser auf eine Anfrage hin, die im Vorfeld der Tagungs-Vorbereitungen erfolgte, die Gelegenheit, auf die dringende Notwendigkeit aufmerksam zu machen, Hirschfelds »Lehre« im Rahmen der geplanten Veranstaltung schwerpunktmäßig zu behandeln. Da das dem Verfasser zugewiesene Thema nur die Erörterung der Frage nach Hirschfelds Verständnis des Judentums vorsah, konnte im Kontext des Vortrags auf die Verbindung von der Zwischenstufenlehre und seinem jüdisch inspirierten Befreiungsethos nur summarisch eingegangen werden.[10] Vor diesem Hintergrund war es um so erfreulicher, dass ein offensichtlich aufmerksamer Zuhörer Tage darauf in einem Zeitungsartikel schrieb: »Für Bauer ist Hirschfeld ein ›messianischer Denker‹, der für die ›Menschheitsassimilation des Judentums‹ eintritt: ›Wenn der Mensch nur Mensch sein wird, ist Hirschfelds Ziel erreicht.‹ Der Ansatz zu einer Gesamtdeutung des Phänomens Hirschfeld wurde erkennbar. Allein, die Konferenz wollte darüber nicht streiten. Man vertiefte sich lieber in den irdischen Helden, der Sex-Spielzeug gesammelt hat, Europas Vortragssäle füllte und in mehreren Romanen auftaucht [...].«[11] Diese die Atmosphäre der Tagung prägende Unwilligkeit, sich auf ein theoretisches Niveau von Diskursivität einzulassen, hätte kaum prägnanter zum Ausdruck gebracht werden können.
6. Die Organisatoren der Tagung trafen sicherlich eine in ihrem Sinne zweckdienliche Entscheidung, als sie Friedemann Pfäfflin mit der Aufgabe betrauten, einen einleitenden Vortrag zu halten, der den vielversprechenden Titel »Die Relevanz Hirschfelds hier und heute« führte. Offenbar übertraf Pfäfflin alle auf ihn gesetzten Erwartungen, als er die gängigen Ansichten über Hirschfeld mit einem überschwänglichen Loblied auf seine Tatkraft bestätigte, das in den Sätzen gipfelte: »Mir scheint, dass es ihm [d.i. Hirschfeld] weniger ums Denken ging als ums Wollen, Etwas-tun-Wollen. Und dabei hat er einiges auf die Beine gestellt, an dem sich die, die ihn beurteilen, erst einmal messen mögen.«[12] Um den »Reformer« Hirschfeld um so kontrastreicher zu präsentieren, machte sich Pfäfflin das ganze Arsenal von Einwänden zu eigen, die gegen Hirschfelds theoretische und wissenschaftliche Leistungen erhoben werden. Nicht von ungefähr erwähnt Pfäfflin sogar Martin Danneckers Charakterisierung vom Schreibstil Hirschfelds als einem »Stil des ›höheren Geschwätzes‹« und führt aus: »Es wird so wenig abstrahiert und reflektiert, dafür um so mehr anekdotisches Material ausgebreitet; ja man wird gelegentlich mit Material überschüttet, mit seitenlangen Fallgeschichten und Zitaten aus anderen Quellen, deren Reflexion an der Oberfläche bleibt.«[13] Obwohl Pfäfflin – seinen eigenen Angaben zufolge – »zu Hause [...] zwei Regalmeter«[14] von Büchern, die von Hirschfeld geschrieben wurden, besitzt, zeugen seine »Anmerkungen und Kommentare zur eigenen Wiederentdeckung von Hirschfeld«[15] von keiner sachlichen Auseinandersetzung mit den Texten des Sexologen, sondern nur von einer relativen Informiertheit über die sogenannte Sekundärliteratur, die er ständig referiert und variiert. Gegenüber Pfäfflins Verfahren und Ergebnissen kann nur daran erinnert werden, dass die sachgemäße Einschätzung der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte eines Autors die genaue Kenntnisnahme der Quellen voraussetzt, deren Deutung, Kritik und Auswirkungen es in der Gegenwart zu thematisieren gilt.
7. In Anbetracht seines eigenen Textes mutet es seltsam an, dass Pfäfflin sich zu der Meinung versteigt, dass es Hirschfeld eigentlich nicht ums Denken ging. Abgesehen von seinem unkritischen Umgang mit der Wirkungsgeschichte des Sexologen sind es vor allem Pfäfflins Äußerungen zu Hirschfeld selbst, die eine erstaunliche, sachliche und begriffliche Undifferenziertheit verraten. So schreibt er zum Beispiel von »Hirschfelds Konzepten über das dritte Geschlecht«[16]oder von »seine[r] ätiologische[n] These vom Dritten Geschlecht«[17] unter völliger Ausblendung der Tatsache, dass Hirschfeld schon in seinem Buch Berlins Drittes Geschlecht von 1904 ausdrücklich darauf hinwies, dass der Terminus »drittes Geschlecht« »nicht gerade sehr treffend« bzw. »nicht gerade glücklich«[18] sei, aber immerhin besser als das Wort »homosexuell«, das den Akzent auf das Vorkommen sexueller Akte oder deren Beabsichtigung setzt. Darüber hinaus verschweigt Pfäfflin, dass Hirschfeld in seiner »Erwiderung« auf G. Fritsch rückblickend hervorhebt, dass er sich »in wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Ausdrucks ›drittes Geschlechts‹ nicht bedient«[19] und dass er statt dessen in solchen Publikationen die Bezeichnung »sexuelle Zwischenstufe« bzw »Geschlechtsübergänge« verwendet hat. Daher nimmt es nicht wunder, dass der Begriff »drittes Geschlecht« in Hirschfelds fünfbändigem Hauptwerk Geschlechtskunde nirgends terminologisch eingesetzt und dementsprechend im Registerteil nicht berücksichtigt wird.[20] Von der begrifflichen Frage im engeren Sinne abgesehen, ist darauf hinzuweisen, dass Hirschfeld die Postulierung einer dritten Sexualalternative – unter welchem Namen auch immer – nur als einen »Notbehelf« ansah, der dazu diente, über das »leider nur allzu oberflächliche Einteilungsschema [...] in Mann und Weib«[21] hinauszuführen. In diesem Licht erscheint die Annahme einer dritten Sexualalternative im Grunde nur als eine zweckmäßige, provisorische Fiktion, deren spezifische Funktion in der Auflösung des binomen Schemas sexueller Distribution besteht und darum in keiner Weise die schon 1896 in Hirschfelds sexologischer Erstlingsschrift mitgeteilte Einsicht aufhebt, dass »alle Menschen [...] intersexuelle Varianten«[22] sind. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie sehr Pfäfflins beiläufige Erwähnungen des »dritten Geschlechts« und seine sonstigen Ausführungen zum Thema einer dritten Sexualalternative den sexualkritischen Aussagen und Intentionen Hirschfelds widersprechen und aufgrund ihrer Unreflektiertheit dazu beitragen, das gängige Zerrbild des Sexologen zu perpetuieren.
8. Unter diesen Voraussetzungen ist nicht überraschend, dass Pfäfflin trotz seiner wiederholten Verweise auf Hirschfelds Zwischenstufenlehre deren Tragweite und Relevanz »hier und heute« systematisch verkennt. Bezeichnenderweise lässt Pfäfflin die Tatsache unbeachtet, dass die Zwischenstufenlehre die Überwindung eines jeglichen geschlossenen Schemas sexueller Distribution ermöglicht, indem sie potenziell unendliche Geschlechter postuliert, deren Vielfalt identisch mit der Anzahl der tatsächlich existierenden, sexuierten Individuen ist, entsprechend Hirschfelds Feststellung, dass »hinsichtlich der Sexualkonstitution [...] jeder Mensch seine Natur und sein Gesetz hat.«[23] Da Pfäfflin offenbar entschied, Hirschfelds radikale Auflösung des Sexualbinarismus und seiner hetero- und homosexuellen Kombinatorik zu ignorieren, vermeidet er an einer relevanten Stelle seiner Darlegungen den Terminus »Zwischenstufenlehre« zu erwähnen, und legt deren Inhalt so dar, als ob es sich dabei bloß um »Zwischenstufenkategorisierungen«[24] handeln würde. In diesem unmittelbaren Zusammenhang rügt Pfäfflin – völlig zurecht – Gesa Lindemann deswegen, weil sie »explizit und entgegen dem, was Hirschfeld selbst dazu sagt«, die Zwischenstufenlehre »zur Zwischenstufentheorie erklärt.«[25] Tatsächlich verwendet Lindemann in ihrem 1993 erschienenen Aufsatz den Begriff »Zwischenstufentheorie«, obwohl sie selbst auf eine Stelle in der »Geschlechtskunde« verweist, in der Hirschfeld notiert: »Auf die Erkenntnis gestützt, dass jeder Geschlechtscharakter für sich variieren kann, baute ich das System der sexuellen Zwischenstufen auf, wobei ich mich von Anfang an gegen die alsbald auftauchende Bezeichnung dieses von mir nur als Einordnung gedachten Prinzips als ›Zwischenstufentheorie‹' wandte.«[26] Kurz darauf präzisiert Hirschfeld folgendermaßen die Konturen seiner »Lehre«: »Lediglich die Registrierung (=Einreihung) und Ordnung intersexueller Varianten in ihrer außerordentlichen Vielgestaltigkeit, ihre Erfassung und Bewertung in biologischer, historischer, ethnologischer und soziologischer Hinsicht sah ich als Aufgabe der Lehre und der Lehrbücher von den sexuellen Zwischenstufen an.«[27] In Anbetracht dieser Ausführungen Hirschfelds hätte man sich über Pfäfflins Einsatz für begriffliche Stringenz und Klarheit freuen können, wenn Pfäfflin selbst – einige Zeilen nach seiner Kritik an Lindemann – nicht genauso unordentlich mit Begriffen umgegangen wäre, wie die zuvor Getadelte. So muss man mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen, dass Pfäfflin zunächst die – gelinde gesagt – irreführende Frage stellt, »ob Gesa Lindemann und Edgar Bauer nicht doch recht haben, wenn sie Hirschfelds Zwischenstufentheorie eine weit höhere aktuelle Relevanz beimessen als deren Erfinder ihr selbst zuschrieb«[28], und dann in einer Fußnote auf den schon erwähnten Text Lindemanns und auf den Essay des Verfassers, der unter dem Titel »Der Tod Adams« 1998 erschienen ist, verweist.[29] Die Wortwahl bei der Formulierung der Frage macht deutlich, dass Pfäfflin nicht nur seine eigene vorherige Zurückweisung des Begriffs »Zwischenstufentheorie« kurzerhand außer acht gelassen hat, sondern auch, dass er die Argumente des Verfassers in dem erwähnten Essay mit derselben Ungenauigkeit verfolgt hat, mit der er sonst auch Hirschfeld gelesen zu haben scheint. Die schlichte Unrichtigkeit von Pfäfflins Behauptung, dass der Verfasser Hirschfeld eine »Zwischenstufentheorie« zugeschrieben habe, lässt sich mühelos feststellen, wenn man sich folgende Passage aus dem siebten Absatz vom »Tod Adams« vergegenwärtigt: »Dass Hirschfeld seine Zwischenstufenlehre nicht als ›Ursachenerklärung‹ und damit nicht als ›Theorie‹ ansah, ist unbestritten. Dies impliziert aber nicht den von [Manfred] Herzer angenommenen »eingeschränkten Status« der Lehre. Im Gegenteil. Ihre Unverzichtbarkeit für Hirschfelds Sexualwissenschaft erweist sich in der Tatsache, dass sie keine erklärende Theorie darstellt, sondern eine Art fundamentum inconcussum in sexualibus bietet, von dem mögliche regionale Sexualtheorien auszugehen haben. Erst auf der Basis dieser Lehre wird ersichtlich, dass der Mensch nicht nur als ›Kulturwesen‹, sondern schon als ›Naturwesen‹ eigentlich ›unnatürlich‹ im gängigen Sinne ist. Der Zugang zu dieser Sexualwahrheit bedarf keiner Theoriebildung, sondern nur der adäquaten Beobachtung und Beschreibung menschlicher Sexuiertheit, wie sie tatsächlich vorkommt.«[30] Pfäfflins thematische Ausblendungen und Begriffskonfusionen können leicht zu der Annahme verleiten, Hirschfeld sei in der Tat nur ein »Sexualreformer«, der, ohne ein stichhaltiges Konzept zu haben, etwas »bewegen« wollte. Erfreulicherweise vermag Pfäfflins zweifelhaftes Verfahren in der Sache nichts dagegen auszurichten, dass Hirschfelds herausragende und bis heute maßgebliche Denkleistung in der Auflösung des binären Paradigmas sexueller Distribution im Namen der potenziellen Unendlichkeit der Geschlechter besteht.
9. In einem weiteren Passus bringt Pfäfflin beide Stränge seiner fraglichen Darlegungen zusammen, wenn er schreibt: »Er [=Hirschfeld] hatte sie [=die Zwischenstufentheorie] ja im wesentlichen dafür benötigt, um seine ätiologische These vom Dritten Geschlecht zu untermauern in der irrigen Hoffnung, dass das, was biologisch gegeben auch natürlich und infolgedessen moralisch richtig sein müsse.«[31] Abgesehen davon, dass weder der Begriff »Zwischenstufentheorie« noch die Bezeichnung »drittes Geschlecht« eine terminologische Verwendung bei Hirschfeld findet, übersieht Pfäfflin krass die Tatsache, dass das, was Hirschfeld die »Zwischenstufenlehre« nennt, nicht dazu dient, irgendein Segment im Naturkontinuum des Geschlechtlichen zu hypostasieren. Aus der Sicht von Hirschfelds Lehre sind das »erste«, »zweite« und »dritte« Geschlecht nur etablierte »Fiktionen«, deren kulturelle Geltung durch wissenschaftliche Einsicht in die Naturgegebenheiten letztlich aufgelöst werden muss, um eine gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, in der jede Form der im Prinzip unendlichen, natürlichen Sexualvariabilität existenzberechtigt ist. Wie schon ausgeführt, ist die Postulierung einer dritten Sexualalternative nur ein »Notbehelf«, d.h. ein Provisorium, das zum Zweck der Auflösung der binären Sexualfixierungen angenommen wird. Die dritte Sexualalternative hat also keine suppletive bzw. ergänzende Funktion innerhalb eines geschlossenen Schemas sexueller Distribution, sondern erfüllt die katalysierende Aufgabe der Auflösung des Sexualdimorphismus, um somit die prinzipiell unabschließbare Reihe möglicher Sexualkonstitutionen einzuleiten. Unter Kenntnisnahme von Hirschfelds Zwischenstufenlehre können also nicht nur die bisher unterdrückten Sexualminderheiten, sondern auch und vor allem die sich »normal« wähnende Majorität ein neues sexuelles Selbstverständnis erlangen, das der Einsicht gerecht wird, dass jeder Mensch eine unwiederholbare Spezifikation des Prinzips der geschlechtlichen Zwischenstufigkeit konstituiert. Die Tatsache, dass sich auf der Basis von Hirschfelds Lehre eine Emanzipationsprogrammatik anvisieren lässt, die nicht nur sogenannte sexuelle Minderheiten tangiert, bedeutet freilich nicht, dass Hirschfeld sich widersprach, als er sich in erster Linie den Belangen der sexuell Unterdrückten seiner Zeit widmete. Hirschfelds kulturpolitischer Einsatz für die Opfer der vorherrschenden Sexualideologie stellt weder eine prinzipielle Einschränkung noch einen Gegensatz zur Zwischenstufenlehre, sondern eine konkret-geschichtliche Einlösung des emanzipatorischen Anspruchs dar, der dieser Lehre inhärent ist. Von daher ist die vom Verfasser vorgenommene Explizierung der befreiungsgeschichtlichen bzw. messianischen Aspekte von Hirschfelds Lehre, wonach alle Menschen dazu berufen sind, sich von der Weltanschauung und den soziopolitischen Folgen des Sexualdimorphismus zu befreien, mit keiner »besonderen Emanzipationsprogrammatik«[32] gleichzusetzen, wie Pfäfflin suggeriert. Im Gegenteil, erst im Lichte der prinzipiellen Anerkennung der sexuellen Zwischenstufigkeit eines jeden Menschen wird deutlich, dass die unmittelbare Befreiung der unter der fiktiven, aber mächtigen Ordnung des Sexualbinarismus am meisten Leidenden nur als der erste Schritt in der allgemeinen Sexualbefreiung der Menschheit aufgefasst werden kann. Da diese umfassende emanzipatorische Dimension von Hirschfelds Lehre Pfäfflin gänzlich entgeht, muss man Nachsicht walten lassen, wenn er meint, dass die vom Verfasser vertretene Interpretation von Hirschfelds Zwischenstufenlehre »weit hergeholt« und »nicht schlüssig begründet« ist.[33] Derartige Vorwürfe unterstreichen nur, wie sehr die denkerische Radikalität von Hirschfelds dekonstruktivem Ansatz Pfäfflin überfordert.
10. Ausgerechnet in der zehnzeiligen Passage, in der Pfäfflin die Interpretation der Zwischenstufenlehre durch den Verfasser erwähnt, verwendet er »Theorie« und »Lehre« als austauschbare Begriffe, obwohl er – nach eigener Auskunft – weiß, dass eine solche terminologische Oszillation in dem Zusammenhang nicht zulässig ist. Abgesehen davon, dass Pfäfflin kurz zuvor an Hirschfelds Zurückweisung der Bezeichnung »Zwischenstufentheorie« erinnert hat,[34] ist er – spätestens seit der Lektüre des von ihm zitierten Textes des Verfassers – darüber informiert, dass die Aufrechterhaltung des epistemologischen Status von Hirschfelds Lehre davon abhängt, dass sie als Fundament einer neuen Sexualdistribution von möglichen erklärenden bzw. ätiologischen Theorien auf sexologischem Gebiet strikt unterschieden wird. Vor dem Hintergrund dessen, dass der Verfasser wiederholt diese Thematik erörtert hat sowohl in den Erwiderungen[35] auf die Einwände, die Manfred Herzer gegen die in »Der Tod Adams« vertretenen Thesen erhoben hat, als auch in weiteren, auf Deutsch geschriebenen Aufsätzen,[36] ist Pfäfflins Begriffsverwirrung höchst befremdlich. Er ist selbstredend nicht der erste, der die sexologische und sexualemanzipatorische Programmatik Hirschfelds verzerrt darstellt, doch ist es besonders gravierend, dass derartige Ausführungen im einleitenden Aufsatz eines Buches nachzulesen sind, das vornehmlich zur kritischen Prüfung der vorherrschenden Sicht auf Leben und Werk des Sexologen hätte beitragen müssen. Da der Verfasser sich mit der »Zwischenstufentheorie« einiger Hirschfeld-Exegeten neueren Datums anderwärts auseinandergesetzt hat,[37] sei hier nur noch auf die zwei weiteren Beiträge des Sammelbandes hingewiesen, deren Autoren sich über Hirschfelds terminologische und sachliche Unterscheidung zwischen »Lehre« und »Theorie« hinwegsetzen zu können meinten. Am Anfang seiner Ausführungen verwendet Rüdiger Lautmann einmal den deplazierten Begriff »Zwischenstufentheorie« ohne weitere Erklärung oder Rechtfertigung,[38] obwohl er sonst korrekterweise von Hirschfelds »Zwischenstufenlehre« bzw. von seiner »Lehre von den sexuellen Zwischenstufen« schreibt.[39] Auch der Beitrag von Christina von Braun weist diesbezügliche begriffliche Mängel auf. Aus Gründen, die sie leider nicht mitteilt, vermeidet die Autorin den Terminus »Zwischenstufenlehre« geflissentlich und setzt statt dessen den Begriff »Theorie« an eine denkbar ungeeignete Stelle ein, wenn es heißt: »Hirschfeld verkündete [...] die Theorie von den ›sexuellen Zwischenstufen‹ [...].“[40] Mit dieser verkehrten Bezeichnung der »Zwischenstufenlehre« gerät die Autorin in Widerspruch zu Hirschfeld und verwischt zudem die entscheidende Grenzziehung zwischen der meta-theoretischen Postulierung eines kritischen, sexualdistributiven Schemas und mehr oder weniger gelungenen – weil falsifizierbaren – Regionaltheorien des Geschlechtlichen. Auch wenn die begrifflichen Ungenauigkeiten Lautmanns und von Brauns durchaus nicht hinnehmbar sind, so darf nicht übersehen werden, dass beide Autoren sich wesentlich von Pfäfflin insofern unterscheiden, als ihre Ausführungen nicht dazu dienen, Hirschfelds vermeintliche Theorieunfähigkeit zu insinuieren oder ihn auf die fragliche Rolle eines gutmeinenden Pragmatikers zu reduzieren.
11. Keiner der im Sammelband vertretenen Autoren kommt der vom Verfasser vorgeschlagenen Deutung der sexologischen Grundlagen Hirschfelds näher als Rüdiger Lautmann. Vor dem Hintergrund dieser aus einem close reading resultierenden Interpretation mahnen Lautmanns Überlegungen über die Zwischenstufenlehre an eine soziologische Umsetzung bzw. Übersetzung der Hauptthesen, die der Verfasser in mehreren Publikationen seit 1998 vorgetragen hat. Korrekterweise weist Lautmann darauf hin, dass der Verfasser »die Zwischenstufenlehre in einen Zusammenhang mit der Auflösung des überkommenen Sexualdimorphismus« gestellt hat,[41] um dann zu bemängeln, dass »[r]adikale Auslegungen [des Zwischenstufenkonzepts] zu selten vorgebracht [werden], etwa die Lesart von J. Edgar Bauer, der hier die ›Auflösung jeglicher kategorialen Subsumption sexuierter Individuen‹ sieht.«[42] Des weiteren erwähnt Lautmann die Kontroverse zwischen Manfred Herzer und dem Verfasser bezüglich der Frage, »[w]ie neu das Konzept der unendlich vielen Abstufungen damals gewesen ist«[43] und führt in Übereinstimmung mit der Sichtweise des Verfassers aus: »[D]ie Zwischenstufenlehre [war] ein Novum, ungeachtet aller Vorausklänge seit dem Altertum. Und sie könnte, ernst genommen, bis heute umstürzlerisch wirken. Diese Wirkungsgeschichte ist noch zu schreiben.«[44] Schließlich berichtet Lautmann sowohl über Transvestitismus und Geschlechtswechsel im Zusammenhang mit Hirschfelds Zwischenstufenlehre[45] als auch über die gegen den sexuellen »Normalismus« sich wendenden Thesen Hirschfelds, denen zufolge »die Skala der möglichen Geschlechtspersönlichkeiten unendlich fein gegliedert ist«. Lautmanns Ausführungen schließen als disiecta membra fast alle inhaltlichen Momente ein, die erforderlich wären, um eine Rekonstruktion der Zwischenstufenlehre in Übereinstimmung mit der Deutung des Verfassers zu unternehmen. Auch wenn Lautmanns unnötig konzilianter Ton gegenüber möglichen Kritikern seines Unterfanges zuweilen einer präziseren Konturierung seines eigenen Standpunktes entgegenwirkt, so ist nicht zu übersehen, dass seine Ausführungen zur Zwischenstufenlehre eine Gesamteinschätzung Hirschfelds erkennen lassen, die im Widerspruch zu der steht, die von den Herausgebern des Bandes und Pfäfflin vertreten wird.
12. Es ist zu begrüßen, dass Lautmann sogar die Thesen des Verfassers bezüglich der Kongruenz von Hirschfelds Grundlehre mit dem dekonstruktiv-kritischen Leitmotiv übernimmt, das die im Entstehen begriffenen gender und queer studies prägt. Im Hinblick auf den Transgenderismus von Leslie Feinberg und die Transsexualität von Kate Bornstein hat der Verfasser erneut und mit Nachdruck darauf hingewiesen,[46] dass nach Hirschfeld die Struktur der Zwischenstufigkeit eines jeden Menschen auf allen Beschreibungsebenen der Sexualität – von den tiefsten endogenetischen Konfigurationen bis hin zu dem, was heute »gender expression« genannt wird – ablesbar ist. Ohne weiteres lässt sich nachweisen, dass die von Hirschfeld angenommenen deskriptiven Ebenen[47] in etwa der heutigen Schichtung entsprechen, in der zwischen dem verschiedentlich stratifizierbaren biologischen Geschlecht, der sexuellen Orientierung und dem kulturell bedingten Sexualausdruck bzw. gender unterschieden wird.[48] Relevant aus heutiger Sicht ist nicht so sehr die von Hirschfeld tatsächlich angenommene Anzahl von Beschreibungsebenen, sondern die Postulierung eines Schichtungsprinzips, mit dessen Hilfe die Einsicht artikuliert wird, dass die sexuellen Mischungsverhältnisse des Männlichen und Weiblichen auf den verschiedenen Beschreibungsebenen ein und desselben Individuums mehr oder weniger von einander divergieren und dass aus dieser Konfigurierung die je eigene Komplexität der individuellen Sexualkonstitution resultiert. In Anbetracht der hier umrissenen Aspekte von Hirschfelds Lehre ist nicht nachvollziehbar, dass Lautmann die individualisierenden Konsequenzen der Zwischenstufenlehre zwar begrüßt, aber gleichzeitig Hirschfelds Berücksichtigung der biologischen Schichtungskomponenten beanstandet, wenn er schreibt: »In dem Streit zwischen biologischen und soziokulturellen Verständnissen zum Geschlecht und zur Sexualpräferenz wird das Zwischenstufenkonzept meistens der biologischen Seite zugeschlagen. Vordergründig zu Recht, weil M[agnus] H[irschfeld] selbst sein Konzept so verstand. Jedoch haben sich die metatheoretischen Voraussetzungen solcher Zuordnung seitdem verschoben. [...] In der Begrifflichkeit zum Geschlecht befindet sich heute weniger sex und mehr gender als vor Zeiten. Hirschfelds Zwischenstufen lassen sich in Gender-Begriffen besser rekonstruieren als nach den Theoremen einer Sexualphysiologie.«[49] In seinen Ausführungen scheint Lautmann übersehen zu haben, dass Hirschfelds Zwischenstufenlehre als Einordnungs- und Beschreibungsprinzip grundsätzlich alle Ebenen der Sexualkonstitution umfasst, d.h. auch diejenigen, die erst unter der Voraussetzung soziokultureller Rahmenbedingungen zur Entfaltung kommen und häufig unter Rekurs auf den Begriff gender konzeptualisiert werden. Da die Zwischenstufenlehre von den biologischen Schichten des Sexuellen zwar ausgeht, aber keine biologistische Reduktion von nurture auf nature bzw. von gender auf sex impliziert, braucht sie keine Korrektur ihrer »metatheoretischen Voraussetzungen«, die ihre Rekonstruktion »in Gender-Begriffen« ermöglichen würde. Zwar bleibt die Zwischenstufenlehre aufgrund ihres deskriptiven Charakters offen für eventuelle weitere Differenzierungen des Geschlechtlichen auf dem Gebiet des naturbedingten sex oder des soziokulturellen gender, aber sie verschließt sich aus prinzipiellen Gründen jeglichem Versuch, natur- oder kulturreduktionistisch zu verfahren. Als ein neues Prinzip sexueller Distribution, das die kulturelle Ausgestaltung naturgemäßer Bedingungen zu erfassen sucht, war Hirschfelds Lehre auf keine Naturalisierung des Geschlechtlichen angewiesen und darum braucht sie künftighin keine gender-zentrierte Rekonstitution ihrer Prämissen.
13. Zu den Verdiensten Hirschfelds rechnet Lautmann die Tatsache, dass er »[a]nders als die Sexualmedizin seiner Zeit und die Psychoanalyse [...] keine einzig richtige Sexualform [verkündete]«. Diese Einschätzung schränkt Lautmann aber ein, wenn es dann heißt: »Als intellektuellen Preis – in heutiger Sicht – entrichtete M[agnus] H[irschfeld] einen Tribut an den Biologismus. Er hielt jegliche Sexualpräferenz für angeboren, also konstitutionell gegeben. [...] Die biologische Verankerung des Begehrens war indessen das feste Bollwerk, wenn sich heimlich die Moral zu Wort meldete, sich hinter der Figur des ›Normalen‹ verschanzend.«[50] Obwohl Lautmanns Feststellung bezüglich Hirschfelds kritischer Distanz zur vorherrschenden Sexualitätsauffassung seiner Zeit – schon von Sándor Ferenczi als »zwangsheterosexuell«[51] empfunden – zutreffend ist, verrät der darauf folgende Hinweis auf »den Tribut an den Biologismus« ein grundlegendes Missverständnis des deskriptiven, d.h. nicht-ätiologischen Status der Zwischenstufenlehre. Entsprechend seiner Leitvorstellung einer Rekonstruktion der Zwischenstufen »in Gender-Begriffen« versucht Lautmann den Anschein zu erwecken, als ob es »in heutiger Sicht« überflüssig wäre, die biologischen Schichten des Sexuellen bzw. »die biologische Verankerung des Begehrens« zu berücksichtigen. Offensichtlich lehnt Lautmann die Einbeziehung von biologischen Gesichtspunkten deswegen ab, weil er befürchtet, dass es auf diesem Weg zu einer kontraproduktiven Wiederherstellung des sexuellen Binarismus kommen könnte. Dabei übersieht er aber, dass die Frage nach der Auflösung der binären Sexualität heute nicht nur von den Vertretern der gender und queer studies, sondern auch innerhalb der Biologie und verwandten Disziplinen gestellt wird,[52] und dass die Berücksichtigung der biologischen Sexualsphären im Rahmen der Zwischenstufenlehre keineswegs eine biologistische Determinierung von Sexualpräferenzen impliziert. Da die Zwischenstufenlehre – wie schon dargelegt – kein Erklärungsmodell bietet, sondern ein offenes sexualdistributives Schema von potentiell unendlichen Sexualkonstitutionen aufstellt, führt Hirschfelds Einbezug der biologischen Gegebenheiten zu keiner Fixierung des Begehrens oder der Sexualorientierung nach dimorphistischen Kriterien, sondern zu einer radikalen Entgrenzung der Sexualkombinatorik zwischen Individuen, die ausnahmslos sexuelle Zwischenstufen darstellen. Weil Hirschfeld die tragende, aber nicht determinierende Rolle der biologischen Schichten erkannte, war er in der Lage, für einen sexuellen Essentialismus zu plädieren, welcher – in Übereinstimmung mit seiner Lamarckschen Sicht des Lebens – in der unendlichen Vielfalt der Naturhervorbringungen verankert ist.
14. Lautmanns Überlegungen basieren auf einer wenig durchdachten Erfassung des Konnexes von Biologie und Naturalismus bei Hirschfeld. Denn obwohl Lautmann sich herablassend über die Rolle des »Biologismus« im Zwischenstufen-Paradigma äußert,[53] suggeriert sein stichwortartiger Vergleich zwischen Magnus Hirschfeld und Sigmund Freud, dass der Sexologe just aufgrund seiner »naturalistisch[en]« Einstellung[54] in einem positiv zu bewertenden Widerspruch zur Sexualkultur seiner Zeit sich befand.[55] In Anlehnung an die von Murray S. Davis eingeführte Unterscheidung zwischen naturalistischen und jehovanistischen Sexualtheorien präzisiert Lautmann, dass Hirschfeld – im Gegensatz zu den Sexualideologien seiner Zeit – »ganz [...] auf den Naturalismus gestimmt [ist]«, während Freud »moderat naturalistisch [verfährt], aber auch jehovanistisch, weil er vom unersättlichen Sexualtrieb eine Bedrohung für die gesellschaftliche Ordnung ausgehen sieht.«[56] Leider nimmt Lautmann den von ihm angestellten Vergleich nicht zum Anlass, um die Tatsache zu explizieren, dass erst auf der Basis von Hirschfelds viel geschmähtem »Biologismus« die faktisch vorhandenen, physiologischen und psychischen Sexualvariationen ergründet werden konnten, die letztlich zur Kritik an dem auch von Sigmund Freud sanktionierten, dimorphistischen Schema sexueller Distribution führten. Dank seiner beharrlichen Beobachtung und Beachtung der biologischen Aspekte der Sexualität konnte Hirschfeld den bis dahin ungeahnten Reichtum an Sexualitätskonstitutionen sichtbar machen, die gegen die Beibehaltung der religiös und wissenschaftlich untermauerten Sexualideologien seiner Zeit und für ein in einem Essentialismus der unendlichen Naturvielfalt gründendes Befreiungsethos sprachen. Darum ist es umso unverständlicher, dass Lautmann bereit ist, ausgerechnet auf die anti-ideologische Instanz reflektierter Natürlichkeit zu verzichten, um so Hirschfeld den Weg zur Integration in diejenige »vergeistigende«, weil sich von den biologischen Gegebenheiten weitestgehend entkoppelnde Traditionslinie zu bahnen, die, von der Freudschen Psychoanalyse ausgehend, über Alfred Adler und Michel Foucault zu den heutigen gender studies führt.[57] Die von Lautmann ausgesprochene Wünschbarkeit, Hirschfelds Zwischenstufenlehre in Gender-Begriffen, d.h. unter Verzicht auf das biologische Moment ihrer Konstitution zu rekonstruieren, bedeutet zuletzt eine grundlose Entschärfung ihrer kritischen Brisanz gegenüber rein ideologischen Konstrukten des Geschlechtlichen. Da die von Lautmann befürwortete »Ent-naturalisierung« der Zwischenstufenlehre den Grund von Hirschfelds bahnbrechender Überwindung der geschlossenen Schemata sexueller Distribution unterminiert, bleibt rätselhaft, inwiefern seine vorgebliche Aktualisierung der Zwischenstufenlehre dazu beitragen sollte, Hirschfeld die schon längst fällige Anerkennung als Klassiker der modernen Sexologie zuteil werden zu lassen.[58]
15. Eingedenk der in der Konferenz vorherrschenden Ansicht über den »Sexualreformer« Hirschfeld ist es zu begrüßen, dass Lautmann seine abweichende Einschätzung folgendermaßen auf den Punkt brachte: »Wir suchen alle nach den Riesen, auf deren Schultern wir Zwerge klettern, um weiter sehen zu können (Robert K. Merton/Lawrence Sterne). Zählt M[agnus] H[irschfeld] dazu (so wie S[igmund] F[reud] seit langem)? Oder bleibt er eine Fußnote in der Geschichte des Sexualdenkens? Mein Votum hierzu ist klar.«[59] Um aus Hirschfeld einen »Klassiker« entstehen zu lassen, wäre es nach Lautmann notwendig, »ihn aus den Konfliktfronten seiner Zeit herauszulösen« und »den kognitiven Gehalt seines Werkes zu würdigen«.[60] Das Thema der wissenschaftlichen Geltung von Hirschfelds Werk eindeutig ins Zentrum seiner Überlegung rückend, meint Lautmann, unter anderem auf die »unerheblich[e]« Frage verzichten zu können, ob Hirschfelds Werk »von einem jüdischen Deutschen oder deutschen Juden geschrieben ist«.[61] Da Lautmann in dem unmittelbaren Zusammenhang die Ansicht vertritt, dass die Frage nach dem Judentum des Atheisten Hirschfeld für die sachgemäße Bewertung seines Œuvres unerheblich ist, überrascht nicht, wenn er beanstandet, dass der Verfasser Hirschfeld als einen atheistischen Juden bezeichnet hat, und begründet seine Kritik mit dem Hinweis darauf, dass »die Erwähnung der jüdischen Herkunft im Zusammenhang mit der religiösen Selbstdeutung unpassend [wirkt], ja im Verhältnis zum Atheismus widersprüchlich.«[62] Lautmanns Einschätzung, dass Hirschfelds jüdische Herkunft – in Anbetracht seines Atheismus – nicht erwähnt zu werden braucht, ist den Texten Hirschfelds genauso wenig sachgerecht, wie das vorwurfsvolle Gerede darüber, dass Hirschfeld sein Judentum »tabuisiert« habe.[63] Wie jeder selbstdenkende Jude hatte Hirschfeld ein problematisierendes und oft problematisches Verhältnis zur jüdischen Schicksalsgemeinschaft, das aber weder eine Leugnung noch eine Verneinung seiner eigenen Jüdischkeit implizierte. Dies lässt sich ohne weiteres am Leitfaden einer genauen Lektüre von einigen einschlägigen Texten nachweisen, zu denen das sexualethnologische Grundwerk Die Weltreise eines Sexualforschers[64] und die in einer deutschen Prager Zeitung erschienene Fortsetzungsreihe »Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr«[65] gehören. Wie im Beitrag des Verfassers zu Hirschfelds Auffassung vom Judentum nachzulesen ist, bestand Hirschfeld darauf, frei von äußeren Zwängen und in der ihm richtig scheinenden Form über seine eigene Jüdischkeit sich zu äußern, ohne dass er dadurch versucht hätte, die allseits bekannte Tatsache, dass er Jude war, zu verdrängen.[66] Darüber hinaus lässt die »Weltreise« einwandfrei erkennen, wie intensiv Hirschfeld über seinen durch das Judentum mitbedingten Standpunkt als Sexualethnologe nachgedacht hatte, so dass Lautmanns Annahme, dass Hirschfelds jüdische Zugehörigkeit für seine wissenschaftlichen und emanzipatorischen Bemühungen ohne Belang war, nicht aufrechterhalten werden kann. Diesbezüglich scheint Lautmann von einer grundsätzlichen Kommensurabilität zwischen Judentum und Christentum ausgegangen zu sein, die ihn zu der irrigen Ansicht verleitet, dass jüdische Identität ausschließlich oder in der Hauptsache über religiöse Glaubenssätze sich konstituiert und dass darum die Aussage, jemand sei ein »atheistischer Jude«, als eine contradictio in adjecto zu beurteilen ist. Lautmanns Vorbehalte gegenüber den diesbezüglichen Ausführungen des Verfassers zu dieser Frage lassen vermuten, dass er sich bislang nicht gefragt hat, weshalb Peter Gays maßgeblicher Beitrag zur Freud-Forschung den Titel A Godless Jew trägt,[67] oder warum Forscher wie Dennis B. Klein,[68] Yosef Hayim Yerushalmi[69] und Richard B. Bernstein[70] sich ausführlich mit der Jüdischkeit des atheistischen Begründers der Psychoanalyse auseinandersetzen. Mit Rücksicht auf die Freud-Forschung und im Hinblick darauf, dass das Jude-sein sich nicht auf ein Glaubensbekenntnis reduzieren lässt, wäre es zu begrüßen, wenn Lautmann sich mit der Idee versöhnen könnte, dass auch Hirschfeld »a godless Jew« war.
16. Während Lautmann die eigentliche Bedeutung der Zwischenstufenlehre bei gleichzeitiger Ausblendung von Hirschfelds Zugehörigkeit zum Judentum zu würdigen sucht, thematisiert Christina von Braun die Jüdischkeit von Hirschfelds sexologischem Entwurf ohne im geringsten erkennen zu lassen, dass sie bereit und in der Lage wäre, die Tragweite und Relevanz der Zwischenstufenlehre zu erörtern. Da von Brauns Auseinandersetzung mit Hirschfeld in erster Linie der Beantwortung der Frage dient: »Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?“, wird die Sexologie Hirschfelds im Rahmen einer jüdischen Säkularisierungsprogrammatik kontextualisiert, welche die Autorin als wesensverschieden von der christlichen deswegen verstanden wissen will, weil beide aus unterschiedlichen, von der jeweiligen Religion geprägten Vorstellungen von »Wissenschaft und Vernunft«[71] hervorgingen. In der Annahme, dass »[m]it dem Säkularisierungsprozeß [...] sich ein Teil der jüdischen und christlichen Denktraditionen in die Sexualität selbst (im kollektiven Singular) verlagert [hatte]«[72], kommt die Autorin zu dem Schluss, dass, obwohl die Sexualwissenschaft keine »jüdische« Wissenschaft sei, sie »eine ›doppelte‹ Erbschaft angetreten hat.«[73] Da die in der Sexualwissenschaft enthaltenen, jüdischen und christlichen Denktraditionen Erbschaften verkörpern, die einander widersprechen, betont von Braun gegen Ende ihrer Überlegungen, dass »vermutlich in ›jedem‹ Sexualwesen des Abendlandes ›beide‹ Strömungen vertreten sind.«[74] Auch wenn die Autorin anfänglich von zwei distinkten, aber gleichwertigen Begriffen von Rationalität und Wissenschaft im Judentum und Christentum auszugehen scheint, zeigt sich zuletzt, dass sie just im Zusammenhang mit der Frage der Entstehung und Entfaltung des Säkularisierungsprozesses eine wesentliche Wert-Asymmetrie zugunsten des Christentums zwischen beiden Denktraditionen voraussetzt. So räsoniert sie: »Hätte keine christliche Säkularisierung stattgefunden, so hätte die jüdische Religion keinen eigenen Säkularisierungsprozeß durchlaufen [...].«[75] In Anbetracht einer solchen Einschätzung kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass von Brauns Überlegungen im Grunde nur eine Variation des zwei Millennien alten Topos der Überwindung des Judentums durch das Christentum darstellen.
17. Der Gegensatz zwischen den jüdischen und christlichen Denktraditionen, der sich in der Sexualwissenschaft widerspiegelt, ist von Braun zufolge in seinem Ursprung theologischer, und darum grundsätzlicher Natur. In ihrer typologischen Skizze beider Theologien geht die Autorin davon aus, dass »[f]ür das christliche Denken [...] die Veränderung der Welt, der physisch wahrnehmbaren Wirklichkeit eine religiöse ›Notwendigkeit‹ dar[stellte]«,[76] entsprechend dem christlichen Theologumenon der Weltwerdung des Transzendenten bzw der Menschwerdung Gottes. Im Unterschied dazu schildert von Braun die jüdische Grundhaltung als eine Annahme der bestehenden Welt im Sinne einer »Offenbarung und Gabe Gottes«, aus der »keine dem Christentum vergleichbare missionarische und historische Dynamik gegenüber der Außenwelt«[77] hervorging. Vor dem Hintergrund dieser erstaunlich simplifizierenden Rollenverteilung von Statik und Dynamik wird die aus dem Judentum hervorgegangene Rationalität als eine »im Sinne von Bejahung und Erkenntnis des Bestehenden, nicht seine Veränderung« charakterisiert, um so die These zu untermauern, dass Juden – namentlich erwähnt werden Magnus Hirschfeld und Ivan Bloch – die Sexualwissenschaft »auf der Biologie fußen sahen – einer Biologie, die sie sozusagen als ›naturgegeben‹ betrachteten.«[78] Das von der Autorin entworfene Bild des Judentums als eines das Bestehende vornehmlich bejahenden Religionsgebildes ist nicht aufrechtzuerhalten, es sei denn, man vergisst das kritische Potential, das in der Botschaft der biblischen Propheten enthalten ist und sich in den verschiedenen Formen von Messianismen, Eschatologien und apokalyptischen Bewegungen innerhalb und außerhalb des Judentums ausgewirkt hat. Von Braun scheint zu übersehen, dass selbst das Christentum in seinem Kern sich auf die Botschaft eines jüdischen Wanderpredigers beruft, der sich gegen die Macht des Bestehenden wandte und die baldige Ankunft der proklamierte.[79] Gerade weil der Gott Israels als der Differente zur Welt gedacht wird, bleibt er die unassimilierbare kritische Instanz gegenüber allem endlich »Gegebenen«, welche die unabschließbare Umgestaltung der Welt entsprechend der »Gabe der Thora« fordert. Wenn die Autorin sich weniger an den literarisch-apologetischen Auskünften Max Brods orientiert hätte und sich statt dessen eine philosophisch durchdachte Selbstinterpretation des Judentums wie die von Hermann Cohen angeeignet hätte, wäre sie in der Lage gewesen nachzuvollziehen, dass das Judentum von seinen Quellen her darauf angelegt ist, die Welt messianisch zu transformieren.[80] Erst im Hinblick auf diese geistige Grundhaltung lässt sich die kritische und emanzipatorische Ausrichtung von Magnus Hirschfelds Denken als eine spezifisch jüdische begreifen, welche sich in einem prinzipiellen Widerspruch zu denjenigen befindet, die Heinrich Heine als die »Justifikatoren dessen, was da ist«,[81] denunzierte.
18. Da von Braun die kritische Kraft des hebräisch-prophetischen Gedankens eines von der Welt stets differenten Gottes letztlich nicht zu würdigen vermag, meint sie die Ansicht vertreten zu müssen, dass es ohne den christlichen Säkularisierungsprozess keinen jüdischen gegeben hätte. Dabei ignoriert sie die Tatsache, dass dieser Prozess entscheidend dadurch gefördert wurde, dass herausragende Gestalten unter den im 15. Jahrhundert zwangsgetauften Juden und deren Nachkommen – die sogenannten marranos oder chuetas – eine intellektuelle Reaktion gegen den Absolutheitsanspruch des Christentums und dessen totalitäre Assimilationspolitik bildeten.[82] Da das Judentum in seiner Geschichte nur selten der Gefahr erlegen ist, sich als missionarisches Religionsgebilde zu missverstehen, vermochte es nach außen ein transformierendes, zuweilen revolutionierendes Wirkungspotential zu entfalten, ohne darauf abzusehen, aus Heiden jüdische Proselyten zu machen. So wie der hebräisch-biblische Gott dem Menschen begegnet, ohne dessen endliche Bestimmung aufzuheben, so soll die Begegnung des Juden mit dem Nicht-Juden frei von dem allzu menschlichen und häufig religiös verbrämten Assimilationstrieb des Fremden erfolgen. Um auf diesen theologisch-anthropologischen Sachverhalt zu verweisen, wurden zwei Motti dem ersten Aufsatz des Verfassers zu Magnus Hirschfelds Werk vorangestellt, die den Bezug zwischen Judentum und Humanität unterstreichen.[83] Das erste Motto wurde Hirschfelds Bericht Die Weltreise eines Sexualforschers entnommen und lautet: »[...] dieses ›unstet und flüchtig‹ herumwandernde [...] Volk [...], das nirgends eine eigentliche Heimstätte finden kann und doch überall eine große menschliche Mission erfüllt.«[84] Im zweiten Motto beleuchtet Élie Wiesel einen anderen Aspekt derselben Grundhaltung: »[...] car la mission du Juif n’est pas de judaïser le monde mais de l’humaniser […]«.[85] Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer sonstigen Positionen heben beide Autoren die jüdische Aufgabe einer die ganze Welt umfassende Vermenschlichung hervor, welche von den missionarischen Bestrebungen zugunsten einer religiösen Weltsicht wesensverschieden ist. Vor dem Hintergrund der jüdischen Moderne, die sich grundsätzlich zwischen der Philosophie des Marrano-Nachkommen Baruch de Spinoza und den Gründungstexten der Freudschen Psychoanalyse abspielt,[86] und eingedenk des nicht-assimilatorischen Grundbezuges des Judentums zur nicht-jüdischen Menschheit, braucht kaum betont zu werden, dass die vom Judentum vorangetriebene Entzauberung und Humanisierung der Welt auf den christlichen Säkularisierungsprozess nicht angewiesen waren, um zu der ihnen gemäßen Entfaltung zu kommen.
19. Da von Braun in ihrer Einschätzung der modernen Geistesgeschichte des Judentums die kritische Radikalität seiner herausragendsten Vertreter verkennt, überrascht nicht, dass sie in ihrer Skizze der Sexologie Hirschfelds den Paradigmenwechsel gänzlich außer acht lässt, den die Zwischenstufenlehre herbeiführt. Zwar hat sich die Autorin Mühe gegeben, einiges zum halachischen Verständnis der Sexualität unter Verwendung der einschlägigen Sekundärliteratur zusammenzutragen, um einigermaßen plausibel zu machen, dass Hirschfelds wissenschaftliche und emanzipatorische Bemühungen im traditionellen Judentum verankert sind, doch konnte ein solches Unterfangen schon deswegen nicht zielführend sein, weil Hirschfelds Zwischenstufenlehre das binäre sexualdistributive Schema, das dem biblischen und rabbinischen Sexualverständnis zugrunde liegt, radikal in Frage stellt und auflöst. Da die Autorin Hirschfelds eindeutige Ausführungen über den kritischen Bezug der Zwischenstufenlehre zum Sexualdimorphismus nicht zur Kenntnis nimmt, meint sie behaupten zu können, dass Hirschfeld an der binär aufgefassten Sexualdifferenz und an dem herkömmlichen Junktim von Sexualität und Fortpflanzung festgehalten hat. Nachdem sie Hirschfelds kritische Absichten willkürlich ausgeblendet hat, schickt sich von Braun bedenkenlos an, Hirschfeld dem zuzuordnen, was sie sich unter einer im Geist des Judentums entworfenen Sexologie vorstellt. Nicht von ungefähr bemüht die Autorin sogar den Topos von dem vorgeblich biologischen Reduktionismus, wenn sie Hirschfelds auf der Biologie fußende Sexualwissenschaft als ein Erkennen vom »[N]aturgegebenen« schildert und dieses inhaltlich mit dem Sexualdimorphismus gleichstellt. Offensichtlich ist ihr entgangen, dass Hirschfelds Annahme von potenziell unendlichen Geschlechtern aus seiner von Baruch de Spinoza inspirierten Auffassung der Naturvielfalt folgt und konsequent zur Sprengung aller geschlossenen sexualdistributiven Schemata – einschließlich des sexualdimorphistischen – führt. In Anbetracht der vorangegangenen Überlegungen ist kaum erforderlich zu betonen, dass die »Jüdischkeit« von Hirschfelds Sexualwissenschaft nicht in irgendwelchen konkreten Übereinstimmungen mit dem herkömmlich jüdischen Verständnis des Sexuellen liegt, sondern im ikonoklastischen Gestus der Auflösung von Unfreiheit stiftenden Sexualbildern, der eine der Sittlichkeit verpflichtete Emanzipationsgeschichte einleitet. Da im Mittelpunkt von Hirschfelds sexologischer Konzeption das Individuum steht, das durch seine einzigartige und darum unwiederholbare Geschlechtsdifferenz durchgängig bestimmt ist, begreift er diese Differenz nicht unter Rekurs auf die Figur der Teilhabe an einer »göttlich« oder »natürlich« vorgegebenen Ordnung sexueller Distribution, sondern im Sinne einer eigentlich unabschließbaren Aufgabe, die in der freiheitlichen Ausgestaltung der in der Individualkonstitution angelegten Sexualmöglichkeiten besteht. Der Paradigmenwechsel, den Hirschfelds offenes Schema sexueller Distribution mit sich bringt, ermöglicht eine radikalisierte Erfahrung der je eigenen Endlichkeit, weil dieses Schema die geschlechtliche Alterität des Individuums durch keine erzwungene Entsprechung zu einem ewig gültigen Sexualmuster einschränkt. Entgegen der herkömmlichen Sanktion der heterosexuellen bzw. homosexuellen Geschlechtskombinatorik lässt die Zwischenstufenlehre einen Horizont der Zwischenmenschlichkeit anvisieren, in dem die Erfahrung des sexuellen bzw. erotischen Aufeinander-Angewiesenseins im Zeichen der Begegnung von geschlechtlich nicht kategorisierbaren Individuen zum Tragen kommt.
20. In der Hirschfeld-Forschung gilt weitgehend als ausgemacht, dass der Sexologe »denkerisch anspruchslos«[87] war, durch »Erkenntnisarmut«[88] charakterisierte Schriften verfasste und seine eigene Jüdischkeit tabuisierte.[89] Weder die zugrundeliegende Konzeption des Sammelbandes noch die meisten der darin enthaltenen Beiträge waren darauf angelegt, derartige Vorurteile zu hinterfragen oder zu beanstanden. Bedenkt man, dass Hirschfeld – ein aus Deutschland stammender, zuletzt staatenlos gewordener Jude – erstmalig ein sexualdistributives Schema aufstellte, das den Sexualdimorphismus und seine duale Kombinatorik im Hinblick auf die potenziell unerschöpfliche Varietät der Geschlechter auflöste, so mutet es seltsam an, dass in einer in Deutschland stattgefundenen Tagung 68 Jahre nach seinem Tode die Organisatoren und die überwiegende Mehrheit der Vortragenden sich stillschweigend darauf verständigen konnten, die sexualtheoretischen und sexualpolitischen Konsequenzen seiner bahnbrechenden »Lehre« zu verdrängen. Dass nur Rüdiger Lautmann mit seiner Feststellung, dass Hirschfeld »[z]um Klassiker [...] bislang nicht geworden [ist]«[90], eine abweichende Einschätzung des Hirschfeldschen Œuvres kundtat, macht die Beschränktheit des Denkhorizontes deutlich, in dem die für die Tagung verantwortlichen Repräsentanten des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, des Kulturwissenschaftlichen Seminars der Humboldt Universität zu Berlin und der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft[91] sich bewegen. In Anbetracht dieser Sachlage drängt sich der Eindruck auf, dass die Misere der Hirschfeld-Studien in Deutschland in erster Linie nicht auf den Mangel an finanziellen und organisatorischen Mitteln zurückzuführen ist. Denn für die Texte, die aufgrund ihrer interpretatorischen und religionsgeschichtlichen Defizite im vorigen beanstandet werden mussten, haben sich nicht Studenten oder Doktoranden, sondern Hochschullehrer zu verantworten. [1] Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Berlin-Brandenburg 2004 [2] Cf. Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Unruhe« und »Menschheitsassimilation«: Zu Magnus Hirschfelds Auffassung vom Judentum. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 271-291 [3] Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. 2., überarb. Aufl., Hamburg 2001: 7 [4] Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld, op. cit.: 7-8 [5] Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Unruhe« und »Menschheitsassimilation«, op. cit.: 274. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der zukunftsträchtige Charakter von Hirschfelds theoretischen Grundansichten sich u.a. darin zeigt, dass sie Themen und Anliegen vorwegnehmen, die seit Anfang der 90er Jahre vornehmlich von den Repräsentanten von Queer und Transgender studies artikuliert werden. Cf. Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sexual Intermediaries and the Transgender Politics of (No-)Identity. In: Past and Present of Radical Sexual Politics. Ed.: Gert Hekma. Amsterdam 2004: 41-55. Im folgenden wird danach zitiert. Dieser Text ist auch im Internet zugänglich: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sexual Intermediaries and the Transgender Politics of (No-)Identity. In: Proceedings of the Conference »Past and Present of Radical Sexual Politics«. The fifth meeting in the series Socialism and Sexuality, University of Amsterdam, 3-4 October 2003. Organized by the Mosse Foundation, Gay and Lesbian Studies and the Master Club Gender, Sexuality and Culture. http://www.iisg.nl/~womlist/hirschfeld.doc, 2004. [6] Keilson-Lauritz, Marita: Tagungsbericht. Internationale Hirschfeld-Tagung im Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum. Ein nach-denklicher Bericht. In: Forum 42 (2003): 115 [7] Keilson-Lauritz, Marita: Tagungsbericht, op. cit.: 115 [8] Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld, op. cit.: 27-28 [9] Nach dem Vorwort der Herausgeber und dem einleitenden Beitrag von Friedemann Pfäfflin werden die Aufsätze in folgende Abteilungen gruppiert: Biografisches, Wissenschaftliche Konzepte, Das Institut für Sexualwissenschaft, Per Scientiam ad Justitiam, Hirschfeldrezeption in Politik und Literatur. [10] Cf. Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Unruhe« und »Menschheitsassimilation«, op. cit.: 273-275 [11] Orzessek, Arno: Der Gott der Juden küsst nicht. Eine Tagung in Potsdam über den Sexualreformer Magnus Hirschfeld. In: Süddeutsche Zeitung vom 17./18. Mai 2003: 14 [12] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 26 [13] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 22 [14] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 15 [15] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 14 [16] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 16 [17] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24 [18] Hirschfeld, Magnus: Berlins Drittes Geschlecht. Mit einem Anhang: Paul Näcke: Ein Besuch bei den Homosexuellen in Berlin. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer. Berlin 1991: 10 und 14 [19] Hirschfeld, Magnus: Das angeblich dritte Geschlecht des Menschen. In: Zeitschrift für Sexualforschung 6 (1919): 22 [20] Cf. Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearb. 5 Bände. Stuttgart 1926-1930 [21] Hirschfeld, Magnus: Die intersexuelle Konstitution. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 23 (1923): 23 [22] Ramien, Th. [=Magnus Hirschfeld]: Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts? Leipzig 1896: 49. Hervorhebung des Verfassers. [23] Hirschfeld, Magnus: Die intersexuelle Konstitution, op. cit.: 10 [24] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23 [25] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23 [26] Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung bearbeitet. I. Band: Die körperseelischen Grundlagen. Stuttgart 1926: 548. Lindemann verweist auf diese von ihr missverstandene Stelle in: Lindemann, Gesa: Magnus Hirschfeld [1993]. In: Seeck, Andreas (Hrsg.): Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Münster u.a. 2003: 102. [27] Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung bearbeitet. I. Band, op. cit.: 548 [28] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24 [29] Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds. In: 100 Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und herausgegeben von Manfred Herzer. Berlin 1998: 15-45. Der Essay ist auch erschienen in: Seeck, Andreas (Hrsg.): Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur kritischen Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld. Münster u.a. 2003: 133-155. Im folgenden wird nach dieser Ausgabe zitiert. [30] Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams, op. cit.: 144 [31] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24 [32] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24 [33] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 24-25 [34] Pfäfflin, Friedemann: Die Relevanz Hirschfelds hier und heute, op. cit.: 23 [35] Es handelt sich um folgende Erwiderungen: Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch. Eine Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 29/30, Juli 1999: 66-80; und Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Nr. 33/34, 2002: 68-90. [36] Es handelt sich um folgende Beiträge: Bauer, J. Edgar: »43 046 721 Sexualtypen.« Anmerkungen zu Magnus Hirschfelds Zwischenstufenlehre und der Unendlichkeit der Geschlechter. In: Capri Nr. 33, Dezember 2002: 23-30; Bauer, J. Edgar: Geschlechtliche Einzigkeit. Zum geistesgeschichtlichen Konnex eines sexualkritischen Gedankens. In: Capri Nr. 34, November 2003: 22-36; und vor allem: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfelds »Zwischenstufenlehre« und die »Zwischenstufentheorie« seiner Interpreten. Notizen über eine rezeptionsgeschichtliche Konfusion. In: Capri Nr. 35, April 2004: 36-44. [37] Diese Auseinandersetzung ist einer der Schwerpunkte der in Fußnote 36 und 37 angeführten Publikationen. [38] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 294 [39] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom. Magnus Hirschfeld und die Sexualkultur nach 1900. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 299, 300, 301 und 306 [40] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft? In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld, op. cit.: 257 [41] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 299 [42] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300 [43] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 301 [44] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 301 [45] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 303 [46] Cf. Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sexual Intermediaries and the Transgender Politics of (No-)Identity, op. cit.: 41-55 [47] Hirschfeld unterscheidet zwischen den deskriptiven Schichten (1) der Geschlechtsorgane, (2) der sonstigen körperlichen Eigenschaften, (3) des Geschlechtstriebes und (4) der sonstigen seelischen Eigenschaften. Cf. dazu: Hirschfeld, Magnus: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes. Nachdruck mit einer kommentierenden Einleitung von E.J. Haeberle. Berlin / New York 1984: 357; und Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet. I. Band: Die körperseelischen Grundlagen, op. cit.: 547-548 [48] Hirschfelds Schema kann als ein wichtiger Ausgangspunkt der differenzierteren Schemata betrachtet werden, die die Sexualwissenschaft in den letzten Jahren entwickelt hat. Dazu cf. die u.a. von Judith Shapiro vertretene Einteilung allein des biologischen Geschlechts in »chromosomal (or genetic) sex, anatomical (or morphological) sex, genital (or gonadal sex), germinal sex and hormonal sex«. (Shapiro, Judith: Transsexualism: Reflections on the Persistence of Gender and the Mutability of Sex. In: Epstein, Julia and Kristina Straub: Body Guards. The Cultural Politics of Gender Ambiguity. New York and London 1991: 250.) Cf. dazu auch: Haeberle, E.J.: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas. 2., erw. Aufl. Hamburg 1985: 151-152. [49] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300 [50] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 306 [51] Cf. Ferenczi, S[ándor]: Bausteine zur Psychoanalyse. Band I: Theorie. Mit einem Vorwort von M. Balint. 2. Aufl. Bern und Stuttgart 1964: 168. Ein vergleichbarer Begriff wurde von Adrienne Rich schon im Titel ihres nun klassischen Essays »Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence« (1980) geprägt, der in ihrer Textsammlung enthalten ist: Rich, Adrienne: Blood, Bread and Poetry. Selected Prose 1979-1985. London 1987: 23-75. [52] Cf. dazu insbesondere: Spanier, Bonnie B.: »Lessons« from »Nature«: Gender Ideology and Sexual Ambiguity in Biology. In: Body Guards. The Cultural Politics of Gender Ambiguity. Ed. by Julia Epstein and Kristina Straub. New York & London 1991: 329-350; Siann, Gerda: Gender, Sex and Sexuality. Contemporary Psychological Perspectives. London 1994; Spanier, Bonnie B.: Im/Partial Science. Gender Ideology in Molecular Biology. Bloomington and Indianapolis 1995; van den Wijngaard, Marianne: Reinventing the Sexes. The Biomedical Construction of Femininity and Masculinity. Bloomington and Indianapolis 1997; Rogers, Lesley: Sexing the Brain. New York 2001. [53] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 300 [54] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 308 [55] Hier sei auf eine vermutlich redaktionelle Inkonsistenz in Lautmanns Ausführungen hingewiesen. Obwohl es zunächst heißt, dass die »Ja«-Angaben im Sinne von »Widersprüchen zur Sexualkultur seiner [= Hirschfelds] Zeit« definiert werden, steht unmittelbar nach der Tabelle der Satz: »ja = Übereinstimmung mit der Sexualkultur der Zeit, nein = Widerspruch dazu.« (Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 308) [56] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 309. [57] Für eine ausführlichere Behandlung der Problematik cf. insbesondere: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung, op. cit.: 77-81 [=§ 6] [58] Cf. Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310 [59] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310 [60] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310 [61] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310 [62] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 296 [63] Cf. z.B. die Sichtweise, welche die Herausgeber des Sammelbandes gleich auf der ersten Seite des Vorwortes vertreten: »Während er [d.i. Magnus Hirschfeld] sich zeitlebens für eine Entkriminalisierung Homosexueller einsetzte, vermied er es jedoch, sich selbst zu outen. Ebenso tabuisierte er sein ›Judesein‹.« (Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps: Vorwort. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Magnus Hirschfeld, op. cit.: 7) [64] Cf. Hirschfeld, Magnus: Die Weltreise eines Sexualforschers. Brugg 1933. Auf die entsprechenden Passagen wird hingewiesen in: Bauer, J. Edgar: »Ahasverische Unruhe« und »Menschheitsassimilation«, op. cit.: 271-291. [65] Cf. Hirschfeld, Magnus: Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr (19. [eigentlich: 20] Fortsetzungen). In: Die Wahrheit. Prag, Jahrgänge 13 (1934) Nr. 44-52 und 14 (1935) Nr. 1-15. Es gibt eine englische Fassung des Textes: Hirschfeld, Magnus: Racism. London 1938. [66] Cf. dazu die in den Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Nr. 37) demnächst erscheinende Erwiderung des Verfassers auf die vorläufig letzten Einwände von Manfred Herzer: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: Sexualidentität und Geschichtsbewusstsein. Ein dritte Klarstellung, §§ 11-14 [67] Cf. Gay, Peter: A Godless Jew. Freud, Atheism and the Making of Psychoanalysis. New Haven and London 1987 [68] Cf. Klein, Dennis B.: Jewish Origins of the Psychoanalytical Movement [1981]. Chicago and London 1985 [69] Cf. Yerushalmi, Yosef Hayim: Freud's Moses. Judaism Terminable and Interminable. New Haven and London 1991 [70] Cf. Bernstein, Richard J.: Freud and the Legacy of Moses. Cambridge 1998 [71] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 261 [72] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 267 [73] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 266 [74] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 267 [75] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 260 [76] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 259 [77] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 260 [78] Braun, Christina von: Ist die Sexualwissenschaft eine ›jüdische‹ Wissenschaft?, op. cit.: 260 [79] Cf. Matthäus 3,2 [80] Cf. vor allem: Cohen, Hermann: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Nach dem Manuskript des Verfassers neu durchgearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Bruno Strauß. 2. Aufl. Leipzig 1929. Nachdruck 1978 [81] Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Hrsg. von Klaus Briegleb. Band 5: Schriften 1831-1837. München – Wien 1976: 438 [82] Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: »Häresie«: Religionskritische Thesen zur Auflösung des Begriffs im Geiste des Judentums. In: Pieper, Irene u.a. (Hrsg.): Häresien. Religionshermeneutische Studien zur Konstruktion von Norm und Abweichung. München 2003: 169-188, insbesondere S. 174-177 [83] Cf. Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams, op. cit.: 133 [84] Hirschfeld, Magnus: Die Weltreise eines Sexualforschers, op. cit.: 390 [85] Wiesel, Élie: Parole d´étranger. Textes, contes et dialogues. Paris 1982: 141 [86] Cf. dazu: Yovel, Yirmiyahu: Spinoza. Das Abenteuer der Immanenz. Göttingen 1994 [87] Sigusch, Volkmar: »Man muß Hitlers Experimente abwarten.« In: Der Spiegel, Nr. 20 (13.5.1985): 244 [88] Dannecker, Martin: Der Homosexuelle und die Homosexualität. Frankfurt a. M. 1978: 47 [89] Cf. Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. Frankfurt / New York 1992: 16. Die Passage ist auch in der »überarbeitete[n] Auflage« des Werkes nachzulesen: Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld, op. cit.: 40. [90] Lautmann, Rüdiger: Mit dem Strom – gegen den Strom, op. cit.: 310 [91] So die Auskunft des die Tagung ankündigenden Faltblattes. |