J. Edgar Bauer
Visiting Professor, Jain Vishva Bharati University, Ladnun, Rajasthan, India 

WILHELM REICH: ORGANISIERTER MYSTIZISMUS,
GENITALES ELEND UND DIE BEDEUTUNG CHRISTI
*

Hier verfügbar gemacht mit Genehmigung des Autors.
Ursprünglich erschienen in: Bukumatula. Zeitschrift des Wilhelm Reich Instituts.
Herausgegeben vom Wilhelm Reich Institut. Wien:  1, März 2004, S.  4-30.

"Some friend at [a] party mentioned her interest in Krishnamurti and remarked that he was the most Christ-like person she had encountered. Reich's immediate question was, 'If he is Christ-like, why hasn't he been murdered?'"
Ilse Ollendorff Reich: Wilhelm Reich. A Personal Biography. [1]

1.  Unter den Schülern Sigmund Freuds gehörte Wilhelm Reich (1897-1957) - zusammen mit Otto Gross (1877-1920) und Otto Fenichel (1897-1948) - zu einer Gruppe von linksgerichteten Theoretikern, deren Bemühungen um eine Synthese von Psychoanalyse und Marxismus vielfach auf Unverständnis und Ablehnung in beiden Bewegungen stießen. Als der prominenteste Dissident in der Generation von Psychoanalytikern, die erst nach dem Ersten Weltkrieg zum Zuge kam, wurde Reich von Freud bald zurückgewiesen, [2] von der International Psychoanalytical Association im Jahre 1934 ausgeschlossen [3] und von dem kanonischen Freud-Biographen Ernest Jones diffamiert. [4] Zwar Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, [5] wurde Reich  schon 1936 zu einem kompromisslosen Kritiker der  Sowjetunion. [6] Die extrem feindlichen Reaktionen, die Reichs Positionen und Projekte innerhalb der Psychoanalyse und des Marxismus auslösten, trugen maßgeblich dazu bei, ihn als Person und Wissenschaftler in weiteren Kreisen zu diskreditieren. Sowohl sein Anspruch darauf, die orgonische bzw. Lebens-Energie entdeckt zu haben, als auch seine Experimente mit Orgon-Akkumulatoren in den 40er Jahren wurden des öfteren als Nachweis seiner Exzentrik oder gar geistiger Umnachtung gedeutet. Nicht von ungefähr gehört Reich zu den wenigen Autoren, deren Bücher von den Behörden nicht nur in Nazi-Deutschland, sondern auch in den Vereinigten Staaten verboten und verbrannt wurden. In einem Prozess, zu dem die Anwendung seiner viel diskutierten Theorien und angebliche Entdeckungen geführt hatten, wurde Reich zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Kurz vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis erlag er einem Herzinfarkt. Trotz des stets wachsenden Interesses an seinem Werk seit der Studentenrevolte in den 60er Jahren wurde die Tragweite und Relevanz von Reichs Werk für Religionsphilosophie und -theorie bislang kaum gewürdigt. Vor dem Hintergrund der weitverbreiteten Tendenz, Reichs postchristlichen Denkansatz zu übersehen bzw. zu ignorieren, wird hier der Versuch unternommen, die Fundamente von Reichs intrahistorischer, unmystischer Religiosität am Leitfaden der Begriffe "organisierter Mystizismus" [7] und "genitales Elend" [8] kritisch zu beleuchten. In der Hauptsache beziehen sich folgende Überlegungen auf das Buch „Christusmord. Die emotionale Pest der Menschheit“, das Reich zwischen Juni und August 1951 schrieb und erst 1953 veröffentlichte.

2.  Schon vor seiner Emigration nach Amerika im Jahre 1939 hatte Reich eine beeindruckende Anzahl von Werken vorgelegt, zu denen wissenschaftliche Traktate mit Titeln wie "Die Funktion des Orgasmus" (1927), "Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral" (1935) oder "Die Sexualität im Kulturkampf" (1936) gehörten. So nimmt es nicht wunder, dass Reich oft zur Zielscheibe konservativer Kräfte wurde, die darauf absahen, seine unerbittliche Kritik an der abendländischen Auffassung und Ausgestaltung des geschlechtlichen Lebens zum Schweigen zu bringen. [9] Es ist diesbezüglich kennzeichnend, dass eine Zeitungskampagne gegen Reich während seines Exils in Norwegen im Jahre 1940 gestartet wurde, in der u.a. Vorwürfe gegen den "Jewish pornographer" [10] erhoben wurden. Das von seinen Widersachern propagierte, öffentliche Image Reichs kontrastiert jedoch aufs schärfste mit dem biographischen Portrait, das Ilse Ollendorff Reich, seine zweite Ehefrau, nach dem Tod Reichs niederschrieb.- Gleich im Vorwort des Buches hebt sie hervor, dass "Reich detested pornography, dirty jokes, and all perversions of sexuality. I never heard him tell a dirty joke. For him sex and love were one." [11] Diese persönliche Einschätzung entspricht Reichs eigener Betonung der hohen ethischen Ansprüche, nach deren Erfüllung der kritische Sexualforscher trachten soll. So hoffte Reich darauf, dass Anständigkeit und Reinheit künftig ein Gegengewicht zur "emotionalen Pest" bilden würden, die aus der repressiven Kultursublimierung resultiert. [12] Ausdrücklich verwies Reich darauf, dass die unabdingbare Voraussetzung der Arbeit des Psychoanalytikers darin besteht, dass er selber "gänzlich sauber, klarsichtig und orgastisch erfüllt [sei], [dass er] ein gutes Leben führe." [13] Reichs ethische Forderungen, die im Rahmen des gängigen psychoanalytischen Diskurses seiner Zeit sicherlich befremdend anmuteten, basieren letztlich darauf, was Ilse Ollendorff Reich als Reichs "absolute faith in the power of truth to win out in the end" [14] bezeichnet hat. Diesem Vertrauen auf Wahrheit entsprang das Lebensmotto, das Reich vielen seiner Bücher voranstellte: "Liebe, Arbeit und Wissen sind die Quellen unseres Lebens. Sie sollten es auch bestimmen."

3.  Die intellektuelle Entwicklung Reichs wurde von drei Hauptleitungen markiert: (1) Der Bruch mit der Freudschen Psychoanalyse zugunsten seiner eigenen "Charakteranalyse", die Reichs Orgasmustheorie und die Thesen über die soziale Funktion der sexuellen Verdrängung einbezog, (2) die Entwicklung der "Vegetotherapie", einer Technik, die neurotische Symptome im Verhältnis zu deren somatischer Basis setzt und (3) die vorgebliche Entdeckung einer unabhängigen Lebensenergie in der Atmosphäre und in lebendigen Organismen, welche zur Postulierung von Reichs Orgontheorie führte. [15] Vor dem Hintergrund dieser Errungenschaften versuchte Reich in seinem Buch "Christusmord", das er in der letzten und wohl turbulentesten Periode seines Lebens [16] schrieb, die Grundsätze seines Lebensschaffens zusammenzufassen und sie in eine religiöse Dimension zu überführen. Gleich in der Einführung des Buches aber dämpft Reich die Erwartungen des Lesers: "Die Probleme, um die es in CHRISTUSMORD geht, sind die aktuellen Probleme unserer heutigen Gesellschaft. Die Problemlösungen jedoch, die in diesem Buch angeboten werden, sind unausgereift, emotional verschleiert, unzulänglich oder unvollständig." [17] Obwohl das Buch Mängel in der Ausführung aufweist und es letztlich eine mit dem historischen Christentum inkompatible Position vertritt, mahnen sein religiöser Ton und Anspruch an klassische Texte der christlichen Spiritualität wie De Imitatione Christi von Thomas a Kempis, den Reich in seiner umfangreichen Bibliographie erwähnt. Auch wenn die Kreuzigungsgeschichte des Neuen Testaments den historischen Ausgangspunkt von Reichs Meditationen bildet, stellt der Christusmord für Reich kein Geschehnis dar, das sich einmalig vor zwei Jahrtausenden ereignet hatte. Vielmehr gibt es "uns ein Rätsel auf, das die Menschheit zumindest seit Beginn der Geschichtsschreibung beschäftigt." [18] Vor diesem menschheitsgeschichtlichen Horizont hebt Reich die Tragweite seiner eigenen Entdeckung der Lebensenergie im Jahre 1936 hervor [19] und sagt voraus, dass die sogenannte "emotionale Pest", d.h. die "Krankheit" im Inneren des Menschen, der der historische Jesus zum Opfer fiel, erst an dem Tag bekannt und begriffen wird, an dem "dieses Werk die Menschen erreichen wird." [20] Die deiktischen Selbstverweise des Textes, die in Ausdrücken wie "dieser Bericht über den Christusmord" [21] , "diese Zeilen" [22] oder "dieses Buch" [23] enthalten sind, unterstreichen die privilegierte Jetztzeit, in der Reichs rettende Einsichten in Natur und Schicksal des Menschen gewährt werden. Sie implizieren, dass "[d]as ENDE des Christusmordes […] in greifbare Nähe gerückt [ist], nicht als das Reich Gottes, nicht als ein Traum, sondern als eine entscheidende Aufgabe für Generationen von Pädagogen, Psychiatern, Ärzten und Staatsbediensteten." [24] Folgerichtig und im Kontrast zur bisherigen Leidensgeschichte der Menschheit endet das Buch mit der Aussicht auf eine künftige Erfüllung:

 "KULTUR UND ZIVILISATION HAT ES BISHER NOCH NICHT GEGEBEN.  SIE SIND GERADE ERST IM BEGRIFF, AUF DIE BÜHNE DER MENSCHLICHEN GESELLSCHAFT ZU TRETEN.  DAS IST DER ANFANG VOM ENDE DES CHRONISCHEN CHRISTUSMORDES." [25]

4.  Da Kultur die Beendigung des seit Jahrtausenden unausgesetzt begangenen Mordes an der Menschheit voraussetzt, betrachtete Reich es als eine weltgeschichtliche Aufgabe, die abendländische religiöse Tradition von ihrem mörderischen Erbe zu befreien und sie in einer Weise umzuformen, die der Förderung des Lebens dient. Dabei intendiert Reich keine Schaffung einer gänzlich neuen Religion oder Schule der Spiritualität, sondern die Aufdeckung der ursprünglichen Bedeutung des Lebens und der Botschaft Christi, um mit deren Hilfe die grundlegenden theologischen Begriffe der abendländischen Religion neu zu definieren und dementsprechend ihre erlösungsmäßigen Ziele zu transformieren. In Reichs Reinterpretation des Christentums ist "Gott" mit der "Natur" identisch und "Christus", der als "die Verwirklichung des Naturgesetzes" [26] fungiert, wird ermordet, weil er das Leben schlechthin verkörpert. [27] Als Vermittler ist Christus zugleich Menschen- und Gottessohn, da "der Mensch das Kind Gottes und Gott der kosmische Energieozean ist, in dem der Mensch ein winziges flüchtiges Teilchen darstellt, eine Welle, die aus Gott kommt und wieder in ihn zurückkehrt, die wieder in den Großen Vater eingeht." [28] An der Stelle rekurriert Reich indirekt auf das neuplatonische Schema von monos, proodos und epistrophe, um die Idee des Heils im Sinne eines Aktes von kosmischer Reintegration zu verdeutlichen, in dem die Trennung von der ursprünglichen göttlichen Ganzheit bewusst wahrgenommen und somit im Ansatz überwunden wird. [29] Im Vollzug des religiösen Aktes der Selbsterlösung ist entscheidend, dass der Mensch sich nicht an einer einzelnen Welle oder einer ganzen Wellengruppe festhält, sondern jede Welle als ein „sich wiederholendes Ereignis“ [30] begreift: "Wenn du den Ozean nicht kennst, bist du schlicht verloren, wer immer du auch sein magst." [31] Da das göttliche Leben in diesem Zusammenhang sich als ein Prozess von Entstehung aus der Seinsganzheit und Rückkehr zu ihr erweist, ist jeglicher Versuch, das Werden des Göttlichen aufzuhalten oder zu fixieren, mit dem Teuflischen identisch. [32] Insofern als "die Bewegung allein unendlich" [33] ist, darf weder das Göttliche ontologisiert, noch das Individuum verabsolutiert werden. Von daher wird ersichtlich, dass das fundamentale Problem, mit dem sich Christus auseinandersetzt, im "Kampf der Bewegung gegen erstarrte Strukturen" [34] besteht. Seine Kreuzigung (d.h. seine Fixierung an einem Kreuz) war die Reaktion der menschlichen Unbeweglichkeit auf Christi Fortbewegung ins Unbekannte. [35]

5.  Durch die Vorgänge von Entstehen und Vergehen, Nehmen und Geben werden die Individuen in den universellen Fluss des Lebens einbezogen. Wenn der Mensch aber nicht bereit ist, das kosmische Werden für sich zu akzeptieren, und versucht, sich ihm zu entziehen, entwickelt er zwangsläufig einen gepanzerten Charakter, der den Menschen zum Gefangenen seiner selbst macht. In seiner Isolation vermag der Mensch nicht, "DAS TOR ZUM UNENDLICHEN, OFFENEN RAUM" [36] zu finden und seine Liebe wird zu einer eingefrorenen Emotion, die zum strukturellen Hass des Lebens führt. Diese spezifische Perversion der Liebe, die Reich sonst die "emotionale Pest" nennt, konstituiert das charakteranalytische Pendant zum christlichen Sünden-Begriff im Sinne des Teufelswerkes, das die Menschheit auseinanderdividiert. [37] Für jeden Menschen, der in der "Falle" seiner eigenen Panzerung gefangen gehalten bleibt, wird die Ausgestaltung seiner Lebensumstände in Konformität mit dem internalisierten Hass der emotionalen Pest zu einer unabdingbaren Voraussetzung des Überlebens. Trotz seines Wissens darum, dass "außerhalb der Falle, in ihrer unmittelbarsten Nähe, […] das lebendige Leben überall um einen herum ist" [38] , erwehrt sich der Gefangene seiner selbst derjenigen, die auf den Ausweg aus der Falle verweisen. Der Mord an dem um die Existentialnot des Menschen Wissenden, d.h. der Christusmord, ist die kontraproduktive Überlebensstrategie des sich seiner eigenen Entfremdung anheim gegebenen Menschen. In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass Reich die Bibel [39] als das großartigste Buch apostrophiert, das "der Mensch in der Falle […] im Laufe der Jahrtausende" [40] geschaffen hat. Ihre großartige Beschreibung des Verlorenseins des Menschen stößt aber auf Grenzen, wenn es darum geht, Auskunft darüber zu geben, wie die Menschen in die Falle gerieten und wie sie der Falle entrinnen können. Vor diesem Hintergrund hebt Reich hervor, dass nicht einmal Christus "von dem aus Frustration geborenen, strukturellen Hass im Menschen" [41] gewusst hat. Bei aller Liebe zum Menschen war Christus Reich zufolge nicht in der Lage, den Menschen wirklich zu verstehen, da "er von der Pest im Menschen nichts weiß, und zweitausend Jahre lang wird niemand etwas von dieser im Menschen wuchernden Pest wissen." [42] Reichs unausgesprochener Anspruch ist freilich, dass er selbst den Schlüssel zum Verständnis dieser Pest hat und dass infolgedessen die in seinem Buch vermittelten, spirituellen Einsichten denen der Bibel weit überlegen sind. Von der Überzeugung ausgehend, dass die Pest "das Resultat der Vermeidung der Tiefe der Dinge" [43] ist, geht Reich dazu über, den Weg zum "offenen Raum" des nicht entfremdeten, "lebendigen Lebens" zu zeigen. [44]

6.  Die stets hervorquellende Energie des Lebens kulminiert nach Reich in der genitalen Umarmung, die als ein Akt verstanden wird, in dem eine gegenseitige Übertragung von Energie zwischen zwei Liebenden stattfindet. Von daher ist die Liebe aus der Perspektive Reichs keine bloß vergeistigte Metapher, sondern eine konkrete körperliche Funktion, die auf die Herbeiführung des Orgasmus hin angelegt ist: "Der bioenergetische Kern des Lebens und seiner kosmischen Bedeutung ist die Orgasmusfunktion, d.h. die unwillkürliche Konvulsion des gesamten lebendigen Organismus, wenn Mann und Frau in der Umarmung ihre Bioenergie ineinander entladen." [45] Im Gegenzug zur herkömmlichen Beteuerung der christlichen Bibelexegese stellt Reich die These auf, dass Christus den genitalen Charakter der Menschheit offenbart, deswegen, weil er Gott bzw. die Natur als die körperliche Liebe begreifen lehrt, die der gepanzerte Mensch bestrebt ist, in sich selbst zu negieren und in der äußeren Realität zu unterdrücken. Da die Voraussetzung für die vollendete Genitalität Christi in der "Spontaneität seiner Kontaktaufnahme mit allem, was ihn umgab" [46] , in "seinem [...] Gefühl der Einfachheit, Direktheit und Nähe zur Natur" [47] besteht, insistiert Reich darauf, dass es kein zu offenbarendes Mysterium im Kern der Botschaft Christi gibt. Ausgehend von seiner beispielhaften Lebenshaltung kritisiert Reich nicht nur das aus der misslungenen Sublimierung des Geschlechtlichen resultierende, genitale Elend, das die ganze christliche Geschichte prägt, sondern auch das genitale Elend desjenigen gepanzerten Menschen, den Reich "den Ficker" nennt. Da die Kritik an der paulinischen Mystifizierung der körperlichen Liebe Christi keineswegs vom Standpunkt einer von Reich so genannten "Bordellreligion" erfolgt, distanziert er sich ausdrücklich und wiederholt von dem Versuch, "AUS DER LEHRE EINER LIEBE, DIE DIE NATÜRLICHE GENITALE UMARMUNG MIT EINSCHLIESST, EINE RELIGION DER HEMMUNGSLOSEN PROMISKUITÄT HERZULEITEN" [48] , und legt auf die Feststellung wert, dass die "orgastische Potenz" Christi das Gegenteil von dem "hässlichen, leeren, widerwärtigen Akt der Reibung eines kalten Penis an trockenen Vaginalwänden" [49] darstellt. In letzter Instanz konstituiert die das Leben fördernde, weder mystifizierte noch mystifizierende Genitalität Christi das kritische Paradigma, auf dem die sittliche Verwerfung des "schmutzigen Ficks aus dem Nichts und hin zum Nichts" [50] gründet.

7.  Für Reich stellt die uneingeschränkte Annahme der Vergänglichkeit des Lebens eine unabdingbare Voraussetzung für die Entfaltung einer authentischen Religiosität dar, deren Hauptmerkmal darin besteht, dass an die Stelle des phantasierten bzw. ontologisierten "Jenseits" der religiösen Überlieferung "das Reich der inneren Würde und Güte" [51] tritt. Aus der Sicht dieser, die Entfremdung der Religion überwindenden Religiosität existiert die Seele "nach dem Tode nicht in einer umrissenen materiellen Form" weiter, sondern "geht wieder in dem kosmischen Ozean auf, dem 'Königreich Gottes', dem sie entsprungen war." [52] Nach Reichs Überzeugung stimmen diese Ansichten mit der ursprünglichen Botschaft des Gründers des Christentums überein, der eine Religiosität des "Reiches Gottes hier und jetzt" [53] , frei von Geheimnissen, [54] Jenseitigkeit [55] und mystischen Sehnsüchten [56] vertrat. Im Grunde ist Christus für Reich ein Eschatologe der radikalen Diesseitigkeit, der sich weigerte, ins Jenseits oder in die Zukunft das zu projizieren, was dem nicht gepanzerten, genitalen Menschen im hic et nunc erlangbar ist. Reichs diesbezügliche Überlegungen und Spekulationen sind jedoch um so problematischer, als er offen einräumen muss: "Wir wissen nichts über [Christi] Liebesleben." [57] Da die textliche Überlieferung über den historischen Jesus für Reichs theoretische Zwecke sich als wenig ergiebig erweist, rekurriert er auf die charakteranalytische These, dass die von den Evangelien mehrfach bezeugte Herzensreinheit Jesu nur als Folge seines vollkommenen, genitalen Charakters, d.h. seines harmonischen, von den Perversionen der emotionalen Pest unbefleckten Sexuallebens verständlich wird. In diesem Zusammenhang ist Reichs Annahme zu beachten, dass eine Überlieferungszäsur zwischen Jesus und seinen Jüngern zustande kam, als diese realisierten, dass sie nicht in der Lage waren, den Forderungen ihres Meisters gemäß zu leben. Daraufhin verdrängten sie seine Botschaft und kompensierten den Verlust durch die Mystifizierung und Idealisierung seiner Person. Streng genommen war "die Transformierung ins Mystische von all dem, was in der Existenz und den Lehren Christi wirklich war" [58] eine unmittelbare Konsequenz des Entschlusses der Jünger, sich der Lehre ihres Meisters und somit ihres Meisters selbst zu entledigen. Durch den Akt der Vergöttlichung der historischen Gestalt vollzog sich nach Reich der eigentliche Christusmord, denn damit wurde den künftigen Mitgliedern der christlichen Kirche der Zugang zur eigentlichen Lehre ihres Helden auf immer versperrt. Als "Opfer der menschlichen Sehnsucht nach einem Idol" [59] verschwand Christus gänzlich aus der Religion derer, die sich auf ihn beriefen. [60] Folgerichtig lautet Reichs unerbittliche Bilanz: "Die christliche Religion ist eine mystifizierte Religion des Lebendigen, die sich gegen die Wirklichkeit eben dessen richtet, was sie als Ideal repräsentiert und anbetet." [61]

8.  Auch wenn Reich "Mystifizierung, Vergöttlichung, Übertragung und Verklärung" [62] als die geistigen Prozesse aufdeckt, die zur Transformierung des historischen Jesus in den Christus seiner Mörder führten, war Reich weniger an der konkreten Individualität des Religionsstifters, als an der universellen Bedeutung seines Lebens interessiert. In dieser Hinsicht ist es symptomatisch, dass Reich auf Jesus in der Regel nur unter Verwendung seiner messianischen Titulatur verweist: Christus. [63] Dementsprechend nehmen Reichs Beschreibungen von Jesus oft die Züge einer Gegen-Christologie an, in der die traditionelle "Apotheose" des Religionsstifters einer bioenergetischen Reinterpretation unterzogen wird, [64] die - wie ihre Vorlage - sich relativ wenig um Historizität kümmert. Da Reichs Christus sich zunehmend als Illustration eines universellgültigen Prinzips im Kampf gegen stereotypische Feinde ausnimmt, ist nicht überraschend, dass Reich oft den von den Evangelisten verwendeten Topos eines unversöhnlichen Gegensatzes zwischen Christus und den "Schriftgelehrten und Pharisäern" verwendet. So stilisiert Reich "die Schriftgelehrten und Talmudisten sowohl in der jüdischen, als auch in der christlichen Welt" [65] als archetypische Gegner Christi, die ihn ermordeten, weil er seine zugleich revolutionäre und ewig gültige Botschaft von der körperlichen Liebe "nicht in talmudischen Büchern versteckt hat[te]." [66] Auch wenn Reich behauptet, dass "die Talmudisten Gott suchen, indem sie ihn töten " [67] , hebt er gleichwohl hervor, dass "die Kreuzigung Christi […] ein allgemein menschliches, nicht ein speziell jüdisches Problem ist." [68] Da Reich des weiteren meint, dass "die Geschichte Christi ihre gewaltige Kraft nicht aus dem speziellen Schicksal des Menschensohnes, sondern aus ihrer Allgemeingültigkeit bezieht" [69] , fällt es ihm leicht, unter Umgehung der persönlichen Singularität Christi die Idee einer sich stets wiederholenden Erscheinung von Christusgestalten in der Weltgeschichte zu postulieren. [70] In diesem Zusammenhang wird dem historischen Jesus lediglich die Rolle einer eminenten Konkretisierung desselben Lebensprinzips zugewiesen, das den Wandel und die Lehre von Sokrates, Bruno, Savonarola und vielen anderen bestimmte. [71] Angesichts der vielfältigen Äußerungen Reichs, in denen er die weltgeschichtliche Tragweite seines Lebenswerkes und seine Rolle als Opfer der Feinde von Erkenntnis und Wahrheit thematisiert, [72] kann kein Zweifel daran bestehen, dass er sich selbst zu diesen außergewöhnlichen Lehrern der Menschheit zählte.

9.  Obwohl Reichs "Christusmord" als ein Meilenstein der postchristlichen Religiosität angesehen werden kann, ist nicht zu leugnen, dass erhebliche Mängel - vor allem in Hinblick auf die Beurteilung der kulturhistorischen Leistung der Offenbarungsreligionen - dem Buch anhaften. Besonders problematisch in diesem Zusammenhang ist Reichs ambivalente Einschätzung der Rolle, die Judentum und Christentum bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der patriarchalischen Antigenitalität gespielt haben. Von der Prämisse ausgehend, dass "DIE WAHRHEIT ZU BERÜHREN DER BERÜHRUNG DER GENITALIEN GLEICHKOMMT" [73] , geißelt Reich die Verstümmelung [74] und Qual [75] , welche durch die rituelle Beschneidung nach dem mosaischen Gesetz verursacht werden, [76] sowie die christliche Leibfeindlichkeit, die im Verbot enthalten ist: "Du sollst nicht daran rühren - an den Genitalien nämlich." [77] Über diese Kritik hinaus versucht Reich aber, die historischen Bedingungen zu verstehen, die zum jüdischen Gebot und zum christlichen Verbot führten. In zwei bemerkenswerten Passagen, in denen Reich sich mit Moses und dem Apostel Paulus auseinandersetzt, erörtert er die Notwendigkeit der Bekämpfung der von ihm so genannten "Bordell-" [78] bzw. "Fickreligion" [79] , welche das Wesen und das Erscheinungsbild des vor- und parabiblischen Heidentums prägte. Nach Reich waren die monotheistischen Religionen seit Moses unermüdlich danach bestrebt, die unmenschliche Charakterstruktur zu überwinden, "wie sie in den Untertanen der großen patriarchalisch beherrschten Reiche des asiatischen und mediterranen Raums geschaffen worden war." [80] Moses eigener zivilisatorischer Auftrag konnte aber nur dadurch erfüllt werden, dass er die von ihm vorgefundene, entfremdete Charakterstruktur durch eine Ethik aufzuheben versuchte, welche auf "die brutalen Wesenszüge, die sie mit aller gebotenen Strenge und Härte in Zaum zu halten hatte" [81] , zurückgriff. Im Hinblick darauf hält Reich "die Vorschrift der Beschneidung" für geschichtlich berechtigt, obwohl Christus nach seinem Verständnis vor diesem rituellen Eingriff zurückschreckte, da er das Leben Gottes als das "Leben der Natur einschließlich unbeschnittener Genitalien" [82] verstand. Auf eine vergleichbare historische Legitimationsstrategie rekurriert Reich, wenn er meint: "Paulus ist kein Vorwurf daraus zu machen, dass er das grausamste System sexueller Aushungerung einführte, das die Menschheit je ertragen hat. Er war gezwungen, dies zu tun, wollte er die christliche Kirche aufbauen. Er musste das pornographische, obszöne, kranke Bewusstsein der Menschen in bezug auf die Sexualität energisch eindämmen, selbst um den Preis, dass er den wahren Christus damit tötete." [83] In Anbetracht seiner emanzipatorischen Geschichtsauffassung mutet seltsam an, wenn Reich diese Art von Argumentation nicht nur in Verbindung mit der biblischen Vergangenheit, sondern auch im Hinblick auf das zwanzigste Jahrhundert verwendet. So heißt es in einer entscheidenden Passage gegen Ende von "Christusmord": "Die Unterdrückung der Genitalität bei Kleinkindern und Heranwachsenden war notwendig; ihre Abschaffung wäre fatal gewesen […] In der Gesellschaft im Jahre 1930 hätte ein ungepanzertes Kind nirgendwo auf unserem Planeten überleben können." [84] Trotz des sexualrevolutionären Impetus seines Gesamtentwurfes kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Reich an der Stelle gegenüber den sogenannten historischen Notwendigkeiten kapituliert und somit die Glaubwürdigkeit seiner Bemühungen um die Befreiung des "lebendigen Lebens" gefährdet. Reichs unzulängliche Bewältigung des Grundproblems vom "Christusmord" kommt wohl nirgends so deutlich zum Ausdruck, wie wenn er schreibt: "WÜRDE DER MENSCH, SO WIE ER HEUTE IST, GOTT FINDEN UND ERKENNEN, WÜRDE DIES GROSSES UNHEIL ÜBER DIE MENSCHHEIT BRINGEN." [85]

10.  Entsprechend seinem prinzipiellen Anspruch, die Dimension des Diesseitigen in der abendländischen Religion zu ergründen, präsentiert sich "Christusmord" über weite Strecken als eine Studie über die Führer-Problematik, deren Schwerpunkt in der Analyse der psychosozialen Interaktion zwischen Christus und einer Gemeinschaft liegt, die ihn zum Führer machte, obwohl sie weder bereit noch in der Lage war, seine Lehre zu befolgen. Entscheidend in der Argumentation des Buches ist die These, dass Christus sein Schicksal durch die Annahme der Führer-Rolle besiegelte, weil einer wie er, der den Versuchungen der Macht widerstand, die Erwartungen seiner Jünger nie hätte erfüllen können und wollen. Im Gegensatz dazu verraten die Hoffnungen der ersten Christen die Charakterstruktur des "kleinen Mannes" [86] , d.h. des Menschen, der im Konnex der emotionalen Pest lebend, alles Erdenkliche unternimmt, um sich seine Selbstentfremdung verschleiernd zu erhalten. Dazu gehört in erster Linie der Mechanismus der Führer-Mystifizierung, aus der der Christus der Kirche hervorging und die auch beim Aufkommen von Stalins rotem und Hitlers schwarzem Faschismus am Werk war. In Anbetracht der Sehnsucht nach totalitärer Führung, die die bisherige Weltgeschichte religiös und politisch beherrscht, wagt Reich die Prognose, dass der wahre Führer der Zukunft einer sein wird, für den Macht nichts Erstrebenwertes darstellt. Sein unterscheidendes Merkmal wird darin bestehen, dass er sich "weigert, Führer zu sein" [87] , da er "augenblicklich die Gefahr wittern würde, die über jeden Volksführer hereinzubrechen droht, nämlich die Gefahr, bloßes Objekt der Bewunderung und Überbringer der Rettung und Hoffnung für das Volk zu werden." [88] Aus Reichs Kritik an der Führerrolle im Christentum und Faschismus geht hervor, dass der neue Führer eigentlich gar kein Führer sein wird, sondern eher ein geistiger Wegbereiter [89] , der nicht vorgibt, die Menschen retten zu wollen, sondern sich darauf beschränkt, sein eigenes Leben diesen Menschen vorzuleben. [90] So präzisiert Reich: "Es geht nicht darum, die 'Wahrheit zu verkünden', sondern darum, seinem Mitmenschen voraus für die Wahrheit zu leben." [91]

11.  Reich entzieht der "patriarchalischen Struktur" [92] , in der die Mechanismen der Führer-Mystifizierung eingebettet sind, die Existenzberechtigung, indem er der Sexualität eine Wertung zuerkennt, die unabhängig von ihrem Beitrag zur Gattungsvermehrung Bestand hat. Trotz Reichs sexualemanzipatorischer Einsicht, dass "die genitale Umarmung von der Natur und von Gott nicht nur zum Zweck der Fortpflanzung geschaffen wurde" [93] , impliziert die konkrete Ausgestaltung seiner Theorie des genitalen Charakters eine psychosoziale Sanktionierung der heterosexuellen Teleologie, auf deren normativer Geltung ausgerechnet die Etablierung und Konsolidierung des Patriarchats fußt. Auch wenn Reich das Werk von Magnus Hirschfeld [94] und Otto Weininger [95] kannte und darum über deren Theorien bezüglich der sexuellen Zwischenstufigkeit eines jeden Menschen Bescheid wusste, hinterfragte er nie die theoretische Legitimation der Subsumption von Individuen unter die sich gegenseitig ausschließenden Kategorien von "Mann" und "Frau". Von daher ist Reichs Annahme nicht gänzlich überraschend, dass die Heterosexualität die einzige sexuelle Kombinatorik sei, die zum befreienden Orgasmus führen kann. Im Kontext von Reichs Theorie der Lebensenergie kann die Homosexualität folglich nur als ein sekundärer oder abgeleiteter Trieb erscheinen, der als ein perverses Abweichen von der primären Heterosexualität aller Menschen keine vollständige sexuelle Befriedigung gewähren kann. Die autobiographische Vorlage dieser Ansichten bietet Reich in einem Bericht über seine Kindheit, demzufolge Homosexualität für ihn "ein Mysterium [war], wie es das Bordell gewesen war, jedoch mit negativem Vorzeichen." [96] Diese frühe Einstellung Reichs wirkte sich später dahingehend aus, dass er - wie Ollendorff Reich schreibt - "never knowingly accepted a homosexual for treatment" und gesagt haben soll: "Ich will mit solchen Schweinereien nichts zu tun haben." [97] Reichs Biographin vermutet, dass seine moralisierende Haltung gegenüber der Homosexualität "another aspect of some unresolved conflicts in Reich's own character structure" [98] sei. Unabhängig von der Plausibilität dieses Erklärungsversuches ist festzustellen, dass Reich bis zu seinem Lebensende an einem Rousseauistischen Bild vom Menschen und dessen primären Trieben festhielt, das in der Heterosexualität die ursprüngliche und darum naturgemäße Sexualorientierung der Menschheit zu erkennen meinte. [99] Vor diesem Hintergrund musste Reichs Christus, der die in der genitalen Umarmung gipfelnde Liebe Gottes verkörpert, zumVerfechter einer subtilen Form dessen werden, was Adrienne Rich "compulsory heterosexuality" [100] genannt hat. Da Christus bei Reich im Grunde die Inkarnation des heterosexuellen Paradigmas ist, können die Abweichungen von dem Geschlechtlichkeitsideal, das er repräsentiert, nur das Werk seines mythologischen Gegenspielers sein, den die christliche Tradition den Teufel nennt. Es braucht kaum betont zu werden, dass Reichs unkritische Sanktionierung der abendländischen Ideologie der Heterosexualität eine erhebliche Einschränkung seiner sexualemanzipatorischen Programmatik mit sich brachte, insofern als sie keine eigentliche Befreiung der unterdrückten sexuellen Minderheiten bezweckt, sondern sich lediglich darauf beschränkt, für deren Tolerierung oder Heilung zu plädieren.

12.  Wie schon früher gezeigt, diagnostiziert Reich einen weltgeschichtlichen Hiatus im Verhältnis zwischen Christus und Christentum. Während das geschichtliche Christentum für Reich eine Form von "organisiertem Mystizismus" darstellt, die die Überwindung der charakterlichen Panzerungsstruktur des westlichen Menschen verhindert, hebt er die "gewaltigen biophysikalischen Konsequenzen von [Christi] irdischer Existenz und seinen Lehren" [101] hervor. So ist verständlich, dass er dafür eintrat, dass die Kirche "zu dem Christus des Jahres 25" [102] zurückkehre und darüber hinaus der Ansicht war, dass "das Betragen Christi geeignet ist, der Samen einer künftigen Religion zu werden." [103] Anzeichen einer anfänglichen Rückbesinnung auf Christus meinte Reich darin feststellen zu können, dass die von der Kirche eigenmächtig aufgestellte "Gegenwahrheit" dabei war, gegenüber "der vollen Wahrheit über Christus" [104] in den Hintergrund zu treten, und dass eine "neue Reformation" sich ankündigte, die die Kluft zwischen der spirituellen und der biologischen Existenz des Menschen zu überbrücken versprach. Eine solche Überbrückungsfunktion erfüllte vor allem die Orgonomie selbst, welche sich nach Reich von Christentum und Hinduismus nur im Hinblick auf ihre "Konkretheit" unterscheidet und "in keinem fundamentalen Widerspruch zum religiösen Denken steht." [105] Reich behauptet sogar, dass die Orgonomie auf demselben Gebiet wie diese Religionen und "wesentlich tiefer als irgendeine technologische, materialistische oder mechanistische Konzeption der Verwurzelung des Menschen in der Natur" [106] sich entfaltet. In Anbetracht dieser religionsgeschichtlichen Einordnung von seiner eigenen Lehre der Orgonenergie ist die von Ilse Ollendorff Reich vertretene Ansicht befremdend, dass die religiöse Inbrunst, von der viele der im Gefängnis geschriebenen Briefe Reichs zeugen, schwer nachvollziehbar war "in the man who for so many decades of his life had fought very articulately any kind of organized religion." [107] Es ist ausreichend bekannt, dass Reich im Gefängnis Gebete mit Titeln wie "Resurrection = Life is Eternal, Indestructible" oder "Prayer for Self-Realization" [108] niederschrieb und dass er kurz vor seinem Tod in einem Brief an seinen Sohn Peter feststellte, dass "a new, universal faith in Life and Love, comprising all monotheistic beliefs,  races, etc.,  is becoming a dire  necessity  to counterweight and -act the 'Enemy of Man.'" [109] Bei Lichte besehen widersetzen sich die Briefe, Meditationen und Gebete, die Reich im Gefängnis verfasste, weiterhin dem "organisierten Mystizismus", aber sie widersprechen in keiner Weise der Hoffnung auf eine "künftige Religion", von der im "Christusmord" die Rede war. [110] Von daher können die nachweisbare Einheitlichkeit und Kontinuität seiner religiösen Ansichten und Äußerungen als Mahnung daran gelten, dass Reich - nicht anders als Baruch de Spinoza - sich letztlich in der Tradition zweier Vorboten menschlicher Kultur sah: Moses, der Lehrer Israels, und Jesus, der Messias der Völker.

[*  Bis auf wenige erläuternde Änderungen stellt der nachstehende Text die deutsche Fassung eines Vortrages dar, der auf Englisch am 13. Dezember 2003 im Rahmen der 5th Conference of the International Study of Religion in Eastern and Central Europe Association (ISORECEA) zum Thema  “Challenges of Religious Plurality for Eastern and Central Europe” in Lviv, Ukraine gehalten wurde.]

 

Anmerkungen:

[1] Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich. A Personal Biography. With an Introduction by Paul Goodman. London: Elek Books, 1969, S. 40.

[2] Reich sagte in einem Interview: "I had drawn the social consequences of the libido theory. To Freud's mind, this was the worst thing I did." Im selben Interview zitiert Reich Freud, der zu ihm gesagt haben soll: "Ihr Standpunkt hat nichts mit dem mittleren Weg der Psychoanalyse zu tun." [sic!]. (Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud. Wilhelm Reich discusses his work and his relationship with Sigmund Freud. Edited by Mara Higgins and Chester M. Raphael. With translations from the German by Therese Pol. London: Souvenir Press, 1972, S. 43, 52).

[3] Für die Dokumentation bezüglich Reichs Ausschluss aus der International Psychoanalytical Association cf. Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 255-261.

[4] Bezeichnenderweise schreibt Jones in seiner Freud-Biographie, dass Reich "resigned" von der International Psychoanalytical Association (Cf. Jones, Ernest: The Life and Work of Sigmund Freud. Edited and abridged by Lionel Trilling and Steven Marcus. London: Penguin Books, 1964, S. 622), obwohl er eigentlich ausgeschlossen wurde. Reich schildert Jones’ Haltung ihm gegenüber in: Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 8, 12, 51, wenn er schreibt: "I only know that at the Lucerne Congress [Paul Federn] and Jones did all kinds of things. They told people that I was a psychotic, that I was sleeping with many women, and so on."

[5] Im schon zitierten Interview präzisiert Reich: "I was never a communist in the usual sense. I was never a political communist. I would like to have that fully on record. Never. Oh, yes, I worked in the organization. I worked with them." (Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., p. 114).

[6] Cf. das Kapitel über "The Sex-political Furor: 1930-1934" in: Sharaf, Myron: Fury on Earth. A Biography of Wilhelm Reich. London: Andre Deutsch, 1983, S. 160-174; und das Kapitel über "Politik und Antipolitik" in: Laska, Bernd A.: Wilhelm Reich in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, 1981, S. 65-85.

[7] Der Ausdruck wird schon in der Überschrift des sechsten Kapitels ("Der organisierte Mystizismus als internationale antisexuelle Organisation") in Reichs Faschismus-Studie verwendet. (Cf. Reich, Wilhelm: Die Massenpsychologie des Faschismus. 2. Auflage. Köln: Verlag Kiepenheuer und Witsch, 1972, S. 130-153.)

[8] Der Ausdruck "genital misery" wird z.B. in: Reich, Wilhelm: The Murder of Christ. The Emotional Plague of Mankind. New York: The Noonday Press / Farrar, Straus and Giroux, 1971, S. 53 verwendet und wird als  "genitales Elend" übersetzt (Cf. Reich, Wilhelm: Christusmord. Die emotionale Pest des Menschen. Aus dem Amerikanischen von Waltraud Götting. Frankfurt am Main: Zweitausendeins,S. 100). In einem Text aus den Archiven des Orgone Institute behauptet Reich:

"I introduced the concept of neurosis and genital misery into social thinking." (Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 114). Reich benutzt auch den Ausdruck "sexual misery" (cf. z.B.: Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 92, 179, 192), der mit "sexuelle Not" (cf. Reich, Wilhelm: Christusmord, op. cit., S. 162, 303, 322) übersetzt wird.

[9] Reich schildert den Zusammenhang zwischen seiner Forschung und den Verleumdungen über seinen geistigen Zustand folgendermaßen: "Yes. He [Sandor Rado] was the one who started that rumor in 1934. He began the rumor that I was schizophrenic. […] The rumor was that I was in a mental institution. I wasn't. I never was, never have been. […] The rumor preceded me by a year in the United States. Everybody thought that I was psychotic. That was my punishment for the discovery of the orgasm function." (Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 112.)

[10] Cf. Boadella, David: Wilhelm Reich. The Evolution of his Work. London: Vision Press Limited, 1973, S. 8; und Chesser, Eustace: Salvation Through Sex. The Life and Work of Wilhelm Reich. New York: William Morrow&Company, 1973, S. 14.

[11] Ollendorff Reich, Ilse:  Wilhelm Reich, op. cit., S. XX. Ollendorff Reich schreibt zudem: "[…] Reich told [A.S.] Neill that […] drawing-room conversations about nothing were sheer agony for him, they took him out of his sphere of thinking and he could not participate. This was always true for Reich, and was mentioned as a part of his character by many others to whom I talked.  He could not and would not participate in chitchat and small talk." (Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 80-81.)

[12] Cf. Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 35.

[13] Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 107: "completely clean, lucid, and orgastically satisfied, unless he himself lives in a good way."

[14] Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 44.  Dementsprechend notiert Reich in einem Brief, den Reich nach seiner Verurteilung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe schrieb: "[…] I have won the battle against evil […]." (Zit. in: Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 142.)

[15] Cf. Edwards, Paul: Reich, Wilhelm. In: The Encyclopedia of Philosophy. Paul Edwards, Editor in Chief. New York: The Macmillan Company and The Free Press / London: Collier-Macmillan Publishers, 1967, Band 7, S. 104-105; und Chesser, Eustace: Salvation Through Sex, op. cit., S. 18.

[16] Die Behandlung dieser Periode von Reichs Schaffen wird von der akademischen Forschung in der Regel vermieden.  Bezeichnenderweise schreibt Paul Edwards in seinem Enzyklopädie-Artikel über Reich: "What Reich claimed during the third period is of no philosophical interest. If any of the assertions in question were true, they would be of great scientific interest; but, in fact, most professional physicists who have heard of the orgone theory have dismissed it as nonsense. In fairness to Reich it should be added that a really unbiased investigation of his physical theories remains to be undertaken." (Edwards, Paul: Reich, Wilhelm. In: The Encyclopedia of Philosophy. Paul Edwards, Editor in Chief, op. cit., S. 105.)

[17] In den Fällen, in denen die deutsche Übersetzung von Reichs Buch “Christusmord” Nuancen des englischen Originals, die für diese Deutung Reichs von Relevanz sind, unzutreffend wiedergibt, wurden die betreffenden Stellen stillschweigend korrigiert bzw. neuübersetzt. Um den Vergleich mit dem Originaltext Reichs zu erleichtern, werden in den Fußnoten zunächst die bibliographischen Angaben und der Wortlaut der betreffenden Stelle in der englischen Ausgabe erwähnt. Dann folgt die Seitenangabe der deutschen Ausgabe in eckigen Klammern. Die Übersetzung, auf die diese Seitenangaben verweisen, ist folgende: Reich, Wilhelm: Christusmord. Die emotionale Pest des Menschen. Aus dem Amerikanischen von Waltraud Götting. Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1997. Also: Reich, Wilhelm: The Murder of Christ. The Emotional Plague of Mankind. New York: The Noonday Press / Farrar, Straus and Giroux, 1971, S. [IX]: "The problems presented in The Murder of Christ are acute problems of present-day society. However, the solutions of these problems, given in The Murder of Christ are immature, emotionally blurred, insufficient or lacking completeness." [11]

[18] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 6: "represents a riddle which harassed human existence at least over the whole period of written history." [S. 23] An einer anderen Stelle erwähnt Reich eine Periode von achttausend Jahren, in denen der Christusmord fortgesetzt wurde (Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 49).

[19] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 102. [Cf. 180-181]

[20] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 117: "when this writing will reach the people." [206]

[21] Hervorhebung des Verfassers. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit.,S. 142: "this account of the Murder of Christ". [246]

[22] Hervorhebung des Verfassers.  Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 144: "these lines". [249]

[23] Hervorhebung des Verfassers. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 117: "this writing". [206]

[24] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 103: "The ENDING of the murder of Christ is at hand, not as the Kingdom of God, not as a dream, but as a crucial task for generations of educators and psychiatrists and physicians and administrators." [182]

[25] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 223: "Culture and civilization have not been yet. They are just beginning to enter the social scene. It is the beginning of the end of the chronic Murder of Christ." [372]

[26] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. [IX]: "the realization of the Natural Law". [12]

[27] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 43. [Cf. 85]

[28] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 85: "Man is the Son of God, and God is the Cosmic Energy Ocean of which Man is a tiny passing part, a ripple, coming from and going back into God, returning to the Great Father." [151]

[29] Für eine philosophische und religiöse Geschichte und Deutung dieses metaphysischen Grundschemas der Wirklichkeit cf.: Wolfson, Harry Austryn: The Philosophy of the Church Fathers. Faith, Trinity, Incarnation. 3rd edition, revised. Cambridge (Mass.) / London: Harvard University Press, 1976 (insbesondere Part II: "The trinity, the logos and the Platonic ideas"). Eine problemorientierte Einführung ist zu finden in: Armstrong, A.H. (Hg.): The Cambridge History of Later Greek and Early Medieval Philosophy.  Cambridge: Cambridge University Press, 1970 (Part IV: "The Later Platonists" von A.C. Lloyd und Part VI: The Greek Christian Platonist Tradition from the Cappadocians to Maximus and Eriugena" von I.P. Sheldon-Williams).

[30] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 85: "returning event".  [152]

[31] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 86: "If you do not know the ocean, you are just simply lost, no matter who you are." [153]

[32] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 94. [Cf. 167]

[33] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 58: "Motion alone is infinite". [107-108]

[34] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., p. 58: "the conflict of motion against frozen structures." [107]

[35] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 59-60. [Cf. 109-112]

[36] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 4: "the exit into the endless open space". [20]

[37] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 99-100, 180. [Cf. 176, 304]

[38] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., p. 5: "[o]utside the trap, right close by, is living Life, all around one". [22]

[39] Wenn Reich auf die Bibel verweist, meint er nicht die Hebräische Bibel, sondern die aus dem Alten und Neuen Testament bestehende christliche Bibel. Bezeichnenderweise entspricht keine der vier Bibel-Ausgaben, die er in der Bibliographie anführt, der jüdischen Thora.

[40] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 10: "man in the trap […] over the millennia". [31]

[41] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 68: "of the structural hate from frustration within man". [124]

[42] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 71: "he knows nothing about the plague in man and for two thousand years nobody will know about the rampant plague in man". [130]

[43] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 216: "the result of the evasion of the depth of things". [362]

[44] Die Opposition zwischen dem lebendigen und dem gepanzerten Leben entspricht der langen Liste von Gegensätzen, die Reich unter den Überschriften "Schöpferisches Denken " und "Das Pendant des Kleinen Mannes" im Kapitel "Das Pendant des Kleinen Mannes " im Anhang vom Buch "Christusmord" anführt (cf. Reich, Wilhelm:  The Murder of Christ, op. cit., S. 181-183 [Cf. 305-308]). Nicht von ungefähr nimmt Reichs Buch "Rede an den kleinen Mann" (im Sommer 1945 geschrieben) - oft nicht ohne Ironie - viele der Themen vorweg, mit denen er sich später im "Christusmord "-Buch auseinandersetzen wird.  Auch wenn Reich zu dem "kleinen Mann" sagt: "Du gehst am Wesentlichsten treffsicher vorbei, und du bleibst mit Prägnanz am Fehler haften", bietet das Buch am Ende eine hoffnungsvolle Aussicht: "Ich hätte diese lange Rede an dich nicht geschrieben, wenn du nicht tief wärst in deiner Tiefe, kleiner Mann. Ich kenne diese Tiefe in dir, denn ich habe sie als dein Arzt entdeckt, als du mit deinem Kummer zu mir kamst. Und diese Tiefe in dir ist deine große Zukunft!" Die folgende Stelle charakterisiert präzise die welthistorische Perspektive von Reichs "Rede": "Die menschliche Kultur ist noch gar nicht gewesen, kleiner Mann! Wir sind erst im allerersten keimhaften Begreifen der furchtbaren Abirrung und kranken Abartung des Menschentieres. Wie das erste Rad vor Tausenden von Jahren sich zur modernen Diesellokomotive verhält, so verhält sich diese Rede an den kleinen Mann oder eine beliebige anständige Schrift von heute zur kommenden Kultur in 1000 oder in 5000 Jahren.." (Reich, Wilhelm: Rede an den kleinen Mann. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1984, S. 91, 112-113, 97.)

[45] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 25: "The bioenergetic core of life and its cosmic meaning is the orgasm function, i.e., the involuntary convulsion of the total living organism during the embrace of male and female at the discharge of the bioenergy into each other."  [55]

[46] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 24: "immediateness of contact with things". [54]

[47] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 21: "his […] feeling of simplicity, directness and closeness to nature". [49]

[48] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 94: "to create a religion of free-for-all 4-lettering [d.h." fucking" (Anmerkung des Verfassers)] out of a teaching of love which includes the natural genital embrace". [168]

[49] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 96: “an ugly, empty, disgusting act of rubbing a cold penis against dry vagina walls”. [170]

[50] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 96: "the dirty fuck out of nowhere into nothingness". [170]

[51] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 9: "Kingdom of the inner grace and goodness". [29]

[52] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 146-147: "does not persist after death as a shaped form" / "dissipates back into the cosmic ocean, the 'Kingdom of God', from where it came". [253]

[53] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 44: "the reign of God right now and here". [86]

[54] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 20. [Cf. 47]

[55] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 24. [Cf. 54]

[56] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 20 [Cf. 47], sowie die prägnante Formulierung: "Christus erging sich nicht in mystischen Träumen."  /  "Christ did not dream mystical dreams." (Reich, Wilhelm:  The Murder of Christ, op. cit., S. 114. [202])

[57] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 70: "We know nothing about [Christ's] love life". [128]

[58] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 101: "[t]he transformation into the mystical of everything that is real in Christ's existence and teachings". [178]

[59] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 117: "victim of the people's craving for an idol". [206-207]

[60] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 62: "disappeared entirely".  [114]. Der zeitgenössische Religionsphilosoph und christliche Theologe Don Cupitt hat vergleichbare Ansichten vertreten.  Seine Auffassung nach ist  "the New Testament […] the book of the eclipse of Jesus by Christianity." (Cupitt, Don:  After All.  Religion without Alienation. London: SCM Press Ltd., 1994, S. 38.)

[61] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 169: "The Christian religion is a mystified religion of the Living, directed against the very reality of what it represents and adores as an ideal."  [285-286]

[62] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., p. 194: "mystification, deification, transposition and transfiguration". [325]

[63] Für eine der wenigen Stellen, in denen Reich den Nazarener bei seinem Namen nennt, cf.: Reich, Wilhelm: Rede an den kleinen Mann, op. cit., S. 52.

[64] Wie schon angeführt, Christus ist für Reich "the realization of the Natural Law", "the messenger of God on earth" (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. [ix]. [12]), wobei Gott mit der Natur in einer Weise identifiziert wird, die an Baruch de Spinozas Auffassung der natura naturans mahnt. Es ist diesbezüglich bezeichnend, dass Spinoza im "Tractatus theologico-politicus" Christus nicht als bloßen Propheten, sondern als "os Dei", d.h.. als Gottes Mund bezeichnet. (Spinoza, Baruch de: Tractatus theologico-politicus, IV, 50. In: Spinoza: Opera - Werke. Lateinisch und Deutsch. 2 Bände. Herausgegeben von Konrad Blumenstock. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1980, Band 1, S. 148).

[65] Reich, Wilhelm:  The Murder of Christ, op. cit., S. 145: "scribes and Talmudists, in both the Jewish and Christian worlds".  [251]

[66] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 87: "he did not hide […] away in Talmudic books". [155]

[67] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 154: "[t]he Talmudists seek God by killing him". [264]

[68]   Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 133: "[t]he crucifixion of Christ […] is a general human affair, and not specifically Jewish". [231]

[69] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 134: "the story of Christ derives its great power from its universal validity rather than from the particular fate of the Son of Man". [233]

[70] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 86. [Cf. 153]

[71] In einem Brief an seinen Sohn Peter schrieb Reich, dass er "proud to be in the good honorable company of Socrates, Christ, Bruno, Galileo, Moses, Savonarola, Dostojewsky, Ghandi, Nehru, Minscenti, Nietzsche, [and] Luther" war. (Zitiert in: Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit., S. 155.)

[72] Cf. in diesem Zusammenhang Reichs depreziative Äußerungen über "high priests of the 'Science of Living Life'" ["'Hohepriester der 'Wissenschaft vom lebendigen Leben'"] und "Talmudists of the Marxian gospel" ["Talmudisten des marxistischen Evangeliums"] (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 189 und 215 [318 und 360]).

[73] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 192: "to touch the truth is the same as to touch the genitals". [321]

[74] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 36.  [Cf.  73]

[75] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 111. [Cf. 197]

[76] Für Einzelheiten bezüglich Reichs Auffassung der Beschneidung cf.: Reich, Wilhelm: Reich Speaks of Freud, op. cit., S. 28-29.

[77] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 39: "Do not touch it – the genital, namely". [79]. Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 192. [Cf. 321].

[78] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 94: "brothel religion". [168]

[79] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 95: "fucking religion". [169]. In einem ähnlichen Sinne verwendet Reich auch die Ausdrücke "4-lettering religion" (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 213 [357]) und "pernicious philosophy of 4-lettering" (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 188 [316]). Für die Übersetzung von "4-lettering" cf. Fußnote 48.

[80] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 101: "as it had been created in the subjects of the great patriarchal empires of Asia and the Mediterranean Sea". [179]

[81] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 101: "the cruel qualities it had to keep in check with all the severity and brutality it could muster". [179]

[82] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 101: "Life of Nature including uncut genitals and Love of love itself". [179]

[83] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 192-193: "St. Paul is not to be blamed for having introduced the most cruel system of sexual starvation mankind has ever known. He had to if he was to build up the Christian Church. He had to build strong dams against the pornographic, filthy, sick mind of man in sexual matters, even at the price of killing the true Christ." [323]  

[84] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 203: "The genital suppression in infants and adolescents was necessary; its omission would have been fatal […] Unarmored children could not have existed in the society of 1930 anywhere on this planet." [339]  

[85] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 50: "disaster would engulf humanity if man as he is today, would find and know God." [96]

[86] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 65 und 181-183 [Cf. 120 und 304-308].

[87] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 206: "refuse to be a leader". [344]

[88] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 206: "would immediately sense the danger that threatens to engulf every leader of people, namely becoming a mere object of admiration and provider of salvation and hope for the people." [344]

[89] An der Stelle ist von "guide" die Rede (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., p. 214). Die Übersetzung "Begleiter" [357] gibt kaum wieder, was Reich im englischen Original meint.

[90] Cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit.,  S. 124. [Cf. 219]

[91] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 174: "It is not a matter of 'proclaiming truth' but of living truth ahead of one's fellow man."  [294: In der Übersetzung von Götting geht der temporale Charakter des "Vorauslebens" verloren.]

[92] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 53: "patriarchal structure". [100]

[93] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., p. [ix]: "the genital embrace was not created by Nature and God only for the purpose of propagation". [12]

[94] Für Reichs Ansichten über die Sexualwissenschaft, deren prominenteste Vertreter Magnus Hirschfeld (1868-1935) war, cf. Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 97 [cf. 172-173]. Dort schreibt er u.a.: "The sexologists in the beginning of the twentieth century will deal with the perverted sex of man as if it were naturally given. […] They will deal with the homosexuals as a third kind of sex."  Im allgemeinen ignoriert Reich die Tragweite und Relevanz von Hirschfelds "Zwischenstufenlehre", die zur Postulierung einer potentiell unendlichen Anzahl von Sexualitäten führt. Cf. dazu: Bauer, J. Edgar: Der Tod Adams. Geschichtsphilosophische Thesen zur Sexualemanzipation im Werk Magnus  Hirschfelds. In: 100 Jahre Schwulenbewegung. Dokumentation einer Vortragsreihe in der Akademie der Künste. Ausgewählt und herausgegeben von Manfred Herzer. Berlin: Verlag rosa Winkel, 1998, S. 15-45; und Bauer, J. Edgar: "43 046 721 Sexualtypen" Anmerkungen zu Magnus Hirschfelds Zwischenstufenlehre und der Unendlichkeit der Geschlechter. In: Capri. Herausgegeben vom Schwulen Museum. Redaktion: Manfred Herzer. Berlin: No. 33, Dezember 2002, S. 23-30. Der erste Aufsatz ist auch erschienen in: Seeck, Andreas (Hg.): Durch Wissenschaft zur Gerechtigkeit? Textsammlung zur kritischen Rezeption des Schaffens von Magnus Hirschfeld. Münster / Hamburg / London: Lit Vlg., 2003, S. 133-155.

[95] In seiner Autobiographie verweist Reich direkt und indirekt wiederholt auf Weininger. Cf. Reich, Wilhelm: Leidenschaft der Jugend. Eine Autobiographie 1897-1922. Herausgegeben von Mary Boyd Higgins und Chester M. Raphael. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1994, S. 26, 99, 104, 108, 116, 124, 142, 156, 173, 185, 189, 195-196, 203-204, 209. In seinem Hauptwerk "Geschlecht und Charakter" formuliert Weininger die These: "Es gibt unzählige Abstufungen zwischen Mann und Weib, 'sexuelle Zwischenformen'." (Weininger, Otto, Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung [1903]. Im Anhang Weiningers Tagebuch, Briefe August Strindbergs sowie Beiträge aus heutiger Sicht von Annegret Stopczyk, Gisela Dischner und Roberto Calasso. München: Matthes & Seitz Verlag, 1980, S. 9.)

[96] Reich, Wilhelm: Leidenschaft der Jugend, op. cit., S. 62.

[97] Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 83. An der Stelle wird  Reich auf Deutsch zitiert.

[98] Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 83.

[99] Im Hinblick auf seine Auffassung von der primären Heterosexualität und den sekundären Perversionen stellt Reich einen Rückschritt gegenüber Freuds Konzeptualisierung des Zusammenhangs zwischen dem Unbewussten und der wesentlichen Instabilität der heterosexuellen Objektwahl dar. Für eine emanzipatorische Radikalisierung von Freuds Sicht der Homosexualität cf.: Hocquenghem, Guy: Le désir homosexuel [1972]. Préface de René Schérer. Paris: Fayard, 2000; und Mieli, Mario: Elementi di critica omosessuale [1977]. A cura di Gianni Rossi Barilli e Paola Mieli. Milano: Feltrinelli Editore, 2002.

[100] Der Begriff wurde von Adrienne Rich in ihrem nun klassischen Essay "Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence" (1980) geprägt, der in ihrer Textsammlung enthalten ist: Rich, Adrienne: Blood, Bread and Poetry. Selected Prose 1979-1985. London: Virago Press, 1987, S. 23-75.

[101]   Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 53: "the tremendous biophysical implications of [Christ's] earthly being and his teachings". [99]

[102] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 196: "to Christ of 25 A.D".  [328]

[103] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 92: "Christ’s ways lend themselves as the seeds of a future religion." [165]

[104] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 180: "the full truth about Christ". [303]

[105] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 200: "basically not in disagreement with religious thought". [335]

[106] Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 200: "far deeper than any technological, materialistic or mechanistic conception of Man's roots in Nature." [335] Für Reich ist die Natur "functional and not mechanical", darum lehnt er die "mechano-rationalistic view" ab, die von der "mechano-mystical civilization" vertreten wird (Reich, W.: The Murder of Christ, op. cit., S. 2, 3, 9. [17, 18, 28]).

[107] Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit, S. 156.

[108] Cf. Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit., S. 156.

[109] Zitiert in: Ollendorff Reich, Ilse: Wilhelm Reich, op. cit., S. 155.

[110] In dem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass das "Christusmord"-Buch eine alternative Version von "the prayer on the mountain" (d.h. dem Vaterunser) nach Mattheus 6:10-13 enthält, deren Anfang lautet: "Our Love-Life who art from heaven" und mit den Worten endet: "And lead us not into distortion of love / But deliver us from our perversions." (Reich, Wilhelm: The Murder of Christ, op. cit., S. 41 [81-82])  Entsprechend den von Reich getroffenen Vorkehrungen wurde keine religiöse Zeremonie anlässlich seines Begräbnisses abgehalten. Nur eine Schallplatte mit Schuberts Ave Maria, gesungen von Marian Anderson, wurde aufgelegt. Die kurze, gegen Ende der Zeremonie gehaltene Lobrede schloss mit Reichs Version des Vaterunsers (cf. Ollendorff Reich, Ilse: W. Reich, op. cit., S. 159).