J. Edgar Bauer

 

Geschlechtliche Einzigkeit.

Zum geistesgeschichtlichen Konnex
eines sexualkritischen Gedankens

 

Ursprünglich veröffentlicht in: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum.
Redaktion: Manfred Herzer. Berlin: No. 34, November 2003, S. 22-36.
Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.


 

»Nirgends findet man soviel ›Angst vor der eigenen Courage‹ wie dort, wo sich Menschen zu der inneren Überzeugung durchgerungen haben, daß die herrschende Sexualeinstellung einer objektiven Nachprüfung bedarf.«

           Magnus Hirschfeld: Die Weltreise eines Sexualforschers,S. 311

 

 

1. In seinem Buch The Gen­e­­alogy of Queer Theory ver­tritt William B. Turner die These, dass die eigentliche philosophische Relevanz von Queerness nicht so sehr in der Infragestellung be­stimmter Sexualkategorien, sondern in der kritischen Fra­ge nach ihrem epistemo­logischen Status überhaupt besteht. Davon ausgehend, dass »the characteristic in­tel­lectual and political im­pulse of the late twentieth century has been to com­plain – not to say whine – about the inadequacy of categories, especially iden­tity categories«[1], versucht Turner, das Grundanliegen von Queer theory vor dem Hintergrund der vorherr­schenden philosophischen Skepsis gegenüber der Sub­sumption von Individuen unter Kategorien zu deuten. Trotz der »genealogischen« Absichten seines Unter­fan­gens übersieht Turner aber, dass Magnus Hirschfelds Zwischenstufenlehre schon ein Jahrhundert zuvor die kategorialen Dekonstruk­ti­onen der Queer-Theoretiker vorwegnahm und dass dieser Aspekt seiner wissenschaftlichen Bestrebungen nur im Zusammenhang mit den post-hegelianischen Iden­titätskritiken der zwei­ten Hälfte des 19. Jahrhun­derts adäquat verstanden werden können. Turners Ver­­säumnisse sind zwar bedauerlich, aber durchaus ver­­ständlich, wenn man bedenkt, dass bisher keine nen­nenswerte Anstrengung unternommen wurde, um die philosophischen und sys­temtheoretischen Vor­aussetzungen der Hirsch­feldschen Sexualwis­sen­schaft zu eruieren und deren eigentliche Tragweite und Relevanz zu würdigen.

 

2. Auch wenn ausge­wiese­nen Hirschfeld-Kennern wie Charlotte Wolff[2] und Man­fred Herzer[3] vage Vorstel­lun­gen über den Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hirschfelds Werdegang nicht abgestritten werden können, ist angesichts ihrer Forschungsergebnisse zu ver­muten, dass sie sich die Frage nie gestellt haben, ob Hirschfelds Dekonstruktion des Sexualbinomiums durch die Zwischenstufenlehre in sachlichem oder genealogi­schem Bezug zu Max Stir­ners philosophischer Radi­ka­lisierung der Individua­li­tätsproblematik steht. Die Frage ist nicht zuletzt deswegen als berechtigt anzusehen, weil Max Stirner unter den Repräsentanten der aufkom­menden sexualemanzipato­rischen Bewegung und der damit eng verbundenen Se­xualwissenschaft vielfach Anerkennung und Bewun­derung fand.

 

3. Magnus Hirschfelds Zwischenstufenlehre stellt eine Meta-Theorie der Ge­schlechterdifferenz dar, de­ren Kernaussage darin be­steht, dass es im strengen Sin­ne weder Männer noch Frauen gibt, sondern nur Men­schen, die aus­nahmslos »in­ter­sexuelle Vari­anten«[4] kon­sti­tuieren. So präzisiert Hirsch­feld in seinem Haupt­werk Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger For­schung bearbeitet, dass das »absolute« Weib und der »ab­so­lute« Mann »nur Grenz­wer­te, theoretische Auf­stel­lun­gen« sind, »denn in Wirk­lich­keit hat man bei jedem Mann wenn auch noch so gering­fü­gi­ge Anzei­chen seiner Ab­stam­mung vom Wei­be, bei jedem Weibe entspre­chende Reste männ­licher Her­kunft nach­wei­sen kön­nen.«[5] Die Grenz­werte »Mann« und »Weib« kommen bei jedem einzelnen Menschen nur in einem jeweils indivi­du­el­­len und somit unwieder­hol­ba­ren Mischungsverhältnis auf den verschiedenen de­skrip­ti­ven Ebenen des Sexuellen vor.[6] Da die Mischungsver­hält­nisse dieser Ebenen im sel­ben Individuum stets von­ein­ander divergieren, muss davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Geschlechter mit der Zahl der sexuierten Individuen identisch ist.[7] Diese Ein­sicht impliziert freilich keine Aufhebung der mit nützlichen Fikta operieren­den Sexual­wissenschaft,  sondern vielmehr eine er­heb­liche Er­weiterung und Vertiefung ihrer Domäne, da die Grund­fra­ge nach dem Geschlecht fortan nur mit­tels einer asymp­totischen An­näherung an den unwie­derholbaren Sexualtypus eines jeden Individuums zu be­antworten ist. Die epo­chale Bedeutung der Zwi­schen­stu­fenlehre besteht von daher in erster Linie in der Reinterpre­tation des Begriffs vom Sexu­al­­unter­schied und in dessen Reinskription in der wis­sen­schaftlich begründbaren Kom­plexität eines idealiter unab­schließbaren Prozesses sexueller Differenzierung.

 

4. In auffallendem Kontrast zu diesem skizzierten Ver­ständnis der Hirschfeld­schen Zwischenstufenlehre[8] steht die Mehrzahl der Deu­tun­gen, die während der nun mehr als hun­dertjährigen Re­zep­tions­geschichte Hirsch­felds vorge­legt wur­den. Da die dekon­struk­­tiven Implikationen der Zwi­schen­stufenlehre zumeist verkannt wurden, nimmt nicht wunder, dass Hirsch­felds Grundgedanken in keine nachvollziehbare Ver­bindung zu philosophisch anspruchs­vol­len Ansätzen seiner Zeit gebracht wur­den. In der lan­gen Tradition der Miss­deu­tung und Unter­schätzung des Hirschfeld­schen Werkes steht E.J. Haeberles kom­men­tierende Einleitung zum Nachdruck von Hirschfelds  Buch  Die Homosexualität des Mannes und des We­i­bes. So meint Haeberle z.B., dass der »the­o­retisie­rende[] Erste[]  Hauptteil des Bu­ches [...] unvermeid­li­cher­weise über­holt«[9] sei, und dass Hirsch­feld »als Theo­retiker flach und unfertig blieb«[10]. Umso über­ra­schen­der sind darum seine Bemühungen um den Nach­weis, dass Hirschfeld – »bei näherem Hinsehen« – die »entschei­dende Wahrheit« des Sexu­alkontinuums bzw. der Geschlechtsübergänge sowohl auf körperlichem wie auf seelischem Gebiet »durchaus richtig erfaßt«[11] hatte. Haeberle behauptet sogar, dass Hirschfeld »die­se[] fundamentale[] Einsicht [...] zur Basis sei­nes ganzen wissenschaft­lichen und re­formerischen Denkens«[12] machte. Dass Haeberles Missachtung der theoreti­schen Leistung Hirsch­felds mit seiner Ein­schätzung der Tragweite der »Wahrheit« des Sexualkontinuums nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen ist, braucht nicht eigens betont zu werden. Er­­klärlich wird Haeberles widersprüchliche Sicht aber, wenn man seine unbegrün­dete Annahme zur Kenntnis nimmt, dass das, was Hirsch­­feld zur Basis seiner theoretischen und emanzi­pa­torischen Arbeit machte, nicht von ihm selbst stammte.

 

5. Haeberle zufolge über­nahm Hirschfeld die Idee des Sexualkontinuums von Ludwig Frey, der in seiner Schrift Die Männer des Rätsels und der Paragraph 175 des deutschen Reichs­strafgesetzbuches vom Jahr 1898 die Thesen vertrat, dass aus sexueller Sicht alle Menschen nur »Übergangs­menschen« sind, und dass es folglich »so viele Ge­schlechtsanlagen wie Indi­vi­duen«[13] gibt. Da Haeberle in seiner Argumentation davon ausgeht, dass Freys Buch vor der Veröf­fent­lichung aller großen Werke Hirschfelds erschien, folgert er voreilig, dass Hirschfeld der von Frey formulierten  »fundamentalen Einsicht [...] sich nicht verschließen  [konnte].«[14] Haeberles Ar­gu­mente wären zumindest im Ansatz stichhaltig, wenn man zur Annahme berech­tigt wäre, dass Hirschfeld erst nach 1898 diese »Ein­sicht« zur Grundlage seines Œuvres machte. In Wahr­heit lässt sich aber zeigen, dass Hirschfeld schon in der 1896 erschienenen Broschü­re Sappho und Sokrates seine umfassende Lehre der Ge­schlechtsübergänge an­kündigt, als deren logische Konsequenz die These an­zusehen ist, dass jeglichem sexuierten Individuum eine unwiederholbare Ge­schlecht­lichkeit zukommt. So hieß es in der vom Ver­fasser vorgelegten Studie Der Tod Adams bezüglich der  program­matischen  Erstlingsschrift Sappho und Sokrates: »Davon ausge­hend, dass in der ›Uranlage [...] alle Menschen körper­lich und seelisch Zwitter sind‹ [...], wird die uner­schöpfliche Vielfalt der Ge­schlechter als Resultat von quantitativen, nicht qua­li­ta­tiven Unterschieden ver­standen, die davon abhängig sind, wie die Entfaltungs- und Hemmungsprozesse der bisexuellen Uranlage sich zueinander verhalten.«[15]  Auch wenn Hirschfelds erste sexualwissen­schaft­liche  Publikation keine so prägnante Formulierung wie die von Frey über die indi­vi­duellen Geschlechts­anla­gen aufzuweisen hat, ist nicht zu leugnen, dass Hirschfelds Einsicht in die Naturgegebenheit des Se­xualkontinuums und in die damit zusammenhängende Unwiederholbarkeit jeder Sexualkonstitution schon in seiner sexologischen Bro­schüre von 1896 belegbar ist und dass er darum nicht  auf Freys Buch von 1898 warten musste, um diese Ein­­sicht  zur »Basis« seines Gesamtentwurfes zu machen.

 

6. Diese Überlegungen werden von Hirschfeld selbst bestätigt, wenn er in dem 1926 erschienenen ers­ten Band der Geschlechts­kunde auf seine Forschungs­er­gebnisse bezüg­lich der intersexuellen Varianten zu spre­chen kommt und an­merkt:  »Diese zunächst nur auf Beobachtung und un­vor­eingenommene Nach­prü­fung gestützten Erfah­rungstatsachen führten mich im Jahre 1896 zur Aufstel­lung der Lehre von den se­xu­ellen Zwischenstufen.«[16] Damit war die Broschüre Sappho und Sokrates ge­meint. Denn abgesehen davon, dass sie die einzige 1896 zu einem sexolo­gi­schen Thema veröffent­lich­te Schrift Hirschfelds ist, enthält sie die erste Umschreibung der Zwi­schen­stufenlehre,  auch wenn der explizite Termi­nus darin noch nicht vor­kommt. Hirschfelds An­spruch auf die Urheber­schaft der Zwischenstufen­lehre wird keineswegs da­durch relativiert, dass er in der Broschüre von 1896 auf die Vorläufer[17] der von ihm vertretenen Auffassung gleichgeschlechtlicher Lie­be verweist. Denn das, wo­rauf es Hirschfeld ankam, war das »feste[] Schema«, in dem die biologische Auf­fassung der proble­mati­schen Liebe »[s]eines Wis­sens zum ersten Male [..] durchgeführt wurde«.[18] Erst unter der Vorausset­zung der Präzedenz Hirsch­felds bei der Aufstellung dieses »Sche­mas« wird ver­ständ­lich, dass er in der Ge­schlechtskunde die geis­tige Genealogie der Zwischen­stufenlehre präzise benennt: Zum einen Ernst Haeckels »biogenetisches Grundge­setz« (die Ontogenie als ge­drängte Phylogenie) und zum anderen das von Co­menius, Leibniz und Linné vertretene »Übergangs­ge­setz« (natura non facit saltum).[19] 

7. Da Haeberle Freys Urhe­berschaft der These der sexu­ellen Übergänge an­nimmt, ohne ein close reading von Sappho und So­krates und der Ge­schlechtskunde vorgenom­men zu haben, fällt es ihm leicht, unter Umgehung Hirschfelds gegen Ende sei­ner Einleitung  zu be­haup­ten, dass »[Alfred C.] Kinsey 1948 das genau fünf­zig Jahre früher schon durch Frey angerufene, oben erwähnte Prinzip des Übergangs«[20] hervor­geho­ben hatte, welches u.a. zur Auflösung der Dichotomie von Heterosexualität und Homosexualität führte. Da Haeberle übersieht, dass Hirschfeld schon 1896 in Sappho und Sokrates die Prinzipien einer solchen Auflösung im Rahmen der Ausdifferenzierung der bi­sexuellen Uranlage for­mu­liert hatte, verkennt er, dass der junge Hirschfeld aus eigener Kraft auf den sexo­logischen Grundgedanken seines Werkes kam, und in­validiert somit seine Analy­se und Würdigung der theo­reti­schen Leistungen des Sexualwissenschaftlers. Wie die folgenden Ausfüh­rungen in der Konsequenz zeigen werden, positioniert sich Haeberle argumentativ noch ungünstiger, wenn er meint, auch »Ludwig E. West« zu den Autoren zäh­len zu können, die vor Hirschfeld die  Auflösung der sexuellen Eindeu­tigkeit – speziell die in bezug auf die  Homosexuellen – vollzo­gen.[21]

 

8. Bei der Veröffentlichung von Sappho und Sokrates ver­wendete Hirschfeld das Pseudonym »Dr. med. Th. Ramien«. Erst die 1902 er­schienene zweite Auflage trug seinen eigenen Namen.[22] Da die schon in der ersten Auflage an­ge­stellten Überlegungen über das sexuelle Einord­nungs­schema als ein früher Entwurf der Zwischenstufen­lehre anzusehen ist, stellt die Erörterung des Zwi­schen­stufen-Themas in ei­nem Buch von »Dr. Lud­wig E. West«, das 1903 un­ter dem Titel Homo­sexuelle Pro­bleme. Im Licht der neu­esten Forschung allgemein­verständlich dargestellt[23] er­schien, keine bedeutende Vorwegnahme von Hirsch­felds Ideen dar, wie Hae­ber­le meint. Wenn man die ein­deutigen Anlehnungen des Verfassers an die sonst be­kannten Positionen Hirsch­felds in Betracht zieht, wird ersichtlich, dass es sich dabei vielmehr um einen der frühesten Belege für die Rezeptionsgeschichte von Hirschfelds Kerngedanken handelt. Da keine Angaben zur Biografie von »West« bekannt sind und überdies bisher nur zwei weitere Schriften des Verfassers zur Frage der Prostitution[24] er­mittelt werden konnten, kommt der Vermutung von Ferdinand Karsch-Haack (1853-1936), dass hinter dem Pseudonym Ludwig West »der Verfasser des Gefesselten Faust, JOHANNES GAULKE, stecken [soll]«[25], eine besondere Relevanz zu. 

 

9. Da Karsch-Haacks Mut­maßung anderweitig nicht bestätigt werden konnte, war es bislang nicht mög­lich, von einer verbürgten Grundlage bei der Iden­ti­fi­zierung von »Dr. Ludwig E. West« als Johannes Gaulke auszugehen. Die Beweis­la­ge ändert sich jedoch schlag­artig, wenn die von Karsch-Haack leider nicht erwähnte Tatsache be­rück­sichtigt wird, dass Johannes Gaulke schon 1901 - zwei Jahre vor dem Erscheinen von »Wests« Buch Homo­sexu­elle Probleme - einen Aufsatz unter dem bezeichnenden Titel Das homosexuelle Problem in der Monatsschrift Stim­men der Gegenwart ver­öf­fentlichte.[26] »Wests« und Gaulkes Schriften haben nicht nur ähnliche Titel und beschäftigen sich mit dem selben Thema, sondern wei­sen sogar stilistische Ähn­lichkeiten auf, die bis in die Details von begrifflichen Eigentümlichkeiten reichen. Zudem rechtfertigt vor al­lem die zeitliche Nähe bei­der Werke die Annahme, dass der Aufsatz als Vor­la­ge des erheblich umfang­rei­cheren Buches diente. Die Tatsache, dass fortan das unter dem Namen »West« erschienene Buch dem Schriftsteller Johannes Gaulke zuzurechnen ist, hat im Zusammenhang dieser Ausführungen vor allem deswegen eine erhebliche Signifikanz, weil damit klar wird, dass ein entschiedener Stirnerianer, wie Gaulke es war, an der frühesten Re­zeptions- und Wirkungs­geschichte von Hirschfelds sexologischen Grundge­dan­ken wiederholt und unmit­telbar beteiligt war.

 

10. Die Klärung der eigent­li­chen Identität von »Lud­wig E. West« wurde nicht zu­letzt dadurch erschwert, dass die verfügbaren Daten zu Johannes Gaulkes Vita und Werken sehr lückenhaft sind. Dies ist umso mehr zu bedauern, als die Auskünfte, die hier zusammengetragen werden konnten, eine Vor­stellung davon vermitteln, wie ertragreich und bewegt Gaulkes Leben gewesen ist. Obwohl der 1869 in Kol­berg (heute: Kolobrzeg, Polen) geborene Gaulke schon 1906 als »be­kannter Essayist« in einem bio-bibliogra­fischen Stan­dard­werk[27] bezeichnet wur­de, verlieren sich seine Spuren nach 1938.[28] In einer als Orientierungshilfe ge­dach­ten biografischen Notiz präzisiert Marita Keil­son-Lauritz, dass das »Todes­datum unbekannt«[29] sei, und fährt fort: »Mit­schüler von [Magnus] Hirschfeld. 1892 mit dem Bildhauer Louis Ring und Hirschfeld nach New York, wo er 1894 mit einem Part­ner die In­nen­architektur-Firma Jaeger & Gaulke be­ginnt. Nach geschäft­li­chem Mißerfolg Rückkehr nach Berlin. Schriftsteller, Über­setzer, 1900-1902 Redak­teur des Magazins für Litte­ratur. Gab 1909 ff. eine Rei­he ›Kultur- und Mensch­heits­dokumente‹ heraus.«[30] Neben seiner schriftstel­le­ri­schen Tätigkeit als Es­say­ist[31], Dramatiker[32] und Ver­fasser von Erinnerungen an seine Abenteuer in Ame­ri­ka[33], ist vor allem zu ver­zeichnen, dass Gaulke der erste deutsche Übersetzer von Oscar Wildes Dorian Gray[34] wurde und das Dreh­buch zu Die Löwenbraut, ei­nem Spielfilm aus den Jah­ren 1913-1914 vom Re­gisseur Max Obal, schrieb.[35] Wie im folgenden gezeigt wird, sind Gaulkes welt­an­schauliche Nähe zu den Po­sitionen Max Stirners und sein freundschaftliches Ver­hältnis zu Magnus Hirsch­feld  deswegen besonders zu beachten, weil beide Ge­gebenheiten auf die eigen­tümliche Rolle verweisen, die Gaulke in und zwischen den zwei Hauptgruppie­run­gen der sexualemanzipa­to­rischen Bewegung in Deutschland spielte.  

      

11. Gaulkes persönliches Ver­hältnis zu Hirschfeld be­stand seit ihren Schuljahren in Pommern und wurde in der Zeit der gemeinsam un­ternommenen amerikani­schen Reise gefestigt. Zeit seines Lebens war Gaulke an Initiativen und Projekten beteiligt, die mit dem Na­men Hirschfelds eng ver­knüpft waren. So gehörte Gaulke zu den Erstunter­zeichnern der im Dezember 1897 an den Bundestag und den Reichstag gerichteten Petition gegen § 175 RStGB.[36] Im selben Jahr, in dem Gaulke seine Übersetzung von Do­rian Gray vorlegte, ver­öf­fentlichte er den Aufsatz Oscar Wilde´s ›Dorian Gray‹ in Hirschfelds  Jahr­buch.[37] Seit 1907 zählte Gaulke zu den Mitgliedern des Obmännerkollegiums des Wissenschaftlich-hu­ma­nitären Komitees.[38] Vor diesem Hintergrund ist nicht überraschend, dass Gaulke seine besondere Verbundenheit mit Hirsch­feld in einem Beitrag zum Aus­druck brachte, der anlässlich des 50. Geburtstags von Magnus Hirschfeld im Jahre 1918 unter dem Titel Jugend­erinnerungen erschien.[39]  Darin schlägt Gaulke einen Bogen von den vielver­spre­chenden Möglichkeiten des Gymnasialschülers, dem ein »starkes Gerechtigkeits­ge­fühl«[40] eigen war, zur Ver­wirklichung der anvisierten Ziele im Leben des Jubilars:  »Was der nachdenkliche, immer tätige Knabe [...] ver­­sprochen hat, hat der Mann vollendet.«[41] In diesem Rahmen unterstreicht Gaulke zunächst Hirsch­felds überlegte Auflehnung gegen den »dumpfen Zwang eines humanistischen Gym­nasiums«[42] und beschreibt dann – in Anspielung auf Hirschfelds Lebensmotto: per scientiam ad justitiam – seine  Entwicklung zu ei­nem »Bahnbrecher der Wis­sen­schaft«[43] und »Befreier von Aberglauben und Vorurteil.«[44] 

 

12. Auffällig in Gaulkes  Ju­genderinnerungen ist die Be­tonung der persönlichen  In­dividualität in ihrer Ge­gen­sätzlichkeit zum »Her­den-Menschen«[45]. Auch wenn die Anspielun­gen auf Friedrich Nietzsche in Gaul­kes Diktion offen­sicht­lich sind, mahnt die starke Be­rücksichtigung der Be­mü­hungen um Aufklä­rung und deren Folgen für das Indi­viduum vor allem an Max Stirner. So verfremdet Gaulke in typischer Stirner-Manier einen neutesta­ment­lichen Topos zugunsten einer radikalisierten Auf­fassung der individuellen Lebensaufgabe, wenn er schreibt: »Viele sind be­ru­fen, aber wenige auser­wählt, heißt es ja wohl in der Schrift. Berufen sind sie schließlich alle, und wenn es sich auch nur um einen Ruf für ein Aemtchen handelt, der Auserwählte muß sich indessen selber berufen. Ein solcher ist Magnus Hirschfeld.«[46] Gaul­ke deutet die Auser­wäh­lung Magnus Hirsch­felds als einen Akt der Selbst­berufung hinsichtlich seines aufklärerisch-eman­zi­patorischen Zieles: »Er hat in mühseliger Klein­arbeit, allein von der ihm innewohnenden Wahrheits­liebe dazu getrieben, eine Schranke des menschlichen Geistes niedergerissen.«[47] Auch wenn Gaulke offen­sichtlich ein Porträt Hirsch­felds als eines Freien, der zu einem Befreier wurde, zeich­­­nen will, ist nicht zu übersehen, dass sowohl die Befreiten als auch das, wo­von sie befreit wurden, un­zureichend charakterisiert werden. Denn explizit ist die Rede nur von den »Tau­sende[n], denen blöde Ver­folgungssucht und Unver­stand das Leben verbittert haben [...]«[48] und von einer Befreiung von »Aberglau­ben und Vorurteil in jegli­cher Form«[49]. Letztendlich führen derartige unscharfe Verallgemeinerungen dazu, dass die hauptsächliche Kon­sequenz von Hirsch­felds sexualwissen­schaft­li­chen Einsichten nicht the­matisiert wird:  Die allge­mein-menschliche Befrei­ung von den Zwängen der binomen Geschlecht­lichkeit und ihrer jeweils hetero- bzw. homosexuellen Kombinatorik.

 

13. Gaulkes Betonung der Individualität hängt aufs engste mit dem philoso­phi­schen Standpunkt zusam­men, den er am prägnan­tes­ten in einem Aufsatz arti­kuliert, der 1925 unter dem Titel Das Hohelied des Egoismus veröffentlicht wurde. Mit Bezug auf diesen Auf­satz merkt Hans G. Helms an: »Ohne Stirner zu er­wäh­nen, völlig stirneria­nisch in Terminologie und Inhalt.«[50] Die Wichtigkeit von Helms Feststellung wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die weltan­schauliche Präferenz für die Philosophie Stirners im Kreis um Magnus Hirsch­feld keine Selbstver­ständ­lichkeit war. Sie war viel­mehr für die Gruppe der Eigenen charakteristisch, auf die der Anarchist und Dichter John Henry Mackay einen maßgeblichen Ein­fluss ausübte. Durch seine Biografie Max Stirners[51] und die Herausgabe seiner Schriften – insbesondere Der Einzige und sein Eigen­tum – [52] verhalf  Mackay dem damals fast in Ver­ges­senheit geratenen Philoso­phen zu einer folgenreichen Rezeption seiner Werke. Dabei ist aber zu beachten, dass die eher pädophile, das klassische Griechenland ver­herrlichende Grund­aus­richtung von Adolf Brand, Benedict Friedlaender und anderen Hauptrepräsen­tan­ten der Eigenen zu einer ge­wissen Gegensätz­lichkeit – und zuweilen offener Feind­schaft – zu Magnus Hirsch­feld und seinen engsten Mitarbeitern führte, deren Emanzipationsbestrebungen mehr dem sogenannten drit­ten Geschlecht, als den sich »männlich« wäh­nenden Päderasten galten. In Anbetracht dessen ist sig­nifikant, dass Gaulke sei­ne Studien Die Homo­erotik in der Weltliteratur (1903)[53] und Erotik und Patriotismus (1927)[54] nicht in Hirsch­felds Jahrbuch, sondern in Der Eigene, der von Brand herausgegebenen Zeit­schrift, veröffentlichte. Ob­wohl auch andere Autoren – wie Marita Keilson-Lauritz unterstreicht – Beiträge für die Publikationsorgane bei­der Gruppierungen schrie­ben,[55] erhält dies im Falle Gaulkes eine singuläre Be­deu­tung vor dem Hintergrund seiner  per­sönlichen und vielfachen Beteiligung an Hirschfelds Unter­nehmungen.

 

14. Aus Gaulkes intellektuellem Werdegang lässt sich schließen, dass eine Rezep­tion Stirnerianischen Ge­dan­kenguts im engsten Kreis der Hirschfeld-Mitar­beiter stattfand, die der phi­losophisch informierte und interessierte Hirschfeld mit Sicherheit nicht hat über­se­hen können. Wie Das Hohe­lied des Egoismus zeigt, stand diese Rezeption im Zeichen einer vorurteils­frei­en Neubewertung der »eige­nen Natur und der ihr inne­wohnenden Trieb­kräfte«[56]. In Entsprechung zu den tie­feren Dimensionen der Phi­lo­sophie Stirners sieht Gaul­ke im Egoismus keine bloß moralisch-psychologische Angelegenheit, sondern den eigentlichen Schlüssel zur ontologischen Erschließung der Wirklichkeit:  Denn »der Egoismus [ist] als das höchste und einzige Prinzip in ihm [=dem Menschen] wie in allen Lebewesen, im Mikrokosmos wie im Ma­kro­kosmos, wirksam [...].«[57]  Gaulkes Plädoyer für den Egoismus gestaltet sich als eine Ermutigung zur luziden Selbsterkenntnis und Selbst­behauptung, die zur Entlar­vung des Altruismus als eine Weltanschauung von »entartete[n] und ver­loge­ne[n] Egoisten«[58] führt. Im Hinblick darauf, dass Hirsch­feld bei der Durch­setzung seiner sexualeman­zipatorischen Ziele auf poli­tische Wirksamkeit ange­wiesen war, ist aber kaum vorstellbar, dass er sich zu Gaulkes radikalen, konsens­unfähigen Philosophemen öffentlich bekannt hätte, auch wenn er rein persön­lich damit einverstanden gewesen wäre.

 

15. Neben zahlreichen ter­minologischen[59] und inhalt­lichen Anleihen bei Stirner sind im Hohenlied Gaulkes auch Grundan­schauungen  und Leitmotive zu verzeich­nen, die eher an bekannte Topoi von Goethe, Darwin, oder Nietzsche erinnern. Hinsichtlich ihrer rhetori­schen Form wäre z.B. die markante Ankündigung:  »Ich lehre euch den Ego­is­mus, den herrlichen, abge­klärten Egoismus [...]«[60] eher im Mund von Nietzsche-Zarathustra, als in der Diskursivität des allem Predigtmäßigen ab­geneigten Stirner vorstell­bar.[61] In Gaulkes hauptsäch­lich stirnerianisch ausge­rich­tetem Text haben die An­klänge an Nietzsche eine symptomatische Bedeutung, denn sie indizieren seine Be­mühung um eine (leider als eklektisch zu bezeichnende) Synthese beider Philosophen.[62]  Dass Gaulke – anders als John Henry Mackay–[63] die we­sentlichen Unterschiede zwi­schen den philosophi­schen Positionen von Stirner und Nietzsche nicht sonderlich ernst nahm, wird in seinem Versuch beson­ders deutlich, das Reali­sie­rungsfeld des »egoisti­schen« bzw. individua­lis­ti­schen Denkansatzes durch eine Art »artistisches« Weltgefühl einzuschrän­ken, wenn es heißt: 

»[Das] Streben [des wirk­li­chen Egoisten] wird darauf gerichtet sein, die Welt rei­cher und schöner zu gestal­ten, als er sie vorgefunden hat, um sie in vollen Zügen genießen zu können. Der Weg des Egoisten ist nicht durch Trümmer, sondern durch Schönheit gekenn­zeichnet. Ihm ist das Leben kein ethisches, sondern ein ästhetisches Problem.«[64] 

Darüber hinaus ist hier anzumerken, dass Gaulke   –entsprechend seiner allgemeinen Ten­denz, die Konsequenzen des philosophischen Egoismus zu entschärfen– die Dimension des Sozialen in seinem Ent­wurf hervorhebt, indem er für den »humanistischen« Stand­­punkt eintritt, dass »der abgeklärte Egoismus [...] die Solidarität aller postuliert«[65].

 

16. Da Gaulke wusste, dass seine ästhetischen und »hu­manistischen« Determi­nie­run­gen des Egoismus in einem problematischen Be­zug zu Stirners Philosophie des Einzigen standen[66], ist nicht überraschend, dass der Name Max Stirner nir­gends im Hohenlied er­wähnt wird. Offensichtlich interessiert sich Gaulke  für Stirners Denken nur inso­fern, als es ihm eine indi­vidualistische und aufge­klärte Grundlage für seine libertären Bestrebungen bot. Bezeichnend dafür ist fol­gende Passage aus dem Hohenlied, in der Gaulke einen anti-metaphysischen, aufklärerischen Standpunkt in Verbindung mit seiner emanzipatorischen Grund­einstellung vertrat: »Eine end­­lose Reihe von Richt­li­nien im Fühlen, Wollen und Handeln kennzeichnet den Leidensweg der Mensch­­heit. Sie charakte­risieren sich als Religion, Moral, Gesetz, Recht [...] usf. Schlagworte, Unbe­griffe, weil es daran nichts zu be­greifen gibt – ein meta­phy­sischer Spuk!«[67] Die kriti­sche Haltung Stir­neri­scher Prägung, die die Auf­lösung solcher »fixen Ideen«[68] for­dert, war bereits am Werk, als Gaulke ein Vierteljahr­hundert zuvor sich einge­hend mit der Fra­ge der Ho­mosexualität be­fasste. Schon in den ers­ten Sätzen vom Aufsatz Das homo­sexuelle Problem von 1901 ist der aufkläreri­sche Opti­mismus nicht zu ver­kennen, der Gaulkes Schrift be­herrscht: »Das Dunkel, das sich bis vor kurzem über das große Gebiet des Ge­schlechtslebens aus­brei­tete, beginnt sich immer mehr zu zerstreuen. Zu­gleich schwin­det aber auch damit das Vorurteil und das Miß­trauen, mit dem man in weiten Kreisen die sexuelle Frage behandelt hat.«[69]

17. In Gaulkes Homosexu­a­litäts-Aufsatz geht es vor­der­gründig um die Bespre­chung einer Reihe von Bei­trägen, die in den ersten drei Jahrgängen des von Magnus Hirschfeld herausgegebenen Jahrbuches für sexuelle Zwi­schenstufen erschienen waren. Eine nähere Analyse der Textstruktur macht aber deutlich, dass es sich dabei eigentlich um ein kleines Kompendium von argu­men­tativen Entlastungs­strate­gien zugunsten des »Homo­sexualismus« handelt. So geht Gaulke nach einigen einleitenden Sätzen dazu über, drei Beiträge zur all­gemeinen Homosexu­ali­täts­frage zu rezensieren. Bei der Besprechung von Richard von Krafft-Ebings Aufsatz hebt Gaulke hervor, dass der Autor die konträre Sexualempfindung weder als Laster noch als Krank­heit, sondern als eine »recht dunkle Störung im Entwick­lungsprozeß des Foetus«[70] betrachtet, welche als eine »Mißbildung« deswegen zu gelten hat, weil sie mit den normalen geistigen Funktio­nen durchaus verträglich ist. In der Annahme, dass das konträre Sexualempfinden eine natürliche Erscheinung darstellt, setzt sich Gaulke mit Karl Heinrich Ulrichs' Forderung nach staatlicher und sozialer Anerkennung der urnischen Liebe sowie nach der urnischen »Ehe« auseinander, und verweist darauf, dass die Klärung der Frage nach dem Ge­schlechts­verkehr zwischen Homosexuellen die Voraus­setzung für eine sachge­mäße Gesetzgebung ist.[71]  Die Fragen, ob homosexuell empfindende Menschen zur heterosexuellen Ehe geeig­net sind und welche ge­schlechtliche Kom­plexitäten daraus resultieren würden, thematisiert Gaulke dann im Zusammenhang mit Mag­nus Hirschfelds Beitrag, auf den noch einzugehen sein wird.[72] Nach diesen vor­wiegend theoretischen Aus­führungen referiert bzw. er­wähnt Gaulke biografisch angelegte Beiträge über künstlerische Persönlich­keiten[73] und weist zuletzt auf zwei Studien von Fer­di­nand Karsch-Haack hin, in denen der Nachweis er­bracht wurde, dass »Päde­ras­tie und Tribadie« bei Men­schen und bei Tieren vorkommen  und dass der Uranismus deswegen keine Folge der Verfeinerung der Sitten bzw. der »Über­kul­tur« darstellen kann, weil die »griechische Liebe« bei allen Natur­völkern der Erde »in allen erdenklichen Formen«[74] ausgeübt wird.

 

18. Entsprechend dem sexu­alemanzipatorischen An­liegen Magnus Hirschfelds steht Gaulkes Homosexu­a­li­täts-Aufsatz im Dienst einer konsequenten Infra­ge­stel­lung der herkömmlich nor­mierten Geschlecht­lich­keit. Nicht von ungefähr erwähnt Gaulke bei der Be­spre­chung von Hirsch­felds Beitrag die »sexuelle[n] Zwischen­stu­fen«[75] als Sy­no­­­nym von Mit­telstufen, die im sexu­el­len Natur­kon­ti­nu­um das Seg­ment des sogenan­nten dritten Ge­schlechts ein­neh­men. Auch wenn der Be­griff  Zwi­schen­stufenlehre im Aufsatz nicht aus­drück­lich vor­kommt, wird das Schema des sexuellen Na­turkonti­nuums eindeutig vor­ausge­setzt, wenn Gaulke im Zu­sammenhang einer skizzier­ten Typologie hete­rosexu­eller Ehen zwischen zwei homosexuellen Part­nern schreibt: »Am güns­tigsten gestellt ist die dritte Gruppe von Per­sonen, bei denen die Liebe zu einem bestimmten Typus über­wiegt. Es sind Frauen, die sich von femi­nin gearteten Individuen weiblichen wie auch männ­lichen Ge­schlechts ange­zogen fühlen, ebenso Män­ner, die den kna­ben­haften Typus, sei es im Mädchen oder im Kna­ben selbst, lie­ben. In diesem Fall – eine sexuelle Zwi­schenstufe, die wiederum vielfach differen­ziert – ist, so paradox es auch klingen mag, die Liebe zwischen zwei ausgespro­chen homo­sexuell empfin­den­den Indi­viduen mit ver­schiedenen Geschlechts­cha­rakteren durchaus denkbar.«[76] 

Da Gaulke an dieser Stelle eine weiter­gehende Diffe­renzierung innerhalb einer Mittelstufe vorsieht, wird deutlich, dass seinen Aus­führungen letzt­endlich ein Kontinuum von Ge­schlech­tern im Hirsch­feld­schen Sinne zugrunde liegt. Da unter dieser Vor­aus­setzung die gleichge­schlechtliche Liebe als eine der Hetero­sexualität gleich­gestellte Na­turgegebenheit erscheint, muss ihre vorgeb­liche Rät­sel­haftigkeit neu definiert werden: »Mag die Urnings­liebe auch nicht allgemein mehr als ein Las­ter hinge­stellt werden, son­dern als ein Naturrätsel – und dies geschieht selbst von homo­sexuell Bean­lag­ten –, so ist sie jedenfalls kein geringe­res Naturrätsel als die ge­schlechtliche Liebe über­haupt.«[77] Gaulke war sich mit Hirsch­feld darüber einig, dass es kein spezielles Na­turrätsel des »Homo­sexu­­a­lismus« gibt. Rätsel­haft ist nur die Liebe, die sich in der kontinuierlichen For­menvielfalt des Ge­schlecht­lichen manifestiert.

 

19. Gaulkes Aufsatz Das homosexuelle Problem von 1901 kann als ein Vor­ent­wurf zu »Wests« Buch Ho­mosexuelle Probleme von 1903 gelesen werden.[78]   Entsprechend dem popula­ri­sierenden Charakter des Auf­satzes lautet der Unter­titel des Buches: Im Lichte der neuesten Forschung all­gemeinverständlich dar­ge­stellt, da der Verfasser sich auf die Wiedergabe dessen beschränkt, »was bisher von der Wissenschaft als richtig festgestellt und erkannt wur­de [...].«[79] Außerdem korrespondieren Gaul­kes aufklärerische In­tenti­o­nen mit »Wests« Ver­such, »die Kenntnis über ge­wisse Tatsachen, die Ein­geweih­ten schon lange be­kannt waren, in die breite Masse des Volkes zu tra­gen.«[80]  Das Buch variiert sogar Gaulkes erste Sätze über »[d]as Dunkel«, das dank der »Männer der Wis­sen­schaft« sich immer mehr zu zerstreuen beginnt,[81] wenn es gleich in der Ein­leitung heißt: »[...] das Licht der Aufklärung hat den Ne­bel mittelalterlichen Aber­glau­bens verscheucht. Nun ist wieder ein Stück geisti­ger Dunkelheit von der Wis­­­senschaft hell durch­leuchtet worden, ihre Sonne wirft ihre Strahlen auf ein bisher unbekanntes Ge­biet.«[82]  Über die ähn­li­che Zielset­zung beider Schrif­ten hi­naus lassen sich Ent­spre­chungen in ihrem Auf­bau fest­stel­len,[83] so dass die an­fangs auf text­externe Fest­stel­lun­gen ge­stützte Annah­me eines ein­zigen Verfas­sers durch den näheren Text­ver­gleich sich ohne weiteres bestätigen lässt.

 

20. Dass »West«, als Ver­fas­ser des Buches, »[e]igene Gedanken [...] nicht [bringt]«[84], ist nicht darauf­hin auszulegen, dass der Text keine eigene Sicht bei der Auswahl von Autoren und Texten erkennen ließe. Wie eine aufmerksame Lek­türe von Homosexuelle Pro­bleme zeigt, ist diese Sicht allerdings von den wissen­schaftlichen und eman­zi­pa­torischen Positionen Mag­nus Hirschfelds maßgeblich geprägt. Abgesehen von dem zu erwartenden um­fang­reichen Belegmaterial, das »West« von Hirschfeld übernimmt,[85] ist es bezeich­nend, dass schon das erste Kapitel des Buches vor­wie­gend der »Theorie des ho­mo­sexuellen Problems von Dr. Magnus Hirsch­feld«[86] gewidmet ist. Beendet wird das Buch dann mit einer aus­­führlichen Darlegung der bis dahin herausra­gend­sten Unternehmungen Hirsch­felds: die Gründung des Wissenschaftlich-hu­ma­nitären Komitees, die He­raus­gabe des Jahrbuches für sexuelle Zwischenstufen, die Petition an den Deut­schen Reichstag und die Aus­arbei­tung des sexual­wissen­schaft­lichen Frage­bogens.[87] Während Karl Hein­rich Ul­richs als »ge­wis­sermassen der Vater der Emancipa­ti­ons­bewegung der Homo­sexu­ellen«[88] ge­würdigt wird, scheint es in der Jetzt­zeit des Verfassers keine bedeutsamere Gestalt zu geben als »Dr. Magnus Hirschfeld in Charlot­ten­burg, dessen grosser Ener­gie und ausserordentlicher persönlicher Liebenswür­dig­keit ebenso sehr, wie sei­nem umfassenden Wis­sen die heutige Bewegung fast alles verdankt.«[89] Au­ßer­dem wird die eminen­te Be­deutung Hirschfelds da­durch unterstrichen, dass unter den sieben »großen Autoritäten«[90], auf die »West« in der Einleitung verweist, nur Hirschfeld mit Vor- und Nachnamen ge­nannt wird und dass die letz­­ten Zeilen derselben Ein­­leitung wie eine Para­phrase von Hirschfelds Le­bensmotto per scientiam ad justitiam  klingen: »Mö­gen recht viele diesen hellen Schein [der Wissenschaft] sehen, damit auf rechtli­chem wie auf sozialem Ge­biete recht bald die Konse­quenzen der neuen Erkennt­nis gezogen werden können!«[91]  »West« hätte kaum deutlicher zum Aus­druck bringen können, dass er sich voll und ganz mit den wissenschaftlichen und emanzipatorischen Idealen identifizierte, die Hirschfeld vertrat.

 

21. Obwohl Gaulke im Auf­­satz Das homosexuelle Problem von 1901 den Ter­minus Zwischenstufe im Zu­sammenhang mit Hirsch­feld verwendet, tut er dies im Buch nicht, wenn er die Homosexualitätstheorie Hirsch­felds behandelt.[92]  Trotzdem kann als sicher gelten, dass Gaulke das Buch in völliger Klarheit darüber schrieb, dass Hirschfelds theoretische Überlegungen die These der Zwischenstufigkeit eines jeden Menschen impli­zie­ren.[93] Nicht von ungefähr be­ginnt das erste Kapitel des Buches mit einer zehnseitigen Darlegung von Hirschfelds »Theorie des homosexuellen Problems«, welche – nach zwei einfüh­renden Absätzen – aus ei­nem einzigen Zitat aus dem ersten Teil der Broschüre Sappho und Sokrates  be­steht,[94] in denen die Kern­gedanken vorkommen, die Hirschfeld später mit dem Begriff Zwischenstufenlehre zusammenfasste. Dessen un­geachtet, dass Gaulke in dem Zusammenhang –Hirschfelds Broschüre fol­gend – die Termini Zwi­schen­stufe bzw. Zwischen­stufenlehre nicht verwendet, ist festzuhalten, dass die kur­ze Einführung und das lange Zitat im ersten Ka­pi­tel von Homosexuelle Pro­bleme mit zur frühesten Re­zeptionsgeschichte von Hirschfelds Kerngedanken zur Zwischenstufenlehre gehören.

 

22. Dass Gaulke, der als Stirnerianer die kritische Tragweite des Einzigkeits-Gedankens genauestens ein­schätzen konnte, der Zwi­schenstufenlehre Hirsch­felds ein besonderes Interes­se entgegenbrachte, ist of­fensichtlich, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass für Hirschfeld »hinsichtlich der Sexualkonstitution [...] jeder Mensch seine Natur und sein Gesetz hat.«[95] Hirsch­feld war jedoch nicht auf seinen  Freund Johannes Gaulke angewiesen, um die mögliche Relevanz von Max Stirner für die Sexu­ali­tätsfrage zu erkennen. Es ist davon auszugehen, dass ein so belesener Forscher wie Hirschfeld, der mit den ein­schlägigen sexualwissen­schaftlichen Publikationen bestens vertraut war, Be­scheid wusste, dass Károly Mária Kertbeny (1824-1882), der den Terminus Homosexualität und andere sexualwissenschaftliche Begriffe prägte,[96] zumindest zeitweise in engem Kontakt zu Stirner stand. Denn darauf verwies nicht nur der ungarische Schriftsteller selbst in seinen 1861-1863 erschienenen Erinne­run­gen[97] sondern auch der von Hirschfeld sehr geschätzte Sexualforscher Iwan Bloch (1972-1922).[98]  Darüber hinaus war es vor allem dem unermüdlichen Einsatz des Anarchisten und Dich­ters John Henry Mackay für das Werk Stirners zu ver­dan­ken, dass der Philosoph zu einer unübersehbaren Größe innerhalb der sexu­al­emanzipatorischen Bewe­gung wurde. Der Umstand aber, dass hauptsächlich die Eigenen Stirner zu ihrer eigentlichen Galionsfigur mach­ten, begünstigte eine vorbehaltlose Rezeption Stirners sicherlich nicht. Da sie für eine päderastische Aus­richtung der sexual­emanzipatorischen Bewe­gung plädierten, die sich immer deutlicher von den Positionen unterschied, für die Magnus Hirschfeld und das Wisenschaftlich-humanitäre Komitee sich einsetzten, fiel es Hirschfeld offensichtlich nicht schwer, auf eine Bezugnahme auf Stirner zu verzichten. Auch wenn Stirners Denken der radikalen Individualität durchaus einen philosophi­schen Rahmen für Hirsch­felds neue Sicht des Ge­schlechtlichen hätte bieten können, zog Hirschfeld zeit seines Lebens vor, sich auf Friedrich Nietzsche zu be­rufen. Die program­mati­schen Implikationen einer solchen Vorliebe sind schon darin zu erkennen, dass Hirschfeld beiden Auflagen seiner sexualwissenschaft­lichen Erstlingsschrift Sappho und Sokrates ein Nietzsche-Motto voran­stellte[99] und dass er in Phantom Rasse, dem letzten zu seinen Lebzeiten er­schie­nenen Text,[100] in Fragen der Völkerpsychologie sich auf Nietzsche stützte, um gegen die aufkommende Nazi-Ideologie vorzugehen.[101]  Hirschfeld, der den »Hu­manitätswert« – unabhängig vom Sexualtypus und rassi­scher Zugehörigkeit – im Einzelmenschen verankert sehen wollte, fand in Nietzsche – dem Gegner des Herden-Menschen – eine ständige Inspirations­quelle seiner emanzipatori­schen Bestrebungen.

 

23. Dass Hirschfeld auf Stir­ner, den schärfsten Den­ker der Individualität im neunzehnten Jahrhundert nicht zurück­griff, hing ver­mutlich nicht nur damit zu­sammen, dass Hirschfelds ideologische Gegner Stirner sehr früh für sich reklamiert hatten, sondern auch damit, dass Nietzsche einen direkteren Zugang zu den Fragen bot, die um die Jahrhundert­wen­de sich aus Biologie und Psychologie ergaben und für die Hirschfeld sich bren­nend interessierte. Dessen ungeachtet, wie Hirschfelds philosophische Präferenzen sich konstel­lierten, muss aber festge­halten werden, dass seine Auflösung des of­fenba­rungs­mäßig sank­ti­onierten Sexualdimor­phis­mus und seiner jeweilig hetero- bzw. homosexuellen Kombina­torik zugunsten der poten­tiell unendlichen Ge­schlechter eher der radi­ka­len Dekonstruktions­pro­gram­matik Max Stirners als den verkappt retheologisie­renden Übermensch-Visio­nen von Nietzsche-Zarathustra entsprechen. Nach Stirner haben Auf­klä­rung und Liberalismus am Ende der mit dem Chris­ten­tum ansetzenden »neuen Zeit« nur den Tod Gottes am gekreuzigten Gottmen­schen nachvollzogen.[102]  Der Tod des menschlichen Momentes an ihm steht jedoch noch aus, solange die Folgen der verinner­lich­ten Transzendenz fort­wir­ken. Dazu gehören die Distributionen und Hierarchisierungen des Geschlechtlichen, die mit der »Schöpfung« des biblischen Menschen ein­setzten und bis zum heutigen Tag das Selbstverständnis des okzidentalen Menschen beherrschen. Vor diesem Hintergrund konstitu­iert Hirsch­felds Dekonstruktion der paradigmatischen Disjunk­tion zwischen »Adam« und »Eva« durch die Zwischen­stufenlehre eine Radikali­sie­rung und Vervollstän­di­gung von Max Stirners Kritik der anthropo-theo­lo­gi­schen Grundvorausset­zun­gen des Abend­lan­des.

 

24. Obwohl Nietzsche fest­stellt, dass »Grad und Art der Ge­schlecht­­lichkeit eines Men­schen [...] bis in den letzten Gipfel seines Geistes auf[reicht]«[103], lässt er das seit den offenbarten  An­fangs-Berichten geltende Sche­ma des Sexual­dimor­phis­mus philosophisch un­an­getastet. Im Gegensatz dazu entspricht Hirschfelds wissenschaftlich fundierte Dekonstruktion des durch das Sexualbinomium geprägten Menschenbildes prinzipiell dem Desiderat Max Stirners, das »Jenseits in Uns«[104] zu beenden. Hirsch­felds Eröff­nung des Hori­zon­tes, in dem die Ge­schlechtlichkeit des Men­schen jen­seits der Wirkungsgeschichte des Sexu­al­di­mor­phis­mus ver­standen wird, ist ein epo­chaler Bruch, dessen Trag­weite bislang kaum ge­wür­digt wurde. Dennoch scheint die von Hirschfeld anvisierte Zukunft angebrochen zu sein, wenn mutige Fra­gen wie folgende gestellt werden: »Why does our society allow only two gen­ders and keep them polar­ized? Why don't we have a social role for hermaph­rodites?  Berdaches?  Why do transsexuals have to become ›real women‹ or ›real men‹ instead of just being trans­sexuals?  After all, aren't there some advantages to being a man with a vagina or a woman with a penis, if only because of the unique perspective it would give?  And why can't people go back and forth if they want to?«[105]

 



[1] Turner, William B.: A Gene­alogy of Queer Theory. Philadelphia 2000, S. 8.

[2] Cf. Wolff, Charlotte:  Magnus Hirschfeld. A Portrait of a Pioneer in Sexology. London 1986,  S. 252.

[3] Cf. Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jü­dischen, schwulen und sozialis­ti­schen Sexologen. 2., überarbeitete Auflage. Hamburg 2001, S. 44 und 97.

[4] Hirschfeld, Magnus: Von einst bis jetzt. Geschichte einer ho­mo­sexuellen Bewegung. 1897 - 1922. Hrsg. u. mit einem Nach­wort versehen von M. Herzer u. J. Steakley. Berlin 1986, S. 49

[5]  Hirschfeld, Magnus: Ge­schlechts­kunde auf Grund drei­ßig­jähriger Forschung bearbeitet. Band I: Die körperseelischen Grund­lagen. Stuttgart 1926, S. 546.

[6] Nach Hirschfeld sind vier Ebe­nen des Sexuellen  zu unter­schei­den: (1) die Geschlechtsteile, (2) die übrigen körperlichen Eigen­schaften, (3) der Geschlechtstrieb und (4) die sons­ti­gen seelischen Eigenschaften. (Cf. Hirsch­feld: Geschlechtskunde, op. cit., S. 594)

[7] Cf. dazu Bauer, J. Edgar:             »43 046 721 Sexualtypen.« Anmer­kun­gen zu Magnus Hirschfelds Zwischen­stufen­lehre und der Unendlichkeit der Ge­schlechter. In: Capri No. 33, S. 23-30.

[8] Für eine ausführliche Darlegung der hier skizzierten Deutung von Hirschfelds Zwischenstufenlehre cf: Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphi­loso­phi­sche Thesen zur Sexualeman­zipa­tion im Werk Magnus Hirsch­felds. In: 100 Jahre Schwulen­bewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und hrsg. von M. Herzer. Berlin 1998, S. 15-45; ders.: Über Hirschfelds An­spruch. Eine Klarstellung. In:  Mi­t­tei­lungen der Magnus-Hirsch­feld-Gesellschaft. Nr. 29/30, Juli 1999,  S. 66-80; ders.: Magnus Hirschfeld:  per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstel­lung, In: Mitteilungen der Mag­nus-Hirschfeld-Gesellschaft  Nr. 33/34, Dezember 2002, S. 68-90.

[9] Haeberle, E.J.: Einleitung. In:  Hirschfeld, Magnus:  Die Homo­sexu­alität des Mannes und des Weibes. Nachdruck der Erstauf­lage von 1914 mit einer kommen­tierenden Einlei­tung von E.J. Haeberle. Berlin / New York 1984, S. XVII.                                                    

[10] Haeberle, E.J.: Einleitung, op. cit., S. XX.

[11] Haeberle, E.J.: Einleitung, op. cit., S. XVII.

[12] Haeberle, E.J.:  Einleitung, op. cit., S. XVI

[13]  Frey, Ludwig: Die Männer des Rätsels und der Paragraph 175 des deutschen Reichsstraf­ge­setz­buches. Beitrag zur Lösung einer brennenden Frage. Leipzig 1898, S. 65. Die Pas­sa­ge wird auch zi­tiert in: Haeberle: Einlei­tung, op. cit., S. XVI. Da die Da­tierungsfrage in dem Zusam­men­hang von Relevanz ist, sei hier da­rauf hingewiesen, dass Hae­ber­le in Fuß­no­te 21 seiner Einleitung  irr­tüm­li­cherweise 1889 als Er­scheinungs­jahr von Freys Buch angibt, obwohl er das richtige Datum im Haupttext (S. XVI) erwähnt.

[14] Haeberle: Einleitung, op. cit., S. XVI

[15] Bauer: Der Tod Adams, op. cit., S. 35

[16] Hirschfeld: Geschlechtskunde, op. cit., S. 547

[17] Cf. Ramien, Th. (d.i. Hirschfeld):  Sappho und Sokra­tes oder Wie er­klärt sich die Liebe der Männer und Frauen  zu Personen des eigenen Ge­schlechts. Leipzig 1896, S. 27.

[18] Ramien, Th. (d.i. Hirschfeld):  Sappho und Sokrates, op. cit., S. 27.

[19] Cf. Hirschfeld: Ge­schlechts­kunde, op. cit., S. 545 f.

[20] Haeberle: Einleitung, op. cit., S. XXI.

[21] Cf. Haeberle: Einleitung, op. cit., S. XVI.

[22] Im Zeitraum zwischen bei­den Auflagen initiierte Hirschfeld zwei der wich­tig­sten Projekte seines Le­bens:  Die Gründung – zusammen mit Eduard Oberg, Max Spohr und Franz Josef von Bülow – des Wissenschaftlich-huma­nitären Komitees im Jahre 1897 und die Herausgabe des Jahrbuchs für sexuelle Zwischenstufen unter be­sonderer Berücksichtigung der Homosexualität ab 1899.

[23] West, Dr. Ludwig E.: Homo­sexu­elle Probleme. Im Lichte der neues­ten Forschung allgemein­ver­ständlich dargestellt. Berlin [1903].  Das Buch ist ohne Jahresangabe erschienen.  Die »Einleitung« ist »Dezember 1902« datiert.  Haeberle geht davon aus, dass das Buch 1902 veröffentlicht wurde (Cf. Haeberle: Einleitung, op. cit., S. XXIX).  Hier wurde die Datierung übernommen, die der Verfasser der Besprechung des Buches anführt, welche in Hirschfelds Jahrbuch erschien. (Numa Prae­to­rius [d.i. Eugen Wilhelm]: Buch­be­sprechung: West, Dr. Lud­wig E.: Ho­mosexuelle Pro­bleme. Im Lichte der neuesten Forschung allgemein­ver­ständ­lich dargestellt. Berlin 1903,  Carl Messer & Co. In: Jahrbuch für se­­xuelle Zwischenstufen, Jg. 6 (1904), S. 528)  

[24] Es handelt sich um: West, Dr. Ludwig E.: Der moderne Mäd­chen­handel. Berlin: Carl Messer & Cie. G.m.b.H., Verlag, 1903; und West, Dr. Ludwig E.: Die Prostitution bei allen Völkern vom Altertum bis zur Neuzeit. Berlin: Messer [1903].

[25] Karsch-Haack, F.: Das gleich­geschlechtliche Leben der Natur­völker. München 1911, S. 54.

[26] Cf. Gaulke, Johannes: Das ho­mo­sexuelle Problem. In: Stim­men der Gegenwart. Nr. 12. 1901, S. 344-349.

[27] Führer durch die moderne Lite­ratur. 300 Würdigungen der her­vorra­gend­sten Schriftsteller un­se­rer Zeit. Herausgegeben von Dr. H.H. Ewers unter Mitwirkung der Schriftsteller: Victor Hadwiger, Erich Mühsam, René Schickele und Dr. Walter Bläsing. Berlin 1906, S. 64.

[28] In einer persönlichen Mittei­lung an den Verfasser schreibt Manfred Herzer: »In Kürschners Literatur­kalender gibt es ihn [d.i. Johannes Gaulke] noch 1938, dann nicht mehr. Im Berliner Adressbuch gibt es ihn ebenfalls noch bis 1938, dann nicht mehr.«  (E-mail vom 17.9.2002). Zudem blieb Herzers Anfrage beim Lan­des­ein­wohneramt ergebnislos:  »Wegen Kriegsverlust gibt es nur wenige Vorkriegsmelde­unter­la­gen und von Gaulke ist in diesen Resten nicht die Rede.« (E-mail vom 7.12.2002).

[29] Keilson-Lauritz, Marita: Die Ge­schichte der eigenen Ge­schichte. Lite­ratur und Litera­turkritik in den Anfängen der Schwulenbewegung am Beispiel des Jahrbuchs für sexu­elle Zwi­schenstufen und der Zeit­schrift Der Eigene. Berlin 1997, S. 406.

[30] Keilson-Lauritz: Die Ge­schichte der eigenen Ge­schich­te, op. cit., S. 406.

[31] Als Essayist schrieb Gaulke: Grund­­riß der Kunstgeschichte (1898), Über die Grenzen des Na­tio­nalismus und Internatio­nalis­mus (1898), Kunst und Kapital (1904), Religion und Kunst (1907), Der ge­fesselte Faust (1910), Die ästhetische Kultur des Kapitalismus (1909), Die entfesselte Bestie (1924) und Amerika, du hast es besser...? (1928).

[32] Zu seinen dramatischen Wer­ken zählen: Hagenow und Sohn (1901), Bild der Unschuld (1903) sowie Madame Passepartout <Freie Liebe>.  Eine Übermenschen-Komödie (1909).

[33]Gaulke: Er­in­nerungen eines Auswan­de­rers.  Großlichterfelde-Berlin 1904; eine erweiterte Fassung erschien 1909 u.d.T.: Im Zwischendeck.  Ein Kulturbild aus dem Auswandererleben.  Cf. dazu: Führer durch die mo­derne Li­teratur. Würdigungen der hervor­ra­gendsten Schriftsteller unserer Zeit. Begründet von Hanns Heinz Ewers. Neue, von Hans Krüger-Welf voll­ständig durchgearbeitete Ausgabe. Berlin 1923, S. 57.

[34] Cf. Wilde, Oscar: Dorian Gray. Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Johannes Gaulke. Leipzig 1901. Neuausgabe unter dem Titel: Das Bildnis des Dorian Gray. Frankfurt am Main / Berlin 1966.

[36] Cf. Keilson-Lauritz: Die Ge­schichte der eigenen Geschichte, op. cit., S. 31-33.

[37] Cf. Jahrbuch für sexuelle Zwi­schenstufen 3 (1901), S. 275-291.

[38] Cf. Keilson-Lauritz: Die Ge­schichte der eigenen Geschichte, op. cit., S. 35-36.

[39] Gaulke Johannes: Jugend­erin­ne­run­gen. In: Fest­schrift zu Dr. Magnus Hirschfelds 50. Ge­burtstag. 14. Mai 1918. Viertel­jahresberichte des Wis­senschaft­lich-humani­tären Komi­tees, Jg. 18, Heft 2/3, April-Juli 1918, S. 13-16.

[40] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 14.

[41] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 16.

[42] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 13.

[43] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 15.

[44] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 16.

[45] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 13.

[46] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 15.

[47] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 16.

[48] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 16.

[49] Gaulke: Jugend­erinnerungen, op. cit., S. 16.

[50] Helms, Hans G.: Die Ideologie der anonymen Gesellschaft. Max Stirners ›Einziger‹ und der Fort­schritt des de­mokratischen Selbst­bewußtseins vom Vormärz bis zur Bundesrepublik. Köln 1966, S. 575.

[51] Cf. Mackay, John Henry:  Max Stirner. Sein Leben und sein Werk. Berlin 1898.

[52]  Cf. Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum. Privataus­gabe, ver­an­staltet von John Henry Mackay. Char­lottenburg bei Berlin 1911;  Stirner, Max:  Das unwahre Prinzip unserer Erzie­hung oder der Huma­nismus und Realismus. Privataus­gabe, ver­anstaltet von John Henry Mackay. Charlottenburg bei Berlin, 1911; und Stirner, Max: Kleinere Schrif­ten und seine Entgegnun­gen auf die Kritik seines Werkes: ›Der Einzige und sein Eigentum‹ aus den Jahren 1842-1848. Hrsg. von John Henry Mackay. 2., durch­gesehene und sehr vermehr­te Auflage. Treptow bei Berlin 1914 [Erste Auflage: Berlin 1898].

[53] Cf. Gaulke: Die Homoerotik in der Weltliteratur. In: Der Eigene 4/2 (1903), S. 120-133.

[54] Cf. Gaulke: Erotik und Patrio­tismus. Ein Beitrag zur Psycho­logie der Besessenheit. In: Der Eigene 11/7 (1927), S. 210-212.

[55] Cf. Keilson-Lauritz: Die Ge­schichte der eigenen Ge­schichte, op. cit., S. 89-90 und 145-146.

[56] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus. In: Die Frei­wirtschaft, 7/18 (September 1925), S. 365.

[57] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus, op. cit., S. 365.

[58] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus, op. cit., S. 367.

[59]  Begriffe wie »Eigenheit«,  »Spuk«, »Besessene«, »fixe Ideen« oder »Genießen«, die zum spezi­fi­schen Vokabular Stirners gehören, kommen im »Hohen­lied« Gaulkes häufig vor.

[60] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus, op. cit.,  S. 366.

[61] Cf. in diesem Zusam­men­hang auch Gaulkes Verwendung der nietz­sche­ani­schen  Begriffsoppo­si­tion Führer/Volk sowie des To­pos der »Herrennaturen« (Gaulke: Das Hohelied des Ego­ismus, op. cit.,  S. 365-366 und 367).

[62] Eine ähnliche Synthese von beiden Philosophen wurde auch von den Eigenen angestrebt. Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: Der »Ein­zige« als »Eige­ner«. Gele­gent­liche Thesen zu einer ideologi­schen Mißdeutung Max Stirners. In: Emanzipation hinter der Welt­stadt. Adolf Brand und die Ge­meinschaft der Eigenen. Katalog zur Ausstellung vom 7. Oktober bis 17. November 2000. Hrsg. von Marita Keilson-Lauritz und Rolf F. Lang im Auftrag des Kul­turhistorischen Vereins Fried­richs­hagen e.V. Berlin-Fried­richs­hagen 2000, S. 22-39, ins­besondere S. 29-30 (= § 7); und ders.: John Henry Mackay: Der Liebes­dichter als anarchistischer Empörer. Kritische Notate zum Verständnis sei­nes sexualeman­zi­pa­torischen An­satzes. In: Capri. No. 31, Dezember 2001, S. 34-47, insbesondere S. 36-37 (= § 4).

[63] Cf. dazu Mackay. John Henry:  Max Stirner. Sein Leben und sein Werk. Reprint der dritten voellig durchgearbeitete[n] und vermehr­te[n] [...] Auflage. Freiburg i. Br. 1977, S. 19, wo es u.a. heißt: »Das Fieber der Nietzsche-Krankheit ist be­reits im Fallen. Eines Tages wird sich auch der ›Uebermensch‹ an der Einzigkeit des Ich zerschmet­tert haben.«

[64] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus, op. cit.,  S. 367.

[65] Gaulke: Das Hohe­lied des Egois­mus, op. cit., S. 367. Zudem wider­spricht Gaulke Stirners luzider Sicht der Einbet­tung des Menschen im ontologi­schen Machtkonnex, wenn er die These vertritt: »Wie ich nicht ge­horchen kann, so kann ich auch nicht be­fehlen, wie ich keine Vor­gesetz­ten kenne, so kenne ich auch keine Un­ter­gebenen.« (Gaulke: Das Hohelied des Egoismus, op. cit., S. 366).

[66] Für eine Darlegung der von Stirner gezogenen Konsequenzen des radikal aufgefassten »Einzi­gen« cf.: Bauer, J. Edgar: Max Stirner: Das Ende des Heiligen. In: Max Stirner e l´indivi­dua­lismo moderno. A cura di Enrico Ferri, introduzione di Francesco de Sanctis. Napoli 1996, S. 357-391.

[67] Gaulke: Das Hohe­lied des Egoismus, op. cit.,  S. 368.

[68] Cf. Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort hrsg. von A. Meyer. Stuttgart 1985, S. 46-47.

[69] Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 344.

[70] Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 344.

[71] Cf. Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 345.

[72] Cf. Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 345-346.

[73] Cf. Gaulke: Das homosexuelle Pro­blem, op. cit., S. 346-348. Es handelt sich um August von Pla­ten (1. Jahr­gang), Michel­angelo (2. Jahr­gang) und schließlich den Dichter Hans Chris­tian Andersen, den römi­schen Kaiser Elagabal und den Dichter und Ästhetiker Oscar Wilde (3. Jahrgang).

[74] Gaulke: Das homosexuelle Pro­blem, op. cit., S. 348.

[75] Gaulke: Das homosexuelle Pro­blem, op. cit., S. 345.

[76] Gaulke: Das homosexuelle Pro­blem, op. cit., S. 346. Herv. d. Verf.

[77] Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 349.

[78] Bezeichnenderweise über­nimmt »West« wortwörtlich – bis auf eine kleine stilistische Kor­rektur – Gaul­kes achtzeilige Zusammen­fassung  der Ansichten Krafft-Ebings (Cf. Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 345 und  West, Dr. Lud­wig E. [d.i. Johannes Gaulke]:  Ho­mo­­sexu­elle Probleme, op. cit., S. 12). Zum besseren Verständnis der nach­stehenden argu­menta­tiven Zusam­men­hänge sei hier die Kapitelein­teilung von »Wests« Buch angeführt:

Einleitung;  Kapitel I: Was ist Ho­mo­sexualität? Geschlecht­licher Trieb. – Gleichgeschlecht­licher Trieb. – Hypothesen: Hirschfeld, Moll, v. Krafft-Ebing, v. Schrenck-Notzing, Symonds, Ulrichs, Virchow etc;  Kapitel II: Homosexualität bei den Tieren. Säugetiere, Vögel, Am­phi­bien, Insekten; Kapitel III:  Sprach­­gebrauch; Kapitel IV: Er­schei­­nungsformen der Homosexu­a­lität. Bei Männern. Bei Frauen; Ka­pi­tel V: Erläuternde Fälle zu Kapitel IV; Kapitel VI: Ge­schicht­liches. Na­turvölker. – Juden. – Per­ser. – Grie­chen. – Römer. – Germa­nen. – Japa­ner. – Mittelalter. – Ge­gen­wart;  Ka­pitel VII: Charak­te­ris­tische Homo­sexu­elle in der Ge­schichte. David. – Sokrates. – Helio­gabal. – Rudolf II. – Heinrich III. – Jacob I. – Karl XII. – Prinz Eugen. – Friedrich I. – Ludwig II. u.s.w.; Kapitel VIII:  Homosexu­a­lität in der Kunst. Anakreon. – Phi­di­as. – Pin­dar. – Sophokles. – Michel-Angelo. – Shakespeare. – Mo­lière. – Byron. – Winckel­mann. – An­dersen u.s.w.; Kapitel IX: Der Ho­mo­sexuelle vor dem Strafrichter. Gesetze bei den Juden. – Griechen. – Römern. – By­zanz. – Mittelalter. – Neuzeit. – Straf­freie Länder. – Schein­­grün­de für Auf­rechterhaltung des Strafpara­gra­phen; Kapitel X: Er­pressertum. Charak­teristik. –  Fäl­le. – Abhilfe;  Kapitel XI: Soll der Ho­mosexuelle heira­ten? Grün­de der ge­­wöhnlichen Hei­raten. – Ehe­liches Le­ben. – Fälle un­glück­licher Ehen. – Folgen: Un­glück, Degeneration der Nachkom­men;  Kapitel XII: Be­we­gung und Sonstiges. K.H. Ulrichs. – v. Krafft-Ebings Psychopathia sexua­lis. – Moll. – Dr. Magnus Hirschfeld und das wissenschaftlich-humanitäre Komitee. – Forderungen. – Tätigkeit;  Literaturverzeichnis.

[79] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]:  Homosexuelle Proble­me. Im Lichte der neuesten For­schung allgemein­ver­ständlich dargestellt. Berlin 1903, S. III-IV.

[80] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]:  Homosexuelle Probleme, op. cit., S. III.

[81] Gaulke: Das homosexuelle Problem, op. cit., S. 344.

[82] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]:  Homosexuelle Probleme, op. cit., S. 12

[83] Gaulkes Zusammenfassung der Bei­träge von Krafft-Ebing und Hirschfeld korrespondieren mit dem, was vor allem im Kapitel I, III, IV und V des Buches erörtert wird. Die Passage über Karl Heinrich Ulrichs tangiert Themen, die auch »West« in den Kapiteln »Der Homosexuelle vor dem Strafrichter« (IX) und »Soll der Homosexuelle heiraten?« (XI) be­spricht. Die Absätze in Gaulkes Auf­satz, die sich mit den homosexuellen Persönlichkeiten der Kulturge­schich­te befassen, werden in den Kapiteln über »Ge­schichtliches« (VI), »Cha­rakteris­tische Homosexu­elle in der Ge­schichte« (VII) und  »Ho­mosexu­a­lität in der Kunst« (VIII) ergänzt und erweitert. Schließlich führt der Ver­weis auf  Ferdinand Karsch-Haacks Beitrag über zo­o­lo­gi­sche Fälle von »Uranis­mus« zum Ka­pitel »Homo­sexu­alität bei den Tieren« (III) und die Ausfüh­rungen zu Karsch-Haacks Studie über Gleichge­schlecht­lichkeit bei den Na­turvölkern finden ihre Ent­spre­chung im ersten Absatz des Kapi­tels »Ge­schichtli­ches« (VI.). Nur die Kapitel »Erpres­sertum« (X) und »Be­wegung und Sonsti­ges« (XI) haben keine struk­tu­relle Korres­pondenz im Aufsatz.

[84] So der Rezensent des Buches in Hirschfelds Jahrbuch: Numa Prae­to­rius [d.i. Eugen Wilhelm]: Buch­be­sprechung: West, Dr. Lud­wig E.: Ho­mosexuelle Pro­bleme. Im Lichte der neuesten Forschung allgemein­ver­ständ­lich dargestellt. Berlin 1903,  Carl Messer & Co. In: Jahrbuch für se­­xuelle Zwischenstufen, Jg. 6 (1904), S. 528.

[85] Cf. West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Proble­me, op. cit., S. 74, 88, 154, 207, 210, 212, 219.

[86] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]:  Homosexuelle Probleme, op. cit., S. 10.

[87] Cf. West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Proble­me, op. cit., S. 234-255.

[88] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Probleme, op. cit., S. 221.

[89] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Probleme, op. cit., S. 233.

[90] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Probleme, op. cit., S. IV.

[91] West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaul­ke]: Homosexuelle Probleme, op. cit., S. IV.

[92] An einer Stelle von Homo­sexu­elle Probleme werden die Bisexu­ellen als Zwischenstufe zwischen dem reinen Homosexuellen und dem Normal­sexuellen bezeichnet. (Cf. West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaulke]:  Homosexu­elle Proble­me, op. cit., S. 205)  Sonst er­scheint der Begriff mehrfach nur noch in einem zitierten Brief von Karl Heinrich Ulrichs an seine Schwester vom 22. September 1862. Dort erwähnt Ulrichs meh­rere an ihn von seiner Schwester gerich­te­te Fra­gen, darunter die,  »[o]b es Zwischen­stufen gibt zwi­schen Ura­ni­ern und Dionäern?« (West, Dr. Lud­wig E. [d.i. Gaul­ke]: Ho­mo­sexuelle Proble­me, op. cit., S. 229)  Auf diese Fra­gen ant­wortet Ulrichs folgender­ma­ßen: »Dies alles sind völlig müssige Fragen, wenn es über­haupt reine, un­vermischte Ura­nier gibt. Dass es aber solche gibt, wirst du nicht bezweifeln können, sowie, dass ich einer da­von bin. Uns gehen die etwa­igen Zwi­schenstufen nichts an. Übri­gens selbst wenn es Zwi­schen­stufen gäbe, so würden die ›pros­titu­ierten Männer in Berlin‹ nicht dazu gehören, diese sind ge­wöhn­liche Dionäer. Sie emp­fin­den weder Abneigung vor Weibern noch Liebe zu Männern.« (West, Dr. Lud­wig E. [d.i. Gaul­ke]: Ho­mo­sexu­elle Proble­me, op. cit., S. 230). Kurz darauf verwendet Ul­richs den Begriff »viertes Ge­schlecht« anstelle von et­waigen »Zwischenstufen«: »Wir bil­den ein drittes Ge­schlecht. Der Mass­stab des einen Geschlechts hat dem anderen überall nichts vor­zu­schrei­ben. Ob es noch ein vier­tes Ge­schlecht gebe? wie Gr. fragt, geht mich überall nichts an.« (West, Dr. Ludwig E. [d.i. Gaulke]: Homosexu­elle Proble­me, op. cit., S. 231)  [»West« zitiert den Ulrichs-Brief nach: Vier Briefe von Karl Heinrich Ulrichs (Numa Numantius) an seine Ver­wandten. In: Jahrbuch für sexu­elle Zwischenstufen, I (1899) S. 36-70]. Im Unterschied zu Ulrichs Aus­blen­dung der Sexu­al­formen, die ihn nicht unmit­telbar angingen, bewegten sich Hirsch­felds wissenschaftliche und eman­zipatorische Bemühungen vom Anfang an im Horizont all­ge­mein menschlicher Ge­schlecht­lich­keit. Von daher konnte er die These auf­stel­len, dass streng genommen »[a]lle Menschen [...] intersexuelle Vari­anten« (Hirsch­feld: Von einst bis jetzt. op.cit., S. 49), m.a.W.: »sexu­elle Zwischenstufen« sind.

[93] Bekanntlich verweist der Be­griff »sexuelle Zwischen­stufen« im Titel vom Hirschfelds Jahr­buch auf ein bestimmtes Segment innerhalb des Na­tur­kontinuums zwischen den Polen der vorgeb­lich männlichen und weib­lichen Normalsexuellen. So ent­spricht Hirschfelds frühe termino­lo­gische Verwendung des Begriffes weit­gehend dem, was Ulrichs »Zwi­schenstufe« bzw. »drit­tes Ge­schlecht« nannte (Cf. die vor­an­ge­hende Fußnote). Der theo­reti­sche Ansatz zur Univer­salisierung des Begriffes steht aber schon in Hirsch­felds sexu­alwissenschaftlicher Erst­lings­schrift Sappho und Sokrates fest, denn dort wird das, was zunächst als Qualitätsunterschiede zwi­schen den Geschlechtern ange­se­hen wird, als im Grunde nur Quan­titätsunter­schiede aufge­deckt. In der Konse­quenz be­deu­­tet dies, dass auch die Nor­mal­sexuellen dem sexual­wis­sen­schaft­lichen Gesetz unterliegen, nach dem die Geschlechtlichkeit eines je­den Individuums aus dem Mischungs­ver­hältnis von  männ­li­chen und weib­lichen Sexual­kom­po­nenten resultiert. Darum ist es so bedeutsam, wenn Hirsch­feld in die­sem Zusammenhang schreibt: »Doch ist es der Lupe des Forschers sehr wohl möglich, die Res­te der ur­sprüng­lichen Zwit­ter­an­la­ge bis in das späteste Alter nach­zu­weisen. Jeder Mann behält seine ver­kümmerte Ge­bär­mutter, den Uterus masculinus, die überflüssigen Brust­warzen, jede Frau ihre zweck­losen Ne­benhoden und Samenstränge bis zum Tode.« (Ramien, Th. (d.i. Hirsch­feld): Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen  zu Perso­nen des eigenen Geschlechts. Leipzig 1896, S. 10). Da jeder Mensch das Resultat einer mehr oder weniger gelun­genen Rück­bildung eines der bei­den Pole der ur­sprünglichen Zwit­teranlage ist, deren anato­mi­sche und psycholo­gi­sche »Reste« vielfach zu beobachten sind, gibt es keinen Wesens­unter­schied zwi­schen Hetero- und Ho­mo­sexu­el­len, sondern nur einen Grad­un­ter­schied in der jeweiligen Aus­prägung männlicher und weib­licher Komponente.

[94] Das Zitat beginnt bei »West« auf  S. 2 [»Die menschliche Frucht im Mutterleibe...«] und endet auf  S. 10 [»... völlig ge­sunden Familien her­vorge­gan­gen sind. «]. Der übernom­mene Text steht bei Hirschfeld in:  Hirsch­feld, Magnus:  Sappho und So­krates. Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen  zu Per­sonen des eigenen Ge­schlechts. Zweite Auflage. Leipzig 1902,  S. 11-18. Aufgrund sachlich unerheblicher, textlicher Un­ter­schiede zwischen der ersten und zwei­ten Auflage von Sappho und Sokrates lässt sich feststellen, dass »West« nach der zweiten, nicht mehr pseudo­nym erschienenen Auflage zitiert.

[95] Hirschfeld, Magnus: Die inter­sexuelle Konstitution. In: Jahrbuch für sexuelle Zwi­schenstufen, 23 (1923),   S. 10.

[96] Cf. dazu: Herzer, Manfred: Kert­benys Leben und Sexua­li­tätsstudien. In: Kertbeny, Karl Maria: Schriften zur Homo­sexu­alitätsforschung. Hrsg. von M. Herzer. Berlin 2000, S. 7-61.

[97] Cf. Kertbeny, Karl Maria: Silhou­etten und Reliquien. Erinnerungen. 2 Bde. Prag 1861-1863, Bd. II:  S. 79, 202-203.

[98] Cf. Bloch, Iwan: Eine bisher un­be­kannte Erwähnung Stirners. Gefun­den und hier zum 1. Mal veröffent­licht. In: Der Einzige, Nr. 23/24  (1919), S. 273.

[99] Das Motto lautet: »Was natür­lich ist, kann nicht unmoralische sein.« Der Satz wurde dann im letzten Ab­satz der Broschüre wieder­holt. (Cf. Ramien, Th. (d.i. Hirschfeld): Sappho und Sokra­tes, op. cit., S. 34-35; und Hirsch­feld, Magnus: Sappho und Sokra­tes. Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen  zu Personen des eigenen Ge­schlechts. Zweite Auf­lage. Leipzig 1902,  S. 36).

[100] Hirschfeld, Magnus: Phantom Ras­se. Ein Hirngespinst als Welt­gefahr. In: Die Wahrheit. Prag, Jg. 13 (1934), Nr. 44 – 50/52 und Jg. 14 (1935) Nr. 1 – 15. Auf der letzten Seite der letz­ten Fortset­zung  ist folgende edito­ri­sche Notiz zu lesen: »Wie wir nach Blattschluß erfahren, ist Dr. Mag­nus Hirschfeld, der bahn­bre­chen­de Wis­senschaftler und Men­schen­freund, Au­tor dieser heute zum Abschluß ge­langenden Veröffent­lichung gestorben.«   

[101] Cf. z.B.: Hirschfeld: Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Welt­gefahr. In: Die Wahrheit. Prag,  Jg. 14 (1935) Nr. 4 (10. Fort­setzung); und ders.:  Phantom Rasse, op. cit., Jg. 14 (1935) Nr. 6  (12. Fortset­zung). Bezeich­nen­derweise schreibt Hirschfeld auf der letzten Seite der letzten Fort­setzung von Phantom Rasse:

»Die Vertreter dieser [national-sozi­alistischen] Anschauung, denen der Begriff ›Rasse‹ im Mittelpunkt allen Denkens und Handelns steht, werden eine Wort­bildung freilich nicht gern hören, die von keinem geringeren herrührt als von Friedrich Nietz­sche:  ›Wo Rassen gemischt sind, der Quell großer Kulturen-Maxime: Mit kei­nem Menschen umgehen, der an dem verlogenen Rassen-Schwindel Anteil hat.‹ Es ist nicht ganz leicht zu ver­ste­hen, daß Nietzsche trotz dieses Aus­­­spruches und anderer, die sich ge­gen die ›Rassenbegriffe‹ wen­den, als Phi­lo­soph des Rassen­staates vom Drit­ten Reich in An­spruch ge­nom­men wird. Wir be­zweifeln sehr, ob Nietzsche damit einver­standen ge­wesen wäre, daß sein Spazierstock von seiner Schwes­ter Elisabeth ›aus­gerechnet‹ Hitler zum Geschenk ge­macht wur­de.« (Hirschfeld: Phantom Rasse, op. cit., Jg. 14 (1935) Nr. 15 (19. Fortsetzung))

[102] Eine diesbezüglich wichtige Stelle bei Max Stirner lautet:  »An dem Ein­gange der neuen Zeit steht der ›Gott­mensch‹. Wird sich an ihrem Aus­gan­ge nur der Gott am Gott­men­schen ver­­flüchtigen, und kann der Gott­men­sch wirklich sterben, wenn nur der Gott an ihm stirbt? [...] Wie mögt Ihr glauben, daß der Gott­men­sch gestor­ben sei, ehe an ihm außer dem Gott auch der Mensch gestorben ist?!« (Stirner, Max:  Der Einzige und sein Eigentum, op. cit., S. 170)

[103] Nietzsche, Friedrich: Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philo­sophie der Zukunft, in: Nietzsche: Sämtliche Werke. Hrsg. von Giogio Colli und Mazzino Montinari. Band 5. München und Berlin 1980, S. 87.

[104] Stirner, Max:  Der Einzige und sein Eigentum, op. cit., S. 170.

[105] Califia, Pat:  Public Sex. The Culture of Radical Sex. Pittsburgh, Pennsylvania 1994,  S. 178