RESOLUTION:
SEXUALSTRAFRECHT


Der Kongress der W. L. S. R. in Kopenhagen fordert die Gesetzgebungen aller Länder auf, in ihren Strafgesetzbüchern den Forschungsergebnissen der Sexualwissenschaft Rechnung zu tragen, wie dies in der Sexualstrafgesetzgebung der Sowjetunion und zum Teil im Entwurf zum Tschechoslovakischen Strafgesetzbuch bereits geschehen ist.
Der Kongress tritt dafür ein, dass zu den Vorbereitungen der Gesetzbestimmungen in Fragen des Sexualstrafrechts wirkliche Fachleute, also Sexualwissenschaftler und Sexualreformer hinzugezogen werden.
Noch immer herrscht die Gepflogenheit, dass in Strafprozessen, die sexuelle Delikte zum Gegenstand haben, Nervenärzte und Psychiater als Sachverständige zugezogen werden, die nicht sexuologisch vorgebildet sind. Die Sexualwissenschaft, obzwar mit jedem Zweig der Medizin verwandt, stellt eine Einheit dar, die nur von Fachwissenschaftlern, Sexuologen, beherrscht wird.
Der Kongress beschliesst, darauf hinzuwirken, dass von den Gerichten aller Länder in sexuellen Strafsachen lediglich Sexuologen als Sachverständige zugezogen werden.


RESOLUTION ZUR REFORM DES DEUTSCHEN
SEXUALSTRAFRECHTS


Angenommen von dem Internationalen Kongress der Weltliga für Sexualreform auf wissenschaftlicher Grundlage zu Kopenhagen am 4. Juli 1928.

Als Fachleute auf dem Gebiete der Sexualwissenschaft, die wir uns, sei es als Aerzte, Juristen, Volkswirte oder Lehrer seit Jahrzehnten mit diesen Fragen beschäftigen und Erfahrungen in unseren verschiedenen Herkunftsländern gesammelt haben, kommen wir zu dem Ergebnis:
Der deutsche Strafgesetzentwurf von 1927 behandelt die Sexualdelikte und die mit diesem Komplex im Zusammenhang stehenden Tatbestände in einer Weise, die dem Stande der medizinischen Wissenschaft am Ausgang des 18. Jahrhunderts entspricht. Ebensowenig wie die Erkenntnisse der fortschreitenden medizinischen Wissenschaft in diesem Gesetzentwurf berücksichtigt worden sind, haben sich die Verfasser des Entwurfs von den Erkenntnissen der Soziologie beeinflussen lassen. Eine solche Gesetzgebung steht mit den Interessen der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes naturgemäss in einem unlösbaren Widerspruch. Der Internationale Kongress für Sexualreform auf wissenschafdicher Grundlage erwartet daher, dass der deutsche Reichstag einer solchen Regelung nicht zustimmt, sondern eine Gesetzgebung auf diesem lebenswichtigen Gebiet vornimmt, die dem gegenwärtigen Stande der Sexualwissenschaft, der Sexualbiologie und der Sexualpsychologie entspricht und ebenso die Erkenntnisse der Soziologie berücksichtigt.
Der internationale Kongress für Sexualreform weist den deutschen Gesetzgeber darauf hin, dass die Verfasser des Entwurfs die Vorschläge, die der von der eigenen Behörde, dem Reichsjustizministerium herangezogene Sachverständige Professor Mittermaier bereits vor dem Kriege in der grossen vergleichenden Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts
gemacht hat, in wesentlichen Punkten nicht berücksichtigt haben, ebenso wenig das Material des Professor Mittermaier, das im Anhang der Begründung des Entwurfs beigegeben ist.
In rechtsvergleichender Hinsicht hebt der Kongress für den deutschen Gesetzgeber hervor, dass eine Reihe von strafbaren Tatbeständen, die das geltende deutsche Recht auf dem Gebiete der Geschlechtshandlungen kennt und die der Entwurf beibehalten, ja zum Teil erweitert hat, in den Strafgesetzbüchern anderer Völker seit längerer Zeit fehlen, ohne dass die Volkskraft jener Nationen dadurch gelinen hätte. Die deutsche Strafgesetzgebung - sowohl das geltende Recht wie der Entwurf - bestrafen noch Geschlechtshandlungen unter Erwachsenen, deren Strafbarkeit unter dem Einfluss der Ideen der grossen französischen Revolution der französische Gesetzgeber bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts aufgegeben hat. Dem französischen Beispiel sind eine Reihe von romanischen Staaten gefolgt. Aber auch die Gesetzgebung einer Anzahl Staaten mit überwiegend germanischer Rechtsentwicklung lässt inbezug auf die Geschlechtshandlungen Tatbestände straffrei, die nach deutschem Recht strafbar sind und nach dem Entwurf auch in Zukunft strafbar bleiben sollen.
Insbesondere lenkt der Kongress die Aufmerksamkeit des Deutschen Reichstags auf die Tatsache, dass der sowjetrussische Gesetzgeber auf dem Gebiete der Sexualhandlungen mit einer geringen Anzahl von Strafbestimmungen auszukommen versucht und auf die weitere Tatsache, dass die Volksvermehrung in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken gerade unter der Geltung dieser Sexualgesetzgebung eine sehr günstige, der Ge-burtenüberschuss ein hoher, die Frauensterblichkeit eine äusserst geringe ist. Der hervorragende italienische Kriminalist und Gründer der Soziologischen Strafrechtsschule Enrico Ferri hat (vergl. die Zeitschrift "Die Justiz", Aprilheft 1928) das neue Sowjetstrafgesetzbuch von 1926 als einen wesentlichen Fortschrift auf dem Gebiete der Strafgesetzgebung anerkannt und sein fachkundiges Urteil dahin abgegeben, dass die anderen Staaten früher oder später durch die wirtschaftliche Entwicklung gezwungen sein werden, dem Beispiel der Gesetzgebung der U. d. S. S. R. zu folgen. Auf dem Gebiete des Sexualstrafrechts, über das der Internationale Kongress für Sexualreform ein fachkundiges Urteil abzugeben vermag, stimmt der Kongress der Ansicht des italienischen Forschers durchaus bei.
Der Kongress empfiehlt daher dem Deutschen Reichstag, das sowjetrussische Sexualstrafrecht inbezug auf den geringen Umfang und den Inhalt der Tatbestände zum Vorbild zu nehmen und nach dem Beispiel des sowjetrussischen Zivilrechts die Auflösung der Ehe zu erleichtern, vor allem aber gleichzeitig mit den technischen Einrichtungen und Mitteln eines europäischen Landes sozialpolitische und sozialhygienische Massnahmen zur Bekämpfung der Ursachen und zur Vorbeugung und Heilung von Schäden durch asoziale Geschlechtshandlungen zu treffen.
Der Kongress wünscht, dass die kommende deutsche Sexualgesetzgebung in Uebereinstimmung mit den Fortschritten der internationalen - insbesondere auch der deutschen - Sexualwissenschaft steht.

Felix Halle    Magnus Hirschfeld          Max Hodann
Auguste Kirchhoff    Hertha Riese              Helene Stoecker
    (Deutschland)

Hugo Bondy           O.  Lampl
    (Tschechoslowakei)

Norman Haire           Merrit Hawkes
    (England)

    Pasche-Oserski
    (Sowjet-Union)

    Fritz Brupbacher
    (Schweiz)

    J. H. Leunbach
    (Dänemark)

Josef K. Friedjung               Klarfeld
    (Oesterreich)


ALLGEMEINE RESOLUTION:

Der internationale Kongress für Sexualreform auf sexualwissenschaftlicher Grundlage, der vom 1. bis 5. Juli 1928 unter zahlreicher Beteiligung von Vertretern vieler Kulturstaaten stattfand, fordert die gesetzgebenden Körperschaften, die Presse und die Bevölkerung aller Länder auf, dahin zu wirken, dass aus den Forschungsergebnissen der biologischen, psychologischen und soziologischen Sexualwissenschaft die praktischen Folgerungen für die Beurteilung und Neugestaltung des menschlichen Geschlechts- und Liebeslebens gezogen werden.
Die Menge der Menschen, die einer falschen Geschlechtsmoral, sexueller Unwissenheit und Unduldsamkeit zum Opfer gefallen sind und noch täglich fallen, ist ausserordentlich gross.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass die einzelnen Sexualfragen (Frauenfrage, Ehefrage, Geburtenfrage, Eugenik, Fragen der Eheuntauglichen und Unehelichen, die Prostitutionsfrage, die Frage der sexuellen Anomalien, Sexualstrafrecht, Sexualerziehung) einer Überprüfung nach einheitlichen natürlichen Gesichtspunkten unterzogen und im Sinne der Sexualwissenschaft geregelt werden.

ALS WICHTIGSTE FORDERUNGEN seien u. a. hervorgehoben:

  1. Politische,  wirtschaftlich und  sexuelle  Gleichberechtigung der Frau.
  2. Befreiung der Ehe (besonders auch der Ehescheidung) von kirchlicher und staatlicher Bevormundung.
  3. Geburtenregelung im Sinne verantwortungsvoller Kinderzeugung.
  4. Eugenische Beeinflussung der Nachkommenschaft.
  5. Schutz der unehelichen Mütter und Kinder.
  6. Richtige Beurteilung der intersexuellen Varianten, insbesondere auch der homosexuellen Männer u. Frauen.
  7. Verhütung der Prostitution und der Geschlechtskrankheiten.
  8. Die Auffassung sexueller Triebstörungen, nicht wie bisher als Verbrechen, Sünde oder Laster, sondern als mehr oder weniger krankhafte Erscheinungen.
  9. Ein Sexualstrafrecht, dass nur wirkliche Eingriffe in die Geschlechtsfreiheit einer zweiten Person bestraft, nicht aber selbst in Geschlechtshandlungen eingreift, welche auf den übereinstimmendem Geschlechtswillen erwachsener Menschen beruhen.
  10. Planmässige Sexualerziehung und Aufklärung.




La kongresanoj vizitantaj la urbodomo de Kopenhago.
Supre: Wölffel, S.ino Wölffel, Dr. Krische, Dr. Lampl, Karl   Giese, Dr. Haire, Dr. Kempeneers, Greitz, S.ino Götz, Dr. S.ino. Fink, Fraulino  Lampl, S.ino Hodann, Fr. Turville-Petre, Hubert Duncombe.
Meze: Dr. Klarfeld, S.ino Holm, Prof. Swoboda, Dana studento, Pasche-Oserski, Dr. Handtmann, Lindberg, Dr. Bratt, Karger, Dr. Meng, Dr. Bondy, Rita Bardenheuer, S.ino Merrit  Hawkes.
Malsupre: Germana junulo, Dr. Götz, S.ino Kirchhoff, Fraulino Ammundsen, Magnus Hirschfeld, Madame Stella Croissant, Dr. Brupbacher, Prof. Halle, Dr. Leonhard, Elise Ottesen-Jensen, Dr. Hodann, 2 germanai  junuloj, Dr. Rosenthal, Germana junulo.