J. Edgar Bauer

Debatte

Magnus Hirschfeld:
Sexualidentität und Geschichtsbewußtsein.

Eine dritte Klarstellung.

 

- Revidierte Fassung -
Hier veröffentlicht mit Genehmigung des Autors.
Ursprünglich erschienen in: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: Sexualidentität und Geschichtsbewußtsein.  Eine dritte Klarstellung.  In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Herausgegeben von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V.  Redaktion:  Ralf Dose.  Berlin:  Nr. 37/38, 2007, S. 109-120.

 

 

"Nessun profeta ardisce più rivelarci il nostro domani, e questa, l´eclissi dei profeti, è una medicina amara ma necessaria. Il domani dobbiamo costruircelo noi, alla cieca, a tentoni; costruirlo dalle radici, senza cedere alla tentazione di ricomporre i cocci degli idoli frantumati, e senza costruircene di nuovi."

Primo Levi: Eclissi dei profeti.[1]

 

1. Zum dritten Mal veröffentlicht Manfred Herzer eine Replik im Zusammenhang einer Debatte, die 1998 durch die Publikation eines Essays des Verfassers ausgelöst wurde: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds.[2] In seiner jüngsten Replik,[3] die den Titel Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet. Nachklänge zu J. Edgar Bauers Hirschfeld-Deutung[4] trägt, geht Herzer auf die Erwiderung des Verfassers ein, die 2002 in diesen Mitteilungen unter dem Titel Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung erschienen ist.[5] Nachdem Herzer am Anfang seines Textes die Bemühungen des Verfassers begrüßt hat, Hirschfelds "Lehre von den sexuellen Zwischenstufen" neu zu gewichten und dessen Ansichten zur Rassenfrage im Zusammenhang mit der "individuierende[n] Perspektive"[6] dieser Lehre zu deuten, geht der Hirschfeld-Biograph dazu über, seine Einwände gegen die von Verfasser vertretenen Thesen zu Hirschfelds Dekonstruktion sexueller Kategorien und zur Rolle, die das jüdisch-messianische Erbe in dessen wissenschaftlicher und emanzipatorischer Programmatik spielt, unter Rekurs auf z.T. neue Argumente zu artikulieren.

 

2. Dankenswerterweise läßt Herzer gleich am Anfang seines Textes deutlich erkennen, wie prekär die Grundlagen seiner Beanstandungen eigentlich sind. Dies gilt insbesondere, wenn er sich gegen die konsequente Auflösung des Sexualbinomiums und seiner hetero- und homosexuellen Kombinatorik als Ergebnis der Zwischenstufenlehre wehrt und dem Verfasser vorwirft, "der Versuchung nach[zugeben], die Hirschfeldsche Perspektive zu verabsolutieren".[7] Da der radikale Ansatz von Hirschfelds Schema sexueller Distribution letztlich zur Dekonstruktion aller sexuellen Figmenta – einschließlich des Konstruktes eines "dritten Geschlechts" – führt, sieht sich Herzer damit konfrontiert, daß die Zwischenstufenlehre – entgegen den landläufigen Beteuerungen der meisten Hirschfeld-Interpreten – letztlich der Annahme einer sogenannten schwulen Identität zuwiderläuft. Da Herzer offensichtlich keine stichhaltigen Argumente gegen die dekonstruktiven Folgen von Hirschfelds Lehre vorbringen kann, muß er sich auf den pragmatischen Mahnruf beschränken, daß nur die Aufrechterhaltung eines Mindestbestandes an sexueller Fiktion das Konstrukt des "Schwulen" vor seiner Auflösung durch Hirschfelds kritischen Ansatz zu retten vermag.

 

3. In seinem zweiten Einwand beanstandet Herzer, daß der Verfasser "Hirschfelds sozialistische Sexualreformpolitik" in eine Spielart jüdischen Messianismus "theologisch umdeutet".[8] Des weiteren präzisiert Herzer, daß es bei der theologischen Umdeutung, die er ausmachen zu können meint, um den Nachweis der These ging, daß Hirschfelds Sexualreformwerk "von einem atheistisch modifizierten, der jüdischen Religion entnommenen Messianismus angetrieben"[9] war. Mit der widersprüchlichen und aberwitzigen Unterstellung, der Verfasser habe eine theologische Umdeutung Hirschfelds zu Gunsten eines atheistischen Messianismus vorgenommen, gibt Herzer zu verstehen, daß für ihn das messianische Geisteserbe des Judentums in einem prinzipiellen Gegensatz zu Hirschfelds atheistisch-emanzipatorischer Geschichtskonzeption steht und daß es darum gilt, den vorgeblich vom Verfasser heraufbeschworenen Gefahren einer Entpolitisierung und Verharmlosung von Hirschfelds gesellschaftskritischen Bemühungen entgegenzuwirken.[10] Aus Herzers Vorwürfen und Befürchtungen geht klar hervor, daß er die neuzeitliche Rezeptionsgeschichte des prophetischen Messianismus gänzlich ignoriert, deren Komplexität und Vielschichtigkeit dazu führten, daß Autoren wie Karl Marx oder Sigmund Freud – ohne eine theologische Mutation erlitten zu haben – von den messianischen Grundgedanken der biblischen Propheten sich haben inspirieren lassen.

 

4. Wie der einführenden Skizze seiner Einwände zu entnehmen ist, vertritt Herzer die Auffassung, daß die Thesen des Verfassers bezüglich der Auflösung des Sexualbinomiums in Hirschfelds Texten nicht nachweisbar sind und daß die Annahme einer messianischen Dimension beim Sexologen – abgesehen von deren textlicher Unbelegbarkeit – zu keinen "wirklich neue[n] Einsichten in die Logik und in die Historie der Zwischenstufenlehre"[11] führt. Aus Herzers Sicht sind die diesbezüglichen Ausführungen des Verfassers nicht nur an sich überflüssig, sondern auch und vor allem in ihrer Zielsetzung verwerflich, da sie danach trachten, Hirschfeld "eine Art erkenntnistheoretische[n] Nihilismus" zu unterschieben und ihn von "den alten sozialistischen Idealen und von der Sozialdemokratie"[12] zu trennen. Da Herzer offensichtlich eine regelrechte Demontage des unter dem Motto per scientiam ad justitiam stehenden Lebenswerkes Hirschfelds befürchtet, läßt er sich zu der unüberlegten, dogmatisch anmutenden Leugnung der textmäßigen Belegbarkeit von Hirschfelds kritisch-dekonstruktiven Inten­tionen und seiner messianisch inspirierten Konzeption der Befreiungsgeschichte hinreißen. Dem gegenüber soll hier daran erinnert werden, daß beide Themenkomplexe unter Einbeziehung zahlreicher Texte Hirschfelds sowohl in Der Tod Adams[13] als auch in den zwei vorangegangenen Erwiderungen[14] des Verfassers erörtert wurden. Da Herzer aber bislang tunlichst vermieden hat, sich eingehend mit diesen interpretatorischen Ausführungen auseinanderzusetzen, scheint es müßig zu sein, zusätzliche Argu­mente vorzutragen. Diesbezüglich sei nur darauf hingewiesen, daß kürzlich zwei weitere, von Herzer nicht berücksichtigte Texte erschienen sind, in denen der Verfasser den erkenntnistheoretischen Status von Hirschfelds "Zwischenstufenlehre"[15] und das Verhältnis des Sexologen zur geistigen Tradition des Judentums anhand einer Analyse seines Berichtes Weltreise eines Sexualforschers ausführlich erörtert hat.[16]

 

5. Da die zwei vorhin erwähnten Themenkomplexe in Hirschfelds Werk nicht nur belegbar sind, sondern sogar die Ausrichtung seines theoretischen und emanzipatorischen Entwurfes entscheidend prägen, trägt ihre Herausarbeitung dazu bei, einerseits, die bisher in der Forschung kaum behandelte Frage nach den wissenschaftlichen und philosophischen Grundlagen von Hirschfelds Schaffen zu klären und, andererseits, die Tragweite des Paradigmenwechsels zu würdigen, den die Aufstellung der Zwischenstufenlehre im Sinne eines sexualdistributiven Schemas herbeiführt, das das bisher geltende Sexualbinomium zugunsten der Annahme einer potentiell unendlichen Vielfalt der Geschlechter auflöst. Wenn in diesem Zusammenhang Hirschfeld darauf aufmerksam macht, daß das sexuierte Individuum auf Grund seiner Komplexität und Einzigartigkeit streng genommen kategoriell nicht subsumierbar ist, vollzieht er eine wissenschaftstheoretische Grenzziehung, die zu keinem "erkenntnistheoretischen Nihilismus" führt, sondern die Möglichkeit eines kritischen, entdogmatisierenden Umgangs mit den in Ideologie und Wissenschaft gleichermaßen vorherrschenden Prämissen der binomen Sexualität erst eröffnet. Die Reflexion darauf, daß das Sexualindividuum sich letztlich der durchgängigen sexologischen Erfassbarkeit entzieht, fördert die Einsicht, daß die Sexualwissenschaft sich nicht in der bloß quantitativen Kumulierung von Wissensgehalten erschöpfen darf, sondern – eingedenk ihres sexualkritischen Auftrags – für die Umgestaltung und Neugewichtung der Paradigmen und Kriterien offen bleiben muß, mit denen neue Erkenntnisse erschlossen und systematisiert werden. Da Hirschfelds Zwischenstufenlehre – von der Sexualindividualität eines jeden Menschen ausgehend – die sachlichen und historischen Voraussetzungen ihrer epistemologischen Selbstkonstitution erkennt und reflektiert, stellt sie kein Ideologem dar, das als Ersatz des gemeinhin unhinterfragten Prinzips binomer Sexualdistribution fungieren würde, sondern verhält sich gegenüber diesem Prinzip – zunächst und zumal – als dessen begründete Kritik und Auflösung. Hirschfelds Rückbesinnung darauf, daß es keine Wissenschaft des Individuellen gibt, bzw. daß das Individuum ineffabile ist, führt also zu keinem nihilistischen Wissensverzicht, sondern ist Ausdruck einer reflexiven Selbsteinschränkung, die kritisches und selbstkritisches Wissen erst ermöglicht.

 

6. Der aus der Zwischenstufenlehre resultierende, bio-psychologische Nachweis der naturgemäßen, unerschöpflichen Variabilität des Sexuellen bietet das Fundament eines Entwurfes geschlechtlicher Befreiung, der im Prinzip die Auflösung derjenigen kategoriellen Fiktionen vorsieht, mit deren Hilfe die ideologisch konstruierte "Realität" der binomen Geschlechtlichkeit seit alters her die Entfaltung von alternativen, anormativen Sexualmöglichkeiten des Menschen zu verhindern suchte. Da aber Hirschfelds programmatischer Weg von der kritischen scientia hin zur künftigen justitia nur unter Voraussetzung der Aufdeckung der damals weitgehend verschwiegenen bzw. verdrängten Sexual­unterdrückung zu beschreiten war, konzentrierte sich Hirschfeld zunächst auf die unmittelbare Befreiung der sexuellen Minderheiten seiner Zeit, ohne zu leugnen, daß das eigentliche Telos einer umfassenden Sexualbefreiung nur dann zu erzielen ist, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft – entsprechend dem neuen sexualdistributiven Schema – sich als sexuelle Zwischenstufen begreifen und sich folglich die Freiheit nehmen, ihr Leben im Einklang mit dieser Einsicht zu gestalten. In Anbetracht dieses prinzipiellen Telos erfolgt der in der natürlichen Sexualkonstitution des Menschen verankerte und ethisch motivierte Kampf um sexuelle Emanzipation bei Hirschfeld im Rahmen einer Konzeption von Geschichte als Ort weltimmanenter Befreiung. Wie schon in den vorangegangenen Erwiderungen dargelegt wurde, gehört die emanzipatorische Geschichtskonzeption Hirschfelds insofern zum Wirkungsfeld der hebräischen Propheten, als diese zum ersten Mal eine Deutung des Weltgeschehens als Befreiungsgeschichte artikulierten, welche streng vom Geschichtsverständnis der christlichen Apokalyptik und Eschatologie zu unterscheiden ist und deren sachgemäße Bezeichnung Messianismus heißt. Gegen Herzers darauf bezogene Einwände[17] ist daran zu erinnern, daß die Feststellung, daß Hirschfelds emanzipatorische Geschichtskonzeption zur Wirkungsgeschichte des jüdischen Messianismus gehört, in keinem Gegensatz zu seiner erwiesenen Verbundenheit mit den Idealen steht, die der Sozialismus und die Sozialdemokratie im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts hochhielten. Nicht von ungefähr wurde in der zweiten Erwiderung des Verfassers hervorgehoben, daß Hermann Cohen, der neukantianische Philosoph und Zeitgenosse Hirschfelds, in aller Deutlichkeit die Ansicht vertrat, daß die Propheten "die Begründer der sozialen Religion [...], und in ihr die des sozialen Bewußtseins überhaupt"[18] gewesen sind. Herzers Einspruch, daß die Kontextualisierung von Hirschfelds Befreiungsprogrammatik in der Wirkungsgeschichte des hebräischen Messianismus zur Negierung bzw. Unterschätzung von den neuzeitlich sozialistischen Inspirationsquellen des Sexologen führt, entbehrt schon deswegen jeglicher Plausibilität, weil auch diese Quellen anerkanntermaßen entscheidende Momente der abendländischen Wirkungsgeschichte des messianischen Grundgedankens darstellen. Als gänzlich unverständig erweist sich auch Herzers dahingehende Verdächtigung, daß die Ausführungen des Verfassers zu Hirschfelds messianischer Geschichtskonzeption möglicherweise im Dienst einer religiösen Kryptoapologetik stehen, wenn man bedenkt, daß Hirschfelds sexualemanzipatorische Programmatik – wie schon in Der Tod Adams dargelegt wurde – die theologischen Voraussetzungen und anthropologischen Konsequenzen derjenigen Religionen untergräbt, die das Schema binomer Sexualität unter Rekurs auf offenbarungsmäßige Legitimierung im Abendland durchsetzten.[19]

 

7. Keine Unstimmigkeit der Herzerschen Nachklänge kompromittiert die Aussagekraft seines Textes so sehr, wie die Annahme, daß die Zwischenstufenlehre keine Auflösung des herkömmlichen Sexualdimorphismus impliziert. Da Herzer offenbar merkt, daß seine Weigerung, die Konsequenzen der Zwischenstufenlehre zu Ende zu denken, argumentativ nicht zu rechtfertigen ist, rekurriert er auf die ultima ratio einer direkten Konfrontation mit dem, was er für die "Realität" hält, und verkündet, daß Hirschfelds Lehre das binäre Schema der Sexualdistribution nicht aufzulösen vermag, weil es nach wie vor in der Wirklichkeit Männer und Frauen gebe. Herzer beharrt auf dieser eigentümlichen Form sexualideologischer Unhinterfragbarkeit, weil er sich der Tatsache verschließt, daß diejenigen Menschen, die nach sexualbinomischen Kriterien entweder als Männer oder als Frauen gelten, aus der Sicht der Zwischenstufenlehre ausnahmslos sexuelle Zwischenstufen sind. Präziser: Nach Hirschfeld gibt es weder den absoluten Mann noch die absolute Frau, sondern nur Menschen, welche auf den verschiedenen Ebenen sexueller Deskription eine unterschiedliche Zusammensetzung von männlichen und weiblichen Komponenten aufweisen, so daß die stets ungefähre und provisorische Sexualzuordnung eines Menschen nur unter Berücksichtigung seiner miteinander bezüglich ihrer Zusammensetzung nicht übereinstimmenden, sexualdeskriptiven Ebenen erfolgen kann. Letztlich führen diese Vorgaben zur Aufstellung eines distributiven Schemas unerschöpflicher Sexualvariabilität, nach dem die unwiederholbare Sexualität eines jeden Menschen einen nur ihr zukommenden Platz im Naturkontinuum der Sexualitätsformen ein­nimmt. Vor dem Hintergrund dieser Implikate der Zwischenstufenlehre wäre freilich widersinnig zu behaupten, daß die angestrebte Auflösung der disjunktiven Sexualdistribution nur auf dem Weg der Transsexualität, des Transgenderismus oder der Identifikation mit einem erdachten dritten Geschlecht herbeizuführen wäre. Denn im Mittelpunkt der Zwischenstufenlehre steht die Einsicht, daß die kulturelle Ausgestaltung der unwiederholbaren bio-psychologischen Sexualkomplexität eines jeden Individuums durch die Annahme normativer Fiktionen nicht eingeengt werden darf. Hirschfeld artikuliert in aller wünschbaren Klarheit seinen diesbezüglichen Standpunkt, wenn er in einer des öfteren zitierten Passage, deren Sinn Herzer leider weiterhin nicht wahrhaben will, schreibt:

"Wer sich über das Wesen der Geschlechtsübergänge klar ist, wird sofort ersehen, daß eine solche Gruppierung von Typen [wie die in einem von Hirschfeld vorgeschlagenen Schema] nur ein Notbehelf, wenn auch meines Erachtens ein unentbehrlicher ist, der niemals als etwas Vollständiges oder auch nur nahezu Abgeschlossenes dastehen kann. Das würde mit dem Gesetz der absoluten Variabilität im Widerspruch stehen, das die gesamte Natur beherrscht. Hinsichtlich der Sexualkonstitution bedeutet dies, daß jeder Mensch seine Natur und sein Gesetz hat. [...] Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß schon zufolge der Erbgesetze diese Grundtypen [des Schemas] im Grunde nur Fiktionen sind [...]." [20] 

Eindeutig vertritt Hirschfeld die Ansicht, daß alle Sexualfiktionen – vor dem Hintergrund der "Geschlechtsübergänge" – im Naturkontinuum letztlich aufgelöst werden müssen. Wenn er aber auf dem Weg dahin auf den Notbehelf einer dritten Sexualalternative (d.h. auf eine provisorische Fiktion) rekurriert, geschieht dies in der Absicht, "das übliche, aber leider nur allzu oberflächliche Einteilungsschema der Sexualkonstitutionen in Mann und Weib"[21] zu überwinden. Im Kontext von Hirschfelds argumentativem Duktus stellt das sogenannte dritte Geschlecht also keine "Ergänzung" oder "Vervollständigung" des Sexualbinomiums zwecks Aufstellung eines geschlossenen Schemas triadischer Sexualdistribution dar, sondern fungiert als ein provisorisches Mittel, das einerseits die Auflösung der bisher vorherrschenden binomen Sexualität ermöglicht und andererseits zur Einführung einer prinzipiell unabschließbaren Reihe von unwiederholbaren Sexualkonstitutionen dient. Mit anderen Worten: Hirsch­feld sanktioniert keine suppletorische Auffassung der dritten Sexualalternative als Teil einer die Totalität der Geschlechter umfassenden, trinomen Systematik, sondern vertritt ein serielles Verständnis des dritten Geschlechts als Notbehelf, der die prinzipiell unendliche Reihe von jeweils unterschiedlichen Sexualkonstitutionen einleitet.

 

8. Hirschfelds terminologische Verwendung des Begriffes "Lehre der sexuellen Zwischenstufen" bzw. "Zwischenstufenlehre"[22] setzt voraus, daß eine "Lehre" die Phänomene, mit denen sie sich befaßt, zu beschreiben, aber – im Unterschied zu einer "Theorie" – nicht zu erklären vermag. Erkenntnistheoretisch beansprucht die "Zwischenstufenlehre" insofern einen scheinbar bescheideneren Status als den einer Theorie, als es sich dabei nur um "ein Einteilungssystem",[23] um ein "nur als Einordnung gedachte[s] Prinzip[...]"[24] handelt. Davon ausgehend, daß "[d]ie Zahl der denkbaren und tatsächlichen Sexualtypen [...] unendlich"[25] ist, versucht Hirschfeld Ordnung in diese unerschöpfliche Sexualvielfalt zu bringen, aber ohne Anspruch darauf zu erheben, sie zu erklären. Unbeschadet der Tatsache, daß Hirschfeld in anderen systematischen Zusammenhängen durchaus "erklärende" Theorien sexualwissenschaftlicher Phänomene (z.B. der Homosexualität) vertritt, beschränkt sich die Zwischenstufenlehre auf den epistemologisch fundamentalen Status eines deskriptiven Schemas sexueller Distribution, das vom Tatbestand der unendlichen Geschlechtervariabilität ausgeht und die Aufstellung geschlossener Einteilungssysteme der Sexualität verhindert. Ausdrücklich formuliert Hirschfeld, daß "wir [...] nie zwei menschliche Wesen [werden] auffinden können, in denen das Mischungsverhältnis des männlichen und weiblichen Prinzips nach Art und Menge vollkommen übereinstimmt."[26] Wie der in diesem unmittelbaren Zusammenhang bemühte Vergleich der Sexualitätsformen zu den sich alle voneinander unterscheidenden "Blätter[n] an einem Baum" zeigt,[27] gehen Hirschfelds Ausführungen zur Zwischenstufenlehre von der durchgängigen Variabilität der Natur aus, um dann mit sexualwissenschaftlichen Mitteln nachzuweisen, daß diese "Naturanschauung" auch auf dem Gebiet menschlicher Geschlechtlichkeit sich bewährt. Da alle Naturwesen in ihrer materiellen Konkretion sichvon einander unterscheiden, können sie nur unter der Voraussetzung begriffen und klassifiziert werden, daß eine gemeinsame Form aus den in Betracht kommenden Individuen abstrahiert und zur sprachlichen Artikulation gebracht wird. Bezeichnenderweise war es der in den Schriften Hirschfelds stets gegenwärtige Naturforscher Aristoteles, der den fundamentalen Begriff der "Substanz"  dahingehend bestimmte, daß dieser sowohl im Sinne von "Idee" , "Form"  und "Begriff" , die einem "Substrat"  inhärieren, als auch im Sinne von , d.h. von einem konkreten Wesen, in dessen materieller Determiniertheit das Prinzip seiner Individualität liegt, verstanden werden kann. Da nach der aristotelischen Ontologie die Materie eines Seienden von der es gestaltenden Idee nicht durchgängig "in-formiert" wird, konstituiert der materielle Rest, der sich der Prägung durch die allgemeine Form entzieht, die Signatur der unaufhebbaren Individualität eines solchen Seienden. Im Einklang mit dieser letzten "A-logizität" des Individuums (präziser: mit der Unmöglichkeit seiner vollständigen Subsumption unter einen Logos, der die "Idee" oder "Form" artikuliert) steht Hirschfelds Motto in Die Transvestiten: "Es gibt mehr Empfindungen und Erscheinungen als Worte."[28] So unverzichtbar "Worte" bzw. "Begriffe" für die Intelligibilität der Welt auch sein mögen, stoßen sie an die Grenzen ihrer Anwendbarkeit dort, wo das Individuum auf Grund seiner materiellen Konkretion sich der Durchgängigkeit seiner eigenen formellen Determinierung widersetzt. Unbeschadet der Tatsache, daß Hirschfeld darum bemüht war, die "Empfindungen und Erscheinungen" auf dem Gebiet des Sexuellen immer präziser auf den "Begriff" zu bringen, war er sich stets der intrinsischen Grenzen seines Unterfangens bewußt. Der prinzipielle Hiatus zwischen dem letztlich unsubsumierbaren Individuum und der begrifflichen Erfassung der es informierenden "Ideen" indiziert die Unmöglichkeit der restlosen Artikulation der Wahrheit im Bereich der Wissenschaft und läßt zugleich den wissenschaftlichen Fortschritt als eine unabschließbare Annäherung an eine solche Wahrheit begreifen. Von daher wird verständlich, daß Hirschfelds maßgebliche Bemühungen auf dem Gebiet der sexologischen Taxonomie darauf abzielten, die vorliegenden Phänomene immer adäquater zu erfassen, bei gleichzeitiger Wahrung desjenigen Prinzips, das im Motto des Transvestiten-Buches prägnant resümiert wurde. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß Hirschfelds Zwischenstufenlehre in der geschlechtlichen Individualität einen unaufhebbaren Grenzbegriff erkennt, der die Sexualwissenschaft davor bewahrt, fortschreitendes Erkennen mit absolutem Wissen zu verwechseln. Trotz Herzers wortreichen Beteuerungen gilt nach wie vor, daß Hirschfeld – dank seiner "Methodenlehre wissenschaftlicher Forschung"[29] – nie aus dem Auge verlor, daß es keine Wissenschaft vom Individuellen gibt.

 

9. Herzer scheint nicht begriffen zu haben, daß die Ausführungen des Verfassers über "die asymptotische Annäherung an das sexuierte Individuum" keinen nachträglichen Kompromissvorschlag, sondern eine wissenschaftstheoretische Explizierung von Hirschfelds methodischen Voraussetzungen darstellen, denen zufolge die Einsicht, daß die Sexualwissenschaft zu keinem gegebenen Zeitpunkt ihrer Entwicklung imstande ist, das Individuum restlos zu erfassen, die eigentliche Möglichkeitsbedingung ihres Fortschritts konstituiert. Im Gegensatz dazu meint Herzer, daß die Sexualwissenschaft durchaus in der Lage sei, das sexuierte Individuum restlos zu durchleuchten, und phantasiert in dem Zusammenhang über "‚Berührungen‘ zwischen Forschungssubjekt und Forschungsobjekt, zwischen Sexologen und ‚sexuiertem Individuum‘".[30] In zweierlei Hinsicht sind Herzers diesbezügliche Auslassungen völlig irreführend. Zum einen übersieht er, daß, auch wenn man von solchen "Berührungen" ausgehen würde, das real existierende, sexuierte Individuum mit dem Forschungsobjekt des Sexualwissenschaftlers nicht gleichgestellt werden kann, da dieses Objekt epistemologisch erst von der Disziplin konstituiert wird, die es erforscht. Zum anderen postuliert Herzer, daß jede neue Erkenntnis, die sich aus solchen "Berührungen" ergibt, "Momente der ganzen, der, wenn man so will, absoluten Wahrheit [enthält]"[31], und setzt dabei einen linear-kumulativen Wahrheitsbegriff voraus, welcher der Möglichkeit eines jeglicher wissenschaftlichen Revolution zugrundeliegenden Paradigmenwechsels[32] keine Rechnung trägt. In seiner naiv-dogmatischen Argumentation übersieht Herzer, daß Friedrich Engels´ Rekurs auf "Experiment und [...] Industrie"[33] als Praxisformen, die den erkenntnistheoretischen Kritizismus angeblich widerlegen, Herzers eigenem Anliegen deswegen kaum argumentative Unterstützung bieten kann, weil beide Praxisformen auf Wiederholbarkeit angelegt sind und somit als Leitfaden zur Erörterung der Frage nach Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Individuums nicht fungieren können. Wie sehr Herzer der eigentliche Sinn und die Tragweite dieser Grundproblematik entgehen, zeigt sich am deutlichsten, wenn er mit dem Hinweis auf die "Fortschritte der Psychologie und Sexologie" sowie auf die Erfolge der politischen Sexualemanzipation seine Ansicht zu untermauern versucht, daß die Frage nach dem sexuierten Individuum im Sinne von Hirschfelds Zwischenstufenlehre schon längst erledigt sei. Damit blendet Herzer die Tatsache aus, daß die Zwischenstufenlehre als Kernbestand von Hirschfelds Lebenswerk bisher nicht einmal theoretisch rezipiert, geschweige denn praktisch umgesetzt wurde. Da Herzer sich darauf festgelegt hat, daß Hirschfelds Werk "als ein abgeschlossenes Kapitel aus der Geschichte der Sexualwissenschaft"[34] zu gelten hat, ist es nicht gänzlich überraschend, daß er mit systematischer Konsequenz verkennt, daß Hirschfelds Zwischenstufenlehre – über die Befreiung sexueller Minderheiten hinaus – eine radikale Umgestaltung des Selbstverständnisses der vorgeblich "normalen" Mehrheit impliziert. Herzers grundlose Annahme, daß die Geschichte der Sexualemanzipation Hirschfelds Ziele schon längst erreicht und hinter sich gelassen hat, wird nur dadurch erklärlich, daß er um jeden Preis vermeiden will, sich mit der Tragweite und Relevanz von Hirschfelds Lehre über die Zwischenstufigkeit aller Menschen auseinandersetzen zu müssen. Insofern als Herzer die Zukunftsträchtigkeit der Zwischenstufenlehre im Namen seines vordergründigen und dogmatischen Sexualrealismus zu unterminieren sucht, sind die Ergebnisse seiner Beschäftigung mit Hirschfeld wesensmäßig reaktionär.

 

10. Auch wenn Herzer prinzipiell bestreitet, daß es einen von der sexualwissenschaftlichen Systematik uneinholbaren, auf die einzigartige Sexualkonstitution des Individuums zurückzuführenden "Rest" gibt, erscheint ihm selbst diese Leugnung offenbar nicht gänzlich plausibel, da er zugibt, daß die in der wissenschaftlichen Methode angelegten Defizite bezüglich der Artikulation dieses "Restes" durch Rekurs auf die literarische Kunst wettzumachen sind.[35] In der Annahme, daß "die Grenzen der sexualwissenschaftlichen Sprache enger gezogen sein können als die Grenzen der belletristischen Sprache", verspricht sich Herzer von einer "Grenzverschiebung mittels ‚Sprachkunst‘" einen besseren Ausgangspunkt zur Verbalisierung von privaten, unwiederholbaren Erlebnissen. Abgesehen davon, daß es unzulässig ist, die Problematik der kategoriellen Nicht-Subsumierbarkeit des sexuierten Individuums auf die Frage irgendwelcher inkommunikablen Erlebnisse und Erfahrungen reduzieren zu wollen, läßt Herzer in seiner Argumentation ein Mindestmaß an Sachverstand bezüglich der jeweiligen Eigenart von Literatur und theoretischem Diskurs gänzlich vermissen. So spricht er der literarischen Sprache eine größere Eignung zur Artikulierung von sonst "Unaussprechlichem" deswegen zu, weil dort mit den Grenzen der Sprachlichkeit vorgeblich weniger stringent als in der Wissenschaft umgegangen wird. Herzers befremdliche Ansichten über "Literatur" verraten, wie sehr er die eigentümliche Beschaffenheit dichterischer Stringenz bei Sprachdenkern wie Stéphane Mallarmé, Paul Celan oder Zbigniew Herbert verkennt, die – ohne auf den hohen denkerischen Anspruch ihrer Kunst zu verzichten – die Frage nach Artikulierbarkeit des radikal Individuellen zu einem wesentlichen Moment ihrer dichterischen Meditationen erhoben. Des weiteren machen Herzers Auslassungen deutlich, wie leichtfertig er sich darüber hinwegsetzt, daß die abendländische Philosophie – von der griechischen Antike bis hin zu Ludwig Wittgenstein – die Frage nach Individualität und deren sprachlicher Artikulation als eines ihrer Grundthemen betrachtete. Angesichts der bisherigen Äußerungen Herzers zu diesem Fragenkomplex war der Verfasser stets darum bemüht, die schon in Der Tod Adams vertretene These zu verdeutlichen, daß die Individualitätsproblematik bei Denkern wie Max Stirner und Friedrich Nietzsche im Hinblick auf Hirsch­felds Überlegungen über die Sexualkonstitution des Individuums eine überraschende Brisanz erhält. Es ist vielfach nachweisbar, daß Hirschfeld, dessen philosophische Belesenheit außer Frage steht, sich sehr wohl darüber im klaren war, daß das von der Zwischenstufenlehre vorgesehene, prinzipiell unabschließbare Schema sexueller Distribution aufs engste mit der philosophischen Grenz- und Grundfrage nach der Individualität verknüpft ist. Darum hat der Verfasser wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß Hirschfelds distributives Schema der potentiell unendlichen Geschlechter nur unter der Voraussetzung eines reflexiven Verhältnisses der von ihm vertretenen Sexualwissenschaft zur letztlich einzigartigen und darum der kategoriellen Subsumption sich entziehenden Sexualkonstitution eines jeden Menschen begreifbar ist. Es gilt von daher prinzipiell, daß die Frage nach der Sexualindividualität nur im Rahmen einer Sexologie sachgemäß erörtert werden kann, wenn diese in der Lage und bereit ist, stringent und selbstkritisch auf die metatheoretischen Voraussetzungen ihrer eigenen Konstitution einzugehen. Erst eine solche Sexualwissenschaft könnte dazu beitragen, theoretische Maßstäbe für die Produktion und Analyse von literarischen Texten herauszuarbeiten, die sich vor einem Denkhorizont jenseits des binomen Sexualparadigmas entfalten. Nicht von ungefähr konnten Science-Fiction-Autoren wie Joanna Russ,[36] Samuel R. Delany[37] oder Ursula K. LeGuin[38] ihre Sicht auf die sexuellen Übergänge des Menschen dank ihres weitsichtigen Umgangs mit den bisherigen Ergebnissen sexologischer Grundlagenforschung verschärfen. Ihre literarische Produktion mahnt daran, daß eine Kunst, die sich intensiv mit bislang kaum anvisierten Entfaltungsmöglichkeiten humaner Sexualität auseinandersetzt, zu keinem Ersatz für die Defizite sexologischer Denkfaulheit degradiert werden darf.

 

11. Die abschließenden Ausführungen in Herzers dritter Replik stehen im Zeichen seiner oft wiederholten Einschätzung, daß der Nachweis einer messianischen Dimension in Hirschfelds Œuvre für ein besseres Verständnis seiner Zwischenstufenlehre und der damit zusammenhängenden Emanzipationsprogrammatik gänzlich unerheblich sei. Ein solcher Nachweis ist Herzer zufolge "ähnlich irrelevant[,] wie es der Nachweis einer Betätigung Hirschfelds in einer Freimaurerloge wäre oder seine Vorliebe für Schokoladenpralinen."[39] In diesem Zusammenhang fragt Herzer nach den "Intentionen", die den vorgeblich überflüssigen Bemühungen des Verfassers zugrunde liegen, und kommt zu dem erstaunlichen Schluß, daß dieser über die Konstruktion eines jüdischen Messianismus eine Art "Heimholung" des Juden Hirschfeld "ins Judentum" beabsichtigt haben soll.[40] Herzers diesbezügliche Argumentation basiert auf mehreren falschen Annahmen und endet mit einer völlig unakzeptablen Unterstellung. So geht er von der irrtümlichen Prämisse aus, daß der Nachweis einer messianischen Dimension bei Karl Marx oder Hirschfeld implizieren würde, daß der maßgebliche "Ausgangspunkt" im Falle von Marx nicht Hegel und die Franzosische Revolution und im Falle von Hirschfeld nicht August Bebel gewesen sei, sondern in beiden Fällen "die Bibel". Da Herzer mit einer all zu simplen Vorstellung über wirkungs- und rezeptionsgeschichtliche Vorgänge operiert, bedenkt er nicht, daß die biblischen Propheten und manche Vordenker gesellschaftlicher Revolutionen der Neuzeit mit Bezug auf die Radikalität ihrer kritischen Ansprüche und auf die Konzeption der zu verwirklichenden, irdischer Gerechtigkeit in keinem notwendigen Gegensatz zueinander stehen. Zudem bedenkt Herzer nicht, daß auch die von ihm genannten, neuzeitlichen "Quellen" von Marx und Hirschfeld zum Umfeld der folgenschweren Umwandlungen der messianischen Idee gehören, so daß die wirkungsgeschichtliche Frage nicht im Sinne eines Entweder-Oder gestellt werden kann.[41] Obwohl aus den zwei vorangegangenen Erwiderungen des Verfassers klar hervorgeht, daß die Wirkungsgeschichte des Messianismus auch jenseits konfessioneller Kontexte und unabhängig von apologetischen Beweggründen zur Entfaltung kam, findet Herzer weiterhin erwähnenswert, daß aus Hirschfelds Texten keine "jüdisch-messianistische[n] Botschaften" abzuleiten seien, und warnt vor der Gefahr, daß der Ausweis der messianischen Grundstruktur von Hirschfelds befreiungsgeschichtlicher Konzeption als Mittel zur Rechtfertigung einer religiösen Überzeugung eingesetzt werden könnte. Vor diesem Hintergrund überrascht eigentlich nicht, daß Herzer auf die wahrlich wahnwitzige Idee kommt, Max Brods Deutung von Heinrich Heines Œuvre mit der Interpretation des Hirschfeldschen Werkes, die der Verfasser vorgelegt hat, zu parallelisieren, um dann diesem vorzuwerfen, Hirschfeld zum Zweck einer Kryptoapologetik des Judentums mißbraucht zu haben, die den Messianismus des Sexologen als Ausdruck jüdischer Frömmigkeit deuten sollte. Leider hat Herzer aus unerfindlichen Gründen nicht zur Kenntnis genommen, daß Hirschfelds atheistische Haltung, welche zur Kritik und Auflösung der offenbarungsmäßig sanktionierten, binomen Sexualdistribution führt, unmöglich zu einer Apologetik des religiösen Judentums umfunktioniert werden kann.

 

12. Schon in den vorangegangenen Texten des Verfassers, auf die Herzer Bezug nimmt, wurde darauf aufmerksam gemacht, daß Hirschfeld das Christentum offen kritisierte und dennoch die Konfrontation mit dem Judentum, das bekanntlich die theologischen und anthropologischen Grundvoraussetzungen des Christentums prägte, vermied. Im Hinblick auf diese signifikante Zurückhaltung hieß es in der ersten Klarstellung:

"Wenn man bedenkt, daß Hirschfelds historische und politische Sensibilität von seiner Erfahrung als Jude in einem christlichen Umfeld mitgeprägt wurde, dann kann nicht überraschen, daß er es vorzog, keine offene Auseinandersetzung mit den religiösen Prämissen einer Schicksalsgemeinschaft zu unternehmen, um deren Gefährdungen er genauestens wußte, weil sie seine eigene war. Hirschfelds diesbezügliche Reserviertheit ist die des Galut-Juden, die auch bei dem sonst so kritikfreudigen Heinrich Heine feststellbar ist, wenn er in einer "Aufzeichnung" schreibt: 'Niemals von jüdischen Verhältnissen sprechen.'"[42]

Es kann mühelos festgestellt werden, daß es sich bei diesen Ausführungen nicht um die Frage der jüdischen Identität Hirschfelds handelte, sondern um den oft übersehenen Sachverhalt, daß er, der genauestens um die Nachteile der jüdischen Existenz in der Galut (d.h. im Exil) wußte, die aus seinem sexologischen Entwurf resultierende Kritik an Grundprämissen des Judentums in Anbetracht seines antisemitischen Umfeldes nicht explizit artikulierte. Trotzdem kapriziert sich Herzer darauf, den zitierten Satz Heines in Verbindung mit der in dem Kontext überhaupt nicht zur Debatte stehenden Frage nach der jüdischen Selbstidentifikation Hirschfelds zu bringen. Diesen entstellenden Bezug auf die Darlegungen des Verfassers nimmt Herzer zum Vorwand, um die sattsam bekannten Tatsachen abermals mitzuteilen, daß Heine und Hirschfeld verschiedentlich mit der eigenen jüdischen Herkunft und den feindlichen Reaktionen darauf umgingen und daß diese Unterschiedlichkeit darauf zurückzuführen ist, daß in den siebzig Jahren, die Heine von Hirschfeld trennen, "sich die gesellschaftliche und politische Lage der Juden in Preußen [...] radikal verändert"[43] hatte. Es ist auffällig, daß Herzers Ansichten über Hirschfelds jüdische Selbstidentifikation weitgehend mit denen übereinstimmen, die Sophinette Becker in einem 1999 erschienenen Aufsatz über Hirschfeld vertreten hat. Dort setzt die Autorin Hirschfelds "konsequentes Schweigen über seine jüdische Herkunft" als selbstverständlich voraus und bezieht sich auf eine – auch von Herzer zitierte – Stelle in der ersten Erwiderung des Verfassers, wenn sie schreibt: "Auch daß ‚Hirschfelds diesbezügliche Reserviertheit [...] die des Galut-Juden‘ (Bauer 1999:76) sei, halte ich als Erklärung für nicht ausreichend, weil sie auf einen geschichtslosen Diaspora-Begriff rekurriert und die spezifischen Verhältnisse in Deutschland nicht reflektiert."[44] Dem gegenüber muß darauf verwiesen werden, daß die von Herzer geteilte Ansicht Beckers, Hirschfeld habe seine jüdische Abkunft ver­schwiegen, zum einen, eine gänzliche Fehleinschätzung der Lebenslage eines Juden verrät, der als solcher nicht nur von seinen antisemitischen Feinden gemeinhin angesehen wurde und, zum anderen, eine bedauerliche Unkenntnis der maßgeblichen Texte zur Voraussetzung hat, in denen Hirschfeld seine Auffassung vom Judentum thematisierte.[45] Beckers Fehleinschätzung und Unkenntnis wären u.U. zu entschuldigen, wenn sie nicht einen Schritt weiter gegangen wäre und die vom Verfasser angesprochene "Reserviertheit", die Hirschfelds Umgang mit den theologischen Prämissen des Judentums charakterisiert, in ein Verschweigen von Hirschfelds eigener jüdischer Identität verwandelt hätte. In einer merkwürdigen Vorwegnahme der spezifisch Herzerschen Art des ungenauen Lesens übersieht auch Becker, daß es in dem von ihr zitierten Absatz über die Einstellung des Juden in der Galut keineswegs um die Frage der jüdischen Identität geht, sondern vielmehr um Hirschfelds Weigerung, diejenigen Fragestellungen, die den Kern des Judentums tangieren, vor einem nicht-jüdischen, möglicherweise antisemitischen Publikum kritisch zu erörtern. In Anbetracht der Fehlinterpretation des ganzen Passus nimmt nicht Wunder, daß Becker dem Verfasser dann noch vorwirft, mit einem "geschichtslosen Diaspora-Begriff" operiert zu haben. Da die Autorin übersieht, daß der Verfasser in dem Absatz, aus dem sie eine Stelle zitiert, Hirschfelds kritisches Verhältnis zur Religion im Spannungsfeld zwischen Christentum und Judentum behandelt hat, entgeht ihr die Tatsache, daß eine solche zugleich biographische und religionsgeschichtliche Frage nicht unter Rekurs auf die deutsche Sozialgeschichte, sondern unter Berücksichtigung der Art und Weise anzugehen ist, wie das Geschichtsbewußtsein des jüdischen Volkes zwischen der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 und der Gründung des Staates Israel nach der Shoa sich konstelliert hat. Die im Verlauf von beinah zwei Millennien sich gestaltende Erinnerungskultur des Exils zeichnete sich bekanntlich durch eine relative geistige Unabhängigkeit von der Weltsicht und den Sitten der Staatsgebilde aus, in denen die Juden bestenfalls toleriert, schlimmstenfalls Opfer von Pogromen wurden. Wenn es also um die Schilderung der geistigen Haltung eines so kosmopolitischen und geschichtsbewußten Juden wie Hirschfeld gegenüber den "Verhältnissen", aus denen er stammte, geht, ist der Verweis auf die geschichtliche Tiefendimension der jüdischen Exil-Mentalität unerläßlich, welche – trotz aller geographischen, soziologischen und sprachlichen Diversität ihrer Manifestationen – eine geistesgeschichtlich erfaßbare Konstante darstellt.

 

13. Herzers dahingehende Vermutung, daß ein ernsthafter Vergleich zwischen Heinrich Heine und Magnus Hirschfeld "reizvoll und ergiebig" sein könnte, gehört zum Wertvollsten, was seine dritte Replik zu bieten hat, und läßt hoffen, daß ein gründliches Studium von Heines Auseinandersetzung mit der Religionsfrage Herzer eines Tages dazu ermuntern könnte, auf sein etwas schablonenhaftes Verständnis von Hirschfelds Jüdischkeit zu verzichten und sich vorzunehmen, das Kapitel über Judentum in seiner Hirschfeld-Biographie, die schon in zweiter Auflage erschienen ist, neu zu schreiben.[46] Heines philosophische Versiertheit und Reflexivität können in der Tat Sachkomplexe besser begreifen helfen, die bei Hirschfeld oft nur ansatzweise artikuliert werden. Wie kaum ein anderer Autor seines Ranges gewährt Heine Einsicht in die Vielschichtigkeit und Komplexität der Fragen, mit denen ein europäischer Jude im 19. Jahrhundert sich konfrontiert sah, wenn es darum ging, einen post-christlichen Horizont zu anvisieren, der im wesentlichen das Ergebnis eines problematischen und problematisierenden Verhältnisses zum Judentum in einer anti-jüdischen und anti-semitischen Welt war. Insofern als Herzer dazu neigt, eher die Verwicklungen und Brüche von Heine in seiner Auseinandersetzung mit Religion und Judentum als die von Hirschfeld zur Kenntnis zu nehmen, scheint es sinnvoll zu sein, auf die Problematik einer weltanschaulichen und religiösen Einordnung Heines am Leitfaden seiner sogenannten "Variationen" in theologicis einzugehen, nicht zuletzt deswegen, weil diese mutatis mutandis zum besseren Verständnis der theoretischen und lebensgeschichtlichen Eigentümlichkeiten in Hirschfelds Auseinandersetzung mit vergleichbaren Fragen beitragen können. Obwohl jüdisch geboren, besuchte Heine ein von Jesuiten geleitetes Lyzeum und meinte einmal mit Selbstironie, er hätte "die Ernennung zum Papste nicht ausgeschlagen"[47]. Im Jahr 1825 trat er zum Protestantismus über, wünschte sich nach einer Testamentfassung von 1846 im römisch-katholischen Teil des Kirchhofs aus Rücksicht auf seine fromme Frau beerdigt zu werden[48] und deklarierte – nach Vollzug seiner "Heimkehr zu Gott"[49] – in einer Testamentfassung von 1848, daß "après avoir vécu en bon payen, je désire aussi mourir sans que le sacerdoce soit convié à mes funérailles."[50] In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, daß Heines geistige Verfassung in der Zeit unmittelbar nach seinem Beitritt zum Christentum alles andere als die souveräne Indifferenz des zweckmäßig Handelnden war, wie das berühmte Diktum über den Taufzettel als "Entréebillett zur europäischen Kultur"[51] vermuten lassen könnte. Trotz seiner Achtung für die menschliche Größe Jesu war Heines Verhältnis zum Christentum von einer tiefen Abneigung geprägt, wie eine Stelle aus einem drei Monate nach seiner Taufe geschriebenen Brief zeigt: "Ich will ein Japaner werden. Es ist ihnen nichts so verhaßt wie das Kreuz. Ich will ein Japaner werden."[52] Auch das im Jahre seiner Taufe verfaßte Gedicht Almansor läßt Heines Haltung in verfremdeter Form durchscheinen, wenn der muslimische Protagonist Almansor ben Abdullah sich dem Taufritus in dem "Dom zu Corduva", der ursprünglich eine Moschee war, unterzieht und seine eigene Lebenslage mit den Säulen des Gotteshauses vergleicht, die nun sich "in die Zeiten bequem[en]"[53] und "dem verhaßten Christentum"[54] huldigen. Seinem Widerwillen gegenüber dem Christentum entsprechend, beschließt Heine das Gedicht mit der Metapher des Zusammenbruchs des Domes und kündigt somit seine Hauptthese über das nahende Ende des Christentums an. Aus der Sicht der geistesgeschichtlichen Konstruktion Heines in Religion und Philosophie in Deutschland wird die Tatsache, daß der "Talisman" des Kreuzes morsch ist und bald zusammenbricht,[55] als ein wesentliches Verdienst des "providentiellen Mannes"[56] Benedikt Spinoza bezeichnet, auf dem "der Geist der Propheten [...] vielleicht noch [ruhte]"[57] und der – wie "sein göttlicher Vetter"[58] – auch die Dornenkrone trug, denn: "überall, wo ein großer Geist seine Gedanken ausspricht, ist Golgotha."[59]  Trotz seiner Bewunderung für Spinoza wandte sich Heine allmählich auch vom Pantheismus ab. Dies verhinderte aber nicht, daß er – als christlicher Proselyt – von den Juden und – als Verfechter eines philosophischen "Neuheidentums" – von den frommen Christen verworfen wurde. Zudem riskierte Heine in seiner letzten Lebensphase, Anathema auch für den "gesamte[n] hohe[n] Klerus des Atheismus"[60] zu werden. Im Zeichen eines biblisch inspirierten religiösen Gefühls bekannte sich Heine fortan zu einem konfessionsfreien Deismus, vor dem aber die zersetzende Kraft seines jüdischen Humors keinen Halt machte.[61] Die hier skizzierten, "philosophischen und religiösen Variationen"[62] exemplifizieren die stets differierende Positionalität von Heines conditio judaica, die um die kritische Kraft der marginalen, weil "ek-zentrischen" Perspektive weiß, auf die der dichtende Denker – trotz Taufe und wiederholter Sinneswandlungen – nie verzichtet hat. Eine vergleichbare, wenn auch nicht so deutlich zu Tage tretende Bejahung der eigenen conditio judaica in einer gleichermaßen anti-jüdisch geprägten Welt artikulierte gelegentlich auch Hirschfeld vor allem im Zusammenhang mit der Schilderung seines sexualemanzipatorischen Engagements für die Leidtragenden des ideologischen Systems, das Monique Wittig – fast ein Jahrhundert nach Hirschfelds ersten Ausführungen zur Zwischenstufenlehre[63] – als "la pensée 'straight'" charakterisiert hat.[64] Nicht von ungefähr schrieb Hirschfeld schon 1923 "von den beiden Weltsündenböcken, die seit Einführung des Christentums für alles Leid und Unglück dieser Welt verantwortlich gemacht zu werden pflegen, den Juden und den Homosexuellen [...]."[65]

 

14. Heines eindeutig emanzipatorische Geisteshaltung erscheint in emblematischer Form am Schluß der Tragödie Almansor, wenn der Dichter seine Identifikationsfigur Aly um Christi Gnadentrost über die Unbegreiflichkeit von Gottes allmächtigem Willen bitten läßt. Unter Rekurs auf biblische Diktion beschließt Aly das Stück mit den Worten:

"[...] ausgereutet wird

Die Lilje und die Myrte auf dem Weg,

Worüber Gottes goldner Siegeswagen

Hinrollen soll in stolzer Majestät."[66]

Es ist bezeichnend, daß dieser Gott als Chiffre für die geschichtliche Durchsetzung der christlichen Macht fungiert und infolgedessen im Gegensatz zu der Ohnmacht steht, die der Jude Jesus mit dem Leben der Juden unter den Völkern teilte. Vor dem Hintergrund seiner Verwerfung der christlichen Machtkonstellationen ist nicht überraschend, daß Heine zwar mit der künftigen Beendigung des Christentums, aber offenbar nicht mit einem Ende des Judentums rechnete. So äußerte sich Heine in der Denkschrift über Ludwig Börne dahingehend, daß die Welt "vielleicht noch weitere Initiationen von [jüdischen Menschen] zu erwarten"[67] habe. Der Hinweis auf solche "Initiationen" zu Gunsten des geistigen Fortschritts der Menschheit zeugen von dem messianischen Aspekt im Denken Heines, der nicht von ungefähr die deutschen Philosophen seit Schelling als "Justifikatoren dessen, was da ist"[68] bezeichnete. Daß Heines kritische Intentionen sich stets gegen die weltliche Macht des Christentums und seiner säkularen Abwandlungen richteten, bedeutet freilich nicht, daß er sich mit dem Erscheinungsbild des historischen Judentums identifizieren konnte. Dieses Moment von Heines differierender Positionalität kommt in der verfremdeten Darstellung einer mittelalterlichen Disputation deutlich zum Zuge, die zu einer Entscheidung über Taufe oder Beschneidung des besiegten Gegners hinführen sollte. Gegen Ende des Gedichts läßt Heine Donna Blanka – eine königliche Außenseiterin – das 'ästhetische' Urteil über Rabbiner und Franziskaner dahingehend fällen "[d]aß sie alle beide stinken."[69] Nicht unähnlich lautet Heines eigenes Verdikt über den triumphierenden Atheismus seiner Zeit, der "sehr stark nach Käse, Branntwein und Tabak zu stinken"[70] anfing und von dem Heine – der emanzipatorische Ästhet – sich mißlaunig abwandte. Auch wenn Heine als Kritiker von Juden und Christen, Deisten und Atheisten zu einem allseitigen Anathema wurde, läßt er stets seine grundlegende Solidarität mit dem Judentum erkennen.[71] Daran zu erinnern ist im Zusammenhang dieser Ausführungen um so wichtiger, als Herzer die These vertritt, Heine habe seine jüdische Herkunft "in seinen späten Jahren offensiv verleugnet"[72]. Herzer beruft sich auf einen Bericht von Karl Maria Kertneby über ein Gespräch, in dem Heine dem Dichter August von Platen sagen ließ, "er möge mich keinen Juden nennen, ich sei keiner, am allerwe­nigsten einer in seinem Sinne"[73]. Vermutlich wollte Herzer damit auf einen Bericht über vergleichbare Äußerungen Magnus Hirschfelds anspielen, wonach dieser in seinen letzten Jahren sich dagegen gewehrt haben soll, "jetzt Jude genannt und deswegen von den Nazischweinen geächtet und verfolgt zu werden."[74] Wenn man bedenkt, daß die veröffentlichten Schriften von Heine und Hirschfeld dafür bürgen, daß diese Autoren ihr Jude-sein durch Geburt keineswegs verleugneten, ist davon auszugehen, daß sie das auch nicht in Privatgesprächen taten. Die zitierten Stellen berichten auch nicht über eine solche Leugnung, sondern nur darüber, daß diese Autoren es sich nicht gefallen ließen, von ihren Gegnern in diffamierender Absicht Juden genannt zu werden. Man braucht kein Fachmann für deutsche Lexikographie zu sein, um zu wissen, daß das Wort Jude – nicht nur in der deutschen Alltagssprache – häufig als Schimpfwort eingesetzt wird,[75] so daß es nicht Wunder nimmt, wenn Heine und Hirschfeld – ungeachtet ihrer weltanschaulichen und ethnischen Zugehörigkeit und Selbstidentifikation – sich dagegen wehrten, als Juden beschimpft zu werden. Was Herzers grundlose Annahme anbelangt, daß "[d]as Judentum [...] für ihn [d.i. Hirschfeld] in keiner Hinsicht eine Identifikationsmöglichkeit [bedeutete]"[76], sei hier nur darauf hingewiesen, daß Hirschfeld in einem Passus, der als Motto dem Essay Der Tod Adams vorangestellt wurde, mit Bezug auf das jüdische Volk schrieb: "[...] dieses ‚unstet und flüchtig‘ herumwandernde[] Volk[], das nirgends eine eigentliche Heimstätte finden kann und doch überall eine große menschliche Mission erfüllt."[77] In Anbetracht dieser Äußerung des weder religiösen noch zionistischen Juden Hirschfeld kann man über den Leichtsinn von Herzers Behauptung nur staunen, daß das Judentum für Hirschfeld keine Quelle positiver Identifikation bot.

 

15. Die vom Verfasser vorgelegte Deutung des Kerngehalts von Hirschfelds Œuvre versuchte anhand eines Close reading seiner Texte den Nachweis zu erbringen, daß die aus der unerschöpflichen Natur hervorgehenden, potentiell unendlichen Geschlechter die ihnen gemäße Ausgestaltung in Gesellschaft und Kultur erst im Rahmen einer Konzeption von nicht-abschließbarer Befreiungsgeschichte erhalten können, die in der jüdisch-messianischen (und darum nicht christlich-eschatologischen) Auffassung historischen Werdens wurzelt.[78] Aus dieser Sicht erscheinen die Bemühungen um identitätsstiftende Konstruktionen eines wie immer gearteten "dritten Geschlechts" innerhalb eines suppletorischen Schemas sexueller Distribution als theoretisch unzulässig und die Euphorie bei der Einschätzung der sexualemanzipatorischen Errungenschaften auf der Grundlage solcher Geschlechtskonstrukte als sachlich unbegründet.[79] Es muß zusammenfassend gesagt werden, daß Herzer leider das theoretische und emanzipatorische Potential, das im Werke Hirschfelds angelegt ist, mit systematischer Konsequenz übersieht, ja sogar leugnet. Es ist zu vermuten, daß Herzer sich der Zustimmung anderer Autoren sicher sein kann, die in Deutschland die Verantwortung für die Misere der Hirschfeld-Forschung tragen. Diese Diagnose erhält eine unerwartete Bestätigung im Bericht von Arno Orzessek, einem aufmerksamen Beobachter der Konferenz, die im Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien zum Thema Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld im Mai 2003 stattfand. In seinem Artikel für die Süddeutsche Zeitung bemerkt Orzessek die mangelnde Bereitschaft der Konferenzteilnehmer zur theoretischen Auseinandersetzung und präzisierte mit Bezug auf die vom Verfasser vorgetragenen Thesen[80]: "Für Bauer ist Hirschfeld ein ‚messianischer Denker‘, der für die ‚Menschheitsassimilation des Judentums‘ eintritt [...]. Der Ansatz zu einer Gesamtdeutung des Phänomens Hirschfeld wurde erkennbar. Allein, die Konferenz wollte darüber nicht streiten. Man vertiefte sich lieber in den irdischen Helden, der Sex-Spielzeug gesammelt hat, Europas Vortragssäle füllte und in mehreren Romanen auftaucht [...]."[81] Die erstaunliche Unbekümmertheit um die eigentliche Tragweite und Relevanz Hirschfelds, welche die meisten der an der Konferenz Beteiligten an den Tag legten, prägt bedauerlicherweise auch den Ton und Inhalt von Herzers dritter Replik. So notiert er im Rahmen seiner abschließenden Kommentare zu den Hauptthesen des Verfassers: "[Es] besteht auch kein Grund zur Aufregung, denn es ist allemal sympathischer, wenn Hirschfeld mit den Propheten Israels in Verbindung gebracht wird als wenn er ‚der ideologischen Vordenkerschaft des Faschismus‘ überführt wird [...]."[82] Auch wenn es Herzer hoch anzurechnen ist, daß er sich in dem Zusammenhang gegen den Versuch wendet, die vom Humanismus getragene "Eugenik" Hirschfelds in Verbindung mit der Genozidspolitik der Hitlerfaschisten zu bringen, verrät er eine deplacierte und entstellende Sichtweise, wenn er das "Sympathisch-sein" als Maßstab zur Beurteilung des Unterschieds nimmt, welcher zwischen dem vom Verfasser vertretenen Ansatz zur Deutung der messianischen Geschichtsauffassung Hirschfelds und der Assoziierung seiner Eugenik zu den Schandtaten von Mördern besteht. Unfreiwillig ergänzen Herzers unbedachte Schlußbemerkungen den heillosen Spektakel, den ein Großteil der Kommentatoren und Interpreten Hirschfelds in den letzten dreißig Jahren bot. Darüber kann nur die Feststellung trösten, daß Hirschfeld zu den maßgeblichen Sexualdenkern gehört, die ihrer Entdeckung noch harren.

 



[1]    Levi, Primo: Eclissi dei profeti. In: Levi, Primo: Opere. Volume terzo. Racconti e saggi. Introduzione di Pier Vincenzo Mengaldo. Torino: Giulio Einaudi editore, 1990, S. 829

[2]    Cf. Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds. In: 100 Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und herausgegeben von Manfred Herzer. Berlin: Verlag rosa Winkel, 1998, S. 15-45. Mittlerweile ist der Text auch erschienen in: Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus Hirschfelds. In: Seeck, Andreas (Hg.): Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur kritischen Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld. Münster / Hamburg / London: Lit Verlag, 2003, S. 133-155

[3]    Vorausgegangen waren die Repliken: Herzer, Manfred: Hirschfelds Utopie, Hirschfelds Religion und das dritte Geschlecht der Romantik. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 28; Dezember 1998; und Herzer, Manfred: Hirschfeld und das Unaussprechliche. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 31/32, Dezember 1999 / März 2000, S. 47-50

[4]    Cf. Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet. Nachklänge zu J. Edgar Bauers Hirschfeld-Deutung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 33/34, 2002, S. 72-77

[5]    Cf. Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam. Eine zweite Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 33/34, 2002, S. 68-90. Die Angaben zu der ersten Erwiderung des Verfassers lauten: Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch. Eine Klarstellung. In: Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Nr. 29/30, Juli 1999, S. 66-80

[6]    Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 72

[7]    Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 72

[8]    Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 72. Hervorhebung des Verfassers.

[9]    Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 72. Hervorhebung des Verfassers.

[10]  Cf. Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 73

[11]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 72

[12]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 73

[13]  In Der Tod Adams wurde die Auflösungs- und Fiktionalitätsproblematik in §§ 7 und 8 (op. cit., S. 31-38), die Messianismus-Frage in §§ 4 und 9 (op. cit., S. 23-25 und 38-41) behandelt.

[14]  Die Auflösungsfrage wurde in § 4 der ersten Erwiderung (Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch, op. cit., S. 68-69) und in §§ 4, 6 und 7 der zweiten (Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam, op. cit., S. 72-73 und 77-81 ) erörtert. Auf die Messianismus-Thematik wurde in der ersten Klarstellung in §§ 7, 8 und 9 (Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch, op. cit., S. 72-75 ) und in der zweiten in §§ 8 und 9 (Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld: per scientiam ad justitiam, op. cit., S. 83-88) eingegangen.

[15]  Cf. Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfelds "Zwischenstufenlehre" und die "Zwischenstufentheorie" seiner Interpreten. Notizen über eine rezeptionsgeschichtliche Konfusion. In: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum. Redaktion: Manfred Herzer. Berlin: No. 35, April 2004

[16]  Cf. Bauer, J. Edgar: "Ahasverische Unruhe" und "Menschheitsassimilation": Zu Magnus Hirschfelds Auffassung vom Judentum. In: Kotowski, Elke-Vera und Julius H. Schoeps (Hg.): Der Sexualreformer Magnus Hirschfeld. Ein Leben im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Berlin: Be.Bra Wissenschaft Verlag, 2004, S. 271-291

[17]  Cf. Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 73

[18]  Cohen, Hermann: Das soziale Ideal bei Plato und den Propheten. In: Hermann Cohens Jüdische Schriften. Erster Band: Ethische und religiöse Grundfragen. Mit einer Einleitung von Franz Rosenzweig herausgegeben von Bruno Strauß. Berlin: C.A. Schwetschke & Sohn 1924, S. 312

[19]  Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams, op. cit., S. 17-23 [=§§ 2 und 3]

[20]  Hirschfeld, Magnus:  Die intersexuelle Konstitution.  In:  Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, 23 (1923)  S. 23-24.  Das erwähnte Schema befindet sich auf  S. 24.

[21]  Hirschfeld, Magnus: Die intersexuelle Konstitution, op. cit., S. 23

[22]  Cf. Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde auf Grund dreißigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet. I. Band: Die körperseelischen Grundlagen. Stuttgart: Julius Püttmann 1926, S. 548

[23]  Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde, op. cit., S. 599

[24]  Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde, op. cit., S. 548

[25]  Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde, op. cit., S. 599

[26]  Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde, op. cit., S. 599

[27]  Hirschfeld, Magnus: Geschlechtskunde, op. cit., S. 599

[28]  Hirschfeld, Magnus: Die Transvestiten. Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb mit umfangreichem casuistischen und historischen Material. Leipzig: Medicinischer Verlag / Verlag von Max Spohr (Ferd. Spohr), 1910, S. 3

[29]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 74

[30]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 74

[31]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 74

[32]  Zwei Standardwerke zur Erörterung dieser Frage sind: Kuhn, Thomas S.: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Zweite revidierte und um das Postskriptum von 1969 ergänzte Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1978; und Kuhn, Thomas S.: Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte. Herausgegeben von Lorenz Krüger. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1977.

[33]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 75

[34]  Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen. Zweite, überarbeitete Auflage. Hamburg: MännerschwarmSkript, 2002, S. 28

[35]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 75

[36]  Cf. vor allem: Russ, Joanna: The Female Man. New York: Bantam, 1975

[37]  Cf. vor allem: Delany, Samuel R.: Trouble on Triton. An Ambiguous Heterotopia. Hanover and London: Wesleyan University Press, 1976; sowie das "schriftliche" Interview: Delany, Samuel R.: Sex, Race, and Science Fiction: The Callaloo Interview. In: Delany, Samuel R.: Silent Interviews on Language, Race, Sex, Science Fiction, and Some Comics. A Collection of Written Interviews. Hanover and London: Wesleyan University Press, 1994

[38]  Cf. vor allem: LeGuin, Ursula K.: The Left Hand of Darkness. London: Macdonald und Co., 1969

[39]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 75

[40]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 76

[41]  Für eine allgemeine Orientierung in der Frage der politischen Wirkungsgeschichte des Messianismus cf.: Katz, David S. und Richard H. Popkin: Messianic Revolution. Radical Religious Politics to the End of the Second Millennium. New York: Hill and Wang, 1999

[42]  Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch, op. cit., S. 76. Der Beleg der zitierten Heine-Stelle lautet: Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Herausgegeben von Klaus Briegleb. München – Wien: Carl Hanser Verlag, 1976, Band XI: Schriften 1851-1855, S. 639

[43]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 76

[44]  Becker, Sophinette: Tragik eines deutschen Juden. Anmerkungen zu drei politischen Schriften von Magnus Hirschfeld. In: Seeck, Andreas (Hg.): Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur kritischen Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld. Münster / Hamburg / London: LIT, 2003, S. 211. Der Aufsatz erschien zum ersten Mal im Jahre 2000. Die Quellenangabe in der zitierten Passage bezieht sich auf: Bauer, J. Edgar: Über Hirschfelds Anspruch, op. cit., S. 76.

[45]  Cf. dazu den schon zitierten Aufsatz: Bauer, J. Edgar: 'Ahasverische Unruhe' und 'Menschheitsassimilation', op. cit.

[46]  Cf. Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld. Leben und Werk eines jüdischen, schwulen und sozialistischen Sexologen, op. cit., S. 40-55

[47]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 497. In diesem Zusammenhang zitiert Heine das "Sprüchlein":

   "Es ist kein Pfäfflein noch so klein,

   Es möchte gern ein Päpstlein sein -"

[48]  Cf. Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 535: "Obgleich ich der lutherisch-protestantischen Konfession angehöre, so wünsche ich doch in jenem Teile des Kirchhofs beerdigt zu werden, welcher den Bekennern des römisch-katholischen Glaubens angewiesen ist, damit die irdischen Reste meiner Frau, die dieser Religion mit großem Eifer zugetan ist, einst neben den meinigen ruhen können [...]."

[49]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 182

[50]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 537

[51]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 622

[52]  Heine, Heinrich: Briefe. Erste Gesamtausgabe nach den Handschriften herausgegeben, eingeleitet und erläutert von Friedrich Hirth. Mainz: Florian Kupferberg 1948-1957. Bd. I, S. 288 (Brief 132. An Moses Moser). Anstelle des Wortes "Kreuz" steht das übliche Zeichen dafür.

[53]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. I: Schriften 1817-1840, S. 160

[54]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. I: Schriften 1817-1840, S. 159

[55]  Cf. Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 639

[56]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 561

[57]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 562

[58]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 562

[59]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 562

[60]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 182

[61]  Cf. z.B. Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 186

[62]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 448

[63]  Diese Ausführungen befinden sich in: Cf. Ramien, Th. [d.i. Magnus Hirschfeld]: Sappho und Sokrates oder Wie erklärt sich die Liebe der Männer und Frauen zu Personen des eigenen Geschlechts. Leipzig: Max Spohr, 1896, vor allem S. 27

[64]  Cf. in diesem Zusammenhang vor allem die Ausführungen über den "oblique point of view" in: Wittig, Monique: Homo sum (1990). In: Wittig, Monique: The Straight Mind and Other Essays. Boston: Beacon Press, 1992, S. 46-58.

[65]  Hirschfeld, Magnus: Von einst bis jetzt. Geschichte einer homosexuellen Bewegung 1897 – 1922. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Manfred Herzer und James Steakley. Berlin: Verlag rosa Winkel, 1986, S. 126

[66]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. I: Schriften 1817-1840, S. 337

[67]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. VII: Schriften 1837-1844, S. 119

[68]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. V: Schriften 1831-1837, S. 438

[69]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 172

[70]  Heine, Heinrich: Sämtliche Schriften, op. cit., Bd. XI: Schriften 1851-1855, S. 467

[71]Für eine ausführlichere Behandlung der skizzierten Problematik cf.: Bauer, J. Edgar: "Häresie": Religionskritische Thesen zur Auflösung des Begriffs im Geiste des Judentums. In: Pieper, Irene, Michael Schimmelpfennig, Joachim von Soosten (Hrsg.): Häresien. Religionshermeneutische Studien zur Konstruktion von Norm und Abweichung. München: Wilhelm Fink Verlag, 2003, S. 169-188.  

[72]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 76

[73]  Kertbeny, K[arl] M[aria]: Silhouetten und Reliquien I. Erinnerungen an Albach, Bettina, Grafen Louis und Casimir Batthyányi, Bém, Béranger, Delaroche, Hayman, Heine, Petöfi, Schröder-Debrient, Széchényi, Varnhagen, Zsckokke u.s.w. Wien und Prag: Kober und Markgraf, 1861, S. 236. Zitiert auch von: Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 76.

[74]  Die Passage wurde einem anonymen Text entnommen, den Herzer zitiert in: Herzer, Manfred: Magnus Hirsch­feld, op. cit., S. 54. Der vollständige Text lautet: "Ich protestiere dagegen, jetzt Jude genannt und deswegen von den Nazischweinen geächtet und verfolgt zu werden. Ich bin ein Deutscher, ein deutscher Staatsbürger, genau so gut wie ein Hindenburg oder Ludendorff, wie Bismarck und der gewesene Kaiser! Ein ehrlicher Deutscher, in Deutschland von deutschen Eltern geboren! Und mit mir ist geschehen, was ungefähr jedem neugeborenen Kinde in ganz Europa geschieht: Sie werden von den Eltern in eine religiöse Zwangsjacke gesteckt, werden getauft oder beschnitten und sollen im Glauben ihrer Erzeuger großgezogen werden. Weil sich meine Eltern zum mosaischen Glauben bekannten, bin ich mit dem mosaischen Stigma bedacht worden! Werden die Kinder groß und wollen nichts mehr mit Kirchen und religiösen Dingen zu tun haben – das im Geburtsregister eingetragene Stigma werden sie nicht mehr los – das ist nun mein Verhängnis!" (Herzers Quellenangabe ist: Nachlaß Hans Blüher K 14, Berliner Staatsbibliothek).

[75]  Vor dem Hintergrund des pejorativen Charakters, der der Bezeichnung Jude in den verschiedenen europäischen Sprachen beigelegt wird, wird verständlich, daß die nicht-rabbinische Gemeinde der jüdischen Karäer aus Troki 1853 die zaristische Regierung bat, ihnen zu gestatten, sich nicht mehr Juden zu nennen, sondern "‚ussische Karäer alttestamentlichen Glaubens‘, ‚weil sie den Talmud ablehnen und sich durch ihre Lebensweise, Arbeitsamkeit, Ruhe, musterhafte Ehrlichkeit und Kaisertreue von den Juden unterschieden.‘ Die Regierung bewilligte ihnen dieses Recht auch 1863, das bis in die letzten Tage der Zarenregierung bestehen blieb." (Artikel: Karäer. In: Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. Begründet von Georg Herlitz und Bruno Kirschner. [Nachdruck der ersten Auflage: Berlin: Jüdischer Verlag, 1927.] Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag bei Athenäum, 1987. Bd. III, S. 595)

[76]  Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld, op. cit., S. 54

[77]  Hirschfeld, Magnus: Die Weltreise eines Sexualforschers. Brugg (Schweiz): Bözberg 1933, S. 390

[78]  Cf. Cohen, Hermann: Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums. Nach dem Manuskript des Verfassers neu durchgearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Bruno Strauß. 2. Auflage. Leipzig: Fock, 1929. Nachdruck: Wiesbaden: Fourier, 1978, S. 340, wo es u.a. heißt: "Das Jenseits, welches [Platon] dem Guten einräumt, hat nur die Bedeutung eines Jenseits zum Sein der mathematisch-naturwissenschaftlichen Welt. Es bedeutet aber nicht ein Jenseits zur Vergangenheit und Gegenwart der geschichtlichen Erfahrung an der Entwicklung der Völker. Dieses Jenseits aber, im Unterschied vom eschatologischen, ist der klare Sinn der messianischen Zukunft."

[79]  Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: Magnus Hirschfeld's Doctrine of Sexual Intermediaries and the Transgender Politics of (No-)Identity. In: Past and Present of Radical Sexual Politics. Editor: Gert Hekma. Amsterdam: Mosse Foundation for the Promotion of Gay and Lesbian Studies at The University of Amsterdam, 2004, S. 41-55

[80]  Im wesentlichen identisch mit dem abgedruckten Text: Bauer, J. Edgar: "Ahasverische Unruhe" und "Mensch­heitsassimilation", op. cit.

[81]  Orzessek, Arno: Der Gott der Juden küßt nicht. Eine Tagung in Potsdam über den Sexualreformer Magnus Hirschfeld. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 113 vom 17./18. Mai 2003, S. 14

[82]  Herzer, Manfred: Die Auflösung. Das Schweigen. Hirschfeld als Prophet, op. cit., S. 76