Ursprünglich
erschienen in: E.J. Haeberle u. R. Gindorf, Hrsg., Stuttgart, 1994, S. 156-165
Jay Paul San Franciscos «Bisexual Center» und der Beginn der Bisexuellenbewegung Inhalt:
Die Geschichte des «Bisexual Center» in San Francisco spiegelt viel von dem sexuellen Diskurs wieder, der in den USA der siebziger Jahre mit dem organisierten Kampf für die Rechte sogenannter «sexueller Minderheiten» begann. Die Entstehung und endliche Schließung des «Bisexual Center» werden am ehesten in diesem historischen Kontext verständlich. Es entstand in einer Dekade, die für die Entwicklung der schwulen, lesbischen und bisexuellen Gemeinschaften bedeutsam war. Am Anfang stand eine Rebellion der Kunden in einer New Yorker Schwulenbar gegen Polizeirazzien (später als «Sto-newall-Aufstand» berühmt); am Ende stand die beginnende Bedrohung durch AIDS. Die erste Bisexuellen-Gruppe hatte es schon in New York gegeben - das durch Chuck Mi-shaan gegründete «Bisexual Forum», aber in San Francisco entstand die erste Organisation mit eigenen Räumen und eigenen Dienstleistungen. Sie wurde zum Modell und Sprungbrett für viele andere in der Bisexuellenbewegung. Das «Bisexual Center» San Franciscos wurde 1976 von Maggi Rubenstein und Harriet Leve gegründet und 1985 geschlossen. In den Jahren seines Bestehens hatte es eine bedeutende Wirkung: Es schuf ein Gefühl bisexueller Zusammengehörigkeit, unterrichtete die Allgemeinbevölkerung und die Fachwelt über Bisexualität, konfrontierte die schwule und lesbische Gemeinschaft mit ihrer Tendenz, die Bisexuellen wegzuleugnen, erzeugte verschiedene neue Organisationen (einschließlich politischer Aktionsgruppen) und änderte das Leben vieler Frauen und Männer, die sich durch die Heterosexuellen und Homosexuellen gleicherweise maginalisiert gefühlt hatten. Seine Geschichte ist die einer Organisierung und Mobilisierung vieler durch eine relativ kleine Gruppe von Individuen, die entschlossen waren, ein bisexuelles Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, so wie es vorher schon durch und für die Schwulen geschehen war.
Die siebziger Jahre: Eine Dekade des Diskurses über sexuelle Sitten und Lebensstile
Die siebziger Jahre erlebten das Aufblühen einer für alle mehr und mehr sichtbaren Schwulenbewegung. Das frühere Zerrbild einer Art Unterwelt wurde ersetzt durch das einer schwulen Gemeinschaft mit eigener Kultur, Geschichte, Sozialstruktur und Politik. Die frühe Schwulenbefreiungsbewegung war vom Diskurs vorausgegangener, ähnlicher Bewegungen beeinflußt, besonders durch den der Frauenbewegung. Zuerst glaubte man am Anfang einer neuen, großen sozialen Umwälzung zu stehen. Diese würde einen neuen, sozial feinfühligeren, androgynen Menschen produzieren, der sich nicht durch seine Grenzen, sondern durch seine expandierenden Potentiale definieren würde. Altman sprach eine damals typische Überzeugung aus: «Wer von Schwulenbefreiung spricht, muß mehr meinen als nur eine Überprüfung von Einstellungen gegenüber der Homosexualität. Die Befreiung des Homosexuellen kann nur erreicht werden im Kontext einer viel breiteren sexuellen Befreiung» (1971, S. 70). Die Frauenbewegung hatte die Organisationsstruktur westlicher Gesellschaften in Frage gestellt, die ja eine Dichotomie der männlichen und weiblichen Geschlechtsrollen einschloß. Die «sexuelle Revolution» - teilweise durch technischen Fortschritt in der Geburtenkontrolle beschleunigt - hatte zu einer Diskussion darüber geführt, wie man das Sexuelle und Erotische ins Alltagsleben integrieren könnte. Die Schwulenbewegung der ersten Jahre «nach Stonewall» griff diese Argumente auf und unterstrich den Zusammenhang zwischen der individuellen Akzeptanz traditioneller Geschlechtsrollen und der sozialen Akzeptanz der Homosexualität. Das anfängliche Ideal war dies: Alle Menschen würden sexuell befreit sein, d. h. befreit von den Fesseln einer engen Geschlechtsrolle und sexuellen Orientierung. Sie würden lieben wen und wie sie wollten (Orlando 1984). Aktivisten erwarteten, daß die Kategorien «heterosexuell» und «homosexuell» ihre Macht verlieren würden, sich gegenseitig auszuschließen und Menschen, Gefühle und Verhaltensweisen zu polarisieren. Der neue Ausdruck «gay» war daher grundsätzlich verschieden von dem früheren Ausdruck «homosexuell»: «<Homosexuell> ist das Etikett, das man benutzt hat, um uns vom Rest der Menschheit zu trennen . . . <Gay> ist der Name, den wir uns selber gegeben haben um uns daran zu erinnern, daß unser Bewußtsein von unseren sexuellen Fähigkeiten uns nicht einengt, sondern vielmehr befreit. Es sagt uns, daß wir fähig sind, jemanden vom gleichen Geschlecht zu lieben . . . Aber das Etikett begrenzt uns nicht. Wir, die wir <gay> sind, können auch jemanden vom anderen Geschlecht lieben». (Clark 1977, S. 103-106) Mit dem Fortschreiten der Dekade erschienen aber - ganz im Gegensatz zu dieser frühen Ideologie - schwule Männer und lesbische Frauen als klar umrissene, rechtlose Minderheitsgruppen. «Gay» zu sein, umfaßte bald mehr und mehr nicht-sexuelle Attribute, und gleichzeitig wurden die nötigen großen Veränderungen im Sexuellen und Erotischen weniger und weniger betont. Sicher, das Thema <sexuelle Orientierung) wurde allgemein öffentlich, aber der Diskurs über freie Wahl sexueller Partner änderte wenig an der bestehenden Ideologie. Als <gay> wurden Männer und Frauen jetzt als Mitglieder einer bestimmten Minderheit rekonstituiert, und so kehrte man zu den alten essentialistischen Konstruktionen der Homosexualität zurück. Dies führte zu der Vorstellung, die «Homosexualität» sei ein invarianter Grundaspekt des Selbst, der in frühester Kindheit festgelegt sei (Malyon 1981). Die Homosexualität tritt nur scheinbar erst irgendwann später im Leben auf, weil sie eben bis dahin die ganze Zeit unterdrückt war (Ross 1971, Voeller und Walters 1978, Bozett 1980, Malyon 1981). Die Behauptung eines inhärenten «Schwulseins» und die Rückkehr zur Vorstellung von Heterosexualität und Homosexualität als zwei sich gegenseitig ausschließende Zuständen machten alle bisexuell Verkehrenden aufs Neue unsichtbar. Die Verleugnung der Bisexualität bestätigte die absolute und exklusive Natur der heterosexuellen/homosexuellen Dichotomie. Infolgedessen war das öffentliche Image der Bisexualität zumeist negativ und wurde trivialisiert als «bisexueller Chic» (Avicolli 1978). Individuen entdeckten, daß ihre Behauptung, bisexuell zu sein, von der Schwulenkultur mit Mißtrauen und gemischten Gefühlen aufgenommen wurde (Altman 1981, Austin 1978, Blumstein und Schwartz 1974, Bode 1976, Klein 1978). In der lesbischen Szene war die Bisexualität besonders negativ belastet, denn der lesbische Feminismus «behauptet, daß Lesbianismus eine politische Entscheidung ist, die wenig mit sexuellem Begehren an sich zu tun hat. Aus dieser Sicht definiert sich eine bisexuelle Frau limmer noch durch männliche Bedürfnisse) (Loretta Ulmschneider von den Furies) anstatt durch ihre eigenen Wünsche . . . Da der lesbische Feminismus die Befriedigung männlicher Bedürfnisse mit der Unterstützung männlicher Herrschaft gleichsetzt, sieht er in bisexuellen Frauen per definitionem Verräterinnen» (Orlando 1984, S. 1). Trotz alledem belebte sich die Diskussion über Sexualität und sexuelle Orientierung in den Medien, in der Literatur und im Film, und so kam auch die Bisexualität verstärkt zur Sprache. Die wachsende allgemeine Offenheit fand sich auch reflektiert in dem zunehmend androgynen Aussehen gewisser Rockstars der siebziger Jahre bis hin zu regelrechter Travestie (Avicolli 1978). Außerdem wurden einige als bisexuell bekannt (etwa David Bowie und Elton John). Andererseits fanden sich ab 1974 Attacken auf die Bisexualität in der amerikanischen Presse. Zwei Nachrichtenmagazine druckten Artikel, in denen Bisexuelle als Mitläufer einer modischen Verirrung trivalisiert wurden. Aber es gab auch objektivere Porträts und den Beginn ernsthafter akademischer Diskussionen in wissenschaftlichen Zeitschriften (Blumstein und Schwanz 1974, Bode 1976, Falk 1975, Klein 1978, Wolff 1977). Fernsehprogramme fingen an, schwule Themen und schwule Charaktere vorzustellen. «Science Fiction» - ein Genre, das Sorgen und Probleme von heute in futuristischen Metaphern behandelt - zeigte ein wachsendes Interesse an der Formbarkeit sexueller Rollen und Normen (Barnes 1982). Bei dem schnellen Wachstum der schwulen Gemeinschaft wurde San Francisco in diesem Jahrzehnt ein weithin sichtbares «Schwulenmekka». Man schätzt, daß von der Mitte der siebziger bis Anfang der achtziger Jahre jährlich mehrere tausend Männer in die Stadt strömten. Damit bestätigten sie am Ende die frühen Gerüchte, «daß die Schwulen in San Francisco persönliche, gesellschaftliche und politische Macht besäßen, und daß es hier einen Ort gebe, wo man als ganzer Mensch akzeptiert werde, ganz unabhängig von der sexuellen Orientierung» (Peyton 1988, S. 4). Ab 1974 gab es einen schwulen politischen Club; ein zweiter entstand 1976. Ab 1976 gab es einen gewählten, offen schwulen Stadtrat, Harvey Milk. Eine Wahl nach Bezirken erlaubte bei der großen ethnischen Vielfalt der Stadt nicht nur die Schaffung ethnischer Wählerblöcke, sondern auch die eines besonderen schwulen Wählerblocks. Angesichts dieser Offenheit der Schwulengemeinschaft gegenüber schien San Francisco ein fruchtbarer Nährboden für eine organisierte Bisexuellengemeinschaft zu sein. David Lourea, ein Hauptinitiator des Centers, zog 1973 von Philadelphia nach San Francisco, denn er war überzeugt: «Wenn es überhaupt eine Bisexuellenbewegung geben wird, dann wird sie in San Francisco beginnen» (persönliche Mitteilung 1991).
Die Gründung des <Bisexual Center>
Die Gründungsgeschichte des Bisexual Center muß man im Kontext der beginnenden Schwulenbewegung und der Entwicklung San Franciscos zur Schwulenmetropole sehen; aber sie ist auch eine Geschichte von Individuen. Vielleicht die wichtigste von ihnen war Maggi Rubenstein. In San Francisco geboren und aufgewachsen, war sie als Krankenschwester ausgebildet. Sie erlebte ihr «Coming out» als Bisexuelle als sie, im Alter von Anfang dreißig, am Center for Special Problems arbeitete. Dies war eine Einrichtung mit einer Vielfalt von Klienten, einschießlich sexueller Minderheiten. Sie führte ihren Mut und ihre Stärke für das bisexuelle «Coming out» auf die Frauenbewegung zurück. Ihre persönliche Suche nach Unterstützung und die «große Erleichterung» nach der bisexuellen Selbstidentifizierung motivierten sie, «ein Gemeinschaftszentrum für Bisexuelle zu entwerfen, damit andere nicht alles allein mit sich selbst abmachen müssen» (Rubenstein 1983). Die Vision einer bisexuellen Vereinigung, die bisexuelle Frauen und Männer aus ihrer Verborgenheit herausholen würde, begann mehrere Jahre vor Gründung des Bisexual Center. Rubenstein verließ 1972 das Center for Special Problems. Durch ihre Aktivitäten der folgenden Jahre versammelte sie eine Reihe von bisexuellen Freunden und Bekannten um sich, die helfen sollten, den Traum eines bisexuellen Gemeinschaftszentrums zu realisieren. 1972 gründete Rubenstein mit Margo Rila die San Francisco Sex Information Hotline (einen Telefondienst, der für alle Anrufer klare und wertfreie Informationen zur Sexualität anbot). Sie half außerdem beim Aufbau des Sexualberatungs-programms am UC Medical Center. Gleichzeitig begannen einige dort beteiligte Personen auch noch die Organisation eines Nationalen Sex Forums und einer damit verbun- denen sexologischen Hochschule, des Institute for Advanced Study of Human Sexuality, das dann 1976 tatsächlich gegründet wurde. Schließlich hing die Eröffnung des Bisexual Center nur noch am nötigen finanziellen Rückhalt. Zuerst versuchten Rubenstein, Lourea und Rila, das Startgeld vom Besitzer einer örtlichen Zeitung («Berkeley Barb») zu erhalten, die gerade ihr Erscheinen einstellte. Aber dies war erfolglos. 1975 schließlich stellte Jeanne Pasle-Green für Rubenstein die Verbindung zu Harriet Leve her, und Leve stellte dann einige finanzielle Unterstützung sowie grundsätzliche Organisationsenergie zur Verfügung. So kam es, daß Rubenstein und Leve sich endlich mit etwa zwanzig Gleichgesinnten in Rubensteins Dachkammer trafen, um einen formellen Plan zur Eröffnung des Centers zu planen. Es sollte der menschlichen Bisexualität Sichtbarkeit und Achtung verschaffen. Viele andere, die sich von Anfang an beteiligten, waren ebenfalls Psychotherapeuten, Berater und Sexualerzieher, so David Lourea, Margo Rila, Alan Rockway, Evelyn Hoch, Hoge Wykoff, Jeanne Pasle-Green und Vicki Galland. Sie fühlten sich von einer weitgefaßten und vielumfassenden Vorstellung von menschlicher Sexualität angezogen, die jede Dichotomisierung der sexuellen Orientierung vermied. Rubenstein stellte sich öffentlich im Fernsehen als Bisexuelle vor; am 24. August 1976 erschien eine kleine Annonce in der örtlichen Tagespresse (San Francisco Chronicle) und dann eine weitere in einem landesweiten feministischen Magazin. Dies führte zu hun-derten von interessierten Telefonanrufen und der Bildung eines ständigen bisexuellen Gesprächskreises im September. Am 7. November fand die erste Hauptversammlung des Bisexual Center in den Räumen des Nationalen Sex Forums statt. Anwesend waren über 80 Personen. Eine Woche später gab es das erste gesellige Zusammentreffen bei mitgebrachten, selbstgekochten Essen. Das Center hatte seine Funktion begonnen.
Philosophie und Aktionen des Bisexual Center
Von Anfang an lag den Beteiligten sehr viel an der Philosophie des Bisexual Center und an dem Versuch, die Debatte über Sexualität und sexuelle Lebensstile zu beeinflussen. Die Originalaussage dazu lautete: «Wir finden uns auf beiden Seiten und in der Mitte der heterosexuell-homosexuellen Polarität. Wir glauben, daß wir einen einzigartigen Beitrag zur Versöhnung der Polaritäten, zur Gleichberechtigung in den Beziehungen und zum besseren Verständnis der Zyklen in der Sexualität des Menschen leisten können.» Die Parallelen und Verbindungen zwischen den Vorstellungen von Bisexualität, feministischer Theorie und Theorien der Androgynität wurden in allen ersten Versammlungen und in den ersten Heften der neuen, eigenen Publikation «The Bi-Monthly» diskutiert. Das Bisexual Center hieß auch alle Transvestiten und Transsexuellen willkommen und unterstützte sie, ja, ihre Interessen fanden sich bewußt in Direktorium, Newsletter und offizieller Philosophie reflektiert. Bei der zweiten Hauptversammlung am 16. Januar 1977 wurde gefragt, welchen Standpunkt das Bisexual Center in allgemeinen sozialpolitischen Befreiungskampf einzunehmen gedenke. Die Sorge wurde laut, es könne zu einem reinen «Hedonistenclub» verkommen, einem Zufluchtsort für solche, die den größeren gesellschaftlichen Fragen ausweichen sollen. Daraufhin wurden die Grundsatzerklärungen revidiert, so daß nun klare Positionen gegen Sexismus, Rassismus, Klassenvorurteil und Altersdiskriminierung deutlich wurden. Zudem unterstützte man aus- drücklich die Frauen- und die Schwulenbewegung. Die Änderungen betonten auch die Forderung des Centers nach einem Recht auf Selbstbestimmung als bisexuell, lesbisch, schwul oder heterosexuell, sowie nach einem Recht auf alle einvernehmlichen sexuellen Handlungen. In der revidierten Fassung heißt es dementsprechend: «Wir sind Menschen, die Liebe und Intimität sowohl mit Männern wie mit Frauen teilen wollen. Selbstdefiniert als Bisexuelle (obwohl solche Etiketten immer einschränken) wollen wir für uns und andere ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickeln. - Das Bisexual Center ist einig im Kampf für das Recht aller Frauen und aller Männer, sich als ganzheitliche, androgyne Wesen zu entwickeln. - Wir unterstützten Beziehungen zwischen Personen des gleichen und anderen Geschlechts. Diese Beziehungen können spirituelle, soziale, emotionale, sinnliche, sexuelle und intellektuelle Aspekte einschließen. Wir unterstützen auch Personen, die zölibatär leben wollen. - Wir unterstützen Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit unterdrückt worden sind. - Wir ermutigen und unterstützen Menschen, die (a.) für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz, beim Wohnen, bei der medizinischen Versorgung und bei vollständiger sexueller Information kämpfen und (b.), die für das Recht eintreten, einvernehmlich jede sexuelle Ausdruckweise frei zu entfalten. - Wir unterstützen den offenen Ausdruck von Zärtlichkeit und die Berührung unter Menschen, ohne das dies immer sexuelle Implikationen haben muß.» Von Anfang an war also mehr geplant als nur ein geselliger Kreis. Wie David Lourea es 1983 ausdrückte: «Ich wußte, daß wir uns alle in Einem einig waren: Keiner von uns hatte die Zeit, das Interesse oder die Energie für einen reinen Amüsierverein. Wichtiger noch: Wir alle hatten die Wut erlebt, die aus der Ausgrenzung und Abwertung entspringt. Nach der biphobischen Vorstellung vieler Monosexueller waren wir unernsthafte Individuen, unfähig jeder Integrität. Dieses falsche Bild zu korrigieren war eins unserer wichtigsten Anliegen. Dennoch wollten wir unsere Existenz nicht in Reaktion auf die bi-feindlichen Gefühle der schwulen, heterosexuellen und lesbischen Gemeinden begründen ... Da wir wahrscheinlich der einzige Zufluchtsort für Bisexuelle bleiben würden, mußten wir einen sicheren Hafen bereitstellen, wo Menschen sich ihrer Bis-exualität freuen konnten . . .» (S. 3). Innerhalb weniger Monate richtete das Center verschiedene Gesprächskreise, Workshops und Kurse ein (z. B. «Coming Out Bi», «Wie man den Verlust eines (einer) Geliebten verschmerzt», «Konfrontation mit dem letzten Tabu (S/M)», «Workshop <Offe-ne Beziehung>», «Ich möchte Nähe, aber bitte nicht zu nahe!», «Intimitäts-Workshop», «Die Liebe zu beiden»). Das Center diente auch als Informations- und Aufklärungszentrum sowie als Sprachrohr in die Öffentlichkeit. Menschen aus dem ganzen Land schrieben oder riefen an, suchten Informationen, Unterstützung, Kriseninterventionen und Überweisungen. Das Center unterstützte auch mehrere Forschungsprojekte von Doktoranden und verschiedenen sonstigen Fachleuten, um das Wissen über Bisexualität zu mehren. Es schuf eine starke bisexuelle Präsenz am Ort, wobei viele Mitglieder seines Direktoriums in den neun Jahren des Bestehens immer wieder im Radio oder im Fernsehen auftraten. Das Center besaß eine Rednerliste und lieferte so Aus- und Fortbildungsveranstaltungen für eine Vielzahl von Behörden, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsfachleute. So erreichte man, daß Bisexualität als eigenes, von der Homose- xualität getrenntes Thema behandelt wurde. Als dann das Bisexual Center in der Hayes Street seine eigenen, endgültigen Räume bezog, veranstaltete es auch Kunstausteilungen und Vorstellungen von bisexuellen Künstlern oder zu bisexuellen Themen. Ebenfalls von Anfang an bezog das Bisexual Center Positionen zu verschiedenen politischen und sozialen Fragen, wodurch sein Profil in der Öffentlichkeit noch deutlicher wurde. Im ersten Jahr versandte es Presseverlautbarungen und hielt Pressekonferenzen gegen die schwulenfeindlichen Versuche Anita Bryants und ihres Kreuzzugs «Save Our Children». Die erste Pressekonferenz am 30. Juni 1977 präsentierte Dr. Benjamin Spock als pädiatrischen Fachmann, Dr. Claude Steiner (einen Therapeuten, der für sein Werk «Skripte, nach denen Menschen leben» bekannt war), Ruth Falk (eine feministische Schriftstellerin, Mitautorin von «Women Loving») und Phyllis Lyon, eine lesbische Aktivistin und Kodirektorin des Nationalen Sex Forums. Das Resultat waren Berichte in den Fernseh-Abendnachrichten und im Radio. Das Center hatte auch einen Stand bei der Nationalen Frauenkonferenz in Houston, Texas, im November 1977, und seine Abgeordnete unterstützte das Equal Rights Amendment (verfassungsverbriefte Gleichberechtigung der Frau) und Resolutionen zu sexuellen Präferenzen, reproduktiven Freiheit und Kindererziehung. Im Herbst 1977 gab es zudem noch einen Kampf zuhause: Unterstützung der Bay Area Coalition Against the Briggs Initiative (der Versuch, eines kalifornischen <State Senators>, alle Lehrer aus öffentlichen Schulen zu verbannen, die homosexuell waren oder die Rechte von Homosexuellen verteidigten). Gleichzeitig aber war den Mitgliedern klar, daß die Bisexuellenbewegung noch sehr jung war und daß noch viele Diskussion und Selbstentdeckung nötig waren, bevor Bisexuelle eine lebenslange politische Gruppe darstellen konnten (Monty 1977).
Veränderungen im Bisexual Center im Laufe der Zeit
Innerhalb des ersten Jahres hatte das Center fast 400 zahlende Mitglieder gewonnen, im Frühjahr 1978 waren es etwa 550 (nach Angaben des Bi-Monthly). In den ersten Jahren seiner Existenz unterstützte das Center außerdem Versuche anderer, in anderen Landesteilen bisexuelle Gruppen zu bilden. Dies mag erklären, warum die Mitgliederzahl wieder sank, um sich dann um 1980 bei etwa 330 zu stabilisieren. Allerdings entstand eine erhöhte Nachfrage nach Dienstleistungen, was sich auch an der größeren Zahl geselliger Zusammenkünfte und Gesprächskreise ablesen läßt (im Jahre 1980 je zwei pro Woche). Eine weitere Gruppe nur für Frauen begann 14-tägige Treffen im Sommer 1981. Viele von den ursprünglichen Mitarbeitern stellten bis etwa 1982 ihre Tätigkeiten ein. Um die gewohnten Dienstleistungen dennoch aufrechterhalten zu können, begannen die Bisexual Counseling Services (geleitet von David Lourea) 1982 ein Trainingsprogramm mit fortgeschrittenen Studenten. Trotz all der Menschen, die das Center in Anspruch nahmen, erreichte es nie die nötige finanzielle Stabilität. Viele von denen, die über die Schwelle traten, waren jung oder verdienten kaum ihren Lebensunterhalt. Das Center fühlte sich verpflichtet zu helfen, aber war immer nur gerade so eben solvent. Nach einer Finanzkrise 1980 war sich das Direktorium nicht mehr sicher, ob es durchhalten könnte. Um das Überleben sicherzustellen, stellten einige Direktoren nicht nur ihre Zeit, sondern auch ihr Geld zur Verfügung. Die schon 1979 begonnenen Versuche, als Aufklärungsorganisation einen Non-Profit-Status (entsprechend etwa der deutschen Gemeinnützigkeit) zu erlangen, waren erst im April 1983 erfolgreich, als der Staat Kalifornien diesen Status offiziell anerkannte. Wiederholte Spendenaufrufe erschienen im Bi-Monthly, änderten aber nichts an der finanziellen Lage. Das Direktorium bestand ja nicht aus professionellen Geldbeschaf-fern, sondern aus Sexualberatern, Erziehern und Szene-Aktivisten. So kam es, daß die frustierten Direktoren zunehmend Geldprobleme lösen mußten anstatt sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten konnten: Eine Vision für das Bi-Center zu entwickeln. Diejenigen, denen vor allem an bisexuellem Aktivismus gelegen war, gründeten schließlich im Mai 1983 die politische Gruppe BIPOL. Bei dieser finanziellen Instabilität war es kein Wunder, daß das Center durch die AIDS-Epidemie weiter geschwächt wurde. Am 15. Juli 1982 erschien Bobbi Campbell, ein schwuler Krankenpfleger mit AIDS, der zum AIDS-Aufklärer und Aktivisten geworden war, im Bi-Center, um die neue, noch namenlose Epidemie zu diskutieren, die bereits eine wachsende Zahl von Schwulen erfaßt hatte. Die AIDS-Epidemie machte sich auf zwei Ebenen bemerkbar: 1. Sie trug zu einer verstärkten Betonung der Monogamie und einem sexuellen Konservatismus bei - im Gegensatz zu der voraufgegangenen Dekade, als alternative Beziehungsformen als unvermeidlich und vielleicht sinnvoller gegolten hatten (Francoeur und Francoeur 1974, O'Neill und O'Neill 1972, Ramey 1976), und 2. sie verlangte von den Leitern des Centers mehr und mehr Energie und Aufmerksamkeit. Der wachsende Konservatismus trug dazu bei, daß weniger Menschen das Bisexual Center durchliefen und vielleicht auch dazu, daß die Öffentlichkeit immer weniger Lust verspürte, verschiedene Sexualitäten zu feiern und auszuleben. Die Mitgliederzahl sank. Zudem entschlossen sich einige Leiter des Centers, auf dem Gebiet AIDS tätig zu werden. Ab 1984 arbeiteten Rubenstein und Lourea für das Committee to Preserve Our Sexual and Civil Liberties. Rubinstein war eine Mitbegründerin der Mobilization Against AIDS und stand ihr von 1985-86 vor. Beide arbeiteten als Sexualaufklärer mit verschiedenen Organisationen, etwa dem Women's AIDS Network, dem AIDS Health Project, und der San Francisco AIDS Foundation. Da die Gründungsmitglieder des Centers so in andere Gebiete abwanderten, und da die finanzielle Situation weiterhin bedrohlich blieb, kam das Bi-Center ins Schlingern. Es verlor noch einige Mitglieder an nicht-aktivistische Organisationen, die «Sex und Intimitäts-Workshops zum Wohlfühlen» abhielten, und schloß dann seine Pforten. Das Bisexual Center war eine ehrgeizige Unternehmung gewesen, die allen bisexuellen Menschen alles recht machen wollte. Als frühe Gemeinschaftsorganisation, die neun Jahre lang überlebte, füllte sie eine Lücke für viele, die von der enger definierten «Schwulen- und Lesbengemeinschaft» marginalisiert und für die größere heterosexuelle Bevölkerung unsichtbar waren. Es machte allen Mut, die mit ihm Kontakt bekamen, für sich selbst ihre eigenen sexuellen Etiketten zu wählen. Es zeigte ihnen, daß es viele andere mit den gleichen bisexuellen Empfindungen gab, und es bestätigte, daß die übliche Perspektive des sexuellen «Entweder/Oder» künstlich und restriktiv war. Es begünstigte eine Vielzahl von anderen Versuchen, die Bisexualität weithin sichtbar zu machen, vor allem auch politisch.
Die Zukunft der Bisexuellenbewegung
Die Gemeinschaft der Bisexuellen, die sich um das Bisexual Center versammelt hatte, kam mit seiner Schließung keineswegs an ihr Ende. BIPOL machte als aktive politische Gruppe weiter und im Mai 1987 begann eine weitere bisexuelle Gruppe in der Gegend von San Francisco - das Bay Area Bisexual Network. Ebenfalls im Mai 1987 hielt das East Coast Bisexual Network seine 4. Jahrestagung, wozu es auch Mitglieder des Bisexual Center einlud. Bisexuelle marschierten auch als eigenes Kontingent beim großen «Marsch auf Washington für schwule und lesbische Rechte» am 11. Oktober 1987. (Dies geschah nach der Hardwick-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, der das Recht der Bundesstaaten bekräftigte, Gesetze gegen Oral- und Analverkehr selbst zwischen einvernehmlichen Partnern in der eigenen Wohnung zu erlassen.) Die Organisationsarbeit zur Vorbereitung dieses Kontingents führte auch zur Bildung eines Nationalen Bisexuellen Netzwerks (National Bisexual Network). Die Bedeutung San Franciscos wurde auch dadurch unterstrichen, daß dort 1990 die Nationale Bisexuellenkonferenz stattfand mit über 400 Teilnehmern aus 22 amerikanischen Bundesstaaten und insgesamt 5 Ländern. Obwohl AIDS reaktionären, moralistischen und religiös fanatischen Gruppen dazu gedient hat, ihre restriktive, antisexuelle Sicht zu untermauern, so hat es andererseits aber auch Viele in den USA gezwungen, die existierende Vielfalt sexueller Präferenzen und Lebensstile zur Kenntnis zu nehmen. Dies schloß auch die erneute Aufmerksamkeit ein, die man den Bisexuellen schenkte (wenn auch nur im negativen Sinne als den Über-tragungsbrücken von HIV in die «Allgemeinbevölkerung».) Zwei landesweite Nachrichtenmagazine brachten Berichte über Bisexuelle und AIDS (Gelman, Drew, Hager, Anderson, Raine und Hutchinson 1987, Smilgis 1987). Die deutlichere Sichtbarkeit der Bisexuellen hatte auch ihre Auswirkung in der Schwulenpresse der USA (Wofford 1991). Es erschienen neue Bücher (Geller 1990, Hutchins und Kaahumanu 1991) und ein Bi-sexuellenmagazin (ATM - Anything That Moves). Insgesamt kann man sagen, daß das Bisexual Center ein Gemeinschaftsgefühl unter Bisexuellen geschaffen hat, das seine eigene Existenzspanne überdauert hat. Die Bisexuellenorganisationen «der zweiten Generation» können ihm für seine bahnbrechende Arbeit dankbar sein.
Deutsch von Erwin J. Haeberle
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