J. Edgar Bauer »43 046 721 Sexualtypen.« Anmerkungen zu Magnus Hirschfelds Zwischenstufenlehre und der Unendlichkeit der Geschlechter Ursprünglich
erschienen in: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum. Redaktion: Manfred
Herzer.
»Perfect men have rudimentary breasts. Perfect women carry a rudimentary penis in their clitoris […] Other anatomical details of the same sort might be adduced. But these will suffice to make thinking persons reflect upon the mysterious dubiety of what we call sex.« John Addington Symonds: A Study in Modern Ethics [1891]. In: Symonds: Studies in Sexual Inversion embodying: A Study in Greek Ethics and A Study in Modern Ethics. Privately printed: 1931, S. 164
»Je mehr wir Übergänge zwischen den Geschlechtern kennenlernen, um so mehr lernen wir die Nützlichkeit der Gewährung eines möglichst freien Spieles der Kräfte für Mann und Weib begreifen.« Magnus Hirschfeld: Nachwort zu: Aus eines Mannes Mädchenjahre von N.O. Body [1907] In: Body, N.O. [d.i. Karl Baer]: Aus eines Mannes Mädchenjahren. Vorwort von Rudolf Presber. Nachwort von Dr. med. Magnus Hirschfeld. Reprint. Hrsg.. von Hermann Simon mit einer Vorbemerkung und einem abschließenden Beitrag: »Wer war N.O. Body?« Berlin 1993, S. 166
1. Im Jahre 1998 erschien unter dem Titel »Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds« der Text eines Vortrages, den der Verfasser ein Jahr zuvor in der Berliner Akademie der Künste im Rahmen der Jubiläumsausstellung zum Thema 100 Jahre Schwulenbewegung hielt.[1] Manfred Herzer wertet im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Hirschfeld-Biografie den vorgelegten Text als eine »Neuinterpretation der Hirschfeldschen Zwischenstufenlehre«, die eine Ausnahme in der Forschung der neunziger Jahre bildet, da sonst keine »neue Sicht der Dinge oder [k]eine neue Gewichtung und Deutung der Tatsachen [...] daraus [...] zu gewinnen [war]«[2]. Herzers Einschätzung ist umso beachtenswerter, weil er in zwei früheren Erwiderungen beinah alle Thesen der Studie zu beanstanden versucht hat. Auf Herzers erste Erwiderung, die den Titel »Hirschfelds Utopie, Hirschfelds Religion und das dritte Geschlecht der Romantik«[3] trug, folgte eine Replik des Verfassers unter dem Titel »Über Hirschfelds Anspruch. Eine Klarstellung«[4]. Darauf reagierte Herzer erneut mit »Hirschfeld und das Unaussprechliche«.[5] Das Manuskript vom Text »Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung«, der die zweite Replik des Verfassers auf Herzers Einwände ist, wurde schon 2001 bei der Redaktion der Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft abgegeben, aber ist bislang nicht erschienen.[6] Die nachstehenden Anmerkungen zur Deutung von Hirschfelds Zwischenstufenlehre präzisieren und erweitern die Gesichtspunkte, die in den erwähnten Beiträgen des Verfassers erörtert wurden.
2. Aufgrund methodischer Überlegungen konzentrierte sich der argumentative Duktus von »Der Tod Adams« vornehmlich auf diejenigen Texte des Hirschfeldschen Korpus, die zwischen 1896 und 1923 erstmalig erschienen sind.[7] Bei der Behandlung der sexualwissenschaftlichen Fragen in den zwei Repliken des Verfassers wurde auch nur aus den Schriften Hirschfelds zitiert, die im selben Zeitraum veröffentlicht wurden.[8] In der Konsequenz bedeutet diese zeitliche Einschränkung, dass die Erörterung von Hirschfelds Zwischenstufenlehre in den bisherigen Texten des Verfassers unter Ausschluss der ab 1926 erschienenen Bände der Geschlechtskunde (1926) erfolgt ist. Damit konnte nachgewiesen werden, dass die Zwischenstufenlehre in ihrer Bedeutung und Komplexität aus den Schriften Hirschfelds rekonstruierbar ist, die in den drei Dezennien vor dem Erscheinen seines opus magnum entstanden.
3. Der vollständige Titel von Hirschfelds Hauptwerk lautet: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung bearbeitet. Im Vorwort hebt Hirschfeld hervor, dass dieses Werk das abschließende Resultat seiner langjährigen Forschungstätigkeit in zweierlei Hinsicht darstellt. Zum einen basiert die Geschlechtskunde auf einer beharrlichen und unmittelbaren Erforschung ihres Sachgebietes, denn sie wurde »von jemandem geschrieben, der sich erst dann dazu für berechtigt und verpflichtet hielt, nachdem er ein volles Menschenleben hindurch in zäher Arbeit mit dem Stoff gerungen und in umfangreicher Berufstätigkeit Erfahrungen sammeln konnte [...]«[9]. Zum anderen aber konstituiert die Geschlechtskunde die systematische Präsentation der bis dahin schriftlich festgehaltenen Ergebnisse der eigentlichen Forschungstätigkeit: »Der [dem Werk] zugrunde liegende Stoff wurde im Laufe von drei Jahrzehnten in Dutzenden von Vortragsheften und vielen Tausenden von Fragezetteln gesammelt.«[10] Aus den Hinweisen auf die dreißigjährige Vorbereitungszeit in dem 1925 geschriebenen Vorwort lässt sich auf die Tragweite und Relevanz schließen, die Hirschfeld seiner zuerst 1896 pseudonym erschienenen Broschüre Sappho und Sokrates beimaß. Dies hängt damit zusammen, dass nach Hirschfeld die früheste »Aufstellung der Lehre von den sexuellen Zwischenstufen«[11] schon in seiner sexualwissenschaftlichen Erstlingsschrift erfolgte. Dass diese Lehre die Einheitlichkeit stiftende Grundlage des Hirschfeldschen Œuvres darstellt, war eines der Hauptergebnisse der Studie »Der Tod Adams« und lässt sich durch die Analyse einiger zentraler Passagen der Geschlechtskunde bestätigen.
4. Es ist sicherlich kein Zufall, dass unmittelbar nach der Eingangsseite der kürzlich eröffneten Online-Ausstellung Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933)[12] folgender Text eingeblendet wird: »m m + w w 316 = 43 046 721 Sexualtypen.« Auch wenn die eher historisch, als theoretisch ausgerichtete Ausstellung keinen Beitrag zum tieferen Verständnis – geschweige denn zur kritischen Problematisierung – des erklärungsbedürftigen Textes leistet, so ist nicht zu übersehen, dass schon seine Präsenz an dieser Stelle Fragen aufwirft, die im Prinzip zu einer theoretisch ergiebigen Auseinandersetzung mit Hirschfelds Zwischenstufenlehre führen könnten. Letztlich ist es aber Hirschfeld selbst, der Anlass zu solchen Fragen bietet, denn die zwei Zeilen geben verkürzt und formelhaft den Kerngehalt eines Satzes in der Geschlechtskunde wieder, der lautet: »Da jedes der 16 Elemente einen dreifach (m, w, m+w) verschiedenen Typus haben kann, ergäbe sich als Gesamtzahl aller möglichen Kombinationen 316 = 43 046 721 Sexualtypen.«[13] Bei dieser Berechnung ging Hirschfeld von dem schon 1896 verwendeten »Viergruppenschema«[14] zur Einteilung der »Fülle der Kombinationsmöglichkeiten, die es auf sexualtypologischem Gebiet gibt«[15], aus. Danach ist zu unterscheiden zwischen (1) den Geschlechtsteilen, (2) den übrigen körperlichen Eigenschaften, (3) dem Geschlechtstrieb und (4) den sonstigen seelischen Eigenschaften.[16] Wenn man annimmt, dass jede dieser Beschreibunsgsebenen des Geschlechtlichen einen männlichen (= »m«), weiblichen (= »w«) oder gemischtgeschlechtlichen (= »m + w«) Charakter ausweisen kann, so ergeben sich daraus zunächst »34 = 81 Kombinationen von Geschlechtscharakteren.«[17] Überraschender als diese schon ansehnliche Möglichkeitszahl von Kombinationen ist die Tatsache, dass Hirschfeld die Ergebnisse seiner Kalkulation als eigentlich viel zu niedrig erachtet. So verweist er darauf, dass die hohe Anzahl erheblich gesteigert werden kann, wenn man in Betracht zieht, dass jede der vier Eigenschaftsgruppen sich »mit Leichtigkeit« [18] in vier Untergruppen einteilen lässt. Daraus resultieren die oben genannten »16 Elemente«, die die dreifache Differenzierung der Sexualcharaktere potenzieren. Die über 43 Millionen Sexualtypen, die Hirschfeld errechnet, entsprechen dem »vierzigsten Teil der Gesamtzahl aller auf Erden lebenden Menschen«[19], wenn man von einer Gesamtbevölkerung von 1800 Millionen Menschen ausgeht. Diese Kalkulationen haben freilich nur einen propädeutischen Wert. Denn über die Überfülle von ausgerechneten Sexualtypen hinaus geht es Hirschfeld letztlich um den radikalen theoretischen Ansatz, nach dem sexuiertes Individuum und Sexualtypus in eins zusammenfallen. Die Unmöglichkeit einer kategorialen Subsumption von mehr als einem Individuum unter jeden Sexualtypus wird angedeutet, wenn Hirschfeld darauf verweist, dass es auf dem Gebiet der Sexualität »nur Verschiedenes und Ähnliches, nichts Gleiches gibt«[20]. In diesem Zusammenhang ist bezeichnend, wenn Hirschfeld präzisiert, dass »bis ein Typus wiederkehren wird, der in allem und jedem, bis in die kleinsten Einzelheiten einem Shakespeare oder Goethe [...] gleicht, [...] mindestens vierhundert Millionen Jahre vergehen werden.«[21] Für den monistischen Evolutionisten Hirschfeld, der um die unaufhaltsamen, aber oft unmerklichen Veränderungen der Gattung Mensch wusste, kam die erwogene gedankliche Unwahrscheinlichkeit eigentlich einer biologischen Unmöglichkeit gleich. Da die Natur keine Unterbrechung ihres Werdens kennt, würde die statistisch angenommene Wiederholung eines Sexualtypus erst dann eintreffen können, wenn die menschliche Gattung in Folge von 400 Millionen Jahren Evolution sich vermutlich in eine andere verwandelt hätte. 5. Dass die Zwischenstufenlehre in letzter Konsequenz die Postulierung der unwiederholbaren Sexualkonstitution eines jeglichen Individuums erfordert, wurde Hirschfeld nicht erst beim Abfassen der Geschlechtskunde klar. Der Gedanke wurde schon in seinen frühen sexualwissenschaftlichen Schriften anvisiert und kommt in aller Deutlichkeit zum Vorschein, wenn Hirschfeld später die Thesen vertritt, dass »[a]lle Menschen [...] intersexuelle Varianten [sind]«[22] und dass »hinsichtlich der Sexualkonstitution [...] jeder Mensch seine Natur und sein Gesetz hat.«[23] Hirschfelds Überzeugung, dass jedes Individuum einen eigenen, unwiederholbaren Sexualtyp verkörpert, entspricht mutatis mutandis der programmatischen Position eines von Félix Guattari herausgegebenen Sammelwerkes, das unter dem Titel Trois Milliards des Pervers. Grande Encyclopédie des Homosexualités erschienen ist.[24] Denn so wie Hirschfeld hätte sagen können, dass die Anzahl der Sexualtypen bzw. Zwischenstufen der Anzahl der damaligen Erdenbewohner – nämlich 1800 Millionen – gleicht, so insinuiert ebenfalls der französische Titel die mit der sexuellen Polymorphie einhergehende »Perversität« aller 1973 existierenden Menschen. Wenn man darüber hinaus nicht von der sexuellen Vielfalt der tatsächlich existierenden Menschen, sondern von der intrinsischen Sexualvariabilität einer Menschheit ausgeht, der eine prinzipiell unbegrenzte Entfaltung in der Zukunft offensteht, dann müsste auf die Vorstellung der »unerschöpflichen Vielfalt der Geschlechter«[25], der »unendlichen Geschlechter«[26] oder – noch präziser – der »potentiell unendlichen Geschlechter«[27] rekurriert werden, um den von Hirschfeld ins Auge gefassten Sachverhalt adäquat auf den Begriff zu bringen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Zwischenstufenlehre hinsichtlich der Vergangenheit die herkömmliche Auffassung des Sexualbinomiums auflöst und hinsichtlich der Zukunft mit einer prinzipiell unabschließbaren Reihe neuer »Sexualtypen« rechnet, kommt eine besondere Bedeutung der Aussage Hirschfelds zu, dass es »zunächst nur auf Beobachtung und unvoreingenommene Nachprüfung gestützten Erfahrungstatsachen« waren, die ihn »im Jahre 1896 zur Aufstellung der Lehre von den sexuellen Zwischenstufen«[28] führten. Wie schon erwähnt, ist damit die Broschüre Sappho und Sokrates gemeint. Denn abgesehen davon, dass sie die einzige 1896 zu einem sexologischen Thema veröffentlichte Schrift Hirschfelds darstellt, enthält sie die erste Umschreibung der Zwischenstufenlehre, auch wenn der explizite Terminus darin noch nicht vorkommt. Dabei ist zu beachten, dass die Tatsache, dass die in Sappho und Sokrates vertretene Auffassung gleichgeschlechtlicher Liebe nachweislich Vorläufer[29] hat, keineswegs Hirschfelds Anspruch auf die Urheberschaft der Zwischenstufenlehre widerspricht. Denn das, worauf es dem jungen Hirschfeld ankam, war das »feste[] Schema«, in dem die biologische Auffassung der problematischen Liebe »[s]eines Wissens zum ersten Male [..] durchgeführt wurde«.[30] Dieser Anspruch wird bekräftigt und untermauert, wenn Hirschfeld in der Geschlechtskunde explizit auf die geistige Genealogie seiner Lehre aufmerksam macht: zum einen Ernst Haeckels »biogenetisches Grundgesetz« (die Ontogenie als gedrängte Phylogenie) und zum anderen das von Comenius, Leibniz und Linné vertretene »Übergangsgesetz« (natura non facit saltum).[31] Durch den Rekurs auf diese biologischen und naturphilosophischen Grundlagen wird die allgemein-menschliche Geltung erkennbar, die Hirschfeld der Zwischenstufenlehre beimisst. Sie intendiert keine ausschließliche Thematisierung von besonderen Segmenten (»Mittelstufen«) des Sexualkontinuums, sondern fungiert als ein meta-theoretisches Prinzip zur Einordnung aller von der Wissenschaft ermittelbaren »Sexualtypen«.
6. In den einleitenden Absätzen des XI. Kapitels der Geschlechtskunde erinnert Hirschfeld daran, dass er sich »vom Anfang an« gegen die Bezeichnung der Zwischenstufenlehre als »Zwischenstufentheorie« wandte.[32] Da die Zwischenstufenlehre ein »nur als Einordnung gedachte[s] Prinzip[]« darstellt und folglich keine Erklärung der von ihr erfassten Phänomene liefert, ist sie nach Hirschfeld nicht als »Theorie« aufzufassen. Fast wörtlich übernimmt er eine Passage aus einem 1923 erschienenen Text,[33] wenn es um die Bestimmung der wissenschaftlichen Zielsetzung seiner »Lehre« in der Geschlechtskunde geht: »Lediglich die Registrierung (=Einreihung) und Ordnung intersexueller Varianten in ihrer außerordentlichen Vielgestaltigkeit, ihre Erfassung und Bewertung in biologischer, historischer, ethnologischer und soziologischer Hinsicht sah ich als Aufgabe der Lehre und der Lehrbücher von den sexuellen Zwischenstufen an.«[34] Bekanntlich hat Hirschfeld nie prinzipiell auf die Aufstellung von regionalen Theorien verzichtet, die zur Erklärung sexualwissenschaftlicher Phänomene dienen. Die Zwischenstufenlehre selbst aber liefert keine Erklärungen, sondern eröffnet den Ambitus, in dem der sexualwissenchaftliche Diskurs und seine eventuellen theoretischen Erklärungsversuche erst zur Entfaltung kommen. Nur wenn die unhaltbare Dichotomisierung von Mann und Frau überwunden und die unhintergehbare Sexualvariabilität des Menschen als der grundlegende Tatbestand seiner Sexuiertheit erkannt wird, kann der eigentliche sexualwissenschaftliche Gegenstand konstituiert werden, welcher dann mit Hilfe von sexualwissenschaftlicher Theoriebildung in seinen Ursachen und Konsequenzen erforscht wird. Der für die Sexualwissenschaft grundlegenden Tatsache, dass es im strengen Sinne weder Männer noch Frauen gibt, sondern nur Menschen, die ausnahmslos intersexuelle Varianten darstellen,[35] trägt Hirschfeld Rechnung, wenn er in der Geschlechtskunde schreibt, dass das »absolute« Weib und der »absolute« Mann »nur Grenzwerte, theoretische Aufstellungen« sind, »denn in Wirklichkeit hat man bei jedem Mann wenn auch noch so geringfügige Anzeichen seiner Abstammung vom Weibe, bei jedem Weibe entsprechende Reste männlicher Herkunft nachweisen können.«[36] Von daher wird verständlich, dass in der Natur alle vorstellbaren Varietätsformen des Intersexuellen vorkommen können, aber keine Individuen, deren Geschlechtlichkeit ausschließlich von männlichen bzw. weiblichen Komponenten bestimmt wären. Da der vollständig männliche Mann und die vollständig weibliche Frau nur gedanklich konstruierte Fikta sind, die in der Natur – wenn überhaupt – nur als Monstren in Erscheinung treten könnten, wird geschlechtliche Normalität ausschließlich als eine im Bereich von intersexuellen Varianten vorkommende Beschaffenheit zu konzipieren sein.
7. Die meisten Kritiker von Hirschfeld – zumal in Deutschland – scheinen die Vorzüge eines close reading seiner Texte für sich noch nicht entdeckt zu haben. Vor dem Hintergrund ihrer methodisch unzulänglichen Lektüren überrascht es nicht, dass sie in der Geringschätzung von Hirschfelds theoretischen Leistungen sich gegenseitig überbieten zu wollen scheinen. Dass Hirschfeld »denkerisch anspruchlos«[37] war, dass er »als Theoretiker flach und unfertig blieb«[38] oder dass »Erkenntnisarmut«[39] seine Schriften kennzeichnet, sind voreilige Behauptungen von Autoren, die eine hermeneutisch und philosophisch adäquate Auseinandersetzung mit der Zwischenstufenlehre und ihren Implikationen mit erstaunlicher Konsequenz bislang gemieden haben. Auch wenn im allgemeinen keine besondere Deutungsgabe erforderlich ist, um die Brisanz und Tragweite von Hirschfelds Grundeinsichten zu erkennen und die gedankliche Beweglichkeit seiner Texte zu würdigen, kann eine Kritik an seinem sexualwissenschaftlichen Entwurf nur unter Voraussetzung einer reflektierten Thematisierung der dem Hirschfeldschen Œuvre zugrundeliegenden Sachfragen gelingen. Zu solchen Sachfragen gehört sicherlich das Thema der Auflösung des herkömmlichen Sexualbinomiums und der damit zusammenhängenden, provisorischen Hypostasierung einer dritten Sexualalternative im Sinne eines unentbehrlichen »Notbehelfs«, der »niemals als etwas Vollständiges oder auch nur Abgeschlossenes dastehen kann«[40]. Nicht weniger relevant in dem Zusammenhang ist die Frage nach der Potenzierung der Geschlechtsdifferenzierungen und der daraus resultierenden Gleichsetzung von unwiederholbarem Sexualtypus und sexuiertem Individuum. Wenn es aber gilt, über Hirschfelds wissenschaftliche Bedeutung hinaus die emanzipatorische Dimension seines Gesamtentwurfes zu eruieren, ist eine Auseinandersetzung mit der Frage wohl nicht zu vermeiden, inwiefern der Ansatz zur Identifikation von Individuum und Sexualtypus aus Hirschfelds Sicht keine Aufhebung der mit nützlichen Ficta operierenden Sexualwissenschaft zur Folge hat, sondern die Notwendigkeit des Überganges von der Wissenschaft des Sexuellen zur ethisch-politischen Aufgabe der Sexualemanzipation signalisiert. Nicht von ungefähr lautete Hirschfelds Lebensmotto, das ihm auch als Grabinschrift dient: per scientiam ad justitiam.
8. Im Vorwort zur Geschlechtskunde ist folgende Passage zu lesen: »In diesem Zusammenhang will ich versuchen, mit einem Fehlschluß aufzuräumen, der sich seit langem an meine Arbeit heftet. Seit ich – es ist nun schon ein Menschenalter her – mit großem Eifer gegen einen Justizirrtum aufzutreten begann, dessen Gründe ich als höchst fehlerhaft und dessen Folgen ich als höchst verderblich erkannte (ich meine die Verfolgung Homosexueller), löst mein Name bei vielen Zeitgenossen Gedankenverbindungen aus, die sich lediglich auf dieses Vorgehen beziehen. So hängt die Bequemlichkeit der großen Menge fast jedem Forscher, von dessen Lebensarbeit sie nur in Schlagworten läuten hörte, eine bestimmte Marke um.«[41] In Anbetracht seines öffentlichen Engagements gegen die Verfolgung sexueller Minderheiten und seiner zahlreichen Publikationen zur Homosexualitätsthematik ist nicht ohne weiteres verständlich, dass Hirschfeld sich gegen die weitverbreitete Ansicht wehrt, dass seine sexualwissenschaftliche Forschungstätigkeit vorwiegend oder ausschließlich der Homosexualität galt. Dabei dachte Hirschfeld sicherlich nicht nur an »die große Menge", denn er wusste sehr wohl, dass auch gut informierte Autoren einer allzu einseitigen Identifikation seines Namens mit der Homosexualitätsfrage Vorschub geleistet hatten. So hatte Otto Weininger schon 1903 angemerkt, dass das von Hirschfeld herausgegebene Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen »noch verdienstvoller als es ist [wäre], wenn es nicht nur die Homosexuellen und die Zwittergeburten, das sind die sexuellen Mittelstufen, in den Kreis seiner Betrachtung zöge.«[42] Eine vergleichbare restriktive Wahrnehmung von Hirschfelds sexualwissenschaftlichen Bemühungen lässt auch Sigmund Freud erkennen, wenn er 1910 den Sexualforscher – ohne seinen Namen ausdrücklich zu erwähnen – zu den »theoretischen Wortführer[n]« der Homosexuellen zählt, die sie »als eine von Anfang an gesonderte geschlechtliche Abart, als sexuelle Zwischenstufen, als ein ›drittes Geschlecht‹«[43] hinstellen. Während Weininger die einseitige Konzentration auf die homosexuellen »Mittelstufen« in Hirschfelds Jahrbuch anprangert, ohne auf deren heuristische Funktion bezüglich der Erkennung des Sexualkontinuums sowie der damit zusammenhängenden Auflösung des Sexualbinomiums zu verweisen, geht Freud von der unzutreffenden Annahme aus, dass Hirschfelds Zwischenstufenlehre nur für homosexuelle Minderheiten von Relevanz ist.[44] Sowohl Weininger als auch Freud betrachten Hirschfelds Aufstellung und Behandlung einer dritten Sexualalternative als den Kernbestand seines theoretischen Anliegens, ohne dabei auf die Konsequenzen der Zwischenstufenlehre für diejenigen zu achten, die ihr Selbstverständnis nach dem sexualdichotomischen Schema strukturieren und die sich darum »normal« wähnen. Damit setzt die vorherrschende, bis zum heutigen Tag andauernde Rezeptionsgeschichte an, die Hirschfelds Bedeutung auf seine Pionierrolle bei der Sammlung und Kompilation von sexualwissenschaftlichem Quellenmaterial bzw. auf seine politisch-emanzipatorischen Schriften und Aktivitäten zugunsten des vorgeblichen dritten Geschlechts beschränkt sehen will.[45] Die Ausblendung der meta-theoretischen Dimension der Zwischenstufenlehre als Fundament von Hirschfelds sexualwissenschaftlichem und emanzipatorischem Entwurf hat freilich nicht bloß zu einer offenkundigen geschichtlichen Ungerechtigkeit gegenüber Hirschfeld geführt. Eine viel gravierendere Konsequenz ist die Missachtung von Fragestellungen und Problemhorizonten, die auf eine grundlegende Kritik derjenigen unhinterfragten Voraussetzungen drängen, welche das Verständnis und die Ausgestaltung sexueller Lebensformen in der Gegenwart determinieren. Dass Hirschfeld stets vermied, das sexuelle Selbstverständnis der Mehrheit durch eine allzu deutliche Schilderung der Konsequenzen der Zwischenstufenlehre zu erschüttern, war der Rezeption und Wirkung seiner Grund- und Leitgedanken sicherlich nicht förderlich. Zwei Ausnahmen sind in diesem Zusammenhang besonders nennenswert, weil sie zur frühesten Rezeptionsgeschichte Hirschfelds gehören. Auch wenn Ludwig Frey in seinem 1898 veröffentlichten Buch Die Männer des Rätsels und der Paragraph 175 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches die zwei Jahre zuvor unter Pseudonym erschienene Broschüre Sappho und Sokrates nicht ausdrücklich erwähnt, so ist doch davon auszugehen, dass Hirschfelds sexualwissenschaftliche Erstlingsschrift zu Freys Ausführungen über das »Gesetz vom unvermerkten Übergange«[46] des Sexuellen beitrug, und dass das Buch Freys folglich die damals ansetzende Rezeptionsgeschichte der Zwischenstufenlehre zumindest mitinitiert hat. Dazu muss auch die wörtliche Übernahme von einigen Passagen aus Sappho und Sokrates in einem Buch gerechnet werden, das unter dem Titel Homosexuelle Probleme[47] von »Dr. Ludwig E. West« vorgelegt wurde, dessen eigentlicher Name – nach einer Vermutung von F. Karsch-Haack – Johannes Gaulke war.[48] Bei einer genauen Lektüre von beiden Texten ist nicht zu übersehen, dass beide Autoren den Geist und den Buchstaben von Hirschfelds Zwischenstufenlehre viel treffender erfassten als spätere Kritiker und Kommentatoren, die es vorzogen, die universellen Konsequenzen von Hirschfelds Grundeinsichten nicht zu beachten.
9. In Anbetracht der dürftigen Ergebnisse der Hirschfeld-Forschung der letzten 25 Jahre und der Häufigkeit, mit der die wissenschaftlichen Leistungen des Sexualforschers ignoriert bzw. unterschätzt werden, ist es nicht überraschend, dass Hirschfelds Werk im Diskurs der Gender-, Gay-, Lesbian- oder Queer studies so gut wie keine Rolle spielt. Im allgemeinen sind die Repräsentanten dieser noch in Entstehung begriffenen Disziplinen sich kaum dessen bewusst, dass Hirschfeld wesentliche Aspekte ihrer Einsichten und Anliegen vorwegnahm. Eine der wenigen Ausnahmen in dieser Hinsicht stellt das sexualtheoretische Œuvre von Guy Hocquenghem (1946-1988) dar, der in seinem grundlegenden Werk Le désir homosexuel sich mit Hirschfeld relativ ausführlich auseinandersetzt. Abgesehen davon, dass Hocquenghems Behandlung und Würdigung von Hirschfelds Werk alles andere als zufrieden stellend sind, erlangen seine diesbezüglichen Unzulänglichkeiten eine eigentümliche Bedeutung, wenn man bedenkt, dass seine Auffassung des Sexuellen eine nachvollziehbare – aber von ihm nicht eindeutig zugestandene – Affinität mit Hirschfelds Zwischenstufenlehre aufweist. In Race d´Ep (1979) lässt Hocquenghem Hélène, eine fiktive Sekretärin Magnus Hirschfelds, eine sehr komprimierte, aber im Grunde zutreffende Schilderung der Zwischenstufenlehre vortragen: »[…] le docteur pensait que nous sommes tous, d´une manière ou d´une autre, des degrès intermédiaires entre l´homme et la femme, et il avait entrepris de le prouver. ›De vous à moi, Hélène, il me disait souvent, quelles sont les vraies différences? J´ai un clitoris plus développé et perforé, vous un bassin plus large, c´est tout, questions de nuances, en somme.‹«[49] Da dieses belletristische Resümee ein adäquates Verständnis der Zwischenstufenlehre verrät, wird schwer verständlich, warum Hocquenghem in Le désir homosexuel Hirschfeld nur in Verbindung mit dem Thema des dritten Geschlechts und seiner Emanzipation erwähnt.[50] Trotz ihrer Einseitigkeit sind solche Hinweise für den argumentativen Duktus des Buches zweifellos relevant, da Hocquenghem davon ausgeht, dass Sigmund Freuds Kritik an Hirschfelds Begriff des »dritten Geschlechts« den Weg zur Universalisierung des Ödipus-Komplexes freimachte, dessen Demontierung zu Hocquenghems sexualtheoretischen Prioritäten gehört. Hocquenghem zufolge verfährt Freud in zwei Schritten: Zunächst verallgemeinert er das »dritte Geschlecht« als das homosexuelle Moment in jeglicher Psyche und dann verneint er jede Ausnahme von der Wirksamkeit des Phallus als »distributeur de sens«[51], die das weibliche Kind als Abwesenheit des Penis und das männliche Kind als Angst vor dem Verlust des Penis durch Kastration erlebt. Da Hocquenghems großangelegtes Projekt einer Demontierung des abendländischen »Phallogozentrismus« im wesentlichen darin besteht, Freuds normative Heterosexualität und die daraus resultierende ödipale Familie zu dekonstruieren, beschränkt sich die Rolle Hirschfelds im Kontext von Hocquenghems Argumenten darauf, einen kontrastierenden Hintergrund zu den metapsychologischen Ideen Freuds zu bieten, denen gegenüber Hocquenghem sich nicht nur ablehnend verhält. Denn neben den von Hocquenghem kritisierten, patriarchalischen bzw. autoritären Thesen Freuds, gibt es auch und vor allem die Freudsche Entdeckung des Polymorph-Perversen, das in Hocquenghems libertärem Projekt eine Schlüsselstellung einnimmt. Le désir homosexuel kann darum als eine kritische Radikalisierung des Freudianischen Unterschieds zwischen dem kontinuierlichen In-einander-Fließen der Begierden und der illusorischen Vorstellung, dass dieses Fließen in geschlossene Einheiten abgeteilt werden könnte, gelesen werden. Mit Hilfe von Freuds metapsychoanalytischem Instrumentarium arbeitet Hocquenghem eine Konzeption des »perversen« Kontinuums heraus, das sich im Gegensatz zu den fixierten Konstrukten befindet, die aus der Annahme von kategorialen Interruptionen des Kontinuums sich ergeben. In diesem Zusammenhang lässt sich zeigen, dass Hocquenghems Rekuperation des psychischen Kontinuums der Begierden, das vor und unabhängig von der Annahme des vorgeblich sinnstiftenden Phallus vorhanden ist, in keinem Widerspruch zum metatheoretischen Schema von Hirschfelds Zwischenstufenlehre steht. Vielmehr ist diese in der Lage, Hocquenghems Kontinuum in die entsprechenden Beschreibungsebenen des Sexuellen einzuordnen, in der jede Ausprägung der polymorphen Begierden zur Entstehung der »Fülle der Kombinationsmöglichkeiten« beiträgt, die die Unwiederholbarkeit des »Sexualtyps« eines Individuums garantiert. Im Endeffekt verzichtet Hocquenghem aber auf eine breitere Kontextualisierung seines Entwurfes in Hirschfelds mehrschichtiger deskriptiver Struktur zwischengeschlechtlicher Variabilität und entschließt sich, seine Argumente innerhalb des engen Horizontes des Sexuellen zu entfalten, der aus Freuds Konzeption der begehrenden Seele resultiert.
10. Die epochale Bedeutung von Hirschfelds Zwischenstufenlehre besteht in erster Linie in der Re-interpretation des Begriffs vom Sexualunterschied und in dessen Re-inskription in der wissenschaftlich begründeten Komplexität eines Schemas, das prinzipiell eine asymptotische Annäherung an den unwiederholbaren Sexualtypus eines jeden Individuums zulässt. Die vielfach konstatierbare Verkennung des von Hirschfelds Lehre herbeigeführten Paradigmenwechsels hat häufig zu mehr oder weniger beliebigen Annahmen und widersprüchlichen Diskursen bezüglich der Voraussetzungen, Artikulationen und Beschreibungsebenen des Sexualunterschiedes geführt. Da die meisten zeitgenössischen Repräsentanten von Sexualwissenschaft und Gender studies eine Auseinandersetzung mit Hirschfelds Metatheorie der sexuellen Zwischenstufen tunlichst vermeiden, beschränken sie sich auf die vorwiegend intuitive Feststellung, dass die sexuelle Distribution der Individuen in Männer und Frauen in den Human- und Naturwissenschaften unbrauchbar geworden ist,[52] ohne zu versuchen, die notwendigen Konsequenzen aus dieser Feststellung zu ziehen und eine begründete Alternative zur herkömmlichen Auffassung des Sexualunterschiedes anzubieten. Zudem ist die Bereitschaft, das Sexualbinomium auf der anatomisch-physiologischen Ebene hinter sich zu lassen bzw. zu ignorieren, oft mit dem unkritischen Versuch verbunden, ein disjunktives Paradigma des Sexualunterschieds auf anderen Beschreibungsebenen des Geschlechtlichen zu etablieren, mit der Folge, dass die Dichotomie Mann/Frau und ihre jeweils hetero- oder homosexuelle Kombinatorik eine von der Biologie unabhängige, ideologische Revitalisierung und Neuverwendung auf der Ebene der Psyche oder der gesellschaftlichen bzw. legalen Konstruktionen der Sexualidentität erlangen. Die Tendenz, die von Hirschfeld systematisch erfassten Komplexitäten der biologischen Sexualität zu übersehen oder zu verschweigen, scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass ideologische Kategorisierungen und Normativitäten (»Interruptionen«), die ursprünglich in Verbindung mit den vermeintlichen biologischen Gegebenheiten des Menschen entwickelt wurden, auf nicht-biologische Ebenen übertragen und dort als unbezweifelbare Fakten fixiert wurden. Vor diesem Hintergrund braucht kaum betont zu werden, dass zu den wichtigsten Implikationen der Auflösung der binomen Sexualfixierungen zugunsten einer potentiell unendlichen Vielfalt der Geschlechter eine Revision und Transformierung der Grundlagen des ganzen psychoanalytischen Korpus zwischen Sigmund Freud und Jacques Lacan gehört, insofern als dieser Korpus auf einer regionalen – aber zu unrecht universalisierten – Theorie des Sexualunterschieds basiert, die von der Logozentrik des sinngebenden Phallus und der daraus resultierenden Sexualdisjunktion determiniert wird. Insofern als das von der Zwischenstufenlehre anvisierte Kontinuum Penis/Klitoris die Überwindung der im Imaginären des Phallus verankerten Wertungsasymmetrie bezüglich des Unterschiedes Mann/Frau ermöglicht, markieren Magnus Hirschfelds Leitgedanken den Zeitpunkt, in dem die Auflösung eines der am wenigsten hinterfragten Mytheme der Menschheit durch befreiende Erkenntnis eingeleitet wurde. [1] Vgl. Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds. In: 100 Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und hrsg. von Manfred Herzer. Berlin 1998, S. 15-45. Der ursprüngliche Titel des Vortrages lautete: »Tertium non datur. Sexuelle Identifikation und Befreiungsgeschichte bei Magnus Hirschfeld.« [2] Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. Zweite, überarbeitete Auflage. Hamburg 2001, S. 7. [3] Erschienen in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 28, 1998, S. 45-56. [4] Erschienen in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 29/30, 1999, S. 66-80. [5] Erschienen in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 31/32, 2000, S. 47-50. Hier sei angemerkt, dass Herzer in der Bibliographie der 2. Auflage seiner Hirschfeld-Biographie zwar seine zwei Erwiderungen anführt, aber die damals schon erschienene, erste Replik des Verfassers auslässt. [6] Voraussichtlich wird die Replik demnächst in: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 33/34 erscheinen. [7] Nur zwei Ausnahmen sind zu verzeichnen. Im Zusammenhang mit Hirschfelds Biographie und seinem Verhältnis zum Judentum wurden Stellen aus Hirschfelds Die Weltreise eines Sexualforschers (1933) zitiert. Außerdem wurde in einer Fußnote darauf hingewiesen, dass der Begriff drittes Geschlecht in Hirschfelds Geschlechtskunde (1926-1930) keine terminologische Verwendung findet. [8] Diese methodische Entscheidung wurde nicht aufgegeben, wenn im letzten Absatz der zweiten Replik ausführlich über den letzten Text referiert wurde, der zu Lebzeiten Hirschfelds erschienen ist. Denn es handelt sich dabei nicht um eine sexologische Publikation, sondern um einen Fortsetzungsaufsatz, in dem der exilierte Jude sich mit der Rassenfrage auseinandersetzt. Eingegangen wurde auf diesen Text, um zu verdeutlichen, dass Hirschfelds sexualwissenschaftliche Prämisse, dass jeder Mensch eine sexuelle Zwischenstufe darstellt, mit seiner bio-anthropologischen Feststellung korrespondiert, dass »alle Menschen Bastarde« sind. (Hirschfeld: Phantom Rasse. Ein Hirngespinst als Weltgefahr (7. Fortsetzung). In: Die Wahrheit. Prag, Jg. 14 (1935), Nr. 1) [9] Hirschfeld: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung bearbeitet. I. Band: Die körperseelischen Grundlagen. Stuttgart 1926, S. VII [10] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. IX [11] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 547 [12] Die Ausstellung wurde von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin organisiert: www.magnus-hirschfeld.de/institut. Vgl. dazu: Kennedy, Hubert: Besprechung der Ausstellung: »Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933) / Institute for Sexual Science / Instituto de Sexología. Ausstellung / Exhibition / Exposición. Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin, 2002.« Erscheint demnächst in: Journal of the History of Sexuality. [13] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 596 [14] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 548 [15] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 594 [16] Vgl. Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 547 und 595 [17] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 595 [18] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 595 [19] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 596. [20] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 596 [21] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 596 [22] Hirschfeld: Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897-1922. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley. Berlin 1986, S. 49. Der Text erschien zuerst 1922/23 in mehreren Folgen. [23] Hirschfeld: Die intersexuelle Konstitution. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 23 (1923), S. 10 [24] Vgl. Guattari, Félix (Hrsg.): Trois Milliards des Pervers. Grande Encyclopédie des Homosexualités. Paris 1973. Die französische Justiz verurteilte den Herausgeber zu einer Geldstrafe von 600 FF und die Ausgabe wurde beschlagnahmt und eingestampft. Das Vorwort zu dieser Enzyklopädie ist in deutscher Übersetzung erschienen in: Dieckmann, Bernhard und François Pescatore (Hrsg.): Elemente einer homosexuellen Kritik. Französische Texte 1971-77. Berlin 1979, S. 117-119. [25] Vgl. Bauer: Der Tod Adams, S. 35 [§ 8] [26] Vgl. Bauer: Über Hirschfelds Anspruch. Eine Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 29/30, 1999, S. 66-68 [§ 2 und 3] [27] Die Formulierung wurde vom Verfasser in der demnächst erscheinenden Replik »Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam« [§ 5 und 7] verwendet. [28] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 547 [29] Vgl. Ramien, Th. [d.i. Magnus Hirschfeld]: Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts. Leipzig 1896, S. 27 [30] Ramien, Th. [d.i. Magnus Hirschfeld: Sappho und Sokrates, S. 27 [31] Vgl. Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 545 f. [32] Vgl. Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 548 [33] Vgl. Hirschfeld: Die intersexuelle Konstitution. In: Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Bd. 23 (1923), S. 10 [34] Vgl. Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 548 [35] Vgl. die schon 1896 erfolgte Präzisierung: »Jeder Mann behält seine verkümmerte Gebärmutter, den Uterus masculinus, die überflüssigen Brustwarzen, jede Frau zwecklosen Nebenhoden und Samenstränge bis zum Tode.« (Ramien, Th. [d.i. Magnus Hirschfeld]: Sappho und Sokrates, S. 10) [36] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. 546 [37] Sigusch, Volkmar: Man muß Hitlers Experimente abwarten, Volkmar Sigusch über den Sexualforscher Magnus Hirschfeld. In: Der Spiegel, Nr. 20 (13.5.1985), S. 244 [38] Haeberle, E.J.: Einleitung. In: Hirschfeld: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes. Nachdruck der Erstauflage von 1914 mit einer kommentierenden Einleitung von E.J. Haeberle. Berlin / New York 1984, S. XX [39] Dannecker, Martin: Der Homosexuelle und die Homosexualität. Frankfurt 1978, S. 47 [40] Hirschfeld: Die intersexuelle Konstitution, S. 23 [41] Hirschfeld: Geschlechtskunde, S. XI-XII [42] Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung. Im Anhang Weiningers Tagebuch, Briefe August Strindbergs sowie Beiträge aus heutiger Sicht von Annegret Stopczyk, Gisela Dischner und Roberto Calosso. München 1980, S. 469 [43] Freud, Sigmund: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci. In: Freud: Studienausgabe. Band X: Bildende Kunst und Literatur. Hrsg. von Alexander Mitscherlich u.a. Frankfurt am Main 1969, S. 124 [44] In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen: Friedlaender, Benedict: Renaissance des Eros Uranos. Die physiologische Freundschaft, ein normaler Grundtrieb des Menschen und eine Frage der männlichen Gesellungsfreiheit. In naturwissenschaftlicher, naturrechtlicher, culturgeschichtlicher und sittenkritischer Beleuchtung. Schmargendorf-Berlin 1904 (Reprint: New York 1975). Friedlaender äußert sich dort zur »Urnings- oder Zwischenstufentheorie« (Aphorismen und Zusätze, 21, S. 84, Neue Paginierung), wobei er diese »Theorie« Carl Heinrich Ulrichs und nicht Hirschfeld zuschreibt. Früher, im Hauptteil des Buches, schreibt er mit Bezug auf die »Urningstheorie«: »Diese Vorstellung war [...] schon von Hössli angedeutet, ist dann von Ulrichs begründet und von den Medicinern mit wenig Aenderungen und Zuthaten in Umlauf gesetzt worden.« (S. 73) Offensichtlich war Friedlaender nicht in der Lage zu unterscheiden zwischen Ulrichs’ »Erklärung gleichgeschlechtlicher Liebe« und der Zwischenstufenlehre des »Mediciners« Hirschfeld. Hier sei nur daran erinnert, dass nach Hirschfeld »die rein biologische, nicht pathologische (krankhafte) Auffassung der Liebe zum eigenen Geschlecht« bei Ulrichs »andeutungsweise« zu finden ist. (Ramien, Th. [d.i. Magnus Hirschfeld]: Sappho und Sokrates, op.cit., S. 27). Dies impliziert freilich nicht, dass die 1896 erst in Entstehung begriffene Zwischenstufenlehre Hirschfelds mit Ulrichs’ »Urningstheorie« gleichgesetzt oder auf sie zurückgeführt werden könnte. [45] Vgl. dazu Bauer: Der Tod Adams, S. 28-35 [§ 6 und 7] [46] Vgl. Frey, Ludwig: Die Männer des Rätsels und der Paragraph 175 des deutschen Reichsstrafgesetzbuches. Beitrag zur Lösung einer brennenden Frage. Leipzig 1898, S. 64-65. Auch wenn Frey selbst im Literaturverzeichnis weder »Th. Ramien« noch Hirschfeld erwähnt, ist es bezeichnend, dass der Titel Sappho und Sokrates unter den Schriften, die »[i]m Verlag Max Spohr in Leipzig [...] über die Frage der Homosexualität« erschienen sind, angeführt wird (S. 224). [47] West, Dr. Ludwig E.: Homosexuelle Probleme. Im Lichte der neuesten Forschung allgemeinverständlich dargestellt. Berlin 1902 [48] Vgl. Karsch-Haack, F.: Das gleichgeschlechtliche Leben der Naturvölker. München 1911, S. 54 [49] Hocquenghem, Guy: Race d´Ep. Un siècle d´images de l´homosexualité. Avec la collaboration iconographique de Lionel Soukaz. Paris1979, S. 147-148 [50] Vgl. Hocquenghem: Le désir homosexuel [1972]. Préface de René Schérer. Paris 2000, S. 70, 71, 135, 136, 153 und 154 [51] Hocquenghem: Le désir homosexuel, S. 69 [52] Vgl. dazu z.B. Schérer, René: Préface. Un défi au siècle. In: Hocquenghem: Le désir homosexuel, S. 7-8 |